Ludwig Feuerbach: Vorlesungen über das Wesen der Religion (1848) http://www.ludwig-feuerbach.de/goetz.htm "Mir war es und ist es noch jetzt hauptsächlich nur insofern um die Religion zu tun, als sie, wenn auch nur in der Einbildung, die Grundlage des menschlichen Lebens, die Grundlage der Moral und Politik ist. Mir war und ist es vor allem darum zu tun, das dunkle Wesen der Religion mit der Fackel der Vernunft zu beleuchten, damit der Mensch endlich aufhöre, eine Beute, ein Spielball aller jener menschenfeindlichen Mächte zu sein, die sich von jeher, die sich noch heute des Dunkels der Religion zur Unterdrückung des Menschen bedienen. Mein Zweck war, zu beweisen, dass die Mächte, vor denen sich der Mensch in der Religion beugt und fürchtet, denen er sich nicht scheut, selbst blutige Menschenopfer darzubringen, um sie sich günstig zu machen, nur Geschöpfe seines eigenen, unfreien, furchtsamen Gemütes und unwissenden, ungebildeten Verstandes sind, zu beweisen, dass überhaupt das Wesen, welches der Mensch als ein anderes von ihm unterschiedenes Wesen in der Religion und Theologie sich gegenübersetzt, sein eigenes Wesen ist, damit der Mensch, da er doch unbewusst immer nur von seinem eigenen Wesen beherrscht und bestimmt wird, in Zukunft mit Bewusstsein sein eigenes, das menschliche Wesen zum Gesetz und Bestimmungsgrund, Ziel und Maßstab seiner Moral und Politik mache." Und dann folgt ein berühmter, oft zitierter Satz: "Der Zweck meiner Schriften, so auch meiner Vorlesungen, ist: die Menschen aus Theologen zu Anthropologen, aus Theophilen zu Philanthropen, aus Kandidaten des Jenseits zu Studenten des Diesseits, aus religiösen und politischen Kammerdienern der himmlischen und irdischen Monarchie und Aristokratie zu freien, selbstbewussten Bürgern der Erde zu machen." *** Wörtlich führt er aus: "Ich leugne also nicht, dass ein Jesus gewesen, eine historische Person also war, der die christliche Religion ihren Ursprung verdankt, ich leugne nicht, dass er gelitten für seine Lehre; aber ich leugne, dass dieser Jesus ein Christus, ein Gott oder Gottessohn, ein von einer Jungfrau geborenes, wundertätiges Wesen gewesen sei, dass er Kranke durch sein bloßes Wort geheilt, Stürme durch seinen bloßen Befehl beschwichtigt, Tote, die schon der Verwesung nahe waren, erweckt und selbst von dem Tode auferweckt worden sei, kurz ich leugne, dass er so gewesen ist wie ihn die Bibel uns darstellt; denn in der Bibel ist Jesus kein Gegenstand der schlichten, historischen Erzählung, sondern der Religion, also keine geschichtliche, sondern eine religiöse Person, d.h. ein in ... der Phantasie umgesetztes und umgewandeltes Wesen." Und ganz auf der Höhe der heutigen, aktuellen Leben-Jesu-Forschung - einer Höhe, auf der sich im christlichen Glauben und an die Normen der katholischen Kirche gebundene Theologen heute noch immer nicht befinden - fügt er hinzu: "Und ein törichtes oder wenigstens unfruchtbares Bestreben ist es, die geschichtliche Wahrheit von den Zusätzen, Entstellungen und Übertreibungen der Einbildungskraft scheiden zu wollen. Es fehlen uns hierzu die historischen Mittel. Der Christus, der oder wie er uns in der Bibel überliefert ist - und wir wissen von keinem andern -, ist und bleibt ein Wesen, ein Geschöpf der menschlichen Einbildungskraft." Feuerbach schildert dann, dass es gegen seine Behauptung, der geistige Gott der Christen sei nur ein Produkt menschlicher Einbildungskraft, massiven Protest gibt. Hierzu wieder ein Zitat: "Gegen diese Behauptung haben die Gläubigen, insbesondere die Theologen, entsetzlich deklamiert und ausgerufen: Wie ist’s möglich, dass das eine bloße Einbildung sei, was Millionen soviel Trost gewährt hat, dem Millionen selbst ihr Leben aufgeopfert haben? Aber das ist gar kein Beweis für die Wirklichkeit und Wahrheit dieser Gegenstände. Die Heiden haben ihre Götter ebensogut für wirkliche Wesen gehalten, haben ihnen Hekatomben von Stieren, haben ihnen sogar das Leben, sei es nun ihr eigenes oder das anderer Menschen, aufgeopfert, und doch gestehen jetzt die Christen, dass diese Götter nur selbstgeschaffene, eingebildete Wesen waren. Was die Gegenwart für Wirklichkeit hält, das erkennt die Zukunft für Phantasie, für Einbildung. Es wird eine Zeit kommen, wo es ebenso allgemein anerkannt sein wird, dass die Gegenstände der christlichen Religion nur Einbildung waren....Es ist nur der Egoismus des Menschen, dass er seine Gott für den wahren, die Götter anderer Völker für eingebildete Wesen hält." Neben Phantasie und Einbildungskraft führt Feuerbach noch einen weiteren Grund an, warum der Mensch an Gott bzw. an Götter glaubt. Er glaubt an ein vollkommenes Wesen, weil er selbst wünscht, vollkommen zu sein. Er glaubt an ein unsterbliches Wesen, weil er selbst nicht zu sterben wünscht. Was er selbst nicht ist, aber zu sein wünscht, dass stellt er sich in der Gottheit vor. Wörtlich sagt er: "Die Götter sind die als wirklich gedachten, die in wirkliche Wesen verwandelten Wünsche des Menschen; ein Gott ist der in der Phantasie befriedigte Glückseligkeitstrieb des Menschen." In diesem Zusammenhang taucht der schon wiederholt von ihm verfolgte Gedankengang auf, dass Religion letztlich dem menschlichen Egoismus entspringt. Es ist für seine Selbstliebe unerträglich, dass die Natur mit unabänderlicher Notwendigkeit wirkt. Seine Wunschvorstellung von einem menschenähnlichen und menschenliebenden Wesen, das die Natur lenkt und regiert und den Menschen in seinen besonderen Schutz nimmt, will er nicht aufgeben. Diese Vorstellung von der göttlichen Vorsehung und der Liebe Gottes entspringt seiner Selbstliebe, aber nur, solange das Herz im Dienst der Einbildungskraft steht und ebendeswegen auch nur in religiösen Einbildungen seinen Trost findet. * * * ie 24. Vorlesung beginnt. Da heißt es: "Ich für meinen Teil gebe keinen Pfifferling für politische Freiheit, wenn ich ein Sklave meiner religiösen Einbildungen und Vorurteile bin. Die wahre Freiheit ist nur da, wo der Mensch auch religiöse frei ist, die wahre Bildung nur da, wo der Mensch seiner religiösen Vorurteile und Einbildungen Herr geworden ist.... Wo daher die Menschen politisch frei, religiös unfrei sind, da ist auch der Staat kein vollkommener oder noch nicht vollendeter. ... Was aber ... die Glaubens- und Gewissensfreiheit betrifft, so ist’s allerdings die erste Bedingung eines freien Staates, dass ‚jeder nach seiner Facon selig werden‘, jeder glauben kann, was er will. Aber diese Freiheit ist eine sehr untergeordnete und inhaltslose; denn sie ist nichts anderes als die Freiheit oder das Recht, dass jeder auf eigene Faust ein Narr sein kann."