Thomas Mann hat sich zum "höheren Abschreiben" als Methode eines Romanciers bekannt und die Montage-Technik fand ihren Höhepunkt im Doktor Faustus. Da spielte er mit der lutherischen Redeweise der Lehrer des jungen Adrian Leverkühn, aber zugleich mit anderen Sprachimitationen. Ansätze zu einem solchen Sprachspiel fanden sich freilich auch schon in Lotte in Weimar, waren dort allerdings noch stark von dem ja sprachlich vorgegebenen Stil Goethes und seiner Zeitgenossen geprägt. Struktur des Romans "Lotte in Weimar`" Lotte in Weimar ist ein Roman, in dem nicht die Handlung, sondern die Konversatio zwischen Charlotte Buff und den Menschen aus Goethes Umgebung im Vordergrund stehen. Im September 1816 kommt die Hofrätin Charlotte Kestner, geboren Buff, mit ihrer Tochter und Bedienung, nach Weimar, um ihre Verwandten zu besuchen. Lottes Schwester lebt nämlich mit ihrem Mann schon lange in Weimar. Ihre Anreise in den Gasthof "Zum Elephanten" wäre für die Weimarer nicht besonders interessant, wenn sie nicht die Lotte aus Goethes Werther-Roman wäre. Bei der Anmeldung im Gasthof wird sie von einem Kellner erkannt und die Nachricht über ihre Ankunft verbreitet sich deshalb schnell in der ganzen Stadt. Lotte ist zwar schon dreiundsechzig Jahre alt und es sind schon vierundvierzig Jahre her, seitdem sie Goethe zum letzten Mal sah. Aber trotzdem verursacht sie in Weimar große Aufregung. Alle wollen sie sehen, weil sie neugierig sind, wie Werthers Lotte aussieht. Charlotte schickt zuerst einen kurzen Brief an Goethe, in dem sie um ein Treffen bittet. Dann will sie sich ein bisschen ausruhen, bevor sie zu ihren Verwandten geht. Aber das gelingt ihr nicht gleich. Es kommen nämlich Leute, die sie begrüßen wollen. Zuerst kommt eine junge Engländerin, Miss Rose Cuzzle, eine Malerin, und will Charlotte porträtieren. Dann kommen die Leute aus Goethes Kreis. Als erster erscheint der Sekretär des Geheimen Rates, Herr Doktor Riemer, später Adele Schopenhauer und als letzter sogar der Sohn des großen Dichters, der Kammerrat August von Goethe. Alle diese Leute, mit Ausnahme von Miss Cuzzle, die nur zufällig kommt, wollen Charlotte möglichst bald sehen und mit ihr allein sprechen. Es ist egal, womit sie anfangen, sie wenden das Gespräch immer auf Goethe. Die Gespräche erwähnen ihre heimlichen inneren Widerstände gegen den großen Mann und auch oft ihre gekränkte Eitelkeit. Goethe scheint, aus der Sicht dieser Menschen ein Tyrann zu sein, der seine Umgebung nur quält. Diese drei Gespräche bereiten Goethes Auftritt vor. In dem siebenten Kapitel denkt Goethe über sein Werk und sein Leben nach. Er bekommt Charlottes Brief und entschließt sich, sie und noch ein paar Freunde zum Mittagessen einzuladen. In drei Tagen sammelt sich die Gesellschaft bei Goethe. Das Mittagessen verläuft ganz formal. Meistens ist es Goethe, wer spricht. Es wird nichts gesagt über Goethes Beziehung zu Charlotte. Ein privates Gespräch mit Goethe findet leider nur in Charlottes Phantasie statt. Goethe stellt Charlotte seine Loge in dem Weimarer Theater zur Verfügung. Er schickt sogar seinen Wagen, um Lotte nach Hause zu bringen. Auf dem Weg aus dem Theater stellt sich Charlotte vor, dass Goethe mit ihr fährt. Sie führt mit ihm ein sehr wichtiges und privates Gespräch über ihre Beziehung, Literatur und Leben. Dieses Treffen fand aber in der Wirklichkeit nicht statt. Goethe war nicht im Wagen. Thomas Mann selber hat gesagt, diese Szene sei irreal. Werner Betz beschreibt Manns Sprache folgendermaßen: Goethes Welt und Sprachwelt [wird] von Thomas Mann durch Mundartliches, frankfurterische Sonderformen gekennzeichnet [... und es ist] an anderen -- und überwiegenden -- Stellen Lateinisches, Goethisches -- Goethisch-Literarisch-Hochsprachliches -- und Para-Goethisches, das Goethes Welt und Sprachwelt charakterisiert und z.T. auch mit Mannscher Ironie parodiert. Typisch für Goethe warenvor allem einige heute ungewohnte Fremdwörter aus Goethes Wortschatz: z.B. "amical", "Apprehension", "apprehensiv", "ambrosisch", "extorquieren", "Dikasterien", "Debauchen", "Resipiscenz", "scientifischer" Ruf, "Ubiquität", "komponieren" u.a. Diese Wörter kann man auch in Goethes Schriften finden. Sie dienen in Lotte in Weimar zu der Verfremdung in dem Text. Sie sind außergewöhnlich und sollen auch Goethes Persönlichkeit in seiner Einzigartigkeit charakterisieren. Weiter hat Thomas Mann einige paragoethische Wörter erfunden. Diese hat er hauptsächlich zur Charakterisierung der Atmosphäre neugebildet. Es sind z.B. "advenant" oder "Accrochement". In Lotte in Weimar gibt es auch viele ungewöhnliche deutsche Wörter, die Goethe benutzt hat ("Misel", "Schmarutzertum", "Schönheitelei" usw.). Thomas Mann hat aber auch hier einige Neubildungen geschaffen, wie z.B. "beiträtig". Dieses Wort kommt aus dem ursprünglichen "beirätig". Es ist ein schon veraltetes Wort, das Thomas Mann noch komischer gemacht hat: er hat es mit "beitretend" kontaminiert zu "beiträtig". Diese Wörter dienen auch zu Ironisierung: Ähnlich wie bei den Fremdwörtern Thomas Manns von der Montage zur Umgestaltung und zur Neubildung wahrscheinlich weiterging, so finden wir bei den ungewöhnlichen deutschen Goethewörtern sichere Beispiele ironisch parodierender Neubildung aus Goetheschen Ansätzen. Im Roman diente Grillparzers Schilderung seines Aufenthalts in Wiemar als Quelle, um Goethe und seinen Umgang mit Besuchern zu charakterisieren, sondern auch für die Eingangsszene. Charlotte Buff wurde deshalb -- entgegen der historischen Realität -- im Gasthof Zum Elephanten untergebracht. Es wird mit Zitaten aus Faust gespielt. Z. B. ist für die Hofrätin der Augenblick gekommen, die gewissermaßen dankbare Rolle des Unbekannten aufzugeben und sich zu nennen und zu bekennen. Der gebildete Leser wird dabei gleich auf Faust ausweichende Antwort auf die Gretchen-Frage denken: GRETCHEN: ... Glaubst du an Gott? FAUST: Mein Liebchen, wer darf sagen: Ich glaub an Gott! Magst Priester oder Weise fragen, Und ihre Antwort scheint nur Spott Über den Frager zu sein. GRETCHEN: So glaubst du nicht? FAUST: Mißhör mich nicht, du holdes Angesicht! Wer darf ihn nennen Und wer bekennen: Ich glaub' ihn. Wer empfinden Und sich überwinden Zu sagen: ich glaub ihn nicht! Der Allumfasser, Der Allerhalter, Faßt und erhält er nicht Dich, mich, sich selbst? Wölbt sich der Himmel nicht dadroben? Liegt die Erde nicht hierunten fest? Und steigen freundlich blickend Ewige Sterne nicht herauf? Schau ich nicht Aug in Auge dir, Und drängt nicht alles Nach Haupt und Herzen dir Und webt in ewigem Geheimnis Unsichtbar-sichtbar neben dir? Erfüll davon dein Herz, so groß es ist, Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist, Nenn es dann, wie du willst: Nenns Glück! Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen Dafür! Gefühl ist alles; Name ist Schall und Rauch, Umnebelnd Himmelsglut. Es entspricht auch Thomans Manns Behauptung in On Myself von dem Roman Lotte in Weimar : Der Imitation Gottes, in der Rahels Sohn sich gefälltm entspricht meine imitatio Goethes: eine Identifizierung und Unio mystica mit dem Vater. Ähnlich blasphemisch mag es dem Leser klingen, wenn Riemer, von Lotte und sich selber sagt, sie seien Menschen: auf die durch ihn [Goethe] das Licht der Geschichte, der Legende, der Unterblichkeit fällt wie auf die um Jesus. Thomas Mann über Der Erwählte: Was einen Schriftsteller auf einen Stoff verfallen läßt, wird immer von außen schwer zu erkennen sein. Gewöhnlich hegt der Keim zum Neuen im Vorigen. Dichtungen sind Sprachwerke, und als Sprachwerk knüpft der >Erwählte< dort an, wo im >Dr. Faustus< die barocke und lutherische Sprach-Perspektive des Deutschland-Romans durch das Schweizerisch des Kindes Echo ins Mittelhochdeutsche vertieft wird. Da sprang eine Sprach-Idee auf; [. . .] und, gestützt von einiger Studien-Lektüre (bei weitem nicht so vieler wie im Falle des >Joseph<) spielte ich ziemlich aus dem Handgelenk mein christlichübernationales oder vornationales Mittelalter in die Luft, --- Sprachkurzweil in erster Linie, aber nicht ohne Herzensbeziehung zum Thema erwählter Sündhaftigkeit. (Dichter über ihre Dichtungen III, 408) Der Stoff war bereits in Kapitel XXXI des Doktor Faustus erwähnt, wo von den Gesta Romanorum die Rede ist, und es ist die Geschichte <>, die Adrian Leverkühn fesselt, die Geschichte einer Geburt aus Sünde und den folgenden schicksalhaften Verfehlungen. Trotzdemsind all die entsetzlichen Ereignissekein Hindernis für seine Wahl zum Statthalter Christi. Gerade seine Erhebung ist ein Zeichen von Gottes wundersamer Gnade. Die Kette der Verwicklungen ist lang und Andrian Leverkühn zufolge "[...] es erübrigt sich wohl für mich, die Geschichte des verwaisten königlichen Geschwisterpaars, von dem der Bruder die Schwester über Gebühr liebt, so daß er sie unbeherrschterweise in mehr als interessante Umstände versetzt und sie zur Mutter eines Knaben von ausnehmender Schönheit macht, hier zu reiterieren. Es ist dieser Knabe, ein Geschwisterkind in des Wortes arger Bedeutung, um den alles sich dreht." Thomanns Bemerkungen zu dem Roman >Der Erwählte< (1951): "Aber wenn es das Alte und Fromme, die Legende parodistisch belächelt, so ist dies Lächeln eher melancholisch als frivol, und der verspielte Stil-Roman, die Endform der Legende, bewahrt mit reinem Ernste ihren religiösen Kern, ihr Christentum, die Idee von Sünde und Gnade." (XI, 691) Helmut Koopmann *Thoman Mann-Handbuch 510-513 Der Erwählte wird seltener untersucht. Das mag am spielerischen Charakter dieses Werkes gelegen haben, vielleicht auch am untergründigen Zweifel daran, ob dieser Roman über das Parodistische hinaus genug Bestand habe, um als Lebenswerk in jenem Maße zu gelten, wie das den anderen großen Romanen von Lotte in Weimar an jederzeit zugestanden worden ist. Dabei zeichneten sich zwei Deutungslinien von vornherein ab: die, die im Montagewerk den eigentlichen Sinn dieses Romans sah, und jene, die psychoanalytisch verfuhr, indem sie die Geschichte vom guten Sünder in Beziehung brachte zu Thomas Manns eigenem Leben, der Rechtfertigung seines Lebens und auch dessen Versuchungen, die hier noch einmal ins literarische Werk hinübergespiegelt zu sein schienen. Eine Verbindung zwischen diesen beiden grundsätzlichen Positionen ist nur selten gesucht und nicht immer gefunden worden. Daß Thomas Manns Verhältnis zu seinen Quellen sehr viel differenzierter und weitreichender gewesen ist, als das seine eigenen Äußerungen in Briefen, Tagebüchern und Kommentaren erkennen lassen, hat man schon früh gesehen (K. STACKMANN, 1959; H. WYSLING, 1963, 1967). Die <> (H. WYSLING) führt zu einem kaum noch überschaubaren Reichtum an Anspielungen, der auf höchst Unterschiedliches aus ist: zum einen darauf, Realität zu schaffen, das Dargestellte also zu beglaubigen durch dokumentarische oder pseudodokumentarische Belegstellen, und es versteht sich von selbst, daß Thomas Mann, diesem Prinzip von Jugend an folgend, im Verlauf seines Lebens sich mit einem Wissen ausgestattet fand, das es erlaubte, sich einer ars combinatoria zu befleißigen, die die Auslegekunst seiner Interpreten häufig genug an ihre frühen Grenzen kommen ließ. Daß dahinter nicht nur ein quasi spätnaturalistischer Hang zur Wirklichkeitserfassung steht, sondern auch ein gleichsam demiurgisches Verhältnis zum Schreiben, das alles bestimmt Thomas Manns Erzählen von vornherein und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Die Gefahren einer überbordenden einmontierten Welt, auch die einer nur geborgten Realität, lagen ebenfalls von vornherein auf der Hand. Daß die unglaublich großen Stoffmassen dazu verführten, erzählerisch auszuarten, Nebensächliches und Exkursorisches immer wieder miteinzuarbeiten, dieser Gefahr ist Thomas Mann nur durch Selbstdisziplin und das Befolgen einer Gesamtidee aus dem Wege gegangen. Daß im Alterswerk andererseits die Digressionen zunehmen, spätestens vom Doktor Faustus an, aber nicht weniger auch im Erwählten - wer wollte es leugnen? Seit dem bösen Urteil seines Bruders HEINRICH im Zola-Essay, daß ihm, Thomas, die Gefahr der Vertrocknung drohe, hat Thomas Mann offenbar auch aus Produktivitätszwang heraus immer mehr Materialien in seine erzählte Welt eingelassen. Zum eigentlich kreativen Vorgang wurde nicht das Sammeln der Materialien, sondern das Erstellen einer erzählerischen Funktionalität, und von früh an haben musikalische Vorbilder diesen abundanten Stoffreichtum zu ordnen und zu funktionalisieren gesucht. <>, hat Thomas Mann zu seinen <> gesagt (XII, 319), und auch am Erwählten ist unschwer zu erkennen, in welchem Ausmaß montiert worden ist, um die Welt glaubhaft zu machen, die er darzustellen gedachte. Eines unterscheidet den Erwählten freilich vom Doktor Faustus und den vorangegangenen Werken: war in jenem Roman die Genauigkeit eine wenigstens zum Schein historische Exaktheit, wie die in den Doktor Faustus übernommene Sprache LUTHERS zeigt, so läßt der Erwählte absichtlich dieses Maß an Authentizität vermissen, ja parodiert diese Arbeitshaltung, indem das Genaue, die Genauigkeit bewußt ad absurdum geführt werden. Nach dem Roman des Endes, nach Doktor Faustus, haben sich die stilistischen Ansprüche Thomas Manns verändert und das nicht nur graduell. Ging es vorher darum, schon von den ersten Bänden der Josephs-Romane an, Wirklichkeit zu erzwingen, alles so genau wie möglich zu machen, um den Schein der Realität zu konstituieren oder doch zumindest aufrecht zu erhalten, so wird eben dieser Schemcharakter der Realität als solcher jetzt dargestellt: und dazu dient die sprachliche Integration, oder vielmehr: die bewußte Nichtintegration heterogenen Materials in ein stimmiges Erzählen hinein. Denn was dort, im Erwählten, gesprochen wird, ist weniger realistisch denn je: die Sprachmischungen sind von Thomas Mann zwar damit erklärt worden, daß auch im Mittelhochdeutschen sich altfranzösische Worte fänden, aber das war ein Notmäntelchen, einer sprachlichen Haltung umgehängt, die gerade nicht die sprachliche Internationalität des Mittelhochdeutschen nachahmen wollte. Diese wird vielmehr parodiert, und so ist die Parodie die eigentliche Erzählschicht, nicht mehr die scheinhafte Realität, wie sie in den Werken zuvor den Leser von der <> des Erzählten überzeugen sollte. Wahrscheinlichkeit kann die von Mönch Clemens erzählte Welt im Erwählten keinesfalls mehr für sich beanspruchen, da auch der stupideste Leser merkt, daß Platt-deutsch und Englisch, Mittelhochdeutsch und Altfranzösisch sich in dieser sonderbaren Mischung realiter wohl nie präsentiert ha-ben. So geht es in diesem Roman, je genauer man hinsieht, denn auch nicht mehr um den Anspruch, Genauigkeit und Realitäts-treue hochzuhalten, etwas zu erzählen, das glaubhaft sei. Glaub-haft ist das Erzählte nur in einer Hinsicht: daß es so nicht Wirklich-keit gewesen sein kann, auch gar nicht eine solche sein sollte. Damit kommt dem Montageprinzip aber eine andere Funktion zu als die, Wirklichkeit, Beglaubigung, Dokumentarisches zu schaffen. Die übernommenen Materialien, hier eben zahlreicher als in anderen Romanen, sind der Steinbruch, mit dessen Hilfe ein Gebäude errichtet wird, das es nur einmal gibt: nämlich als Roman, der längst seinen Anspruch aufgegeben hat, Wirklichkeit vorzutäuschen. Montage ist hier zu einem Prinzip geworden (H. WYSLING, 1963), ein Sprachwerk zu schaffen, das nur in sich selbst und aus sich selbst heraus existieren kann. Was hier darge-stellt ist, ist jene <>, die HEINE seinerzeit der Kunst der Goetheaner zuschrieb. Die einmontierten Realitäten erinnern uns daran, daß die Wirklichkeit, sei sie literarischer oder realer Natur, hier zugunsten einer anderen Wirklichkeit überwun-den und entmächtigt worden ist: der des Romans selbst, die es dem Leser erlaubt, sich mühelos hineinzufinden in jene Welt, die er beschreibt, die aber von der ersten Seite her darauf aufmerksam macht, daß die Dinge sich so gewiß nicht zugetragen haben können, aller äußerlichen Realitätstreue zum Trotz. Daß Thomas Mann deswegen das abenteuerliche, einzigartige Schicksal des Gregorius erzählt, leuchtet ein - weniger unwahrscheinliche Zufälle und Fügungen hätten es auch getan, wäre es ihm darum gegangen, eine mittelalterliche Welt aufzubauen. Aber jeder Gedanke an eine solche Wirklichkeitsnähe muß vom Erwählten aus weit fortgewiesen werden: und so gelingt Thomas Mann das Kunststück, mit Hilfe des Nichterfundenen etwas völlig Erfundenes auszustaffieren. Wenn er früher einmal gesagt hat, daß nicht das Erfinden, sondern das Aneignen seine Sache sei, so verkehrt sich dieser Satz hier fast in sein Gegenteil: das Angeeignete wird zur Erfindung großen Stils, zu einem Bericht, der eine Welt schildert, die nur im Roman selbst so existiert. Das Ganze also ein Sprachspiel grandiosen Ausmaßes, in erster Linie sicherlich nicht ein Sinngefüge, sondern <> (IX, 520). Der aber wird nicht mehr zwischen Welt und Dichtung hergestellt, sondern erstreckt sich über die erdichtete Welt. Das tote Steinbruchmaterial der Archivalien ist hier aktiviert, umgesetzt, sprechend geworden in einer Welt, die nichts anderes sein will als Schein, auch wenn die Realität hier dichter und deutlicher in sie hineindringt als in andere Romane. In diesem Sinne und wohl nur in diesem Sinne ist der Roman als <> zu verstehen, als Spätwerk, das tatsächlich nur noch in sich selbst und aus sich selbst heraus zu existieren vermag. Das ist am Ende auch keine Nacherzählung mehr, sondern originäre Phantastik aus Realien, wirklich sehr <> (DüD III, 357). Es ist in der Tat ein phantastisch-übernationales Mittelalter, wie Thomas Mann das an Hans REISIGER einmal schrieb (DüD III, 361), eben ein Sprachwerk und nichts als das, wobei Thomas Mann den entscheidenden Schritt vom rein Legendären in die Darstellung einer nur erzählten und nur als erzählter glaubhaften Welt getan hat.