_ Caliban über Sycorax Nach Shakespeare und Arno Schmidt aus: Libu¹e Moníková: Unter Menschenfressern. Ein dramatisches Menü in vier Gängen Frankfurt am Main:Verlag der Autoren, 1990 Personen PROSPERO ein Scharlatan und Büchernarr MlRANDA seine Tochter, kokett und unwissend CALIBAN verunstalteter Sklave, früherer Herrscher der Insel SYCORAX seine Mutter, "algerische Hexe", sprachlos ARIEL Luftgeist in Prosperos Diensten ALONSO König von Neapel, gestrandet GONZALO sein alter Rat FERDINAND Sohn des Königs Trinculo STEPHANO Im Hintergrund: Sycorax hält trauernd ihren deformierten Sohn Cali- ban auf den Knien, in der Haltung von Michelangelos Pietä, solemne Musik, dazwischen immer lauter das Pochen eines menschlichen Herzens, Blitz, Donner, das Pochen wird schwächer. Verdunkelung I. Vor der Hütte Prospero in einem abgewetzten Magiermantel mit Sternen und einer Mondsichel, Bücher in der Hand, geht hin und her, murmelt, schlägt nach: Ja, da ist es. Sturm: Blitze aus Schwefel ins Feuer. Er wirft eine Handvoll hinein, die Flamme sticht hoch. Regen. Er gießt aus einer Gießkanne. So ist es richtig! Und Donner! Er trommelt auf die Kanne. Vielleicht lasse ich es zuerst donnern und dann blitzen. Er macht es umgekehrt, es funktioniert nicht. Was soll das heißen? Wer entscheidet hier? Ariel! Ariel in einem körperfarbenen Trikot, anschmiegsam: Mein Herr und Meister? Prospero: Ariel, da wollten wir etwas probieren, und es widersetzt sich unserem Befehl. Hast du nicht versprochen, du tätest alles, was ich sage? Ariel: Sicher, Maestro. Was wünscht Ihr? Prospero: Ich will, daß es zuerst donnert und dann blitzt. Ariel vor sich hin: Dieser Alte macht mich noch verrückt, von Naturgesetzen keine Ahnung und will hier Eindruck schinden! Zu Prospero. Maestro, ver- 31 zeiht, doch es ist nicht so einfach. Der Donner ist ein langsamer Gesell, der Blitz dagegen ... Prospero: Ich will keinen Blitz, solang es nicht gedonnert hat! Wozu ließ ich dich frei? Soll ich dich in die Eiche klemmen? Die Fichte, die dich hielt, war weich dagegen! Und deine Qualen fanden früh ein Ende, zwölf Jahre nur, dank meiner! Ich könnt mirs anders überlegen. Dich in ein festes Holz einsperren, daß du nicht weißt, was Finger sind, dein Leben lang! Er grinst. Es war nicht übel von der Algier-Hexe, von Sycorax, dich da hineinzutun. Weil du ihr nicht zu Willen warst! Er sieht Ariel an. Nun ja, für ihren Dienst warst du wohl nicht geschaffen. Nicht wahr, mein Vögelchen? Ariel verdreht die Augen: Jetzt erinnert er mich auch noch daran! Zu Prospero, weinerlich. Ich hab mich angestrengt, doch ihre groben Diener waren immer vor mir da. Es hieß, an denen soll ich mir ein Beispiel nehmen. Er rümpft die Nase. Und dabei stanken sie! Prospero: Ihre >potenten Minister< ich weiß! Er lacht. Du hast dafür noch Qualitäten, bist anschmiegsam und weich, fast Luft nur, eine warme. Dich hab ich gern um mich, mit deiner Flöte. Nur, wenn du nicht gehorchst, die Eiche da wird für die nächste Eiszeit die durchsichtigen Fingerchen dir quetschen und dein Zuhause sein! Ariel hält sich die Finger: Daß er ausgerechnet diesen Trick beherrscht! Zu Prospero. Ich eile schon, mein Herr. Prospero: Du weißt, ich hab ein Recht auf dich. Und wenn ich pfeife, hast du rasch zu kommen, und sei's von den Lofoten! Nun sei ein braver Junge. Er tätschelt Ariel; strenger. Wo bleibt der Donner? Es donnert, danach ein mächtiger Blitz. 32 Prospero zuckt zusammen und macht einen Sprung zurück. Ariel: Nur ruhig, Meister. Es mußte etwas lauter sein, damit es das Gewissen der Natur betäubt, das bessre Wissen sozusagen. Prospero: Bist ein Prachtkerl. Ariel: Und die Belohnung? Prospero: Gleich. Jetzt mußt du die Besatzung des angewehten Schiffs mir holen. Sonst gibts heut abend keinen Jux. Und bleibe unsichtbar! Ariel geht, pfeift, wackelt mit den Hüften: Wenn ich mich zeigen will, dann tu ichs! Ab. Prospero: Jetzt hab ich Hunger. He, du Erdenkloß, Kröte, steh auf! Inzwischen Licht rechts. Caliban mit einer Kette um den Bauch, an den Felsen gekettet. Von der anderen Seite der Bühne nähert sich Miranda, pudert sich mit der Asche aus der Feuerstätte, malt sich den Mund an, bleibt hinter Prosperos Rücken stehen und beobachtet Caliban, der bei ihrem Anblick unruhig wird. Miranda lächelt, knöpft ihr Kleid auf, malt sich rote Ringe um die Brustwarzen, betrachtet Caliban. Als sich Prospero nach ihr umsieht, macht sie schnell das Kleid zu. Prospero: Mein liebes Kind! Miranda: Teuerster Vater? Prospero streichelt ihr über die Wange: Trost meiner alten Tage, rein und verträumt! Bleib wie du bist, mehr kann ich mir nicht wünschen. Bloß vor dem Unhold hier nimm dich in acht. Er ist ein Ausbund alles Bösen. Caliban sieht ihn an, spuckt aus. Prospero: Was habe ich gesagt, du meine Güte - den anzusehen wahrlich, ist meine Sache nicht 33 oder gar lieb zu haben --- wie dem auch immer --- du kommst jetzt mit mir, bleibst auch bei mir, wann immer dieses Biest sich nähert. Miranda hinter seinem Rücken grinst Caliban an. Prospero: Mit dir hab ich zu sprechen, Sklave, die Eimer leer, das Feuer ausgegangen, der Platz mit deinem Mist verdreckt - was denkst du, das du bist? Caliban: Der Erbe dieser Insel, Alter, und einst der Herrscher hier! Dagegen du, ein eitler Geck, auf meine Kräuter scharf Vertrauen erst gewannst, um mich dann zu verraten! Prospero: Erst als du, undankbarer Bastard, die Ehre meines Kindes schänden wolltest! Caliban: Schänden? Die Insel voll kleiner Calibane wollt ich haben! Es war so einsam hier. Miranda hinter Prosperos Rücken prustet vor Lachen. Prospero: Genug geschwatzt! Ich bin der Herr! Bis ich dich traf, warst du ein scheckig Balg, Erdklumpen nur, bar der Vernunft und Sprache, die bracht ich dir erst bei! Caliban: Damit ich dich darin verfluchen kann! Samt deinen Büchern, wurmstichiger Narr! Stierst da hinein als hättest du ein Jahr lang Durst --- mich wirst du nicht in deine Krakel ziehn! Genug, wenn deine Tochter kichernd sich nachts an meine Kette macht, mit ihren weißen Schenkeln! Prospero: Das kommt dich teuer! Er blättert in einem Folianten. Jetzt kriegst du Ausschlag, Brand und Pustel, von Würmern voll! Podagra, Krampf wie immer. Lüstern. Vielleicht auch Eiterung der Eier- stocke --- und wenn ich will, dann gehst du ein am Kindbettfieber, du Borkentier! Noch brauch ich dich. Caliban windet sich: Hübsch ausgedacht, dem Schreiber möcht ich all seine Zeichen heiß eintränken als Flüssigblei! Er stöhnt, faßt sich am Hals, an den Magen, erstarrt in Krämpfen. Prospero tritt ihn: An die Arbeit, Sklave! Und daß ich dich nicht nochmal mahnen muß! Sonst mach ich aus dir einen Hahnenfuß und glücklich gockelnd gehst du mir zur Hand! Miranda enttäuscht: Und aufs Gemüt! Ich möchte lieber diesen muskulösen Klotz -- Stieraugen, Schweiß und feste Waden, nicht jeder zieht so kräftig! Prospero: Pfui Tochter, solche Schweife kriegst du noch - genug der Händel jetzt und an die Arbeit! Du an dein Nähzeug, und dieses Blatt schreib ab, es ist schon ganz verrottet. Der Auswurf dort muß an die Wassereimer, mich dürstet. Er nimmt eine Gerte und kitzelt Caliban zwischen den Rippen. Caliban dreht sich schmachtend nach Miranda um, sie streckt ihm die Zunge raus und geht. Prospero: Wo ist mein Ariel, mein Luftspielding? Der ist zumindest immer sauber. Ab. Caliban liegt, versucht, ein paar Tropfen aus dem Eimer mit dem Mund aufzufangen. Im Hintergrund Sycorax, gestreckt auf einem Rad, windet sich, Cali- 34 35 ban wiederholt alle ihre Zuckungen, alle Schmerzgri-massen: O Mutter! Daß du mich geboren hast! II. An der Küste Alonso, der gestrandete König von Neapel, und Gon-zalo, sein alter Rat. Alonso: Mein Sohn ist fort, und alle sind ertrunken -Sebastian, Francisco, Adrian, der schlaue Mailand Tony. Wo sind wir nur, Gonzalo, sag. So oft schon war dein Rat mit teuer. Gonzalo: Mein König, still. Das Meer sagt nimmermehr wie viele der Seelen es verschlungen, wenn jemals Sturm wie heute ... Alonso: Das nennst du Trost? Und Ferdinand, mein Kind? Die Tochter weg, in Afrika vermählt, und jetzt der Sohn, in Meeresgischt verloren. War jemals ein beweibter König so sinnlos ohne Erben, ohn' jedes Ziel? Die alten Knochen tragen nicht mehr weiter, die müden Lenden wollen nicht mehr zeugen. Soll jetzt die ganze Plackerei um Erben von neuem losgehen? Gonzalo peinlich berührt: Das ist das kleinste Übel, Sire. Bevor Sie Ihre Ehefrau nur sehen, gar in die Arme, in die Klemme Ihrer ... männlichen Glut einschließen, da müßten wir zumindest wieder in Neapel sein. Am besten im Palazzo selbst, mit Ausblick auf das Meer und auf die blaue Grotte. Und Ihre Frau, die müßte, mit Erlaubnis, leben, oder eine andere als solche. Er winkt ab. Doch das sind Kleinigkeiten, wie gesagt. Er schlottert. Jetzt wären trockne Kleider zu gebrauchen, vielleicht etwas zu essen gar. : Alonso: Du kleine Seele! Ich traure um den Sohn, und dich gelüstet es nach trocknen Kleidern. Nach Essen gar! Wo sind wir denn? Ich muß jetzt trauern! Es ist das Letzte, das mir bleibt, und das ich meinem Sohn, dem schwachen Kind mit zarten Knochen, dem Antlitz seiner Mutter schulde. Sein Tod ist eine herbe Enttäuschung für mich. Da müht man sich sein Leben lang, beutet das Volk aus, bis es blutet, kommt knapp an Aufständen vorbei mit heiler Haut, hat Minister mit Köpfchen - weist vorwurfsvoll auf Gonzalo -, die wissen, wann Spiele angebracht, wann Büttel für den Mob. Und wozu das Ganze, sprich! Damit du mir nach Jahren treuen Dienstes schlotternd sagst, du hättest Hunger? Gonzalo: Majestät, Gnade, schuldig bin ich mit meinen schalen Sorgen um Euer Wohl und meins. Was sollen trockene Gewänder uns, was Brot? Wo Ihr in Eurer Trauer so abgrundtief allein und ohne Trost hier steht? Erlaubt mir, König, daß ich mit Euch traure und niemals mehr ein Wort soll über meine Lippen kommen, das die Bedeutung >Speise< so unbedenklich trägt. Er kniet vor Alonso. Alonso: So ist es brav. Jetzt laß uns die Trauer würdig tragen. Wo ist mein Thron, vergoldet, oder ein Stuhl, geschnitzt, den meine Wappen zieren? Zur königlichen Trauer königliche Räume! Zumindest Möbel. Sieh nach, da in den Resten. 36 37 Gonzalo watet in die angeschwemmten Trümmer hinein und schleppt einen Stuhl heran, der nur drei Beine hat: Sonst war nichts da, mein König. Alonso: Zeig her. Nicht übel. Doch wie soll ich ... bück dich! Gonzalo kauert als viertes Bein, Alonso setzt sich, der Stuhl kippt auf Gonzalos Seite. Alonso: Wie kann ich trauern, wenn der Stuhl so wackelt? Steh auf, es stört uns. Das ist keine Feier. Gonzalo schleppt eine Kiste heran, nimmt eine Flasche heraus und einige Bücher, zeigt sie Alonso. Der wirft die Bücher zurück, entkorkt die Flasche mit den Zähnen und setzt sich auf die Kiste. Alonso: Und das als Thron! Stör uns jetzt nicht, wir trauern. Er setzt die Flasche an. III. Anderswo im Wald: Trinculo und Stephano Stephano: Und ich sag es trotzdem, der Wald ist verhext. Seit zwei Tagen schon irren wir im Kreise und es ist immer noch die gleiche Wüstenei, Schlingzeug und tote Brunnen, wo Grünmoos Gifte birgt und Pilze Rausch erzeugen. Die Füße fühle ich vor lauter Nesseln, Steinen, Dornen und Ästen nicht. Trinculo: Das nenn ich >ÜberlebenBedenk, wen du an Bord hast!< Und unser Bootsmann, richtig: >Keinen, der mir lieber wäre, als ich selbst. In die Kabine! Still! Und stört uns nicht!< So muß man mit den Kackern! Stephano: Bravo! Ariel erscheint mit seiner Flöte, führt sie eine Weile im Kreise herum, sie stolpern ihm nach. Stephano: Ich frag dich, Trinculo, war je ein Mensch ein wunderlichrer Narr als wir, herumgeführt von einem zarten Knaben, nur mit organda Höschen angetan? Da piß ich lieber wie ein ganzer Kerl, als soviel Mull und Durchsichtiges an. Trinculo sieht sich um: Ich sehe nichts, hör bloß ein leises Fiepen, es könnte endlich eine Mahlzeit sein, ein kleiner Vogel, nicht sehr groß, doch saftig. Und durstig bin ich erst! Stephano schlägt in einem weiten Bogen sein Wasser ab. Trinculo benetzt seine Hand und probiert: Brr! Er verzieht den Mund. Stephano: Das war mein letztes, nächstens kriegst du nichts. Du sollst von meinem Wasser wahrlich anders sprechen, auch wenns kein Met ist, so ist es doch das erste Naß, das du seit langem kostest. 38 39 Trinculo: So es mein Name will, nächstes Mal nehm ich Galle und Wermut, wenn mir nach Süßem ist. Dein Wasser, Bruder, will mir gar nicht munden, bitter und salzig, laulich warm und trüb. Du warst ein andrer Bursche, früher! Er kniet nieder in unmißverständlicher Absicht. Stephano winkt müde ab: Den kriegst du nicht mehr hoch, nicht heute. Doch vielleicht morgen, du mein Schmutzfink! Er tätschelt lustlos Trinculos Gesäß, dreht sich um und erblickt Ariel, halbentblößt, lächelnd: Vielleicht auch nicht, da hab ich anderweitig zu tun. Er nähert sich Ariel. Trinculo sieht ihn nicht. Ariel spielt wieder. Stephano: Klingt gar nicht übel, wenn du alle Flöten so flott zu spielen weißt... Ich glaube, meine Lebenskräfte rühren sich wieder. Trinculo mit einem Blick auf Stephanos Hose: Na was hab ich gesagt! Eppur si muove! He, Kumpel, bleib doch da! Wo gehst du hin mit diesem prächtigen Getu? Ariel winkt mit einem Becher. Stephano: Und zu trinken hat er auch! Er geht Ariel nach, Trinculo folgt, in jeder Hinsicht durstig. Trinculo: Ausgerechnet in die Schlucht! Stephano, warte, wir sind bis jetzt miteinander ausgekommen! Das sehe ich dir an, auch hier, in dieser Ödnis, bist du nicht ohne Appetit auf mich! Für einen Schluck Madeira kannst du mein Arschloch haben! Stephano weiter irrend. Trinculo: Für einen Schluck Wasser!... Gratis! Bleib doch hier! Er stürzt ihm nach. 40 IV. Vor der Hütte Prospero, trockene Fliegenpilze kauend: Schön, daß Miranda nach den Büchern sieht, wenn Caliban sie so betört, das Tier! Auch gut, daß meinem Pfiff die Flöte Ariels gehorcht, und niemals tönt auf meiner Tochter Weg. In seinem Eifer hat der anschmiegsame Knabe auch mich schon heimgesucht - das ist die Jugend. Anhänglich pirscht der Succubus sich an, wenn mittags ich, vom Lesen matt, daliege, wehrlos, ja selbstvergessen, im Rauschen zieht die Welt an mir vorbei - ein Strom der Zeichen. Der Junge macht die Sache gut, kein Zweifel. Lächelt: Manchmal etwas kess ... Miranda aber soll er lassen. Wenn sich nichts aus dem schönen Sturm ergibt, heirat ich eben meine Tochter selber. Bin schließlich einzig meiner Art und right incomparable. Zwar macht sie Caliban mit seiner Schrundhaut wild - daneben bin ich sicher ein Adonis - Ariel bleibt ihr unsichtbar und nur zu meinen Diensten. Wenn er mich vorher estimieren muß - die findige Fliege wirds schon tun, und möglich machen, daß ein alter Hengst zu seiner jungen Stute findet. Kichernd: Wie wäre es, wenn diese beiden, Ariel und Caliban ab und zu - dem Treiben zuzuschaun, wäre schon arge Lust! 41 Die grobe Kraft des Sklaven brauch ich leider, auch wenn mein Kind sich unnütz dann Gedanken und Vergleiche macht -- auf meine Kosten. Da könnte man ... so manche Wurzeln wirken Wunder -- der Nessel Schrumpfkraft ist bekannt --- nur seine Muskeln sollen strotzen und kräftig sein wie immer. Ich laß ihn leben, laß ihn brunsten. Und Ariel paßt auf. Seufzt. Oh, was für Sorgen ich mir mache, ich kümm- re mich ums Personal als wärens meine Kinder! Und alle sollen glücklich sein - auf ihre Weise. Ich aufopferungsvoller weiser Greis bedenke sie in meiner Güte. Grinst. Vielleicht laß ich auch meine Tochter für eine Handvoll Bücher gehen, an einen Buchverkäufer, lustlos wenn er nur landet. Er schiebt die Bücher unwirsch beiseite: Schon ausgelesen alle --- sie lehren mich nichts Neues. Er stopft die nächste Ladung Pilze in den Mund, kritzelt in ein Quartheft, sieht somnambul auf: Im Leuchtturm Pharos, zwei Tage Segeln gegen Mitternacht von hier sind Schätze angesammelt - unzählige Bücher, die ein Alter dort aus Schiffbrüchigen zu erpressen wußte, bevor sie starben unter seinen wißbegierigen Händen. - Keine weiteren Leser mehr wollte der Solipsist und Heide dulden. Einen Knaben hielt er sich zum Dienst, und als Chronisten. Eine Welle rettete des Jungen Leben, sein Verstand blieb im Pharos, bei dem Alten, und seinen schaumge-bor(g)enen Büchern. Wer nicht liest, kennt die Welt nicht. Und auch nicht mich! Wir Titanen schreiten über Schranken der Sterblichen hinweg --- wir lesen. Und wenn wir frei sind, groß in Form -- so schreiben wir. Ob wir die eigne Tochter schänden, Schiffe kentern lassen, überlegt die Besatzung gleich zu Kannibalen machen-das alles nur, damit darüber Zeugnis abgelegt, verzeichnet wird in Büchern. Auf die Knie, Leute! Ein Leser steht vor euch! Der letzte - und der Erste Schreiber! Ich lasse sie leben, die Menschheit, es sind doch meine Leser! Ab. Im Hintergrund Sycorax im Rad, ritzt in die Felswand Zeichen. 42 43 V. Im Wald unweit der Hütte VI. Im Wald Miranda sammelt Kräuter und Blumen, singt, besieht sich von allen Seiten mit Wohlgefallen im Teich, dreht sich um, erblickt Ferdinand. Beide erschrecken, bleiben stehen, vorsichtige Annäherung, erste Berührung, sie springen zurück, wieder zueinander, betasten ihre Gesichter, ihre Körper, entdecken Unterschiede. Miranda: Ich sah noch nie dergleichen aus der Nähe. Bist du ein Engel, über die ich las? Dann müßtest du doch Flügel haben. Ferdinand genauso verzaubert: Wir trafen uns wohl in der Luft. Miranda enttäuscht: Bist also nur ein Hauch, wie er mich manchmal überschwebt, wenn Vater abends Selbstgespräche führt, ein Umriß nur - so etwa wie du jetzt, nur nicht so deutlich, nicht so hold. Seufzt. Ein schöner Traum. Ferdinand: Ich bin kein Traum. Zumindest denk ichs nicht. Wie könnt ein Traum den andren träumen? Wenn du kein Traum bist, will ichs auch nicht sein. Lacht denn ein Traum, kann atmen, duften? Miranda berührt ihn: Auch du bist warm, und auch du atmest. Wir träumen nicht. Wer bist du dann? Ferdinand: Ich weiß nur, wer ich war. Ein Königssohn, doch jetzt wohl nur ich selbst. Mein Vater treibt im Wasser dort, ihn nahm der Sturm. Ruh sanft, mein König, der Schlimmste warst du nicht. Miranda interessiert: So bist du also König! Sie sieht im Hintergrund Caliban Holz tragen: Der krumme Sklave da, der wars mal. Komm! Sie nimmt Ferdinand an der Hand, beide ab. 44 Trinculos und Stephanos Köpfe, verschlammt, kaum zu erkennen, ragen aus dem Sumpf. Die beiden versuchen vergeblich, sich hochzuziehen, bleiben erschöpft am Ufergebüsch über dem Rand hängen. Ariel beobachtet sie aus dem Dickicht, lächelt zufrieden, ab. Caliban gebückt unter seinem Holz, kommt heran, erstarrt, berührt sie vorsichtig, springt zurück. Pantomime wie bei Miranda, aber ängstlicher. Sie reagieren nicht. Mit einiger Überwindung zieht er sie aufs Ufer und wischt ihnen die Gesichter ab, erschrickt und verkriecht sich ins Dickicht, wartet. Stephano kommt langsam zu sich: Wo bin ich? Trin-culo, wach auf! Trinculo: Du, Stephano? Ich sah im Sumpf dich sinken, bevor ich selbst ertrank. Wo sind wir denn, im Himmel? Stephano: Ein schöner Himmel, Bruder, ich hab Durst. Oh, Trinculo, mich dürstets! Trinculo: Und mich, Stephano, hungerts, Stifado mein. Ich habe dich zum Fressen gern. Stephano: Und ich dich zum Saufen. Trinculo: Was nun? Stephano: Wir würfeln. Stephano: Mit dem Schlamm? Besorg uns lieber was zu essen, mich hungerts auch. Einschmeichelnd: Trinculo, du warst schon immer prächtig, und jetzt, zum Anbeißen gar! Er knabbert spielerisch an Trinculos Arm. Vom Wald her sieht ihnen Ariel zu und flötet. Trinculo unsicher: Vorher sagtest du, zum Aussaufen. Er will ihm den Arm wegziehen. 45 Stephano: Beides! Er beißt fester zu. Caliban tritt aus dem Dickicht. Die beiden erschrecken. Stephano läßt Trinculos Arm los. Caliban: Ihr kommt von ihm. Wollt ihr mich plagen? Ich hab gearbeitet. Er zeigt auf das Holz. Stephano: Von wem? Wo sind wir? Was ist das? Halb Baum, halb Tier, halb Mensch mit Ästen, der Wurzeln schlägt. He, Trinculo, schau dir das Ungeheuer an. Ich hab noch nie ein solches Ding gesehen. Trinculo: Brr! Er hält sich an Stephano fest. Was ist das, Bruder? Hab ich Phantasien? Von dem maroden Wasser, stinkig, von Basilisken voll, von Blasen und Rumor? Mir schien vorhin sogar, daß du mich fressen wolltest. Die Gegend hier macht reif für Samariter. Die für die letzten Dinge sorgen. Was danach kommt, ist Nichts. Dann hab ich Nichts zu fürchten! Er berührt Calibans Arm. Sieh da, es rührt sich! Du weißt, ich bin ein Teufelskerl, doch der ist mir zu viel! Wie mir das Bein durchstochen war, schlug ich noch sieben von der andern Sorte! Die armen Tröpfe -ich nahm sie untern Säbel wie reife Zwetschgen! Stephano: Das ist schon lange her. Ich schaffte ihrer mit meinem Harnstrahl neun! Trinculo seufzt: Das waren noch Zeiten! Was für ein Spaß doch Krieg sein kann! Der Frieden, Bruder, ist dagegen tot, wie dieses stinkend Wasser, voll Vogelmiere, Schlamm und Dunst, die mir Gesichte zaubern, wie diesen Golch. Caliban: Beruhigt euch, ihr seid in Sicherheit. Ich hab euch rausgezogen bevor die Dämpfe wirken konnten und der Sumpf euch runterzog. Stutzig. Ihr seid ihm ähnlich. 46 Stephano kommt zu sich: Wem? Es redet wirr, doch unsere Sprache. Ein Ungeheuer, weder Fisch noch Fleisch - ein Fisch mit Beinen, ein Fleisch mit Flossen, ein Tier mit Wurzeln, ein Mensch mit Asten. Trinculo: Ein seltsam Ding. Stephano: Hast du einen Namen, Ungeheuer, oder weißt du nicht, was das ist? Caliban: Sycorax, meine Mutter, rief mich Caliban, ihren Einzigartigen. Sie war schön. Trinculo: Wenn du nach ihr geraten bist, Freundchen, dann war sie weiß Gott eine Schönheit! Er lacht. Caliban lacht erfreut mit: Ihr lacht. Ihr seid nicht von ihm? Ängstlich. Oder kommt ihr mich zu zwicken? Stephano: Wovon redet er? Ich habe Hunger. Trinculo: Und ich Durst. Caliban: Hier, meine Herren - Beeren und klares Wasser. Trinculo: Brr, Wasser, hast du keinen Schnaps? Caliban: Was ist das? Stephano: Und kein Stück Fleisch? Er betastet interessiert Calibans Schenkel. Ariel legt eine Flasche ins Gras vor Trinculo und verschwindet wieder. Trinculo und Stephano trinken gierig. Trinculo erfreut: Hier, koste. Caliban: Ah, schön! Es geht im Kopf herum. Dafür will ich euch die Insel zeigen und alle meine Schätze. Wenn ihr mich von dem Alten löst. Die Bücher nehmt ihm gleich, die Bücher! Stephano: Sag endlich, wen du meinst. Caliban dreht sich um und flüstert: Prospero, den 47 Alten, der mir mit seinen Krakeln das Leben höllisch macht! Mein ist sie, diese Insel! Und ihr bekommt von mir so viele Kräuter, Steine, bunte Federn, soviel ihr tragen könnt, wenn ihr den Zauber brecht. Trinculo: Wir wollen keine Kräuter. Stephano: Von Steinen läßt sich reden. Trinculo: ... nur weg von hier. Caliban: Das Schiff ist unzerstört. War eine Arbeit für den blöden Geist, doch Ariel macht, was der Alte sagt. Die eine Hand wäscht die andre auf der Insel. Es war mal anders, es gab weniger Hände. Prospero hat ihn im Griff. Als ich ihm vorschlug, tun wir uns zusammen, da sagt mir doch der eitle Geck, ich wäre neidisch! Weil er so duftet und so wohlgelitten ist! Ins Schlammloch hat er euch geführt, konnte nicht anders ... auf Geheiß, der wirre Narr. Der wird sich häßlich wundern! Stephano: Machs kurz und führ uns doch zum Schiff! Caliban: Vorher müßt ihr noch Prospero besuchen. Euch kennt er nicht und wird sich auch nicht schützen. Und keine Zaubersprüche murmeln, wie bei mir. Ihr kommt ihm von der Seite bei, ich zeig euch, wie es geht. Trinculo: Was haben wir davon? Caliban: Eine Tochter hat er. die ist der Mühe wert. Er leckt sich die Lippen. Stephano: Die Tochter ist der Mühe wert? Dann wollen wir mal sehn! Er gibt Trinculo ein Zeichen, der das Lachen unterdrückt. Trinculo: Was sollen wir tun? Caliban: Nehmt ihm seine Bücher! Mit ihnen ist er mächtig, sonst eine Null, die schlottert. Er weiß nichts, was er nicht gelesen hat. Die müßt ihr haben! Trinculo: Und dann, lesen? Er lacht. Das hab ich nie gebraucht! Der König tut es auch nicht. Er läßt sich vorlesen, phantastische Geschichten, Abenteuer mit Weibern, um einzuschlafen, haha! Da gibt es Bilder, Bruder. Er zwinkert Stephano zu. Ich habe eins gesehen, bevor das Schiff auf Grund ging. Stephano: Statt an der Rah zu helfen? Trinculo: Von Rahen war schon keine Rede, Bruder, das Buch kam angeschwommen, ein dicker Foliant, leicht wie ein Korken. Ich hielt mich daran eine Weile fest, bis eine Welle kam und das Ding aufschlug. Da grinst mich draus die Vulva eines Weibes an, so höllisch aufgesperrt, mit Zähnen, daß ich das teuflisch Ding vor Schrecken losließ und fast ersoffen bin. Stephano und Trinculo überschlagen sich vor Lachen. Stephano: Die Herren haben gar seltsame Lüste! War es noch schlimmer als das Ungeheuer hier? Trinculo: Viel schlimmer! Stephano zu Caliban: Du hast uns aus dem Sumpf gezogen? Da hast du noch 'nen Schluck, bist doch ein braves Ungeheuer. Führ uns! Wir erklären hiermit die Insel zu unserm Reich! Du darfst uns dienen! Caliban: So denkt nur an die Bücher! Alle ab. 48 49 VII. Vor der Hütte Drinnen spielen Miranda und Ferdinand Schach. Prospero betrachtet sie von der Schwelle, vor sich hin: Eine größere Verschwendung geistiger Kräfte gibts nicht. Ich lasse ihn gern spielen. Lieber, als in meine Bücher schaun. Dort könnt er noch herausfinden, daß er ein Idiot ist, der die Zeit vergeudet. So kommt er sich als Genie vor. Es soll Turniere dieser Art geben - so wird die Jugend gefügiger gemacht, logisch abgemattet. Die Herren sehen so was gern. Sonst könnten diese klugen Kinder auf andere Gedanken kommen, der Regierung hineinreden mit lauter Besserwissereien - daß es im Lande nicht zum Besten um das Wohl und Glück der Leute steht. Gereizt. Aber so sieht er nicht einmal, daß meine Tochter schielt. Er schaut nicht einmal hin! VIII. Im Wald nahe der Hütte Alonso und Gonzalo Alonso: Bleib stehen, Alter, keinen Schritt! Ich kann nicht mehr, so wahr ich König bin. Ariel kommt unsichtbar näher. Alonso plötzlich: Ich spüre Hunger, wie noch nie in meinen Eingeweiden. Kein Wild, kein Obst, kein eßbar Kraut seit Tagen! Sie ist verhext, die Insel! Ein Stücklein Fleisch! Damit die Kräfte halten! Meintwegen Brot! Dann will ich weiter trauern um den Sohn. Gonzalo schleppt die Kiste hinter ihm her: Kein Zwieback da, mein Herr, doch noch ein Rest vom Wein. Alonso trinkt, taumelt, lacht: Dann mußt du auf den Bratspieß, Alter. Hast doch geschworen, daß du allzeit bereit bist, für unser Wohl zu fallen. Gonzalo unbehaglich: Das hab ich, Herr, doch meinte ich, im Kampf. Alonso: Du fällst im Kampf, mein Freund, mit meinem Hunger! Gonzalo: Ich dachte, mit dem Schwert. Er greift nach der Seite. Alonso: Du wagst es, Schwert gegen den König? Hochverrat, Meineid! Knie nieder und büße! Gonzalo läßt sich schwer auf die Knie nieder, mit gesenkten Augen: Einen Schluck aus der Flasche, Herr, damit ich nicht bei Sinnen bin. Alonso: Ich bin vor Hunger von Sinnen, und du willst dir den Luxus eines Rausches gönnen? Gonzalo beschämt: Ja, Herr, sonst könnt es schier passieren, daß ich mich in der Not vergesse und anfange zu wehren, gar wegzulaufen! Er will aufstehen. Alonso: Nieder mit dir, ranziges Fleisch! Gehorchst du deinem König nicht? Er hebt das Schwert. Prospero erscheint, sieht vergnügt zu: Ariel war nicht müßig, wie ich sehe. Was treibt ihr da, ihr Herren! Alonso hält inne: Wir haben Hunger und entscheiden hiermit, daß unser alter Diener Gonzalo bestimmt ist zu unserer Mahlzeit! Verdrießlich. Wenn er schon nichts Jüngeres jagen kann. 50 51 Prospero: Etwas zu alt für eine königliche Mahlzeit. Alonso: Zäh ist er, in manchem Kabinett bewährt, dadurch auch abgehangen, Doch stör jetzt meinen Hunger nicht, laß mich mit meinem Abendmahl allein! Gonzalo: Oh, gehen Sie noch nicht, Sie edler Herr! Alonso: Es sei denn, du hättest was Besseres für uns. Er besinnt sich. Ja, sicher hast du etwas Besseres, du selbst siehst wohlerhalten aus. Lebst du hier auf der Insel? Sprich, und gib dem König, was des Königs ist! Aus dem Dickicht tritt Caliban hervor, gebeugt unter seiner Holzlast. Alonso: Oho!, ein Stück Vieh, ein Zugtier, prächtiges Beaf, ernährst du dich von dieser Sorte Wild? Prospero grinst: Nicht schlecht geraten. Er versorgt mich mit Braten von seinesgleichen. Mit Wasserbüffeln, Affen, auch schnelle Meerkatzen fanden schon auf meine Tafel. Er lacht. Allerdings seit einiger Zeit, vielleicht seit so viele fremde Fresser auf meiner Insel weilen, zeigt sich kein Wild und wir fasten wie ihr. Alonso: Ich kann nicht länger warten. Gib mir einen Schenkel von dem Wilden. Er sieht recht lecker aus, als Vieh. Als Mensch ist er nicht anzuschaun - da hab ich keine Skrupel, und besser schmecken als mein abgestandener Diener, das wird er sicher. Steh auf, Gonzalo, nichts für ungut, alter Knabe. Es war ein Scherz, ich war geblendet, auf dieser Insel spukts, da garantiere ich für nichts. Du darfst vom Fest die Reste haben, sobald wir hier zum Handel kommen. Prospero grinst: He, Caliban, hörst du? Was sagst du dazu? 52 Caliban wirft das Holz ab, spuckt vor sich hin: Das überrascht mich wenig. Nur dachte ich, du wärst das Schlimmste, Abgefeimteste der Welt, jetzt seh ich, ihr seid Legionen - ist deine Sippe, alles gleiche Schurken! Prospero: Bevor ich dich für diesen hohen Herrn bereite - mit heißen Steinen im Gedärm -, lasse ich dich die Glut auch ohne Rost verspüren. Caliban windet sich. Prospero lacht: Da du ein Wilder bist, ohn Anstand, ohne Dank und unverbesserlich, geb ich dich diesem feinen Gast, dess' werten Bauch zu füllen. Die Augen kommen auf die Platte, Caliban hält sich die Augen dann deine Ohren, deine Haxen und dein Schmer. Die Hoden für den armen Spieler drinnen, sie sollen Kräfte ihm bei meiner Tochter leihn. Zu Alonso. Das müßt ihr wissen, werter Herr - wir haben noch zwei leere Mägen mehr. Sie sind inzwischen zur Hütte gekommen. Prospero hebt den Vorhang beiseite. Miranda und Ferdinand spielen weiter Schach. Miran- da sichtlich gelangweilt. Alonso: Mein Sohn! Ferdinand: Vater! Miranda: Was für schöne Wesen! Prospero lacht: Und wie hungrig! Miranda: Da war doch ... Sie kommt heraus und sieht nach der Tafel draußen. Auf Prosperos Wink entfernt Ariel, der erscheint, die Schüssel mit Obst, Braten, Brot etc. ... Ferdinand kommt ihr nach: Hunger hab ich jetzt auch, ganz wütend. 53 Prospero: Bereiten wir das Mahl! Los, Sklave, Wasser holen, und heb das Holz auch wieder auf! Das Fleisch soll knusprig sein! Wasch dich nur gleich und salze deine Schenkel, rupf dir die Haare von der Brust und reib dich ein mit Affenfett! Basilikum tu auf den Bauch, schnupf Zimt - er stimmt die Nüstern weihnachtlich. Mit Knoblauch würze dich von innen, zuletzt nimm diesen Apfel in den Mund, verschling ihn aber nicht! Mit Näglein wirst du dann besteckt, an Ohren, Nas und Lidern. Ein schmucker Braten braucht auch Füllung, Maronen sind da etwas schlicht. Da schau ich erst, was in dir steckt, aus deiner Leber sag ich dir die Zukunft. Herr König hat schon Lust auf dich! Alonso: Wenn ich schon nicht mehr trauern kann, will ich mich amüsieren! Alle lachen, auch Trinculo und Stephano, die eingetroffen sind. Sie stellen sich im Kreis auf und jagen unter Gelächter Caliban, der zu entkommen versucht. Caliban durch die Hatz atemlos, keuchend zu Trinculo und Stephano: Euch hab ich aus dem Sumpf gezogen! Stephano: Da, Junge, wußten wir noch nicht, daß duch auch eßbar bist. Der Hunger fällt uns plötzlich an. Und unter uns --- dich zu verzehren ist keine Sünde! Sie lachen. Zu Prospero. Er hat uns aufgehetzt, mein Herr. 54 Sie sind doch sicher Herrscher dieser Insel. In Fesseln sollten wir Euch legen und Eure Bücher stehlen. Prospero lacht: Jaja, ein Hirngespinst von ihm, er könnt mich so loswerden. Nicht wahr, mein Täub-chen? Er murmelt mit dem Blick ins Buch. Caliban krümmt sich. Miranda sieht interessiert zu: Darf ich auch mal? Sie greift nach dem Buch. Prospero: Das ist für Frauen nichts. Miranda sieht skeptisch auf Ferdinands Unterleib, vergleicht ihn mit dem Calibans: Gibts dort nicht auch noch andre Sprüche? Prospero: Alles zu seiner Zeit. Jetzt wollen wir den Hunger stillen. Den vom Magen. Ferdinand: Oh, ja! Er sticht eifersüchtig auf Caliban ein. Saftig, das wird ein Fest sein, meine Teure! Alonso zu Prospero: Zum Heizen könnt Ihr das noch nehmen. Mit einem Wink zu Gonzalo, der die Kiste heranschleppt. Gonzalo öffnet sie: Keine Flaschen mehr, das ist die letzte, darunter nur Bücher. Alonso: Alter Plunder. Prospero: Oh, zeig her! Gut! Dafür fülle ich dir den Sklaven noch mit Ingwer! Caliban gehetzt: Ein böser Scherz. Ich denk, ihr habt jetzt euren Spaß gehabt. Wild kann ich jagen, brings euch auch und eile, wenn ihr so hungrig seid. Prospero: Du hast gehört, seit Tagen zeigt sich keins, auch keine Vögel, du bleibst hier! Caliban versucht, mit einem Balken auf ihn einzuschlagen. Prospero: Du weißt doch, daß du nicht bei Kräften bist, wenn ich nicht will. 55 Calibans Arme sinken schlaff herab. Er will fliehen, wird umzingelt. Trinculo und Stephano jagen ihn wiehernd. Gonzalo macht eifrig mit. Alonso, Ferdinand, Prospero und Miranda spielen sich ihn zu. Caliban: Genug der Scherze, ich beschwöre Euch! Ihr wißt doch, daß im Haus von allem Überfluß! Seid doch Menschen! Allgemeines Gelächter. Sycorax im Hintergrund reißt an ihrem Reifen. Prospero beruhigt sich langsam: Aber prächtig war es doch! Zu Alonso. Mein lieber Herr, was würde ich für Ihren Spaß nicht alles tun? Ich, Prospero, Herzog von Mailand, weiß, was sich vor einem König ziemt. Alonso: Der Prospero, der seiner Bücher wegen die Macht dem Bruder überließ? Prospero: Da wußte ich noch nicht, wie gern er sie behält. Alonso: Er war doch mit uns auf dem Schiff? Gonzalo: Nur hat er sich nicht mehr gezeigt, seit wir gestrandet sind. Sie lächeln sich verständnisvoll an. Prospero: Sonst ist die Mannschaft unversehrt und wartet auf den Dienst. Gonzalo: Der Bootsmann auch? Prospero: Auch der, mein Herr. Gonzalo: Das freut mich sehr, den laß ich hängen! Alonso lacht: Als Königsrat steht es dir zu. Doch erst, wenn wir Neapel sehn. Prospero: Und jetzt zur Tafel! Die Hatz hat uns den Appetit geschärft. Fasanen, Obst und Wein sind aufgetragen, und für die zart verwöhnten Gaumen Pfeffer und blaue Sepia, kandiert. 56 Alonso nimmt mißtrauisch einen Happen. Alle stochern in den aufgetragenen Gerichten herum, Aufbruchstimmung. Ferdinand: Es war ein toller Jux, als dieser Kannibale gefressen werden sollte, haha! Alonso sieht Caliban wehmütig an: Schade, das wär mal eine Abwechslung gewesen. Jetzt ist der Hunger fort. Prospero mit einem Wink zu Ariel: Gut gemacht, Junge! Zu Caliban. Mir aus den Augen, Kreatur! Die Insel wolltest du voll kleiner Calibane haben, gezeugt mit meiner Tochter. Dafür hast du gebüßt. Sei jetzt allein hier, ich brauche dich nicht länger. Zu Alonso. Mein König, das Schiff wartet. Ihr nach Neapel, ich nach Milano, und meine Tochter geht mit Eurem Sohn, wohin die Ehe führt. Alonso: War ohnehin ein garstig Ort, die menschenleere Insel. Prospero: Ariel, du bist frei, entschwebe in die Lüfte. Nur eins: solange diese Insel im Blick uns bleibt, begleite uns als guter Wind und Bläser. Und sing uns vor, von unsren nächsten Taten, die du bisher so gut uns vorgeführt. Als unser guter Geist und unser Schutz! Pathetisch. Und für die kurze Zeit will ich dich sichtbar machen, und menschlich, sterblich, todesnah wie wir, damit du deinesgleichen, den kleinen Winden oben vom Los des Menschen zu erzählen weißt, 57 von seiner Größe und von seiner Schwäche, von seinen Leidenschaften ... Ariel heftig: Ich möchte lieber nicht, ich werde, wenn Sie wollen, auch so berichten, aber nicht als Mensch, und sterblich obendrein! Prospero: So mach mir doch die Freude! Es ist ja nicht von Dauer. Die halbe Stunde nur, bis dieser Fels uns aus den Augen ist. Mit einem Blick auf Ferdinand. Gut, aus bestimmten Gründen bleib unsichtbar, doch menschlich. Laß mir die Laune! Ariel verzieht den Mund: Es packt ihn wieder, und diesen Wahnsinn muß ich unterstützen! Zu Prospero. Nun gut, mein Herr, für eine letzte Stunde. Für sich. Doch ungern, Mensch zu sein lockt mich wenig. Nach alldem, was hier war und was hier vorgefallen! Daß sie zu Menschenfressern wurden, war mein Gedanke nicht. Das war des Alten Einfall, so kindisch wie er ist, fossil. Sie haben mitgespielt, und alle gern! Prospero: Ich kette diesen Erdkloß an. Listig ist er und könnt versuchen, uns noch zu schaden, sobald wir ihm den Rücken kehren. Caliban sträubt sich, hat aber keine Kraft. Prospero: Wenn uns das Eiland aus dem Blick gekommen, dann soll er meinetwegen frei sein, irgendwann. Festlegen läßt sich zwar so etwas, doch soll es ganz organisch laufen und wie im Märchen sein. Wehmütig. Und ohne Bücher. Ich werde noch weich! Miranda geht an Caliban vorbei, streckt die Zunge raus, dann hakt sie sich gesittet bei Ferdinand ein. Ferdinand neidisch, verunsichert: So ein Tier, und wie es stinkt! 58 Alonso: Ein unmenschlicher Sklave, lächerlich, abstrus! Mit einem Nasenring würd ich ihn gern am Hofe haben. Trinculo und Stephano: Das wäre lustig! Caliban springt sie an, auch den König, die Kette ist zu kurz. Alle schreien voll Wonne und Schauer. Alonso: Spaß beiseite, jetzt nichts wie fort, und nichts soll uns an diese Ödnis mahnen. Zu Prospero. Du gabst zu, Mailand, daß du deiner Bücher wegen dein Reich an deinen Bruder abgetreten. Das ist geklärt, du kriegst dein Mailand wieder, du sollst dann aber nicht mehr lesen dürfen. Es steht dem Fürsten nicht gut an, zu grübeln. Wie stünden wir denn da? Prospero überlegt: Macht gegen Wissen? Aber Wissen ist Macht, oder? Wie war das? Ich weiß nichts mehr. Verwirrt ist alles. Wie stünde ich denn da? Unter gekrönten Häuptern, alles meinesgleichen, und ich murmle Sätze! Pathetisch. Weiß, wie die Sterne strahlen, wie sie sich drehen, und warum. Ariel: Hat er noch nie gewußt und dilettierte nur! Prospero: He, die Kiste mit den Büchern! Gonzalo gibt Trinculo und Stephano einen Wink. Prospero: Schleppt sie heran! Und anzünden! Die Gesellschaft tanzt um die brennenden Bücher, alle legen eifrig nach, in unmittelbarer Nähe von Caliban. Er reißt an der Kette, ohne daß ihn jemand beachtet. Nach dem Autodafé macht sich die ganze Gesellschaft auf den Weg zum Schiff, lachend, schäkernd, obszöne Liedchen singend. Trinculo und Stephano umarmt, Prospero tätschelt Ariel, Alonso frißt appetitlos einen Schlegel ab, gibt 59 den Rest Gonzalo. Miranda dreht sich noch einmal um, Ferdinand greift lachend nach ihr. Alle ab. Caliban liegt, schnappt nach dem Wassereimer, versucht zu trinken, der Eimer kippt um und das Wasser löscht die Glut. Er zerrt an der Kette: Solange das Schiff zu sehen ist, soll ich hier liegen? Er zerrt weiter, zieht ein angebranntes Buch aus der Asche, sieht sich um und schlägt das Buch auf. Diese Zeichen - zu Anfang zeigte er sie mir... Hier steht es! Die Ketten fallen ab, Caliban richtet sich auf: Ich, Caliban, sieht an sich herab ich stark, ich frei! Allein auf meiner Insel. Er sieht in die Ferne. Bis sie mir aus den Augen sind? Es kann nicht schnell genug sein! Noch sind sie da. Allein auf meiner Insel? Sie sind weg. Mit Karten, Schriften, und kommen wieder. Kommen wieder? Er springt auf. Mit ihren weißen, fetten Weibern als Köder. Und wenn wir angebissen haben, haben wir auch schon die Kette um den Hals! Da bleibe ich bei meinen Seekühen, und ein paar Affenweibchen finden sich auch! Er schaut hinaus. Ein stolzes Schiff -- mit Rahen und vier Masten, die Segel aufgebauscht -- ein stolzer Anblick. Bald nur als schlichter Punkt am Horizont. Grinst. So kann sich keiner mehr ans Ufer retten! Wo war das? Hier! Ich laß die Reihenfolge gelten, zuerst der Blitz und dann der Donner. Jetzt!! Ein Blitz leuchtet auf, danach Donner. Caliban: Das Schiff ist noch zu sehen. Lacht. Ganz schräg. Es blitzt wieder, Donner. Caliban klatscht: Jetzt nicht mehr. Mitsamt dem guten Schutzgeist Ariel und dem edlen Vorhaben, den Bootsmann zu hängen - ersoffen alle! Er sieht sich um. Mutter, hörst du mich? Sycorax, laß dich sehen! Wir gründen eine Dynastie. Von gottähnlichen Wesen! Es blitzt und donnert, Sycorax, zahnlos, wirres Haar, lacht, entwindet sich dem Rad, steigt herab und fängt an, mit Caliban zu tanzen. Solemne Musik. Sturm. 60