A. Definitionen 1. Parodie In der neueren Poetik findet die Parodie unter dem Gattungsbegriff Didaktik ihren Platz zwischen Satire und Travestie.^1 Die einschlägigen literarischen Lexika definieren sie als <>) eines bekannten dichterischen Werkes unter Anwendung der beibehaltenen Torrn auf einen anderen, nicht dazu passenden Inhalt>>^2. Auch in neueren Untersuchungen findet man noch diesen engen Gattungsbegriff^3, der zwar für die meisten älteren Parodien, welche sich in der Verspottung ihrer literarischen Vorlagen erschöpfen, ausreicht, jedoch nicht für jene paro-distischen Texte genügt, die eine über die Verulkung oder ästhetische Kritik des Originals hinausgehende Absicht verfolgen. Aber eben dieser Typus von Parodie ist es, der uns sowohl im anspruchsvolleren literarischen Bereich als auch bei den Gebrauchstexten in neuerer Zeit hauptsächlich entgegentritt. Wir brauchen daher einen erweiterten Gattungsbegriff, der die Besonderheiten der modernen Parodie mit einschließt.^4 Peter Rühmkorf hat genau diesen im Sinn, wenn er --- als Erläuterung und Rechtfertigung seiner eigenen lyrischen Parodien - als Objekt der Parodie nicht mehr das parodierte Werk selbst, sondern ein <>, einen <>, einen <> ansieht: Die parodierte Vorlage wird so zum <>, zur <> einer weitergehenden Kritik.^5 1. Ivo Braak (1969), S. 166 f. 2. a. a. O., S. 166; ähnlich auch Gero von Wilpert (1961), S. 431 f. 3. Jörg Schönere (1969), S. 19. 4. Erwin Rotermund (1963), S. 9. 3. 5. Peter Rühmkorf (1962), S. 119. 47 Erwin Rotermund, einer der besten Kenner der modernen Parodie, hat unter Berücksichtigung der Geschichte dieser Gattung und im Hinblick auf die neueren Erscheinungsformen der Parodie eine Definition gegeben, die keinen von der üblichen Verwendung ganz und gar abweichenden Bgriff einführt, sondern eine modifizierte Bestimmung der Gattung vornimmt, welche für die Arbeit mit der vorlie-genden Anthologie besonders geeignet erscheint: <> Diese Definition schließt auch Bilder-parodien sowie sprachlich-viseuelle Misch-formen (Beibehaltung des Bildes, aber Veränderung der Bildunterschrift und umgekehrt) ein. 2. Der Parodie benachbarte literarische Formen Um den Begriff <> präzise gebrauchen zu können, soll die Gattung im folgenden kurz gegen die wichtigsten benachbarten Formen abgegrenzt werden. a) Travestie (von ital. travestire <>) Im Gegensatz zur Parodie behält die Travestie den ernsten Gegenstand der Vorlage bei, kleidet ihn jedoch in eine vom Original abweichende, nicht dazu passende Form, wodurch oft eine komische Wirkung erzeugt wird. Die Travestie kommt wesentlich seltener vor als die Parodie und hat zumeist nur die Funktion der bloßen Erheiterung.^7 b) Kontrafaktur (von lat. contra, <>; factura, <>) Mit diesem Begriff wird in der Regel die geistliche Umdichtung eines weltlichen Liedes, seltener die weltliche Umformung einer geistlichen Vorlage, unter Beibehaltung der formalen Struktur (Vers- und Strophenbau, Melodie) bezeichnet.^8 In einem weitergefaßten Sinne wird diese Bezeichnung auch auf <geistlich -- weltlich< oder >weltlich -- geistlich< angewendet>>^9. Es ist offenkundig, daß dieser erweiterte Gebrauch die Kontrafaktur in die Nähe der Parodie im Sinne unserer Definition bringt; so sind einerseits die politischen Umdichtungen von Goethes unpolitischem Mignon-Lied (Nr. 2) durch Dingelstedt und Kästner (Nr. 2a, 2b) als Kontrafakturen anzusehen, andererseits lassen sie sich aber auch als Parodien definieren, weil sie mit den formalen Mitteln der Vorlage durch inhaltliche Substitution den Originaltext Goethes als Medium satirischer Kritik verwenden. c) Cento (lat., aus Lappen zusammengeflicktes Kleid, Flickwerk) In der Poetik bezeichnet man mit diesem Begriff ein literarisches Werk, das sich aus Zitaten (ganzen Versen, Versteilen, einzelnen Redewendungen und Bildern) bekannter Dichtungen zusammensetzt und diese zum Zwecke der Er- 7. Rotermund (1963), S. 23 f. 8. von Wilpert (1961), S. 303 f.; Braak (1969), S. 119. 9. Rotermund (1963), S. 24. 49 heiterung oder der satirischen Kritik auf einen neuen Gegenstand anwendet. Diese vor allem im Mittelalter und Barock beliebte Gattung findet sich auch in neuerer Zeit als Gedicht mit satirischer Tendenz (so bei Röhrich, 1967, S. 173 f.). d) Karikatur (von ital. caricare, <<überladen, übertreiben>>) Ursprünglich nur auf Werke der bildenden Kunst bezogen, dann aber auch auf die Literatur übertragen, bezeichnet dieser Begriff ein <>. Es wird deutlich, daß diese definitorischen Merkmale auf einen bestimmten Typ von Parodien zutreffen, daß jedoch keineswegs alle Parodien auch Karikaturen sind. Die >karikierende Parodie< ist also eine Sonderart der Parodie. e) Satire (von lat. satura, <>; in Verbindung mit lanx, <>: eine mit allerlei Früchten gefüllte Schale. Im literarischen Sinne: literarisches Allerlei, Mischgedicht; die Herleitung von griech. satyros ist unwahrscheinlich.'') Unter Satire wird im allgemeinen eine Spottdichtung mit erzieherisch-didaktischer Tendenz verstanden.Rudolf Sühnel hat die im Laufe der Jahrhunderte entwickelten Definitionen stichwortartig zusammengefaßt: 1. Es wird Kritik geübt an Verächtlichkeiten in Charakteren, Konventionen, Institutionen; 2. diese Kritik bewegt sich auf einer weiten Skala der Aus- drucksintensität, von überlegener Heiterkeit bis zum tragischem Pathos; 3. im Gegensatz zum Preisgedicht wird eine verbindliche Norm nicht direkt sichtbar gemacht, sondern in ihrem negativen Gegenbild impliziert. Die Satire ist daher eine Kunst der indirekten Aussage, der parodistischen Aufhebung überlieferter Formen. Hinzuzufügen ist, daß die Kritik in der Satire und die dafür in Gebrauch genommenen Mittel des Humors, der Ironie, des Witzes usw. nie Selbstzweck sind, sondern immer dazu dienen, kritisierte Charakterschwächen zu besssern oder entlarvte Mängel zu beseitigen. Aus dem Vergleich der Definitionen von Satire und Parodie ergeben sich trotz vieler Gemeinsamkeiten (beide sind an keine feste Gattung gebunden, beide decken durch -- meist komisch wirkende -- Übertreibung und Verzerrung Mißstände aller Arten auf) doch einige Abgrenzungsmöglichkeiten: die formale Nachahmung eines literarischen Werkes ist ein Wesensmerkmal jeder Parodie, stellt jedoch für die Satire nur einen Sonderfall dar. Die Satire bedient sich allerdings häufig der Parodie als eines satirischen Mediums, woraus oft abgeleitet wurde, daß die Parodie nur eine besondere Form der Satire sei. Jedoch zeigt sich vor allem bei älteren Parodien, daß keinesweg alle parodistischen Texte eine satirische Tendenz aufweisen. Diese Unterschiede gehören gehören indessen weitgehend der Vergangenheit an; man findet unter den neueren und neuesten Parodien kaum noch Beispiele, die die keine satirische Absicht erkennen lassen, so daß zumindest für die Gegenwart sich im großen und ganzen doch als eine Sonderform der Satire beschreiben läßt. 15. Sühnel (1965), S. 508.