AKT V Das Arbeitszimmer von A B: (schüchternes Klopfen an der Tür) A: (souveränes, lautes Öffnen der Tür; überrascht, fragend) Herr Kollege??! B: (demütig) Na ja, ich bin´s. A: (überheblich) Das sehe ich. Aber... aufrichtig gesagt, Sie hätte ich hier nie erwartet. Wollen Sie mich bitten, ich soll die Aufsicht während der Hopfenbrigade statt Ihnen ausüben? Meine Antwort: ich habe keine Zeit, ich muss wissenschaftlich arbeiten. B: Ich komme nicht wegen dem Hopfen, sondern wegen Ihrer wissenschaftlichen Arbeit, Herr Kollege. A: Seit wann interessieren sich Linguisten für Belletristik? Aber gut, setzten wir uns doch. B: (setzt sich schweigend) A: (setzt sich) Oder sind Ihre Gründe nicht so literarisch? B: Das würde ich… (nervöser Abbruch) Wir werden uns schnell verständigen, da bin ich mir ziemlich sicher. A: Also worum geht es? B: Vorige Woche war ich in Frankfurt an der Oder. A: (ironisch) Wunderbar, Frankfurt/Oder, während ich nur bis nach Regensburg gehen werde. B: (zweifelnd) Ist es schon sicher? A: Das muss Sie nicht interessieren. B: Entschuldigung. Ich weiß zwar nicht, wie genau das Thema Ihrer Habilschrift lautet, obwohl Sie es immer und überall… A: (selbstgefällig) Hmmm. B: Aber ich weiß, dass es irgendwas mit Heinrich von Kleist ist. A: Na und? B: Ich habe in Frankfurt zufällig einen Nachkommen von Kleist getroffen. A: Nachkommen??? Wollen Sie mich verarschen??? Was wollen Sie damit sagen??? B: Eigentlich nicht viel. Ich habe mit diesem jungen Mann gesprochen. Und stellen Sie sich vor… A: (fällt ihm ins Wort) Quatsch! Sie spinnen, ich hätte Sie gleich nennen sollen, als der neue Dekan gefragt hat... B: Bitte? Ich habe es mir doch gedacht. A: Verdächtigen Sie mich? Aber ich war´s wirklich nicht, ich war nicht einmal dabei, als... die Sachen macht man doch schriftlich. B: Und anonym. A: Und anonym, richtig. Wissen Sie, ich kann´s mir vorstellen, wie es gelaufen ist. B: Ja? A: Sie wurden benachrichtigt, dass der neue Dekan ein rechter parteitreuer und gehorsamer Mensch sei und wie es so schon passieren kann, hat er einen hypothetischen Ersatz aus der Prager Universität. Kein so großer Fachmann wie Sie, das muss man anerkennen, aber was die repräsentative Rolle eines Dozenten angeht, ist er viel geeigneter als der alte Fachmann, der sich schon (ironisch, nachahmend) auf die Pensionierung freut. Eigentlich sollten Sie erfreut sein, nicht wahr? B: Ich soll, aber kann nicht… (traurig, doch erwartend) A: Diesen Satz habe ich von Ihnen schon mal gehört. (lächelt affektiert) Letztes Mal haben Sie mit einem ganz anderen Ton gesprochen, nicht wahr? B: Wissen Sie, Herr Kollege, ich habe nachgedacht. A: Man soll aber zuerst nachdenken und erst dann sprechen. Sind Sie zu Verstand gekommen? B: Die Antwort bleibe ich Ihnen schuldig. A: (lächelt affektiert) Warum können Sie sich nicht mehr über Ihre Pensionierung freuen? B: Wissen Sie, Herr Kollege, ich habe keine Familie… A: Ich habe auch keine. B: Ein paar Freunde habe ich schon, aber den längsten Zeitraum meines Lebens habe ich der Wissenschaft gewidmet. Die Stelle, die ich hier habe, bedeutet für mich alles, vielleicht war ich… A: … zu leichtsinnig, solange keine Gefahr gedroht hat, stimmt´s? B: Kann man so sagen. A: Solange man keinen Ersatz für Sie hatte und solange der Dekan Ihr Freund war. B: Wir waren keine so guten Freunde, wie man glaubt. A: Und was wollen Sie jetzt von mir? B: Das Wichtigste haben Sie doch verstanden. A: Hab´ ich zwar, aber Andeutungen sagen nicht so viel wie direkte Formulierung. B: Die direkte Formulierung würde ich… A: Na gut, Sie haben etwas über Kleist gesprochen. B: Na eben. Es ist ein 25jähriger junger Mann, der im Kleist-Museum in Frankfurt arbeitet. Ich habe mit ihm gesprochen und... ich habe keine Erklärung dafür, aber ich habe in ihm Vertrauen geweckt. Es ist ein großer Zufall, aber dieser Kleine verbrachte sein Auslandssemester vor 2 Jahren in unserer Universität, jedoch nicht an unserer Fakultät, sondern an der ökonomischen. Nur damit kann ich mir sein Vertrauen begründen, keine andere Erklärung ist mir eingefallen. A: (bissig) Ich kann´s mir auch nicht erklären. B: Aber warum ich so das alles überhaupt erzähle. A: Endlich kommt er heraus mit der Sprache! B: Dieser Kleine versteht kein einziges Wort von der Literaturwissenschaft, bzw. Historie, kann sich nicht in den wissenschaftlichen Kreisen bewegen und daher hat er mich gebeten, eine gefundene Handschrift von dem alten Kleist in die Wissenschaft irgendwie mitzubeziehen. Es geht um ein total unbekanntes unvollendetes Stück, hat keinen Titel und die letzte Notiz ist am 21. November 1811 datiert, also unmittelbar vor der Fahrt an den Wannsee. A: (ergriffen von Emotionen, schwer zu sagen, ob positiven oder negativen) Das ist doch absurd! Sie hätten nachdenken sollen, bevor Sie mich an der Nase herumführen, Sie…, Sie… armer, abgetaner Greis! B: (ersichtlich beleidigt, aber schweigt) A: So absurd, wie wenn man in dreißig Jahren in Frankreich die Chronik des so genannten Dalimil finden würde!! Wollen Sie mich wirklich verarschen?! Halten Sie sich für einen modernen Hanka oder Linda??!! B: Ich habe nur gedacht, dass Sie sich mit dieser Handschrift mal beschäftigen könnten, und Ihre Untersuchungen könnten einmal so einen Ruf bei dem Fachpublikum haben, wie die gerade angedeuteten Diskussionen über die beiden Handschriften. A: (zynisch) Oh, Sie sind so hilfsbereit! Warum machen Sie es nicht allein, wenn die wissenschaftliche Arbeit für Sie so viel bedeutet?! B: (felsenfest) Herr Kollege, ich habe mir schon einen bestimmten wissenschaftlichen Ruf auf einem ganz anderen Teilgebiet der Philologie aufgebaut. Andererseits wäre es eine schwierige, anspruchsvolle Arbeit, die ich nicht mehr beginnen sollte, in meinem Alter… A: (funkelnden Auges) Sie denken doch nicht an den Tod? B: In meinem Alter muss man schon mit allem rechnen, noch dazu bei meinem Gesundheitszustand. A: Sind Sie krank? Was fehlt Ihnen denn? B: (zuckt die Schultern) A: Was wollen Sie also? B: Ich habe mich entschlossen, Ihnen diese Handschrift zu borgen, damit Sie sich entscheiden können, ob vielleicht damit was los sein könnte… A: (ironisch) Danke, danke!! B: Wissen Sie, es sind auch irgendwelche Studien, die den Ursprung der Schrift beglaubigen oder so was, ich habe es noch nicht gründlich gelesen, nur überflogen. A: Aber… wie sagt man es… kein Huhn scharrt umsonst! Was wollen Sie damit sagen? B: Davon haben wir am Anfang schon gesprochen. A: Also Bestechung? B: Wenn Sie es so nennen wollen… sagen wir, eine Bitte…. A: Wenn eine Bitte, dann eine Bitte, bitte… B: (schweigt sich schämend) A: Wie bitte? B: (keine Antwort, blickt zum Boden) A: Haben Sie die Schrift mitgebracht? B: (nickt) A: Haben Sie´s? B: Ja. Ich will dieses Treffen… (nimmt aus seiner Tasche die noch im Zeitungspapier eingepackte Handschrift) A: (lächelt) Möglichst schnell vergessen? B: (schweigt) A: Ich kann Sie ganz gut verstehen – ein so selbständiger, furchtloser Idealist und Held und plötzlich so große Angst. Sie sind nicht der einzige Felsenfeste, der dann schließlich doch nachgibt. Und sogar für so einen kann ein gutes Gewissen ein sanftes Ruhekissen sein. B: (spuckt ihm vor die Füsse) A: (nimmt aus der Hand des B. das Packet) Ich komme in einer Woche bei Ihnen vorbei, um Ihnen meine Entscheidung mitzuteilen. B: (geht langsam mit gesenktem Blick weg, ohne ein Wort zu sagen) A: Auf Wiedersehen, bis später, Herr Kollege!