JOHANN NESTROY Tannhäuser Zukunftsposse mit vergangener Musik und gegenwärtigen Gruppierungen in drei Akten Musik: Karl Binder 1857 Zukunftsposse: Der Begriff <>, auf den Nestroy parodistisch anspielt, geht auf Wagners Schrift <> (1849) zurück; Wagner selbst verwendet den Begriff erst 1860, als Schlagwort taucht er aber bereits um 1850 auf. Personen Landgraf purzl, ein Musik-Enthusiast Elisabeth, seine Nichte venus, Inhaberin eines unterirdischen Delikatessen-Kellers HEINRICH TANNHÄUSER Mitglieder des WOLFRAM DRESCHENBACH des landgräflichen WALTER FINKENSCHLAG Männergesangvereins FRIDOLIN TAUBENKLEE ^f katafalker, landgräflicher Trauerbote EIN SCHAFHIRT Edle des Landes beiderlei Geschlechtes, Vasallen, Knappen, Reisige, Schleppträger, Herolde, Nymphen, Minnesänger, Leichenträger, Bacchantinnen Die Handlung spielt gleichzeitig in mehreren Jahrhunderten, der 1. Akt an einer Champagnerquelle, der 2. anderswo, der 3. nach dem 2. Katafalker: von Katafalk <Hirt<. Pechpolka: Gemeint ist vermutlich eine Polka aus Pech (1854) von Franz von Suppé 336 Nestroy: Tannhäuser Dritte Szene VENUS. NYMPHEN. VENUS (erhebt sich langsam). Es ist vorbei! Er ist für mich verloren, Das Schicksal hat sich gegen mich verschworen. Ich bin blamiert, verraten und betrogen, Warum ward ich geboren und verzogen? Erstickt sind meines Lebens tiefste Keime, Es ist vorbei, ich gehe aus dem Leime! Nr. 4. CHOR DER NYMPHEN (ihr Luft zufächelnd). Holde Venus laß dir sagen, Durch den Gram wird niemand fett, Häßlich machen dich die Klagen, Komm, steh auf von deinem Bett. Melodram. venus. Rache, Rache will ich üben, Nicht der allerkleinste Humpen Werde je mehr aufgeschrieben, Keinem werd ich je mehr pumpen. CHOR (sprechend). Nicht den allerkleinsten Humpen Wollen je wir einem pumpen. VENUS. Feen, wollt den Schwur belauschen, Den ich dem Tannhäuser schwöre. Will in Liebe er sich berauschen, Stets sein Glück er selbst zerstöre! Dieses ist der Fluch der Venus, O die Rache ist ein Genuß! chor (sprechend). Dieses ist der Fluch der Venus, O die Rache ist ein Genuß! (Venus und Nymphen ab unter Donner und Blitz. Das Orchester, welches bei den letzten Worten furchtbaren Akkorden ak-kompagnierte, geht in eine sanfte idyllische Schäfermusik über.) l.Akt, 4.Szene 337 Verwandlung. Gebirgsgegend. (Vierte Szene) TANNHÄUSER. SCHAFHIRT, dann CHOR DES GESANGVEREINES. SCHAFHIRT (sitzt vorne, links vom Publikum, auf einem Felsen, bläst den Dudelsack, idyllisch gekleidet). Nr. 5. Romanze. Frau Holda stieg auf dem Berge herauf, Es grünten der Wald und die Saaten, Da kam der Frühling über sie, Sie wünschte heuzuraten. Doch leider fand sie keinen Mann, Es fehlt ihr an Bekanntschaft, Und keine Zeitung gibt es nicht In dieser schönen Landschaft. Drum lockte sie den Wandersmann In unterird'sche Grotten, Zog träumend ihn ans Herz hinan, Wie Werther einstens Lotten. So kriegt die Liebe wunderbar Die Männer ins Gehege, Auf diesem in der jetzigen Zeit Ganz ungewöhnlichem Wege. (Steht auf, spricht.) Da liegt ja was? Was ist denn das? Es ist ein Rittersmann, Der nicht mehr weiter kann. Er liegt so fest, er liegt so lange, 338 Nestroy: Tannhäuser Mir ist um seine Beinkleider bange, Er stöhnt und seufzt als wie besessen, O Herr, was hat er ausgefressen! (Für sich reflektierend.) Da lob ich mir ein friedliches Gewissen, Die Unschuld ist das beste Ruhekissen, Die Schulden sind der Güter höchstes nicht, Der Übel größtes aber ist die Zahlungsplicht. Nr. 6. CHOR DES GESANGVEREINES. Frisch alle miteinand mit lautem Sing und Sang, Bei frohem Liederklang wird nie der Weg zu lang. Links, rechts, streng im Takt, Rein, fest angepackt, Rasch voran, Mann an Mann, Auf der neuen Bahn. Überall sucht man das Neue, Musik kommt jetzt an die Reihe, Neue Richtung gründen wir, Anderswo ist's nicht hier, Durch die weite Welt, Wohin es uns gefällt. SCHAFHIRT (spricht unter den letzten 16 Takten des Gesanges). Dort ziehet der Gesangsverein und kehret nimmer, Ausgewiesen vom Landgrafen ward er für immer, Landgraf liebt die Musik wie sie war, wie sie ist, Nicht wie sie sein wird, und deswegen verschließt Er streng sein Ohr dieser Neuerer Schar Noch auf 6 Wochen länger, als auf immerdar. Die Schulden .. . Zahlungspflicht: Parodie auf die Schlußverse von Schillers Die Braut von Messina: <> 1. Akt, 4.Szene Nr. 7. (Seite 339) TANNHÄUSER (ist bis jetzt vorn unter einer Säule gelegen, springt plötzlich auf). Rezitativ. Es sei getrommelt und gepfiffen, So bin ich glücklich durchgekniffen, Es kann mein Stiefel wieder treten Den lieben alten Erdplaneten; Die frische Luft macht mir Courage, Mich grüßt die menschliche Visage! (Auf den Hirten deutend.) Melodram. Ich hör im Dorf die Glocken bimmeln, Die Schäferknechte seh ich lümmeln, Ja wunderschön ist dieses Leben Und wert, darin vergnügt zu sein, Drum werd ich mir die Ehre geben, Mich dieser schönen Welt zu freun. Arie. Heil euch, gegrüßet seid, Güter der Erde, Tugend und Ehrbarkeit, Erbsen und Kohl, Freiheit und Tatendurst, Schinken und Leberwurst, Wie tut ihr wohl, so wohl, Liebe und Schnupftabak, Himmlischer Vorgeschmack, Herrlich' Plaisier! Heil euch .. . Plaisier: Parodie auf die zweitaktieen Verse in Goethes Faust. 340 Nestroy: Tannhäu I.Akt, 5.Szene 341 Melodram. Doch ach, es drückt mich schwer der Sünden Last, Es läßt mir keine Ruhe und keine Rast, Und weh, was fällt mir jetzt noch ein, Ich bin verliebt ja obendrein! Auf Landgraf Purzels Lisi bin ich ganz versessen, Das hätt ich jetzt auf Ehre bald vergessen, Wie soll ich vor die Holde treten, Beladen schwer mit Missetaten. Und kann ich's vor ihr zu erscheinen wagen Im selben Kleid, das bei der Venus ich getragen? Nein, nein, doch wer macht auf Kredit mir neue Kleider, O Himmel! Sende du mir einen Zukunftsschneider. Ich habe kein Kollet als dieses Schößellose, Und das ist meine einzige Rittersommerhose. (Legt sich unter die Säule. Man hört von ferne den Refrain des Gesangvereines, den Dudelsack des Hirten und die kommenden Fanfaren Purzls.) Nr. 8. SCHAFHIRT (sieht in die Ferne während den Fanfaren). Gefährlich ist's, bleib ich hier länger sitzen, Der Landgraf naht mit seinen Sonntagsschützen. (Gebt ab.) Fünfte Szene PURZL. WOLFRAM. WALTER. FRIDOLIN. JÄGER. CHOR tritt zuerst ein. Alle komisch karikiert gekleidet, kurze Wämser, Stutzhosen mit großen Puffen, Lanzen. chor. Das Jagdhorn schallt trara, trara, Tatera, tatera, tatera, Wau, wau, wau, wau. Halli, hailoh, Bei uns geht's immer so! Kollett: Wams, Weste. PURZL (tritt ein.. Karikatur eines ritterlichen Jägers). Das Jagen ist gar schwierig. Wolfram, Walter, fridolin. Gar schwierig! Ja! purzl. Drum jausne, Freunde, hier ich! wolfram, Walter, fridolin. Jausne hier ich! Ja! PURZL. Mich deucht, das Hochwild will mich äffen, Wenn ich in meiner Waldung pürsch, Ich konnte heut das Tier nicht treffen, Mir scheint, es war ein Zukunftshirsch. PURZL, WOLFRAM, WALTER und FRIDOLIN, Gebraten auf dem Teller Trifft man die Hirsche gut, Da schwillt so heiß das Blut Im wilden Jägermuth. (Chor und Soli.) PURZL (sieht Tannhäuser und spricht). Ihr Freunde seht, soll sich mein Auge irren, Hier liegt ein fremder Rittersmann spazieren, Ich glaube gar, ich kenne diesen Wanderer, Entweder ist er's, oder 's ist ein anderer. wolfram. Zwar, wen Ew. Gnaden meinen, weiß ich nicht, Doch hat er ein sehr ähnliches Gesicht. purzl. Gleicht er nicht dem Tannhäuser, sagt es offen. wolfram. Ja, in der Tat, ich find ihn sehr getroffen. purzl. Der längst Vermißte weilt hier in der Stille, Es klopft mein Herz, wo hab ich meine Brille? Er ist's, er ist's! O Freunde sehet doch, Der edle Heinrich, er lebet noch! Laß dich umarmen, Sängerfreund - doch warte -- Von wannen lautet deines Passes Karte? tannhäuser. Fragt nicht; in jenem Land, wo ich gewesen, Gibt's keinen Paß, dort kann man gar nicht lesen. purzl. Wo man nicht lesen kann, da wird auch nichts geschrieben, O herrlich Wunderland, warum bist du nicht dort geblieben? 342 Nestroy: Tannhäu I.Akt, S.Szene 343 Tannhäuser. Zerknirschet nah ich euch im stillen Trabe, O wüßtet ihr, wo ich gewesen habe. Nr. 9. Quintett. purzl. Wo bist du denn gewesen, mein lieber Freund? Wolfram, Walter und fridolin. Mein lieber Freund! tannhäuser. Das kann ich Euch nicht sagen, gnäd'ger Herr! WOLFRAM, WALTER und FRIDOLIN. Das kann er Euch nicht sagen, gnäd'ger Herr! PURZL. Na, wennst du dich nur amüsiert hast, lieber Freund! wolfram, Walter und fridolin. Lieber Freund! tannhäuser. Mehr als ich sollte, gnädiger Herr! WOLFRAM, WALTER und FRIDOLIN. Mehr als er sollte, gnäd'ger Herr! purzl. Jetzt aber bleibst bei uns, mein lieber Freund! WOLFRAM, WALTER und FRIDOLIN. Jetzt aber bleibst du bei uns, lieber Freund! TANNHÄUSER. Es jing wohl, aber 's jeht nicht, gnäd'ger Herr! WOLFRAM, WALTER und FRIDOLIN. Es jing wohl, aber 's jeht nicht! Dialog. purzl. Du bleibst bei uns nicht? Sprich, wo willst du hin? tannhäuser. O laß mich Herr! Ihr ahnt nicht, was ich bin. wolfram. Du sollst wie ehnder wieder mit uns singen. tannhäuser. Wie ein zerbroch'nes Hefen würd ich klingen. Walter. Sollst mit uns kämpfen an der Liedertafel. tannhäuser. O nein, das bin ich niemals mehr kumpafel. Nr. 10. Rezitativ Purzl. Wohlan! Denk an Elisabeth! alle. E-li-sa-beth! Wolfram. Elisabeth! O flieh sie nicht, Es ist ihr Herz auf dich verpicht. Sie springt sonst noch aus Liebesqual Bei Wienerisch-Neustadt in Kanal. alle. O bleibe, wo Elisa weilt etc. tannhäuser. Ich bleibe, wo Elisa weilt etc. purzl. Wohlan, du bleibst, so kommt denn alle Zur Wartburg in die Sängerhalle, Ich gebe dort heut Soirei Mit etwas Sängerkampf dabei! Bringt mein arabisch Dänenroß Und folget mir im Jägertroß. Und daß die dummen Leut nicht etwa glauben, Wir schössen nichts, so kauft zweihundert wilde Tauben, Sechs Schock Fasanen, eines Ebers hintres Viertel Und hängt euch's als Trophäen an die Gürtel. Bewundernd rauscht der Wald in allen Zweigen, Das Schlachtroß klingt und die Trompeten steigen. (Der Chor beginnt, während desselben bringt man Purzls riesiges Pferd herein, welches er besteigt.) Nr. 11. CHOR. Der Landgraf er soll leben, Sein ganzes Haus daneben, Es lebe hochgeehrt Die Nichte und das Pferd. verpicht: erpicht. Kanal: Der zwischen Wienwar ziemlich seicht und Wiener Neustadt gebaute Kanal (1797-1803) ehnder: vormals, früher. kumpafel: kapabel, fähig.