Liebe Veronika ! Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Zwei oder drei Wochen vielleicht. Für mich ist unseres letztes „Date“ schon Monate und Jahre her. Wir haben zu viel geredet und trotzdem zu wenig gesagt. Obwohl die besten Freundinnen, fiel es uns nicht leicht, die Barriere der Zeit in einem so kurzen Augenblick zu überwinden. Wir haben uns beide verändert, beide auf eine andere Weise. So schreibe ich diese Zeilen, dir alles mitzuteilen. Jetzt sitze ich am Fenster, meine Füße auf den Heizkörper gelegt, denn draußen ist es kalt und im Zimmer noch kälter, weil die Fenster dichten nicht gut ab. Meine Mittbewohnerin bleibt diese Woche zu Hause, deshalb habe ich ganzes Zimmer nur für mich selbst – was für eine angenehme Gesellschaft, nicht wahr? Der Himmel ist schon dunkel, die Lichter tief unten stehen wie versteinert, oder fliegen wie Glühwürmchen hin und her. Diese Aussicht würdest du auch genießen... Nun fühle ich mich abends im Studentenheim nicht mehr so alleine und von allen vergessen wie in den ersten Wochen. Erst heute macht mich die Stille ruhig und nicht traurig. Als ich am Gymnasium war, habe ich auch im Internat gewohnt, obwohl es nicht so weit weg von Zuhause war. Deshalb habe ich mir immer gedacht, dass es für mich leichter sein wird in eine fremde Stadt zu kommen um hier die Uni zu besuchen. Weit gefehlt! Meinen erster Kontakt mit der Brünner Realität gab es gleich im Studentenheim. Es hat mich überrascht, dass man sich hier kaum an Regeln halten muss – angenommen, es gäbe überhaupt welche. Bei uns ist alles verboten oder mindestens nicht erlaubt. So eine „Anarchie“ finde ich aber in mancher Hinsicht schwerer, denn man muss strenger mit sich selbst sein und sich um vieles selbst kümmern. Keiner sagt dir, dass jetzt die Zeit fürs Essen sei oder dass du lernen sollst. Es interessiert niemanden – ja, vielleicht den Prüfenden, denn er wird sich morgen bei der Prüfung langweilen, wenn du nichts Vernünftiges sagst. Die Uni. Ich war von ihr begeistert schon als ich hier bei den Aufnahmeprüfungen war. Ich kann es nicht gut beschreiben, aber spürt, als ob sie – nicht das Gebäude, sondern die Menschen – etwas ausstrahlen würden. Wie eine Art positive Energie. Als ob tief in den Wänden die Sonne stecken würde. Es klingt ein bisschen pathetisch, glaube ich, aber du wirst es bestimmt verstehen. Die Lehrer behandeln uns als erwachsene Menschen. Das sind wir auch, aber man muss sich daran zuerst gewöhnen. Nach den langen Jahren, als man nur als „Kind“ angesprochen wurde, hört es sich fremd an. Auch die Stadt finde ich sehr schön. Es wird für mich ein Vergnügen sein, durch die Straßen zu bummeln und die Sprachbarriere zu überwinden. Genau, die Sprachbarriere. Zu diesem Thema könnte ich schon jetzt einige Kapitel schreiben, wahrscheinlich würde es „Zuerst Brüder, dann Hockeyrivalen und jetzt Fremde“ heißen. Es ist komisch, wenn ich einen Witz erzähle und die Pointe verloren geht, weil niemand versteht was „vankúš“ heisst. Also bis bald meine schöne, hoffentlich sehen wir uns mal in der Bužňa. Und wenn nicht, denke daran, dass obwohl wir nicht zur Zeit zusammen sind, vergesse ich dich nicht. Tschüß!