Adam und Lea „Stellen Sie sich vor, Lea, wer mich am Freitag angerufen hat. Klara!“ „Klara?“ „Ach so, Sie können sie ja eigentlich nicht kennen. Das ist die Nichte Professor Vojtěchs. Sie ist oder eher war seine einzige Verwandte. Ab und zu hat sie ihm im Haushalt geholfen. Sie arbeitet im Brünner Magistrat, aber ich weiß nicht genau in welchem Ressort. Sie ist so in meinem Alter. Wenigstens fünfzig.“ „Sie kennen sie gut?“ „Nicht besonders. Václav hat uns selbstverständlich vorgestellt und mehrmals haben wir uns bei ihm getroffen aber sonst nichts Näheres. Übrigens, nach Václavs Tod wendet sie sich ziemlich oft an mich. Ich finde sie nicht besonders sympathisch. Sie scheint aber, für mich aus ganz unbekannten Gründen, mich zu mögen.“ „Verzeihen Sie, aber warum eigentlich ist sie Ihnen nicht sympathisch?“ „Für meinen Geschmack ist sie zu affektiert. Trotz diesen Gefühlen konnte ich ihr als Václavs Nichte nicht nein sagen. Am Freitagabend saß ich bequem mit einem Buch im Sessel in meinem Arbeitszimmer. Es konnte kurz nach neun sein, weil ich die Stehlampe neben dem Sessel schon einschalten musste. Ich war eigentlich zufrieden, allein sein zu können. Wie jeden Freitagmorgen war ich in der Physiotherapie. Seit der Verletzung macht mir das rechte Bein immer Probleme. Und den Rest des Tages verbrachte ich an der Fakultät. Ich war also schon recht müde und war froh, dass meine Frau mir eine Tasse heißen Tee zubereitete und mich allein im Arbeitszimmer lesen ließ. Als das Telefon klingelte, blieb ich sitzen, weil ich wusste, dass meine Frau im Wohnzimmer fernsieht. Und das Telefon steht gleich neben der Couch. Da rief sie aber, dass es ein Anruf für mich ist. Ich legte also ein Leserzeichen ins Buch, stand vom Sessel auf und ging ins Wohnzimmer. Als ich in der Tür auftauchte, flüsterte gleich meine Frau mit der Hand auf dem Hörer zu mir, dass das Klara von Professor Vojtěch ist. Auch wenn mir meine Frau nichts gesagt hätte, hätte ich sie gleich an ihrer etwas umständlichen Art erkannt. Sie wiederholte immer wieder, dass sie mich nicht stören und belästigen will. Ich musste ihr ins Wort fallen, um überhaupt festzustellen, worum es ihr geht. Sie wiederholte selbstverständlich ihre: ‚Ich würde Sie überhaupt nicht belästigen, aber ich weiß wirklich nicht, an wen ich mich anders wenden sollte.‘ Und dann sprach sie endlich weiter: ‚Der Onkel hat einige Briefe unserer Familie einem jungen Kollegen an der Fakultät geborgt. Ich hätte sie gern wieder zurück. Wenn er sie noch länger brauchen sollte, würden wir schon eine Lösung finden. Aber ich fürchte, dass die Briefe nach dem Tod des Onkels verloren gehen könnten, weil ich nicht einmal den Namen des jungen Mannes kenne.‛ ‚Also, er hat sie ihm doch gegeben‛, seufzte ich. Er hatte immer seinen Kopf und ich konnte es ihm doch nicht übel nehmen. Darauf erstaunte sie, dass ich schon vermutete, wer das sein könnte. Sie wusste nämlich nur, dass es ein ehemaliger Student von Václav sein sollte. ‚Ja, Vladimír heißt er‘, sagte ich nur. ‚Ich weiß überhaupt nicht, wie es dem Onkel eingefallen ist, einem Fremden unsere Familienbriefe zu borgen. Ich selbst würde so was nie aus der Hand geben.‘, regte sich Klara plötzlich auf. Und ich hatte so ein Gefühl, sie sagte es nur deswegen, weil sie annahm, dass auch ich davon nicht gerade begeistert war. ‚Und was kann ich für Sie tun, Frau Klara?‘, bemühte ich mich zum Kern der Sache zu kommen. Sie begann zu erklären: ‚Sie sind der einzige, den ich von den Kollegen meines Onkels persönlich kenne. Und ich möchte Sie bitten, dem ... Vladimír haben Sie gesagt?‘ ‚Ja, Vladimír heißt er.‘, wiederholte ich ihr wieder den Namen. ‚Könnten Sie also diesen Vladimír in meinem Namen bitten, mir die Briefe wieder zurückzugeben? ‘, führte sie ihre Rede zu Ende. Ich versprach es ihr natürlich. Es sollte kein Problem sein. Ich will bei ihm noch am Nachmittag vorbeigehen. Ich war dort schon einmal heute morgen, aber an der Tür steht, dass er die Sprechstunden erst um 15, 30 hat. Na und dann rufe ich Klara an.“ „Wie so wussten Sie eigentlich, wem Professor Vojtěch die Materialien gegeben hat? Wenn es nicht einmal die Klara wusste?“ „Einmal habe ich von den Briefen mit Václav gesprochen. Er hat sie mir gezeigt. Jeden Donnerstagabend trafen wir uns bei ihm zu Hause und spielten Schach. Auf dem Tischlein lag wie immer das Schachbrett mit der eröffneten Partie. Ich saß im Sessel, nippte an meinem Kaffee und wartete auf Václav. Ich wollte nämlich endlich weiterspielen. Aber er stand schon eine Weile am Schreibtisch und wühlte in der Schublade und tröstete mich: ‚Na, sei nicht so nervös, ich hab´s schon. Ich wusste, dass es irgendwo hier sein muss. Klara hat diese Briefe in einem Buch gefunden, als sie im Bücherschrank Ordnung gemacht hat.‘ Und er zeigte mir ein paar vergilbte Blätter. ® /Briefe/ Ich sah mir sie an und fragte ein bisschen skeptisch, was er damit heute nach den Jahren anfangen will. Er antwortete mich ganz selbstverständlich: ‚Na, mir ist eingefallen... Du kennst doch Vladimír, er studierte bei uns Germanistik und heute ist er am Institut für Geschichte. Er arbeitet jetzt an seiner Habilschrift.‘ An den erinnerte ich mich recht gut und fiel ihm in die Rede: ‚Wer wüsste schon nicht, woran er gerade arbeitet, wenn er es überall herausposaunt.‘ Václav ließ sich aber nicht unterbrechen: ‚Mir ist gerade eingefallen, dass ihm diese Materialien bei der Forschung helfen könnten.‘ ‚Da hilfst du dem Richtigen!‘, bemerkte ich ironisch. Aber Vojtěch wandte ein, dass Vladimír immer ein exzellenter Student war. Ich wusste, dass Vladimir immer ein exzellenter Student war, trotzdem oder vielleicht gerade deswegen war ich von ihm nie so begeistert wie alle anderen. Für meinen Geschmack ist er allzu ambitiös und zielstrebig. Er kann deshalb manchmal rücksichtslos sein.“ „Sie meinen aber nicht Doktor Vladimír, dem ich hier in der Bibliothek vor kurzem begegnet bin?“ „Das war bestimmt er. Er kommt immer wieder hierher in unsere Bibliothek. Übrigens, an der Fakultät gibt es keinen anderen Doktor Vladimír.“ „Zu mir war er aber recht freundlich.“ „Mein Bild von ihm steht schon länger fest. Ich erinnere mich noch ganz gut, unter welchen Umständen er damals noch, als er im fünften Studienjahr war, das Stipendium nach Regensburg bekam. Die Liste war schon fertig. Es sollten ein Doktorand und eine Hilfsassistentin fahren aber Vladimír als Senatmitglied hat bei Renate Prager erreicht, dass die junge Hilfsassistentin auf das nächste Jahr vertröstet wurde.“ „Das würde ich ihm nie zutrauen.“