Gründung der ersten Kabaretts in Deutschland Die Notizen basieren auf den Übersichtskapiteln der guten Diplomarbeit von Alexandra Murdzová Von der Atmosphäre auf Montmartre gingen auch der Gründer des ersten deutschen Kabaretts Ernst Ludwig von Wolzogen, die wichtigste Person der Münchner Elf Scharfrichter, Marc Henry, der Conferenciér beim Pariser Kabarett Chat Noir war, oder Erich Mühsam aus Zum Prototyp der Chanteuse wurde der französische Star Yvette Guilbert (1867-1944). Ihre lange, dünne Gestalt, ihr einfaches Kleid und lange schwarze Handschuhe waren von ihren meistens tragischen Balladen aus dem Lumpenmilieu nicht wegzudenken. Vor allem die Münchnerin Marya Delvard wurde oft als ihre deutsche Nachfolgerin bezeichnet. Yvette Guilbert erschien regelmäßig im Moulin Rouge und seit 1892 trat sie auch im Chat Noir auf. Auf Tourneen besuchte sie auch Deutschland und Österreich. Ihren Auftritt hilet unter anderen Peter Altenberg fest (Wiener Allgemeine Zeitung): „Ihre Augen bereits drücken alles aus, was es an seelischen Dingen überhaupt gibt, aber auch ihre Arme und Hände sprechen überaus eindringlich. Ihre Wirkungen grenzen an das Wunder…Sie allein von allen hat die Macht, ein Lied auszuschöpfen, ja, es erst in seiner Fülle zu dichten! Ganze Schicksale bringt sie in einen sinnlosen Refrain, und man staunt über das Außerordentliche, das sich da ereignet. Aus einem Nichts ein Alles machen, darin könnten alle von ihr lernen, wenn es erlernbar wäre.“ Im Jahre 1897 ist ein weiterer wichtiger Impuls zur Gründung der Kabaretttradition in Deutschland erschienen: der Roman von Otto Julius Bierbaum (1856-1910) Stilpe, über den Wolzogen schrieb: „Ich bin selbst […] nicht durch die Pariser Vorbilder, sondern durch die phantastischen Pläne des prachtvollen skandinavischen Poeten Holger Drachmann und durch Bierbaums Roman Stilpe zum Nachdenken über diese Frage und zum Schmieden eigener Pläne angeregt worden…“[1] In diesem teilweise autobiographischen Roman schildert O.J Bierbaum das Leben von Willibald Stilpe. Stilpe war ein Bohemien, verbummelter Student, der sich schon als kleiner Junge in den Kopf gesetzt hatte Schriftsteller zu werden. Auf dem Gymnasium gründet er mit seinen Freunden ein „Geheim-Cénacle“, in dem sie über Literatur zu diskutierten, „in fröhlichen Zusammenkünften brav tranken und eigene Lieder sangen“. Ihre Parole lautete: „Hütet euch vor Dichtern, die nicht saufen!“[2] Stilpe, der am fleißigsten seine Inspiration im Alkohol suchte, erklärte sein Benehmen damit, dass „Selbst Schiller trank Likör […] Shakespeare dagegen soff wie ein Loch […]. Die ganze Literaturgeschichte, wohl gemerkt, so weit es sich um Verse handelt, ist nichts anderes als eine große Tafel der Getränke.“ Stilpe wurde zum Direktor eines neu gegründeten Tingeltangels und die Dichter lieferten ihm ihre Verse. Doch nach der Anfangseuphorie, als er „…den Übermenschen aus dem Brettl gebären wollte“ und Varieté als „ästhetische Anstalt im weitesten Sinne, als Trägerin und Verkörperung all der heute so üppig sich entfaltenden Richtungen in den Künsten, als Schaubühne des Schönen für Auge, Ohr und Gemüt…“ kam die Ernüchterung. Stilpe zeigte sich als ein Geschäftsmann, dem es mehr um einen Erfolg beim Publikum ginge, als um die Präsentation der literarischen Ambitionen und Fähigkeiten seiner Kollegen auf der Bühne. „Denkst Du, ich will mein Publikum mit hoher Literatur verjagen? […] Ihr musst euch mehr an den Brettlstil anlehnen vorderhand. Habt ihr denn gar nichts Verliebtes? […] Was soll ich mit Lyrik anfangen?“ Die Literatur erwies sich paradox als der wichtigste Stolperstein des literarischen Tingeltangels. O.J. Bierbaum konnte schon im Jahre 1897, also vier Jahre vor der Gründung des ersten literarischen Kabaretts in Deutschland, das Schicksal solcher Unternehmen vorhersagen. Willibald Stilpe landete im Lokal namens Zum Nordlicht, wo er sich am Ende seiner Nummer auf der offenen Szene aufhing und mit der „…Zunge weit heraus, dem Publikum entgegengestreckt“. Sein Selbstmord auf der offenen Bühne stellte sich alleerdings als nicht nur fiktiv heraus. Berlin hatte, im Gegensatz zu Paris, kein ähnliches Stadtviertel wie Montmartre, wo sich das Bohemeleben konzentriert hätte. Die Künstler trafen sich im Café des Westens oder im Café Größenwahn. Ernst Ludwig von Wolzogen (1855-1934) war es klar, dass er seine Vorstellung vom Kabarett den deutschen Verhältnissen angepasst werden muss: „Ich musste auf die wichtigste Betätigung des französischen Cabarets, nämlich die politische Tagessatire, verzichten, weil bei uns in Deutschland die Zensur solche kecken Verhöhnungen der Regierung niemals durchgelassen und sicher auch die Dichter für dergleichen gefehlt hatten.“[3] Erst im Münchener Kabarett war es später doch möglich. Für sein Buntes Theater mietete Wolzogen in Berlin einen großen Raum mit einer Sezessionsbühne in der Alexanderstrasse 40, mit 650 Plätzen. Am 18.1.1901 wurde das Bunte Theater eröffnet. Es trug den Untertitel „Überbrettl“. Wolzogen trat als Conferenciér auf. Das Eröffnungsprogramm bestand aus Chansons, die 1900 in der Anthologie O.J. Bierbaums erschienen sind. Als erste Nummer sang Robert Koppel Wolzogens „Das Lied von den lieben, süßen Mädeln“. Einer der Texte („Mütter“) stammte auch von dem Prager von Hugo Salus. Das Chanson „Madame Adéle“ mit Wolzogens Text sang Bozena Bradsky. Christian Morgenstern schrieb eine Parodie auf literarischen Ästhetizismus „Das Mittagsmahl“, Wolzogen darauf eine fingierte Kritik. Vorgeführt wurde auch eine Episode aus Schnitzlers „Anatol“. Den größten Erfolg feierte aber das Chanson von O. J. Bierbaum „Der lustige Ehemann“. Die Schauspieler in Biedermeierkleidern stellten ein sorgloses tanzendes Ehepaar dar. Die einfachen, an einen Kinderspruch erinnernden Verse konnte das Publikum schnell lernen und mitsummen. „Ringelringelrosenkranz, Ich tanz mit meiner Frau, Wir tanzen um den Rosenbusch, Klingklanggloribusch. Ich dreh mich wie ein Pfau.“ Das Berliner Publikum konnte sich mit dieser Strophe identifizieren: „Die Welt, die da draußen wo, Mag auf dem Kopfe sie stehen! Sie interessiert uns gar nicht sehr…“[4] Parodie und Satire pberwog im Kabarett Schall und Rauch . Zur zielscheibe des Spottes Parodien auf Schiller oder Hauptmann. Das Publikum bildeten „eingeladene“ Gäste. Das bedeutete, dass zwar jeder die Eintrittskarte kaufen konnte, doch auf der Karte stand immer der Name des Besuchers. So versuchten die Künstler der Zensur in einiger Maßen auszuweichen. Unter der Leitung von Max Reinhardt das Kabarett Schall und Rauch in ein klassisches Theater. 1903 gründete Peter Hille sein Cabaret zum Peter Hille. In diesem Kabarett lasen Hilles Freunde wie E. Mühsam, R. Dehmel, P. Baum, E. Lasker-Schüler aus ihren Werken und der Gründer Peter Hille war Meister der Improvisation, seine Gedichte sind nicht selten direkt auf der Bühne entstanden. 1904 ist er gestorben und mit ihm auch sein Kabarett. Im Gegensatz zu Berlin bot München ein perfektes Zuhause für die Boheme. Die Münchner Boheme konzentrierte sich in dem Stadtteil Schwabing, der „…wie Montmartre, weniger ein geographischer als ein kultureller Begriff“[5] war. Das beste Bild der Schwabinger Verhältnisse und Atmosphäre um die Jahrhundertwende hinterließ in ihrem Werk die sogenannte Gräfin der Bohéme Franziska zu Reventlow. Ihr teilweise autobiographisches Buch Herrn Dames Aufzeichnungen oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtteil löste damals einen Skandal aus. Sie beschreibt durch die naiven Augen des Herrn Dame, der nichtsahnend in den Stadtteil Wahnmoching einzieht, das wilde Bohemenleben in Schwabing. „Wahnmoching ist eine geistige Bewegung, ein Niveau, eine Richtung, ein Protest, ein neuer Kult oder vielmehr der Versuch, aus uralten Kulten wieder neue religiöse Möglichkeiten zu gewinnen…“In Wahnmoching bzw. Schwabing wird jedes Jahr mit höchster Aufregung die Faschingszeit erwartet. Die Kostüme für den Umzug wurden schon Wochen vorher sorgfältig vorbereitet und die Feste wurden in dieser Jahreszeit besonders wild. „Als Anblick und Stimmung war es schon etwas Wunderbares […] man müsse seine Feder in heidnisches Blut tauchen, um Wahnmochinger Bacchanale zu schildern…“[6] Und genau um diese Zeit, im Jahre1900, wurde die Idee geboren, in München ein Kabarett zu gründen. In der Faschingszeit 1900 zogen bunt kostümierte Künstler aus einer Kneipe in die andere und mit Transparenten und Liedern protestierten sie gegen das Gesetz Lex Heinze, das der kaiserlichen Regierung ermöglichen sollte, eine strenge Zensur einzuführen. Aus dieser Gruppe von empörten Künstlern formierte sich dann die Stammgesellschaft des ersten Münchner Kabaretts Die elf Scharfrichter. Die Rolle des Conferenciérs übernahm der Franzose Marc Henry hier Balthasar Starr, der schon beim Pariser Chat Noir Erfahrungen sammelte und die wichtigsten Darsteller und Dichter waren Leo Greiner-Dionysius Tod und Otto Falckenberg-Peter Luft. Die Chansons für die Scharfrichter lieferten unter anderen auch Max Halbe, Rudolf Alexander Schröder, O.J. Bierbaum, Detlef zu Liliencron und auch Frank Wedekind, der selbst auf der Bühne seine Chansons zur Laute sang und damit einen riesengroßen Erfolg feierte. Außer Wedekinds Chansons wurde hier auch sein Drama Erdgeist aufgeführt. Hanns von Gumppenberg alias Jodok, der für dieses Kabarett kurze satirische Dramen und Einakter schrieb, erinnert sich an die Auftritte und den Saal folgenderweise: „…ein grausiger Chorgesang und Grotesktanz der Elf, in scharlachroten Talaren und mit blanken Richtbeilen, sollte jede Exekution einleiten. Auch beschloss man, im Zuschauerraum einen Schandpfahl aufzustellen, der sinnreich geziert mit dem abgeschnittenen Zopfe und Perückenskalp der Rückständigkeit, verschimpfierende Plakate gegen allerlei bekämpfte Übelstände aufnehmen sollte.“ [7] Der größte Frauenstar war Marya Delvard, deren Darstellung von Wedekinds Ilse „…das erklärte Münchener Gegenstück zu dem Biedermeier-Schlager des Berliner Bunten Theaters dem von Oscar Strauss vertonten Lustigen Ehemann Bierbaums.“ wurde. Trotz dem großen Erfolg lösten sich 1903 die Elf Scharfrichter auf. Der Grund dafür waren auf einer Seite finanzielle Schwierigkeiten, doch es kam auch zu Auseinandersetzungen zwischen den Künstlern um die literarische Orientierung des Kabaretts. Hanns von Gumppenberg berichtet, dass von der Produktion der Scharfrichter am Ende nur „…ans Dümmliche grenzende Liebe zum primitivsten Volksliedgelalle […] neben extrem Fremdländischem, das auf deutschem Boden niemals heimisch werden konnte.“ blieb. Die Pfeiler der Scharfrichter, Marc Henry und Marya Delvard, zogen nach einigen Gastspielen nach Wien um und gründeten ihr eigenes Kabarett. Simplicissimus - Die Künstlerkneipe Es war die Stammkneipe von den Scharfrichtern oder Mitarbeitern der satirischen Zeitschrift Simplicissimus. 1903 entschied sich Kathi Kobus, die Wirtin und Besitzerin der Dichtelei in die Türkenstraße zu übersiedeln. Die Umsiedlung ähnelte der Parade beim Pariser Chat Noir, wobei hier an der Spitze des Festzuges Frank Wedekind seine Chansons zur Laute sang. Mit Genehmigung von Simplicissimus-Herausgebern konnte Kathi Kobus ihrem neuen Lokal den Namen der Zeitschrift geben. Das Plakat für die Kneipe, auf dem eine rote Dogge mit einer Sektflasche in dem Maul war, wurde von Theodor Thomas Heine, dem berühmten Zeichner der Zeitschrift Simplicissimus selbst, gemalt. Mit den Auftritten konnten die Autoren ihre Schulden bei der Wirtin zahlen. Später wurden aus einigen, wie zum Beispiel Erich Mühsam oder Joachim Ringelnatz, die sogenannten Hausdichter. Es wurden auch Frauen engagiert, wie Emmy Hennings, die „…niedliche Pikanterien vortrug, von ihrer eigenen Berufung zur Dichterin aber wohl selbst noch keine Ahnung hatte.“ An den Wänden „…hingen bis zur Decke bunt durcheinander Bildnisse von Brettlgrößen […] Dann Photos, Ölgemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Radierungen…“von den Malern, die nicht anders ihre Rechnungen beim Simplicissimus zahlen konnten oder sie ihrer Stammkneipe schenkten. Die Rolle des Conferenciérs hatte hier Kathi Kobus übernommen und „..sie unterbrach ihre Vorträge ungeniert mit geschäftlichen Bemerkungen: Anni, gib doch Obacht! Der Herr will zahlen..“ Sie erschien meistens in einem Bauernkleid und trug auch selbst Gedichte im Dialekt vor. Es wurde hier Geige, Gitarre oder Klavier gespielt oder auch getanzt. Es hing immer von den Anwesenden ab, die spontan mit allerlei Ideen kamen um das Publikum und sich selbst aufzumuntern. Obwohl der Simplicissimus primär als eine Kneipe bezeichnet werden kann, man hat hiermit bewiesen, dass es starke Merkmale eines Kabaretts in sich trug. Der Unterschied lag darin, dass hier kein festes Programm, außer den Nummern von Hausdichtern vorhanden war, jeder Anwesende konnte auf der Stelle auf der Bühne auftreten. Das Publikum bezahlte kein Eintrittsgeld, was aber mit einem enormen Alkoholkonsum wettgemacht wurde. ------------------------------- [1] von Wolzogen, Ernst Ludwig: Wie ich mich ums Leben brachte. in: Dreißner-Jenssen, Frauke: Die zehnte Muse. Berlin 1982. S. 11. [2] Ebd. [3] Ebd. S.21. [4] Bierbaum, Otto Julius: Der lustige Ehemann. in: Deutsche Chansons. Leipzig 1919. S.10. [5] Mühsam, Erich: Unpolitische Erinnerungen. Berlin 1958. S.139. [6] Ebd. [7]von Gumppenberg, Hans: Lebenserinnerungen. In: Dreißner-Jenssen,Frauke: Die zehnte Muse. Berlin 1982. S.52.