Jaroslav Ostrčilík Entschuldigen Sie, Herr Kollege, wir danken ihnen herzlich für dieses kleinkarrierte, ähm detaillierte Referat, aber wir wollen doch auf wissenschaftlicher Distanz bleiben. Lassen Sie mich nun versuchen, anhand jenes Tagebuches Cimrmans Wege zur Traumdeutung zu ergründen. In einem ihrer Träume fand sich Wilma L. in Mitten einer großen Menschenmenge wieder, welche sich langsam in eine gewisse Richtung zu bewegen schien, wobei Wilma L. von diesem Strom eigentlich gegen ihren Willen mitgetragen wurde – bis plötzlich Cimrman auftauchte und sie aus der unangenehmen Situation befreite. Cimrmans Interesse weckte vor allem die Tatsache, dass sich in Wilmas Traum diese Rettung aus der Luft vollzog. Man sollte nämlich wissen, dass Cimrman auch während seines Aufenthaltes in Freiberg seine so bedeutende wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der Aviatik fortsetzte, und gerade Wilmas Ehemann war (gemeinsam mit dem örtlichen Bestattungsunternehmen Dr. Rakvička und Söhne) einer der Sponsoren der Konstruktion Cimrmans dritten Versuches, den Himmel der alleinigen Herrschaft der Vogelwelt zu entreissen, nämlich des Flugapparatus III. (wegen einem kleinen Störfall, an welchem sein späterer Jungfernflug noch vor dem Abheben scheiterte, auch „Flammenvogel“ genannt – übrigens, dieses Fiasko bedeutete Cimrmans entgültige Abwendung vom Dampf als Antriebskraft für seine Flugzeuge). An der Fertigstellung des Fluggerätes arbeitete Cimrman im Garten der Villa der Familie L., weswegen also das Auftreten dieser Maschine in Wilmas Traum nicht verwunderlich ist. Bemerkenswert ist allerdings, dass es Cimrman nicht horizontal flog, sondern in vertikaler Lage sich seitwärts bewegte. Nun, dies sei wohl auf den Mangel von technischer Kenntniss beziehungsweise Vorstellungskraft Wilmas (und Cimrmans Zeitgenossen allgemein) zurückzuführen, und Cimrman selbst interpretierte diese ungewöhnliche Art der Fortbewegung sehr richtig als einen symbolischen Ausdruck Wilmas Wünsche nach Veränderung in ihrem stark durch Routine geprägten Leben. Seine Gestalt am Steuerknüppel des Flugzeuges drückte der Ansicht Cimrmans nach Wilmas Erwartungen aus, welche sie diesbezüglich an ihn band. In Cimrmans Tagebuch sehen wir diese Stelle deutlich gekennzeichnet, wobei er seiner Niederschrift Wilmas Schilderung sogar eine kleine Skizze beigefügt hatte. Meinen Kollegen und mir war es gleich klar, dass es sich hierbei um einen der zahllosen Genieblitze des Meisters handelte. Stellen sie sich das vor, meine Damen und Herren, wir waren hier direkt Zeugen der Geburt einer neuen, möglicherweise revolutionären Idee Cimrmans, und es hieß nun, eine Verbindung zwischen dieser Tagebucheintragung und einer konkreten Erfindung herzustellen. Nach einer erschöpfenden Recherchierarbeit haben wir auch tatsächlich gefunden, wonach wir gesucht haben; nämlich eine verstaubte Akte des Königlich-Böhmischen Patentamtes in Prag, deren Inhalt uns regelrecht den Atem verschlagen hatte; es handelte sich um sämtliche Dokumentation zu einem völlig neuen Antriebssystem für Flugzeuge, welches den Propeller nicht vor dem Flugzeug, sondern über ihm vorsah, wodurch unter anderem Schwebeflug möglich gemacht werden sollte – wir hielten hier also einen bis ins letzte Detail ausgearbeiteten Entwurf des ersten Hubschraubers in der Hand, angefertigt ein habes Jahrhundert bevor Hubschrauber tatsächlich das Licht der Welt erblickt hatten. Allerdings blieb Cimrman die Anerkennung für diese bahnbrechende technische Entwicklung verwehrt, denn den Akten war ein kurzer handschriftlicher Vermerk beigefügt, nämlich dass der zuständige Beamte das Patent noch nicht eintragen solle, bis der Erfinder die entsprechende Gebühr zur gänze abbezahlt habe. So weit ist es offensichtlich aber nie gekommen, vermutlich aufgrund Cimrmans Insolvenz nach dem Krach seiner Zucht einer zur Schädlingsbekämpfung eingeführten amazonischen Fleischfresser-Schnecke. Doch nun zurück zu Cimrmans Wirken auf dem Felde der Psychologie, beziehungsweise zu Wilma Ls Traum. Merkwürdig darin schien Cimrman auch seine Aufmachung, denn im Traum trug er die Uniform eines k.u.k. Polizisten – ein Umstand, welcher im Zusammenhang mit Cimrman in jenen Jahren fast ironisch anmutet, wenn man seine damalige politische Aktivität bedenkt. Als ein wahrhafter Renaissancemensch wollte Cimrman natürlich auch am öffentlichen Leben partizipieren, und so erwägte er, unzufrieden mit der allgemeinen politischen Lage in der Monarchie, schon im zarten Alter von 12 Jahren den Beitritt zu einer politischen Bewegung und möglicherweise auch die Kandidatur in den Reichstag. Seine Pläne diesbezüglich stießen aber auf Ablehnung, ja sogar auf Verspottung, sodass dem ambitionierten Nachwuchspolitiker nichts anderes übrig blieb, als sich den Anarchisten anzuschließen, welche ihm sein Alter nicht zum Vorwurf machten. Wir wollen uns an dieser Stelle nicht allzuviel vertiefen in Cimrmans erfolge als Bombenbauer (und Bombenleger), allerdings hatte er zu dem Zeitpunkt, als er in Freiberg tätig war, schon reichich Erfahrung mit der k.u.k. Exekutive gesammelt, weswegen ihm sein Auftreten als Polizist in Wilma L.s traum äußerst interessant erschien. Seiner Meinung nach hatte hier Wilma seine Person mit jener des Polizisten als „Freund und Helfer“ zum Prototypen eines Beschützers vereinigt – Cimrman nannte diesen Vorgang „prototypale Vereinigung“, welcher in der Freudschen Traumdeutung der deutlich weniger präzise Begriff „Verdichtung“ entspricht. Im weiteren Verlauf des Traumes wurde Cimrman von Wilma L. wiederholt aufgefordert, sie auf einen bestimmten Ort zu führen; Cimrman gab ihr in dieser Hinsicht nach, wobei sich aus Wilmas Ziel schließlich ein Aussichtsturm entpuppte. Bei seinem Versuch, Wilmas Traum zu deuten, sah er darin sehr richtig ein Phallus-Symbol, wobei Wilmas Verlangen nach seiner Besteigung ihrem ohne Zweifel bemerkenswertem sexuellen Apettit entsprechen sollte. In Cimrmans Tagebuch finden wir jene Passage unterstrichen, welche Wilmas Staunen über die Höhe des Turmes schildert, woraus man entnehmen kann, dass sich Cimrman in dieser Hinsicht sehr geschmeichelt fühlen durfte. Meine Damen und Herren, ich übergebe jetzt an meine Kollegen, welche ihnen einige Auszüge aus dem Tagebuch Cimrmans präsentieren werden. Herr Dozent Salák wird den Eintrag vom 16. August vorlesen.