Aristoteles: Rhetorik Gleichnis - Fabel Buch I, 20. Kapitel 1. Übrig bleibt nur noch, über die allen Redegattungen gemeinsamen Beweismittel zu sprechen, da über die speziellen bereits geredet wurde. Es gibt aber zwei Gattungen von gemeinsamen Beweismitteln: Beispiel und rhetorisches Schlußverfahren (Enthymem); denn die S e n t e n z ist ein Teil des Enthymems. 2. Zuerst also wollen wir über das Beispiel reden; denn das Beispiel ist dem Induktionsbeweis ähnlich. Die Induktion aber ist ein Anfang [beim Schlußverfahren]. Es gibt aber zwei Arten von Beispielen^84: Die eine Art des Beispiels ist die, früher geschehene Taten zu berichten, die andere aber die, etwas Ähnliches zu erdichten. Von dieser letzten Art ist die eine Unterart das G 1 e i c h n i s , die andere die Fabel wie die von Äsop und die libysche, 3. Es ist aber der Bericht vergangener Taten etwa folgender Art, wie wenn jemand darüber zu sprechen habe, man müsse gegen den Großkönig rüsten und ihn an der Unterwerfung Ägyptens hindern: denn auch Dareios sei nicht eher herüber ^b gekommen, als bis er Ägypten eingenommen habe. Nach der Einnahme aber kam er herüber. Und wiederum hat Xerxes Griechenland nicht eher angegriffen als bis er dasselbe Land eingenommen hatte. Nach der Einnahme aber kam er herüber. Deshalb wird auch der jetzige König nach der Einnahme Ägyptens herüberkommen. Folglich muß man ihn daran hindern. 4. Das Gleichnis aber ist der sokratische Gebrauch des Beispiels; wie wenn jemand darüber zu reden habe, daß Staatsämter nicht durch das Los zugeteilt werden dürfen; denn das wäre so, als wollte man Athleten durch das Los bestimmen und nicht die, die die Fähigkeit hätten, einen Wettkampf zu bestehen, sondern nur die, die zufällig das Los treffe. Oder wie wenn man unter der Schiffsmannschaft den Steuermann durch das Los bestimme, wie wenn der, den zufällig das Los getroffen hat, und nicht der, der Wissen und Kenntnis besitzt, ausgewählt werden müsse. 5. Die Fabel kann exemplifiziert werden an der des Stesichoros gegen Phalaris und der des Äsop über den Volksführer; denn als die Leute von Himera den Phalaris zum unumschränkten Heerführer wählten und im Begriff standen, ihm eine Leibwache zu geben, argumentierte Stesichoros^85 dagegen und erzählte ihnen eine Fabel: Wie nämlich ein Pferd eine Wiese für sich allein besaß; als aber ein Hirsch kam und die Weide zerstörte, wollte es sich an dem Hirsch rächen und fragte den Menschen, ob er in der Lage sei, mit ihm zusammen den Hirsch zu bestrafen. Der aber stimmte zu unter der Bedingung, daß es sich einen Zügel anlegen ließe und er selbst es besteige mit einem Wurfspieß in der Hand. Als das Roß zugestimmt hatte und er aufgestiegen war, da diente es selbst seither dem Menschen statt Rache zu nehmen. "So seht also auch ihr zu", sagte er, "daß ihr nicht bei der Absicht, an euren Feinden Rache zu nehmen, das gleiche Geschick erleidet wie das Pferd; denn den Zügel habt ihr schon, indem ihr ihn zum unumschränkten Heerführer gewählt habt. Gebt ihr ihm nun aber noch eine Leibwache und gestattet ihm aufzusteigen, so werdet ihr in Zukunft dem Phalaris als Knechte dienen." 6. Äsop ^6 aber erzählte, als er in Samos einen zum Tode angeklagten Volksführer verteidigte, eine Fabel: Ein Fuchs, der einen Fluß überquerte, sei in eine Kluft getrieben worden. Da er aus eigener Kraft nicht habe herauskommen können, habe er lange Zeit Qualen ertragen, und viele Hundsläuse hätten sich an ihm festgesetzt. Ein Igel aber, der umherschweifte, sah ihn und fragte ihn mitleidig, ob er ihm die Hundsläuse entfernen solle. Er aber habe es nicht erlaubt. Auf die Frage nach dem Grund, habe er geantwortet, weil diese schon voll von meinem Blut sind und nur noch wenig saufen. Wenn du mir aber diese entfernst, so werden andere hungrige kommen und mir das übrige Blut wegsaugen. "Ebenso tut auch Euch", sagte er, "ihr Männer von Samos, dieser keinen Schaden mehr an — denn er ist bereits zu Reichtum gekommen —, wenn ihr aber diesen tötet, werden andere Arme kommen, die euch euer Staatsvermögen stehlen und aufzehren". 7. Es sind aber die Fabeln für Volksreden geeignet und haben den Vorteil, daß es schwer ist, vergleichbare geschehene Taten zu finden, aber leicht Fabeln; denn man muß sie erdichten wie die Gleichnisse, sofern man hur in der Lage ist, das Ähnliche wahrzunehmen, was (auf der Grundlage) philosophischer Bildung um so [leichter]) ist. 8. Leichter also ist es, mit Hilfe der Fabeln zu argumentieren, wirksamer aber bei der beratenden Rede durch den Verweis auf historische Fakten; denn für gewöhnlich ist das, was geschehen soll, dem Geschehenen ähnlich. 9. Beispiele aber muß man beim Fehlen von rhetorischen Schlüssen (Enthymeme) wie Beweise gebrauchen — denn die Überzeugung kommt dadurch zustande —, hat man aber solche gleichsam als Zeugnisse, so gebrauche man es (das Beispiel) als Schlußwort zu den Enthyrnemen; denn vorangestellt erwecken sie den Anschein einer Induktion. Die Induktion aber ist — von wenigen Fällen abgesehen — für die Bewältigung der Aufgaben des Redners nicht geeignet. Nachgestellt jedoch erwecken sie den Anschein von Zeugnissen, ein Zeuge aber wird jederzeit zur Vermittlung der Glaubhaftigkeit akzeptiert. Daher muß man auch, wenn man sie voranstellt, eine große Zahl anführen, als Schlußwort jedoch genügt schon eins; denn schon ein Zeuge reicht aus, sofern er glaubhaft ist. Damit ist dargelegt, wie viele Arten von Beispielen es gibt, wie und wann man sie gebrauchen muß. Gleichnis Buch III, 4. Kapitel 1. Es ist aber auch das Gleichnis eine Metapher-, denn der Unterschied zwischen beiden ist nur gering. Wenn man nämlich [hinsichtlich des Achilleus]| sagt: "Wie ein Löwe stürzte er auf ihn", so ist es ein Gleichnis; sagt man aber: "Ein Löwe stürzte auf ihn", dann ist es eine Metapher, weil beide nämlich tapfer sind, nannte man den Achilleus in übertragenem Sinne einen Löwen. 2. Das Gleichnis ist aber auch in der Prosarede nützlich, jedoch in seltener Anwendung; denn es ist von poetischer Natur. Gebildet werden müssen sie wie die Metaphern-, denn die Metaphern sind ja nur durch das bereits Genannte von ihnen unterschieden. 3. Unter die Gleichnisse aber fällt ζ. Β., was Androtion gegen Idrieus sagte: er sei ähnlich den von der Kette gelassenen Hunden; jene fielen nämlich die Leute an und bissen sie, ebenso sei Idrieus, seit er aus dem Kerker entlassen sei, gefährlich. Ebenso verglich Theodamas den Archidamas mit Euxenos ohne Kenntnis der Geometrie und zwar mit Hilfe der Analogie; denn es gilt auch: Euxenos ist ein Archidamas mit Kenntnis in der Geometrie. Ferner die Äußerung in Piatons Politeia, daß die, die die Toten ihrer Rüstung berauben, den Hunden gleichen, die in die Steine beißen, den Werfenden aber nicht anrühren. Ferner das Gleichnis über das Volk: es sei ähnlich einem Kapitän, der zwar stark aber taub sei. Ferner das Gleichnis auf die Verse der Dichter: sie glichen den in der Blüte stehenden Jugendlichen ohne Schönheit; denn wie jene nach ihrer Blütezeit, so erschienen diese nach Auflösung in Prosa nicht mehr dasselbe zu sein. l407^a Ebenso das Gleichnis des Perikles auf die Samier: sie glichen den Kindern, die zwar den dargereichten Bissen schlucken, dabei aber schreien. Und ebenso sein Gleichnis über die Böotier: sie seien den Steineichen gleich; denn wie die Steineichen sich selbst spalteten so auch die Böotier, indem sie untereinander kämpften. Und Demosthenes sagte über das Volk: es sei gleich denen, die auf Schiffen an Seekrankheit leiden. Und so verglich Demokrates die Redner mit den Ammen, die die für die Kinder vorgekaute Speise selbst hinunterschlucken, die Kinder aber mit Speichel beschmieren. Ebenso verglich Antisthenes den Kephisodotos den Dünnen mit Weihrauch, weil auch er dadurch, daß er zugrunde gehe, erfreue. Alle diese Formulierungen kann man sowohl als Gleichnisse wie auch als Metaphern anwenden. Folglich ist klar, daß alle Ausdrücke, die als Metaphern verwandt, Beifall finden, diese auch Gleichnisse seien und die Gleichnisse Metaphern, die der detaillierten Erklärung entbehren. 4. Immer aber muß die Metapher, die aus der Analogie gebildet wurde, auch mit dem Übrigen, [[sowie mit dem,]) was damit verwandt ist, in Aristoteles: Rhetorik. Übersetzt, mit einer Bibliographie, Erläuterungen und einem Nachwort von Franz G. Sieveke. Wilhelm Fink Verlag München 3. Auflage 1989. ISBN 3-7705-0788-6. S. 133-136, 176-178.