17 klein, aber man neidet den Großen nicht mehr ihre Einsamkeit. Für viele zu stehen, indem man für sich steht, repräsentativ zu sein, auch das, scheint mir, ist eine kleine Art von Größe. Es ist das strenge Glück der Fürsten und Dichter. München, am so. Todestage Heinrich Heine's 1 Bilse und ich Bilse, man erinnert sich, ist der glänzende Militär, der uns das Epos von der >Kleinen Garnison< bescherte. Zu Lübeck nun, meiner Vaterstadt, ist neulich beim Austrag eines Preßprozesses, eines geräuschvollen, für uns aber unbeträchtlichen Handels, viel und heftig von uns beiden die Rede gewesen: von Bilse und mir, oder eigentlich von meinem Roman >Buddcnbrooks<, einem Buche, das in jedem Skandalprozeß unbedingt zur Sache gehört, und zwar darum, weil seine Figuren zum Teil nach lebenden Personen gebildet sind, weil ich Heimatserinncrungen verschiedener Art, ehrwürdige und skurrile, an Menschen und Verhältnisse, die auf meine empfängliche Jugend Eindruck gemacht, darin zu einigem Leben erweckt habe. Der Vertreter der Klage zumal hat meinen Namen und den meiner Erzählung beständig mit großer Strenge im Munde geführt; und in seinem Plädoyer hat er schließlich, indem er von »Bilse-Romancn« sprach, als Beispiel für diese neue und skandalöse literarische Gattung den Roman >Buddenbrooks< nachdrücklich namhaft gemacht. »Ich stehe nicht an«, sagte er, »laut und offen zu behaupten, daß auch Thomas Mann sein Buch ä la Bilse geschrieben hat, daß auch >Buddcnbrooks< ein Bilse-Roman ist, und ich werde die Behauptung vertreten!« Hoch aufgerichtet stand er da. Unzweifelhaft glaubte er, was er sagte. Er glaubt vor allem, daß die literarische Gattung, die er »Bilse-Romane« nennt, in unseren schlimmen Tagen entstanden, von ihm entdeckt und benannt worden sei. Der Bildungsgrad, den zu erwer- i8 ben er Gelegenheit genommen hat, gestattet ihm nicht, zu wissen, daß stets neben der eigentlichen Literatur eine andere, bedenkliche, eine Bilse-Literatur, wenn man will, bestanden hat und zu gewissen Zeiten zu besonderem Flor gelangt ist, deren Erzeugnisse, künstlerisch wertlos, doch nicht ohne kulturgeschichtliches Interesse, sich den Nimbus des Skandalösen oft noch bewahren, wenn alles Persönlich-Kompromittierende längst daran abgewelkt ist. Er weiß nicht, daß neben den Giftblüten, welche die Klatsch- und Mcmoircnliteratur im achtzehnten Jahrundcrt trieb, das Bilsenkraut als ein recht frommes Gewächslein wirkt. Er hält Herrn Bilse für den Vater allen Skandals und mich für seinen Bruder im Geist. So sieht er mich, Gott steh' ihm bei! Er zweifelt nicht, daß meine literarischen Bemühungen nur darum einige Teilnahme gefunden haben, weil ich in >Bud-denbrooks< ein paar Lübecker Bürgertypen behaglich abkonterfeit habe, eine Tatsache, die seiner Anschauung nach das deutsche Publikum von der Maas bis an die Memel mit lüsterner Schadenfreude erfüllt hat. Er findet keinen Unterschied zwischen mir und dem Mann der >Kleinen Garnison, fände keinen, auch wenn er wollte. »Ich will's vertreten!« sagt er. Hoch aufgerichtet, in streitbarer Einfalt, steht er da. - Und so wollen wir ihn stehen lassen. Freilich, man geht zur Tagesordnung über. Man hängt seinen Aufgaben nach, träumt seine Träume, schreibt seine Briefe, liest was Rechtes und denkt nicht mehr an Skandalprozesse. Und dennoch ... »Bilse und ich«: dies süße Wörtlein »Und«, mit Tristan zu reden, es will mir nicht aus dem Sinn. Es macht mir Gedanken, es verallgemeinert sich, es wird zum Problem ... Wie konnte es geknüpft werden, dieses Und? Wie kann es geschehen, daß ein Künstlcrtum von einiger Strenge und Leidenschaft ohne Zaudern verwechselt wird mit dem Wesen und Wirken eines Winkel-Pasquillanten, der sein bißchen subalterne Gehässigkeit in falsches Deutsch brachte? Denkt nicht, daß es müßig ist, so zu fragen, daß die Frage euch und mich nichts angeht! Ich 19 kenne solche, die heute jenen Ankläger einen Tropf heißen und nächstens vielleicht selber mir zurufen: »Bilse! Schmäh-schreiber! Höchst anstößiger Gesell!« Dann nämlich, wenn ich bei der künstlerischen Erledigung irgendeines Erlebnisses ein wenig rücksichtslos gegen sie gewesen sein werde ... Was ich über diese Dinge zu sagen habe, liegt mir am Herzen für jetzt und künftighin, und auf einem Abendspaziergange habe ich beschlossen, einen Artikel daraus zu machen, damit recht viele Leute es lesen. Denn wenn recht viele Leute es lesen, so hat es gute Chancen, auch von denen gelesen zu werden, die es angeht. Es kann allgemein nützlich wirken, kann aufklären, im voraus begütigen und versöhnen, Mißverständnissen vorbeugen ... Will man mir noch ein Weilchen zuhören? Noch zehn Minuten? Eines steht fest: Wenn man alle Bücher, in denen ein Dichter, ohne von anderen als künstlerischen Rücksichten geleitet worden zu sein, lebende Personen seiner Bekanntschaft porträtiert hat, auf den Namen Leutnant Bilse's taufen wollte, so müßte man ganze Bibliotheken von Werken der Weltliteratur unter diesem Namen versammeln, darunter die allerunsterblichsten. Ich habe nicht Raum für die Beispiele, die ich herbeischleppen könnte; ich müßte die Literaturgeschichte durchziticren. Nehmt meinetwegen Iwan Turgenjew, nehmt sogar Goethe - auch sie haben Ärgernis gegeben. Goethe hatte Mühe, nach dem >Werther< die kompromittierenden Urbilder der Lotte und ihres Ehemanns zu besänftigen. Turgenjew erregte Empörung, als er die russischen Gutsbesitzer, deren Gastfreundschaft er genossen hatte, in seinen Jägermemoiren mit unbedenklicher Meisterhand abkonterfeite. Und es ist schlechterdings kein Zufall, daß einem, der in der Vergangenheit nach starken und zweifellos echten Dichtern sucht, welche, statt frei zu >crfindcn<, sich lieber auf irgend etwas Gegebenes, am liebsten auf die Wirklichkeit stützen, gerade die großen und größten Namen sich darbieten; daß es dagegen die teuersten Namen nicht 20 sind, die sich melden, wenn man in der Geschichte der Dichtung nach großen >Erfindern< forscht. Es scheint gewiß, daß die Gabe der Erfindung, mag sie dichterisch sein, doch bei weitem nicht als Kriterium für den Beruf zum Dichter gelten kann. Mehr noch, es scheint, daß sie eine schlecht untergeordnete Gabe ist, die von den Guten und Besten oft als fast schon verächtlich empfunden und jedenfalls ohne Kummer entbehrt wurde. Turgenjew, in seinem Nachwort zu >Väter und SÖhne<, erklärt gelassen: »Da mir eine bedeutende Erfindungsgabe nicht zuteil geworden, bedurfte ich stets eines bestimmten Bodens, auf dem ich mich frei und sicher bewegen konnte ... Was den Basarow anlangt, so lieferte mir die Grundzüge ein junger, in der Provinz lebender Arzt. . .« Ich höre nicht viel Bedauern, im Gegenteil: eine Art von Stolz aus diesen Worten heraus, und mir fällt dabei ein Gespräch über Büchertitel ein, das ich eines Tages mit einem jungen deutschen Schriftsteller führte und das dieser Schriftsteller mit der Bemerkung schloß: »Wissen Sie - eigentlich sind doch alle Titel, außer den Eigennamen, kolportagehaft.« Sehr gut. Und es ist diese Geschmacksrichtung, die »eigentlich« und am liebsten auch alle >Erfindung< für kolportagehaft erklären möchte. Schließlich, ob nun die Geschichte, die Sage, die alte Novel-listik, ob die lebendige Wirklichkeit selbst das >Gegebene< ist, worauf ein Dichter sich stützt, - gilt das nicht, im Wesen, gleichviel? Was hat also Schiller, was Wagner in diesem Sinne erfunden? Kaum eine Gestalt, kaum einen Vorgang. Und um den ungeheuersten Fall von Dichtertum zu nennen, den die Erde sah: Shakespeare ... so besaß er ohne Zweifel, wie er alles besaß, auch Erfindung; aber noch sicherer ist, daß er nicht viel Gewicht darauf legte und nicht viel Gebrauch davon machte. Hat er je eine Fabel erfunden? Auch die krausen Intrigen seiner Lustspiele sind nicht von ihm erdacht. Er arbeitete nach alten Theaterstücken, nach italienischen Novellen - und übrigens, erzürnter Leser, porträtierte er Zeitgenossen, wenn auch auf leidlich andere Art als der Kollege von Forbach. Er porträtierte zum Beispiel 21 einen dicken Mann seiner Bekanntschaft, der, wie ich höre, Herr Chettle hieß, und es wurde John Falstaff daraus. Er fand viel lieber, als daß er erfand. Er trieb irgendeine naive Geschichte auf, die tauglich schien, ihm als Gleichnis und buntes Kleid, als sinnliches Mittel zur Darstellung eines Erlebnisses, einer Idee zu dienen. Seine Folgsamkeit der vorgefundenen Fabel, seine Demut der gegebenen Äußerlichkeit gegenüber ist erstaunlich, ist rührend, ja sie müßte unfrei und kindlich wirken, wenn sie sich nicht als eine vollkommene Verachtung des Gegenständlichen erklärte, als die Verachtung eines Dichters, dem das Stoffliche, der Mummenschanz der Fabel gar nichts, die Seele, die Beseelung alles bedeutet. Die Beseelung ... da ist es, das schöne Wort. Es ist nicht die Gabe der Erfindung, - die der Beseelung ist es, welche den Dichter macht. Und ob er nun eine überkommene Mar oder ein Stück lebendiger Wirklichkeit mit seinem Odem und Wesen erfüllt, die Beseelung, die Durchdringung und Erfüllung des Stoffes mit dem, was des Dichters ist, macht den Stoff zu seinem Eigentum, auf das, seiner innersten Meinung nach, niemand die Hand legen darf. Daß dies zu Konflikten mit der achtbaren Wirklichkeit führen kann und muß, welche sehr auf sich hält und sich keineswegs durch Beseelung kompromittieren zu lassen wünscht, - das liegt auf der Hand. Aber die Wirklichkeit überschätzt dabei den Grad, in welchem sie für den Dichter, der sie sich aneignet, überhaupt noch Wirklichkeit bleibt - besonders in dem Falle, daß Zeit und Raum ihn von ihr trennen. Ich rede von mir ... Als ich >Buddenbrooks< zu schreiben begann, saß ich in Rom, Via Torre Argentina trentaquattro, drei Stiegen hoch. Meine Vaterstadt hatte nicht viel Realität für mich, man kann es mir glauben, ich war von ihrer Existenz nicht sehr überzeugt. Sie war mir, mit ihren Insassen, nicht wesentlich mehr als ein Traum, skurril und ehrwürdig, geträumt vorzeiten, geträumt von mir und in der eigentümlichsten Weise mein eigen. Drei Jahre schrieb ich an dem Buche, mit Müh' und Treue. Und war dann tief erstaunt, als 22 ich vernahm, daß es in Lübeck Aufsehen und böses Blut machte. Was hatte das wirkliche Lübeck von heute mit meinem in dreijähriger Arbeit erbauten Werk zu tun? Dummheit ... Wenn ich aus einer Sache einen Satz gemacht habe -was hat die Sache noch mit dem Satz zu tun? Philisterei ... So aber ist es auf jeden Fall, und nicht nur, wenn Jahre und Breitengrade das Urbild vom Werke trennen. Die Wirklichkeit, die ein Dichter seinen Zwecken dienstbar macht, mag seine tägliche Welt, mag als Person sein Nächstes und Liebstes sein; er mag dem durch die Wirklichkeit gegebenen Detail noch so untenan sich zeigen, mag ihr letztes Merkmal begierig und folgsam für sein Werk verwenden: dennoch wird für ihn - und sollte für alle Welt! - ein abgründiger Unterschied zwischen der Wirklichkeit und seinem Gebilde bestehen bleiben: der Wesensunterschied nämlich, welcher die Welt der Realität von derjenigen der Kunst auf immer scheidet. Um aber auf die >Beseelung< zurückzukommen, so ist sie zuletzt nichts anderes als jener dichterische Vorgang, den man die subjektive Vertiefung des Abbildes einer Wirklichkeit nennen kann. Es ist bekannt, daß jeder echte Dichter sich bis zu einem gewissen Grade mit seinen Geschöpfen identifiziert. Alle Gestalten einer Dichtung, mögen sie noch so feindlich gegeneinander gestellt sein, sind Emanationen des dichtenden Ich, und Goethe ist zugleich in Antonio und Tasso lebendig wie Turgenjew zugleich im Basarow und Paul Petrowitsch. Eine solche Identität aber ist, wenigstens momentweise, auch da vorhanden, wo der Leser sie gar nicht spürt, wo er darauf schwören möchte, daß nichts als Hohn und Abscheu den Dichter bei der Gestaltung eines Geschöpfes erfüllt hat. Ist nicht Shylock, der Jude, ein widriges und entsetzliches Wesen, das Shakespeare zu allgemeinem Jubel elend geprellt und zertreten werden läßt? Und doch kommt mehr als ein Augenblick, wo die Ahnung einer tiefen und furchtbaren Solidarität Shakespeare's mit Shylock sich auftut ... Man muß an dieser Stelle begreifen, daß es eine objektive Erkenntnis im Reiche der Kunst überhaupt 23 nicht gibt, sondern nur eine intuitive. Alle Objektivität, alle Aneignung und Kolportage bezieht sich allein auf das Pittoreske, die Maske, die Geste, die Äußerlichkeit, die sich als Charakteristikum, als sinnliches Symbol darbietet, wie Shy-locks Judentum, Othello's Schwärze und Falstaffs Fett. Alles Weitere - und das Weitere ist beinahe alles - ist subjektiv, ist Intuition und Lyrik, gehört der wissenden und umfassenden Seele des Künstlers. Und wenn es sich nun um ein Porträt, ein Abbild handelt, - wie? sollte nicht das, was ich die subjektive Vertiefung einer Wirklichkeit nenne, dem Vorgang alles Willkürliche und Usurpatorische nehmen? Sollte nicht das innere Einswerden des Dichters mit seinem Modell aller Kränkung die Spitze abbrechen? Im Gegenteil. So erstaunlich es klingen mag: Im scheinbar Versöhnlichen gerade, dem eigentlich Dichterischen, der subjektiven Vertiefung, der Benutzung eines Porträts zu höheren Zwecken, liegt die menschliche Gefahr beschlossen, und ich stelle dies fest, weil ich von dem Glauben nicht lassen mag, daß böse und stumme Dinge erlöst und gutgemacht werden, indem man sie ausspricht. Die Identifikation ist es eben, welche die Leute skandalisicrt. Mit jener erwähnten Folgsamkeit dem gegebenen Detail gegenüber eignet ein Dichter sich Äußerlichkeiten an, welche der Welt ein Recht geben, zu sagen: Das ist Der, ist Die. Hierauf beseelt und vertieft er die Maske mit anderem, Eigenem, benutzt sie zur Darstellung eines Problems, das ihr vielleicht ganz fremd ist, und Situationen, Handlungen ergeben sich, die dem Urbild wahrscheinlich völlig fernliegen. Dann aber halten die Leute sich für berechtigt, auf Grund der Äußerlichkeiten auch alles übrige für >wahr<, anekdotisch kolportiert, für Ausplauderei und sensationellen Klatsch zu nehmen, - und der Skandal ist da. Muß dies so sein? Ist hier keine Verständigung möglich? Bin ich so sonderlich konstruiert? Schon als Kind hat die Publikumssitte, angesichts einer absoluten Leistung nach Persönlichem zu schnüffeln, mich rasend gemacht. Ich zeichnete ein bißchen, ich malte Männerchen mit Bleistift auf Papier, 24 und sic schienen mir schön. Zeigte ich sie aber, in der Hoffnung, für meine Kunstfertigkeit Lob zu ernten, den Leuten, so fragten diese: »Wer soll es sein?« - »Niemand soll es sein!« schrie ich und weinte beinahe. »Es ist ein Mann, wie du siehst, eine Zeichnung, die ich gemacht, bestehend aus Umrissen, Herrgott noch mal ...« Das ist nicht anders geworden. Noch immer forscht man: »Wer soll es sein?« Man hat mich ernstlich gefragt, was ich tun würde, wenn ein talentierter Freund von mir hinginge und mich ins Öffentliche Gerede brächte, indem er eine glänzende Novelle schriebe, in welcher eine Figur, die aufs Härchen mein Abbild wäre, die und die Gemeinheiten beginge. Hoffentlich würde ich ihn ohrfeigen, den talentierten Freund? Nun, das gewiß nicht. Und im übrigen käme es darauf an. Keineswegs nur auf das Schreibtalent des Freundes. Ich bin nicht Ästhet genug, um mit einem schönen Stil alles entschuldigen zu können. Ich leugne nicht, daß es gut geschriebene Niederträchtigkeiten gibt. Aber wenn ich den Freund als ein Talent im hohen und ernsten Sinne kennte; wenn ich in ihm, auf Grund seiner früheren Arbeiten, nicht nur einen geschickten Künstler, sondern einen Dichter sehen müßte, der an sich selbst arbeitet, wenn er arbeitet, und für den auch diese Leistung eine Tat der Selbstzucht und Selbstbefreiung war, — so würde ich zu ihm sagen: »Es wundert mich zwar ein bißchen, mein Guter, daß du gerade meine Maske für deinen Schurken benutztest. Aber sei es darum. Ich bin, unter anderem, wohl auch ein Schurke. Übrigens bravo. Und besuch mich, Lieber, doch bald einmal, damit ich dir meine neuen Bücher zeige.« ... Dies ist der Augenblick, noch etwas Weiteres zur Sprache zu bringen, was meiner Ansicht und Einsicht nach nicht selten das Mißverständnis zwischen Dichter und Wirklichkeit verschärft. Es ist der Anschein einer Feindseligkeit des Dichters gegenüber der Wirklichkeit, ein Anschein, der durch die Rücksichtslosigkeit der beobachtenden Erkenntnis und die kritische Prägnanz des Ausdrucks bewirkt wird. Damit hat es folgende Bewandtnis. 25 Es gibt in Europa eine Schule von Geistern - der deutsche Erkenntnis-Lyriker Friedrich Nietzsche hat sie geschaffen -, in welcher man sich gewöhnt hat, den Begriff des Künstlers mit dem des Erkennenden zusammenfließen zu lassen. In dieser Schule ist die Grenze zwischen Kunst und Kritik viel unbestimmter, als sie ehemals war. Es finden sich in ihr Kritiker von durchaus dichterischem Temperament und Dichter von einer vollkommen kritischen Zucht des Geistes und Stiles. Dieser dichterische Kritizismus aber, die scheinbare Objektivität und Degagierthcit der Anschauung, die Kühle und Schärfe des bezeichnenden Ausdrucks ist es, was jenen Anschein von Feindseligkeit erweckt. Der Künstler dieser Art nämlich - und es ist vielleicht keine schlechte Art - will erkennen und gestalten: tief erkennen und schön gestalten; und das geduldige und stolze Ertragen der Schmerzen, die von beidem unzertrennlich sind, gibt seinem Leben die sittliche Weihe. Weiß man um diese Schmerzen? Daß alles Gestalten, Schaffen, Hervorbringen Schmerz ist, Kampf und kreißende Qual, man weiß es vielleicht, man sollte es wissen und sollte nicht greinen, wenn einmal ein Künstler darüber die menschlich-gesellschaftlichen Bedenken, die seinem Tun entgegenstehen, außer acht läßt. Daß aber auch die Erkenntnis, jene künstlerische Erkenntnis, die man gemeinhin als >Beobachtung< bezeichnet, wehe tut - weiß man auch das? Die Beobachtung als Leidenschaft, als Passion, Martyrium, Heldentum - wer kennt sie? Hier ist eher Mitleid am Platze als Wutgebell ... Eines Tages hörte ich einen Dichter sagen: »Sehen Sie mich an\ Ich sehe nicht übermäßig munter aus, wie? Ein bißchen alt und scharfzügig und müde, nicht wahr? Nun, um von der >Bcobachtung< zu reden, so ließe sich ein Mensch denken, der, von Hause aus gutgläubig, sanftmütig, wohlmeinend und ein wenig sentimental, durch die beobachtende Hellsicht ganz einfach aufgerieben und zugrunde gerichtet würde ... Selig sind die Boshaften! Was mich betrifft, so magere ich ab ...« Dieser Dichter schien mir auf melancholisch-witzige Weise 26 das auszudrücken, was ich meine: zunächst den Zwiespalt zwischen Künstler- und Menschentum, der zu den heftigsten äußeren und inneren Konflikten führen kann. Der Blick, den man als Künstler auf die äußeren und inneren Dinge richtet, ist anders als der, womit man sie als Mensch betrachtet: er ist zugleich kälter und leidenschaftlicher. Du magst als Mensch gut, duldsam, liebevoll, positiv sein, magst eine ganz und gar unkritische Neigung haben, alle Erscheinungen gutzuheißen, - als Künstler zwingt dich der Dämon, zu >bcobachten<, blitzschnell und mit einer schmerzlichen Bosheit jede Einzelheit zu perzipieren, die im literarischen Sinne charakteristisch ist, typisch bedeutsam ist, Perspektiven eröffnet, die Rasse, das Soziale, das Psychologische bezeichnet, sie rücksichtslos zu vermerken, als hättest du gar kein menschliches Verhältnis zu dem Geschauten, - und im >Werk< kommt alles zutage. Gesetzt nun wieder, daß es sich mit diesem Werk um ein Porträt, um die künstlerische Verwertung einer nahen Wirklichkeit handelt, so ertönt der Klageruf: »So also sah er uns? So kalt, so spöttisch-feindselig, mit Augen, so liebeleer?« Ich bitte euch, schweigt! Und versucht, in eurem Innern ein wenig Achtung zu finden für etwas von strengerer, zuchtvollerer, tieferer Art als das, was euer Weichmut >die Liebe< nennt! Dann aber schien mir der Dichter ganz leicht noch an ein Zweites zu rühren: an die schmerzliche Sensibilität der Beobachtung, deren Erscheinung und Ausdruck jene »kritische Prägnanz« der Bezeichnung ist, die ich vorhin als eine Quelle des Mißverständnisses nannte. Man glaube nämlich nicht, daß die Verfeinerung der Wachheit des beobachtenden Sensoriums einen ungewöhnlichen Grad erreichen könne, ohne daß zugleich seine Schmerzfähigkeit sich steigerte. Es gibt einen Grad dieser Schmerzfähigkeit, der jedes Erleben zu einem Erleiden macht. Die einzige Waffe aber, die der Reizbarkeit des Künstlers gegeben ist, um damit auf die Erscheinungen und Erlebnisse zu reagieren, sich ihrer damit auf schöne Art zu erwehren, ist der Ausdruck, ist die Bezeichnung, und diese Reaktion des Ausdrucks, die, mit 27 einigem psychologischen Radikalismus geredet, eine sublime Rache des Künstlers an seinem Erlebnis ist, wird desto heftiger sein, je feiner die Reizbarkeit ist, auf welche die Wahrnehmung traf. Dies ist der Ursprung jener kalten und unerbittlichen Genauigkeit der Bezeichnung, dies der zitternd gespannte Bogen, von welchem das Wort schnellt, das scharfe, gefiederte Wort, das schwirrt und trifft und bebend im Schwarzen sitzt ... Und ist nicht der strenge Bogen so gut wie die süße Leier ein apollinisches Werkzeug? ... Nichts unkünstlerischer als der Irrtum, daß Kälte und Leidenschaft einander ausschlössen! Nichts mißverständiger, als von der kritischen Prägnanz des Ausdrucks auf eine Bosheit und Feindseligkeit in menschlichem Sinne zu schließen! Umsonst. Man muß durchaus einen Augenblick bei dieser erstaunlichen Tatsache verweilen: Der treffende Ausdruck wirkt immer gehässig. Das gute Wort verletzt. Ich lasse die Beispiele, die Erfahrungen weg; ich gebe die abgezogene Moral. Wohl dir, wenn dein benennender Trieb nicht allzu heftig auf Reize von seiten der Wirklichkeit reagiert, wenn er auf leidenschaftliche Schlagkraft des Wortes nicht weiter Anspruch erhebt. Die Wirklichkeit wünscht mit schlappen Phrasen angesprochen zu werden; künstlerische Genauigkeit in ihrer Bezeichnung macht ihr Gift und Galle. Und doch wird der wahre Liebhaber des Wortes sich eher eine Welt verfeinden, als eine Nuance opfern; dem wahren Künstler, der nicht nur mit halber Seele, sondern ganz, von Beruf, von Passion ein Künstler ist, wird, um es nochmals zu sagen, der Schmerz des Erkennens und Gestaltens die sittliche Genugtuung geben, die ihn über alle Empfindlichkeiten und Skandale der Welt erhebt. Nichts ungeheuchelter, nichts tieferen Ursprungs als die enthusiastische Empörung, in der er sich aufrichtet, wenn eine Wirklichkeit in plumper Eigenliebe die Hand auf das Werk seiner Einsamkeit zu legen wagt. Wie? Das Leiden sollte umsonst gewesen sein? Es sollte der Kunst verlorengehen? So vieles geht ja verloren! So viel wird erlebt und erlitten, was niemals gestaltet wird! Aber was davon 28 Form und eigenes Leben gewann, das Werk, das ein Künstler in Schmerzen tat, - er sollte es nicht offenbar machen, es sollte ihm keinen Ruhm bringen dürfen? So spricht der Ehrgeiz. So rechtfertigt sich aller Ehrgeiz ... Bilse und ich ... irgendein Unterschied ist vorhanden, man wird es mir zugeben, und vielleicht ist es ein ähnlicher Unterschied wie der zwischen Frechheit und Freiheit. Wenn ich aber von Freiheit rede, so meine ich jene innere Unabhängigkeit, Ungcbundenheit und Einsamkeit, welche die Vorbedingung jeder neuen und ursprünglichen Leistung ist. Sic schließt eine herzliche menschliche Gebundenheit keineswegs aus; aber des Künstlers Würde und Hoheit beruht in ihr, und Forderungen von Rücksicht und Bürgertakt vermögen nichts über sie. Man spricht heute gern von >voraus-setzungslosen Wissenschaft. Will man sich weigern, auch der Schönen Wissenschaft, der Fröhlichen Wissenschaft der Kunst Voraussetzungslosigkeit einzuräumen? »Der Künstler«, hat ein Dichter und Denker gesagt, »der nicht sein ganzes Selbst preisgibt, ist ein unnützer Knecht.« Das ist unsterblich wahr. Wie aber kann ich mein ganzes Selbst preisgeben, ohne zugleich die Welt preiszugeben, die meine Vorstellung ist? Meine Vorstellung, mein Erlebnis, mein Traum, mein Schmerz? Nicht von euch ist die Rede, gar niemals, seid des nun getröstet, sondern von mir, von mir ... - Lest dies! Merkt dies! Es ist ein Sendschreiben, ein kleines Manifest. Fragt nicht immer: Wer soll es sein? Noch immer male ich Männerchen, bestehend aus Umrissen, und gar niemanden stellen sie vor, wenn nicht mich selber. Sagt nicht immer: Das bin ich, das ist jener. Es sind nur Äußerungen des Künstlers gelegentlich eurer. Stört nicht mit Klatsch und Schmähung seine Freiheit, die allein ihn befähigt, zu tun, was ihr liebt und lobt, und ohne die er ein unnützer Knecht wäre.