Jakub Salák Heute bin ich ziemlich spät aufgestanden, so gegen zehn Uhr. Zu Mittag habe ich in der Stube „Des Herrn Freud’“ gespeiset. Der Gulasch, den man hier kocht, erinnerte mich an das ungarische Pörkölt. Der Kellner, der mich bediente, konnte kein Ungarisch und auch sein Deutsch war sehr gebrochen. Als ich bezahlen wollte, fragte er mich mit freundlichem Lächeln: „Wie viel ungarisch hat Grosch?“, was ich mir als Zweifel an den Inhalt meines Portemonnais erklärte und gleichsam als Grund, sich beleidigt zu fühlen, was ich dem Kellner auch sehr deutlich zu spüren gab, indem ich eine ziemlich lange Litanei auf Deutsch abhielt. Der Kellner sah mich ein bisschen verlegen an und bot mir anschließend an, um sich zu entschuldigen, dass ich das Essen nicht bezahlen müsse. So habe ich zwei Gulden achtzig, da ich aber noch meinem Schneider zehn Gulden für das schwarze Dolman schuldete, hatte ich vor, die Wilma zu bitten, dass sie diese kleine Schuld für mich tilgt. Doch noch bevor ich diesen Besuch machte, war ich noch in mein Zimmer im Hotel „Sigmund“ gegangen, um mich umzukleiden. Kurz vor vier begab ich mich auf den Weg zum Haus der Familie L. . Die Dienerin hat mich sofort ins Haus gelassen, und so nutzte ich die Gelegenheit aus, kurz durch die anmutig eingerichteten Zimmer zu bummeln. Frau Wilma fand ich in ihrem Salon, sie probierte gerade ein weißes Kleid an, ind em sie wie eine Wolke voll Engelchen aussah, obwohl ich daran zweifelte, dass es im ganzen Himmel so viele Engel gäbe, um eine Wolke von diesen Maßen vollstopfen zu können, Frau Wilma hatte mich erst gar nicht gesehen, sie drehte sich vor dem Spiegel im Kreise herum und sang ein Lied auf Jiddisch: „zog mir, zog mir, Spiegele, hostu gezein a schoenere?“. Der Spiegel hat die Antwort weise verschiegen, denn bei der Jähzornigkeit der Frau Wilma, die ich selbst schon mehrmals zu spüren bekommen hatte, hätte er schell als ein Haufen Scherben enden können, wenn er die Wahrheit gesagt hätte. Dann hat mich Wilma gemerkt und mit einem lauten: „Jó napot, nagyon kedves vannak!“ begrüßt. Ich habe ihr sofort ein ihre Stimme betreffendes Kompliment gemacht, ihre Stimme habe wie ein Vogel geklungen, jedoch habe ich die Gattung verschwiegen, weil jedesmal, wenn sie sprach, mir der Name eines afrikanischen Leichenfressers Marabu einfiel. Frau Wilma hat mich gebeten, Platz zu nehmen, sie selbst ließ sich auf dem Sofa nieder und hat dann für einen Augenblick geschwiegen. Dies war für mich sehr überraschend, denn normalerweise schwieg sie nur in den Weilen, wenn ich nachts Ersatz für ihren Ehemann geleistet habe. Dann hat sie mir einen Traum erzählt, den sie in letzter Nacht gehabt hatte. „Ach, Herr Cimrman, kedves uram, ich habe gestern, als Sie schon weg waren, wieder einen ganz seltsamen Traum gehabt. Ich stand an einem Ort, der mir sehr bekannt vorkam, aber ich konnte ihn trotzdem nicht erkennen. Obwohl ich den Himmel klar sehen konnte, dünkte es mich, als ob ich auf dem Boden eines tiefen Abgrunds gestanden wäre. Es führte eine lange Treppe aus der Schlucht und ich ging sie langsam nach oben. Den ganzen Weg hatte ich den Eindruck, als ob mir jemand nachgegangen wäre, aber ich konnte niemanden sehen. Und als ich endlich aus dem Abgrund gestiegen war, sah ich meinen Ehemann, wie er in einen Zug einstieg und mit diesem dann abfuhr. Dann erwachte ich und seitdem plagt mich eine schreckliche Migräne.“ Bevor ich begann, ihr den Traum zu erklären, bat ich sie, einige kleine Schulden, die ich während meines Aufenthaltes in Freiberg gemacht hatte, für mich zu bezahlen. Nachdem sie mir dies versprochen hatte, erklärte ich ihr die Bedeutung. „Der Abgrund, in dem Sie sich befunden haben, symbolisierte Ihr Leben in der Weise, wie Sie erzogen waren. Sie wurden dazu erzogen, ihrem Mann treu zu bleiben, nun hat Sie aber der Drang, das dunkle Id Ihres Geschlechtstriebes verschlungen und Sie haben Ehebruch begangen. Das Steigen der Treppe bedeutet - wie allerdings jede rhytmische Bewegung – den Actus, also den Geschlechtsverkehr. Der Unbekannte, der Sie die ganze Zeit begleitete, ohne dass Sie ihn sehen konnten, war oder waren Ihre Liebhaber, das hängt davon ab, wie viele Sie schon gehabt hatten. Auch die Abfahrt Ihres Mannes mit dem Zug symbolisiert sexuellen Kontakt, diesmal mit Ihrem Ehemann. Der Unterschied zwischen den beiden Zeichen besteht darin, dass Sie in Ihren Affähren zu einem sexuellen Höhepunkt steigen, während Sie in Ihrem ehelichen Leben längst keine Aufregung empfinden. Die Abfahrt Ihres Mannes bedeutet Ihren heimlichen Wunsch nach seinem Tod, den Ihr Unbewusstsein auf diese Weise geäußert hatte.“ Nachdem ich die Deutung zu Ende gebracht hatte, sprang Wilma aus dem Sofa auf und hat mich schreiend aus dem Haus rausgeworfen. Dies tat mir nicht Leid, ich hatte sowieso vor, am nächsten Tag abzureisen; das Einzige, was mich ein wenig verdrossen hat, war die Tatsache, dass ich höchstwahrscheinlich meine Schulden selbst zu bezahlen haben werde.