IDEE VON ADAM „Lea, hätten Sie für mich Zeit, wenn ich Sie schon getroffen habe?“ „Guten Tag, Herr Adam, zwar wollte ich in die Stadt gehen, wenn ich die Texte für ↑SPRACHPRAKTISCHE ÜBUNGEN schon vorbereitet habe, aber... bitte. Was kann ich für Sie tun?“ Adam hat erzählt, er habe zwei Studentinnen gehört, wie sie leidenschaftlich darüber diskutiert hätten, was für ein Stück sie am besten spielen sollten. Er habe es so verstanden, dass es noch kein festes Angebot an Texten gebe... und er hätte einen Vorschlag. Ob sie wisse, dass Václav ein Theaterstück verfasst habe? Woher kann sie es wissen? Der Text solle im Universitätsmilieu abspielen, was den Studenten vielleicht näher stehe als Güllen oder Elsinor. „Sie haben mehr Ahnung über Vojtěchs Nachlass als die arme Klara selbst!“ lächelte Lea und wollte ihre Neugierde gar nicht verbergen. Adam sei auf diesen Gedanken gekommen, als ihn neulich Klara angerufen habe. Sie wolle doch diese Briefe zurück haben und ohne seine und natürlich auch ihre Hilfe könne es die arme Jungfer nicht schaffen. Wahrscheinlich. Sie solle den Text irgendwo zu Hause haben, man könne so einen Austausch einstellen, natürlich werde man ihr das Original lassen, die Kopie sei für die Theatergruppe gut genug. Was sage die Lea dazu? Was kann sie sagen? Sie weiß nicht, sie muss nachdenken. Soll sie Klara um den Text bitten? Da nimmt sie lieber den verstoßenen Goethe zur Hand. Nein, Adam werde es machen, er versuche Klara anzurufen. Sowieso habe er versprochen, dass er sich wieder melde, sobald er etwas... Lea verstehe schon. Über die Briefe wisse er zwar nicht viel, aber eine Idee könne das Weib für bestimmte Zeit beruhigen. „Was wollen Sie ihr sagen?“ fragte Lea misstrauisch. Er setze voraus, im Text könne man bestimmte Andeutungen finden, die nur diejenigen verstehen könnten, die mit dieser Sache vertraut seien. Das sei er im bestimmten Maß sicher... Das bist du, eigentlich auch richtig eitel, und die Eitelkeit wirfst du immer dem Vladimir vor... und Lea solle mal den Hamlet wieder lesen, es stehe alles drin. Sein Freund, der alte Novák, der als Externist im Institut für Psychologie arbeite, sei am Gericht tätig, eine ziemlich anerkannte Kapazität, derer Wort bestimmte Bedeutung trage. Wenn der dann zur Vorstellung.... Aber natürlich wolle der Adam sie zu nichts zwingen, er könne verstehen, dass er ihr schon ab und zu mit dem Gegen-Vladimir-Wahn auf die Nerven gehe, wenn sie den Vladimir... Das stimmt, da hast du mal endlich Recht, dachte Lea bitter. Aber ob sie schon nachgedacht habe, welche Rolle sie im Fall Vojtěch spielen könne... Wie habe sie sich entschlossen? Wie sehr sie den Vojtěch mochte, kann sie sich gar nicht vorstellen, was für ein absurdes Drama er verflicken konnte. Nie hatte er richtig Zeit etwas außer seiner Arbeit zu machen und will so was geschrieben haben?! Aber vielleicht hat er doch die Realität ein bisschen allegorisiert und widerspiegelt... „OK, Herr Adam, wenn Sie den Text bis Freitag haben, rufen sie mich an, oder kommen Sie mal vorbei, ich werde es lesen, erst dann kann ich mich richtig entscheiden. Und wenn man nicht vergisst, dass stille Wasser tief sind... Er hat doch nie was gesagt, vielleicht aber umso leidenschaftlicher niedergeschrieben... Man kann nie wissen. Versuchen kostet doch nichts.“ „Lea, bis Freitag?“ Es seien nur noch zwei, mit dem heutigen halben, drei Tage, was könne er machen, wenn Klara abgereist sei? „Wissen Sie, wir müssen auch mal mit der Arbeit beginnen, Zeit ist Geld. Nicht genau in unserem Fall, aber jede Stunde ist brauchbar. Damit Sie nicht sagen... bis Montag.“ Eigentlich hat Adam mehr Begeisterung in Leas Reaktion erwartet, aber er kann doch froh sein, dass sie ihn nicht ausgelacht hat. Das junge Mädel idealisiert den Historiker, das hat er längst gewusst. Und geahnt, er hat in seinem Leben genug Bücher gelesen, um zu wissen, dass es nicht anders laufen kann. Wohin hat er nur die Nummer an Klara gesteckt? Keine angenehme Sache, aber wenn Lea schon mit den Sprichwörtern begonnen hat... was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Morgen, morgen, nicht nur heute... und er ist doch nicht faul, auch wenn er es ab und zu brauchen würde. Klara spuckte den ganzen Nachmittag in seinem Kopf, als wäre sie wirklich ein Gespenst. So schlimm wird das sicher nicht sein, aber er steht doch erst am Anfang, auch wenn er von der ganzen Angelegenheit so ermüdet ist, als sollte er die letzten zwei Schritte vor sich haben. Und dabei ist das Ende noch gar nicht abzusehen. Aber wenn es klappt, dann lohnt es sich. Und wenn die Theatergruppe... dann hat er sich zu der ganzen Arbeit so gestellt, dass auch andere dabei einen Platz finden können. Würde es klappen! Mindestens das Regensburg darf der... der... warum kann er nur den Namen nicht aussprechen, nicht einmal denken? ...nicht bekommen. Andere, auch wenn er von keinem Interessenten weiß, würden es sicher mehr verdienen als dieser Vladi... Der Lea müssen unbedingt Augen geöffnet werden. Es genügt, wenn sie das Drama lesen wird... Und wenn es wirklich ein Blödsinn ist, dieses Drama, an das er so sehr zu hoffen beginnt, dann kann er ihr einfach sagen, Klara habe ↑DAS GESCHÄ FT abgelehnt... SCHWARZE GEDANKEN, DIE VON LEA Weiß der Adam überhaupt, was er mir gegeben hat? – dachte Lea, nachdem sie die ersten zwei Akte gelesen hatte. Die Wortspiele sind ganz gut und können bühnenwirksam sein, wenn die gut gespielt werden. Aber sonst? Die Handlung ist nicht nachvollziehbar, falls es überhaupt eine Handlung hat. Das Publikum? Würde es geduldig auf Godot warten, oder beginnt es in diesem Augenblick unzufrieden pfeifen? Illokution, Modalverben, Wer reitet so... vor allem die Präpositionen werden ihren Schauspielern gefallen. Hat es wirklich Vojtěch geschrieben? Dieses? Woher kann er es gehabt haben? Er hatte doch keine Beziehung zur Mathe... Aber warum nicht, nicht jeder aus ihrer Gymnasialklasse widmet sich der Sprach-, bzw. Literaturwissenschaft. Und er soll in der Jugend ein guter und beliebter Witzbold gewesen sein. Nicht jeder, den man hinter dem Lehrerpult für einen strengen Patron ohne Sinn für Humor hält, muss es auch sein. Wie hätte es gewirkt, wenn Vojtěch in seiner Stellung und in seinem Alter kein entsprechendes Image gehabt hätte? Und die Komiker wollen in ihrem Privatleben auch sehr ernste Menschen sein... Und die politischen Anspielungen? Wem von den jungen Leuten in der Gruppe wird´s noch was sagen? Können sie mehr als 23 sein und später als mit 7 die Wende erlebt haben? Die Einführung in die Geschichte und Kultur kann das hautnahe Erlebnis nicht ersetzen. Nach dem vierten Akt war Lea noch mehr verwirrt... Was will Adam damit unternehmen? Ist die Wahl des neuen Dekans wichtiger, oder die Beziehung zwischen A und B, die ersichtlich nicht freundlich ist? Sie las, nichts erwartend, weiter und formulierte schon ihre Ablehnung dem Adam gegenüber. Aber andererseits sind einzelne Repliken gar nicht schwierig, nicht viele Requisiten braucht man, nur das Technische scheint ein bisschen kompliziert zu sein. Aber wird es bei Dürenmatt einfacher sein? Das Einfachste wäre wohl die Handkes Publikumsbeschimpfung... bei einigen Studenten wäre es ohne Mühe gespielt, wenn im Publikum einige der Dozenten säßen... da würden auch andere Dozenten gerne mitspielen. Ach so, Konflikt zwischen A und B, die in demselben Institut arbeiten... fast mit naiver Neugierde las sie weiter... und war schockiert. Wohin hat sie die Flasche gesteckt? Allein trinken, das tun nur Alkoholiker, aber sie kann nicht anders. Jedem muss es da klar sein, dass Vladimír der A ist und Vojtěch... Adam muss das gewusst haben! Vielleicht hat ihm Vojtěch auch den Inhalt erzählt. Der arme Vojtěch, er war sicher stolz darauf, wie er kombinieren kann und wie absurd er sein Drama enden ließ und dabei... Der Vladimír... sie liebt einen Mörder! Wo ist die Flasche? Sie wusch ihr blasses Gesicht mit kaltem Wasser, aber die erwartete Entspannung kam nicht. Der obere Kredenzschrank... wo ist die Flasche? Was war eigentlich drin? Orangenjelzin... Ja, aber sie hat keinen Orangensaft. Na und? Diesmal schafft sie´s ohne... Wenn sie den Jelzin überhaupt findet... Nein, da muss Adam falsch interpretiert haben! Vladimír kann kein Mörder sein, Adam will ihr nur seine blöde Meinung aufzwingen, auch wenn er es leugnet... er wolle sie zu nichts zwingen... Lea lächelte und griff nach der Flasche, die sie in der schrankartigen Speisekammer endlich gefunden hat. Nicht viel ist drin... Sie hat sich mit keinem Ins-Glas-Gießen aufgehalten und entnahm die Flüssigkeit gierig direkt dem Flaschenhals. Das hat sie gebraucht! Vladimír kann nichts Böses verursacht haben, sie muss den Unschuldigen vor Adams weiteren Schritten behüten! Aber wie? Der Film mit all den Treffen hat sich in ihrem Kopf langsam abgespult. Er war der erste Mann, der ihr in der Tür Vorfahrt gab, allerdings im Einklang mit der Ethik nicht, wenn sie ein Café betraten... Immer war er nett, hat gelächelt, sogar gelacht, als ob er glücklich mit ihr gewesen wäre... Er half ihr aus dem und in den Mantel... aber, was sie nur von Filmen und Romanen gekannt hatte – er bot ihr den Stuhl und setzte sich erst nachdem sie sich gesetzt hatte. Er kann doch nicht... Aber nicht jeder, der so und so aussieht, muss wirklich so sein. Noch einen Schluck... zwei, drei. Und jetzt wird starker Kaffe mit viel, viel Sahne gekocht. Über dem Text sitzend, den starken Kaffe trinkend, nach der leeren Flasche schielend, hat sie gespürt, dass sie eigentlich wolfhungrig ist. A und Vladimír – immer im Anzug, Haarpomade ist ihm ab und zu auch nicht fremd, Parfüm ist sein ständiger Begleiter... arrogant soll er sein, er hänge seinen Mantel nach dem Winde... B und Vojtěch – hat sie ihn überhaupt in einem Anzug gesehen? Nicht einmal bei der Zwischenprüfung! Immer wenn Lea erregt wurde, suchte sie Hilfe im Kühlschrank... Ja, in der letzten Woche muss sie viel Sorgen gehabt haben... Der Kühlschrank war fast leer. Immer alte Jeans, im Wintersemester einen schwarzen Nickipullover, im Sommersemester höchstens zwei T-Shirts wechselnd... Nicht viel gesprochen, jedoch immer seine eigene Meinung, keine Familie, nur die Arbeit. Die Handschrift entspricht den Briefen... und der Selbstmord? Bleibt gleich, jedoch um „selbst“ kürzer... Mindestens Spiegeleier kann sie zum Abendessen machen. Und Morgen muss sie großen Einkauf machen. Eine Schokolade... etwas Brot... Schinken... und eine Flasche Orangenjelzin. Sie machte das Radio auf. Don´t worry, be happy... Leicht gesagt... Falls sie es schafft, darf Vladimír an ihr nichts erkennen. Wie immer wird sie ihm über die alten Professoren in Regens... Ihr Gott! Regensburg. Hat Adam nichts über das Humboldt-Stipendium gesagt? Da muss sie eigentlich ein ↑REGENBURGER GESPRÄCH mal richtig führen… Deshalb so ein Interesse für die Heimatstadt der Kleinen, die er „liebt“. Nicht übertreiben, über Liebe ist noch kein einziges Wort gefallen, und fällt nicht. Jetzt nicht mehr. Sie bringt es nie über ihre Lippen, auch wenn es tausendmal Wahr wäre... Was soll ich machen? rief sie lautlos... und das Radio antwortete: Don´t worry, be happy...