hl I P I I ' I......I IIIWP n^ess Branch Butler Lending Rapid #: -1296791 Ariel IP: 129.82.31.248 CALL #: B3 .Z33 LOCATION: ZCU :: Butler :: glx TYPE: Article CC:CCG JOURNAL TITLE: Zeitschrift fur philosophische Forschung USER JOURNAL TITLE: Zeitschrift f????r philosophische Forschung ZCU CATALOG TITLE: Zeitschrift fur philosophische Forschung. ARTICLE TITLE: Regelfolgen 20 Jahre nach Kripkes Wittgenstein ARTICLE AUTHOR: Esfeld, Michael VOLUME: 57 ISSUE: 1 MONTH: YEAR: 2003 PAGES: 128-138 ISSN: 0044-3301 OCLC #: CROSS REFERENCE ID: 251723 VERIFIED: BORROWER: COF :: Morgan Library PATRON: Losonsky, Michael PATRON ID: PATRON ADDRESS: PATRON PHONE: PATRON FAX: PATRON E-MAIL: PATRON DEPT: PATRON STATUS: PATRON NOTES: SilverPlattenPHIL (Via SFX) RAPID ÍUL This material may be protected by copyright law (Title 17 U.S. Code) System Date/Time: 8/23/2007 7:08:44 AM MST https://rapid2.1ibrary.colostate.edu/Ill/ViewQueue.aspx?ViewType=PendingByBranch&Id=:::35 8/23/2007 129.82.31.248 -1296791 Michael Esfeld, Lausanne Regelfolgen 20 Jahre nach Kripkes Wittgenstein i. Was ist das Problem des Regelfblgens? Seit vor zwanzig Jahren Saul Kripkes Buch Wittgenstein über Regeln und Privatsprache erschien (Kripke (1982)), ist das Problem des Regelfblgens in das Zentrum der Sprachphilosophie gerückt. Dieser Diskussionsbericht geht zunächst darauf ein, worin dieses Problem besteht (Abschnitt 1). Es folgt dann eine Analyse von Kripkes Herausforderung (Abschnitt 2); Thema dieses Berichtes ist jedoch nicht die Exegese von Kripke oder die Frage, inwiefern Kripke die Intentionen von Wittgenstein richtig wiedergibt. Im Zentrum steht ein Überblick über die vorgeschlagenen systematischen Lösungen und die Aufgaben, welche diese Lösungsvorschläge erfüllen müssen, um erfolgreich sein zu können (Abschnitte 3 und 4). Angesichts der großen Menge an Literatur können in diesem Bericht nur exemplarisch Belege für die wichtigsten Positionen gegeben werden. Der Name »Kripke« steht im Folgenden für den Autor des oben genannten Buches, auch wenn Kripke selbst sich nicht mit allem, was er in dem Buch als seine Lesart Wittgensteins präsentiert, identifiziert. Die Quelle für das Problem des Regelfolgens in der heute diskutierten Form sind die Philosophischen Untersuchungen von Ludwig Wittgenstein (1952), insbesondere §§ 138-242. Mit Regelfolgen ist, kurz gefasst, dieses gemeint: Wenn eine Person über einen Begriff verfügt, dann hat sie die Fähigkeit, diesen Begriff in unbestimmt vielen neuen Situationen zu verwenden. Wenn eine Person beispielsweise über den Begriff »Baum« verfügt, dann weiß sie in unbestimmt vielen neuen Situationen, mit denen sie konfrontiert ist, von welchen Dingen es korrekt ist, zu sagen, „Dies ist ein Baum", und von welchen Dingen es nicht korrekt ist, dieses zu sagen. Das kann man so ausdrücken: Indem eine Person einen Begriff gebraucht, folgt sie einer Regel, die sagt, was korrekt und was inkorrekt in der Verwendung des betreffenden Begriffs ist. Wittgenstein zeigt gemäß der Interpretation von Kripke: Es gibt an allem Mentalen - wie mentalen Ideen oder Repräsentationen - und allem Naturalen - wie Dispositionen zu einem bestimmten Verhalten - nichts, das über sich selbst hinausweist und determinieren könnte, was die korrekte Verwendung eines bestimmten Begriffs in einer neuen Situation ist. Der Grund ist, dass alles Naturale und alles Mentale unser Denken nur leiten könnte, indem es als eine bestimmte Bedeutungs-Regel interpretiert wird. Jeder mentale und jeder naturale Kandidat für etwas, in dem die Bedeutung unserer Überzeugungen bestehen soll, ist jedoch endlich und kann demzufolge mit unendlich vielen logisch möglichen Bedeutungs-Regeln in Einklang gebracht werden. (Für den Zweck dieses Berichtes spreche ich nur von der Bedeutung unserer Überzeugungen; ich verstehe »Bedeutung« dabei als Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 57 (2003), 1 Regelfolgen 20 Jahre nach Kripkes Wittggenstein 129 synonym mit »begrifflichem Inhalt« und beziehe mich sowohl auf Überzeugungen als auch auf Aussagen). Das Problem des Regelfolgens ist daher die Frage, wie wir im Verwenden von Begriffen und damit im Bilden von Überzeugungen bestimmten Bedeutungs-Regeln folgen können. Zwei Aspekte dieses Problems können unterschieden werden: • der Infinitäts-Aspekt. Wie kann etwas Finites nur eine Regel instantiieren anstatt unendlich vieler? Die skeptische Herausforderung, die Kripke formuliert, lautet: Für jedes Endliche gibt es in jeder neuen Situation unbegrenzt viele mögliche Weisen, im Einklang mit diesem Endlichen zu denken und zu handeln. Jede dieser Weisen stimmt mit der Regel überein, welche dieses Endliche instantiiert, unter einer Interpretation dessen, was diese Regel ist. • der Normativitäts-Aspekt. Was bestimmt, welches die korrekte Weise ist, einen Begriff in einer neuen Situation zu verwenden, so dass die betreffende Person einer Regel folgt im Sinne dessen, dass ihr eine Unterscheidung zwischen korrektem und inkorrektem Regelfolgen zur Verfügung steht? Die skeptische Herausforderung, die Kripke formuliert, lautet: Für jede neue Situation, einen Begriff zu gebrauchen, ist nicht bestimmt, was die korrekte Weise ist, den betreffenden Begriff in der betreffenden Situation zu verwenden. Das Problem des Regelfolgens betrifft somit die Frage, wie es überhaupt möglich ist, dass Personen Überzeugungen mit einer bestimmten Bedeutung bilden. Die skeptische Herausforderung braucht nicht als ein ernsthafter Zweifel daran verstanden zu werden, dass wir Überzeugungen mit einer bestimmten Bedeutung haben. Die Herausforderung ist, zu zeigen, aufgrund wovon unsere Überzeugungen eine bestimmte Bedeutung haben. 2. Was genau ist Kripkes Behauptung? Kripke behauptet, dass es keine Fakten der Bedeutung gibt. Damit ist in jedem Fall gemeint, dass es keine nicht-semantischen Fakten gibt, welche die Bedeutung unserer Überzeugungen festlegen. Diese Behauptung lässt zwei Lesarten zu: eine ontologische und eine epistemologische. Die ontologische Lesart ist, dass die Bedeutung der Überzeugungen von Personen auf keinen nicht-semantischen Fakten superveniert. Die epistemologische Lesart ist, dass es nicht möglich ist, die Bedeutung der Überzeugungen von Personen aus der Beschreibung nicht-semantischer Fakten herauszulesen: Jede Beschreibung nicht-semantischer Fakten ist mit unbestimmt vielen logisch möglichen Bedeutungen der Überzeugungen von Personen vereinbar. Kurz, es ist nicht möglich, die Beschreibung der Bedeutung der Überzeugungen einer Person auf eine Beschreibung von nichtsemantischen Fakten zu reduzieren. Insbesondere Soames (1998) hat die Unterscheidung zwischen diesen beiden Lesarten herausgearbeitet. I30 Michael Esfeld Die ontologische Lesart trifft in einem eingeschränkten Sinne zweifellos Kripkes Intention: Die Bedeutung der Überzeugungen einer Person superve-niert nicht auf physikalischen Fakten in Bezug auf die betreffende Person (wie deren Verhaltensdispositionen oder deren Gehirnzuständen), und sie superve-niert auch nicht auf mentalen Fakten (wie mentalen Ideen, Repräsentationen oder Erfahrungen, nicht-begrifflich verstanden). Fraglich wird die ontologische Lesart jedoch dann, wenn man sie auf eine globale Supervenienz-These bezieht: Betrachten wir zwei mögliche Welten, die in allem Physikalischen und allem Mentalen, insofern dieses nicht-begrifflich ist, gleich sind - kurz, die in Bezug auf alle nicht-semantischen Fakten übereinstimmen. Sollen wir Kripke so verstehen, dass solche Welten sich dennoch in Bezug auf die Bedeutung der Überzeugungen der Personen in ihnen unterscheiden können? Man kann eine solche Position vertreten. Aber die überwiegende Meinung in der Literatur ist, dass Kripkes Beschreibung des Problems des Regelfolgens kein Argument gegen die heutige Standardposition in der Philosophie des Geistes enthält, gemäß der alles Mentale einschließlich der Bedeutung der Überzeugungen von Personen auf dem Physikalischen global genommen superveniert (vergleiche Soames (1998); siehe aber auch Boghossian (1989), S. 515-516). Unbestritten ist, dass Kripkes Behauptung den folgenden epistemologischen Gehalt hat: Die Beschreibung der Bedeutung der Überzeugungen einer Person kann auf keine Beschreibung nicht-semantischer Fakten reduziert werden. Es besteht in der Literatur die Tendenz, Kripkes Behauptung als ein prinzipielles und generelles Argument für Nicht-Reduzierbarkeit zu verstehen: Selbst wenn, per impossibile, eine Beschreibung aller nicht-semantischen Fakten der Welt zur Verfügung stände, könnte - welche Theorie der Reduktion auch immer man heranzieht - die Beschreibung von Bedeutung nicht auf diese Beschreibung reduziert werden. Wenn man diese Position zusammen mit der Position vertritt, dass Kripkes Argument nicht gegen die globale Supervenienz des Mentalen einschließlich des Begrifflichen auf dem Physikalischen spricht, dann ist man allerdings auf die Sicht festgelegt, dass globale Supervenienz als eine ontologische These keine epistemologische These der Reduzierbarkeit impliziert. Sollte diese Sicht nicht zu halten sein, ergäbe sich eine Parallele zwischen der ontologischen und der epistemologischen Lesart von Kripkes Behauptung: Eine generelle, prinzipielle Nicht-Reduzierbarkeit der Beschreibung von Bedeutung könnte man dann nur zusammen mit der Zurückweisung globaler Supervenienz vertreten. Wollte man an globaler Supervenienz festhalten, könnte man nur eine zwar immer noch prinzipielle, aber doch lokal eingeschränkte Nicht-Reduzierbarkeit vertreten: Die Beschreibung der Bedeutung der Überzeugungen von Personen ist prinzipiell nicht reduzierbar auf eine Beschreibung von Physikalischem der betreffenden Person - wie deren Gehirnzuständen oder Verhaltensdispositionen - und nicht-begrifflichem Mentalen (wie Repräsentationen oder vorbegriffliche Erfahrungen). Regelfolgen 20 Jahre nach Kripkes Wittggenstein 131 3. Direkte Lösungen Als direkte Lösungen des Problems des Regelfolgens gelten alle diejenigen Versuche, Fakten zu finden, die dem Begriffsgebrauch von Personen vorgegeben sind und auf deren Beschreibung die Beschreibung der Bedeutung der Überzeugungen einer Person reduziert werden kann. Hierunter fallen nicht nur nichtsemantische Fakten. Eine Form einer direkten Lösung besteht in der Annahme, dass es semantische Fakten unabhängig von dem Begriffsgebrauch von Personen gibt. Katz (1990, Kapitel 2 bis 4, insbesondere S. 171-174) vertritt, dass es Sinne als etwas gibt, das vom Physikalischen ebenso wie vom Denken der jeweiligen Person unabhängig ist. Diese abstrakten Sinne sind finit. Auf diese Weise möchte Katz den Infinitäts- und dann auch den Normativitäts-Aspekt des Problems des Regelfolgens vermeiden. Fraglich bleibt allerdings, wieso eine endliche Reihe mentaler Akte nur einen solchen Sinn ausdrücken sollte. Um das Unbestimmtheits-Problem zu lösen, müsste folgende Frage beantwortet werden: Was ist es, das an dem mentalen Zustand einer Person ihr Erfassen des Sinnes Z7von ihrem Erfassen des Sinnes G unterscheidet, wenn die Anwendung dieser Sinne fur einen bestimmten endlichen Bereich übereinstimmt? Der weitaus überwiegende Teil direkter Lösungen versucht, nicht-semantische Fakten aufzuweisen, von denen aus semantische Fakten im Sinne der Bedeutung der Überzeugungen von Personen verstanden werden können. Zwei Arten von Fakten bieten sich an: mentale und physikalische Fakten. Die Mehrheit dieser Lösungen fällt unter den zweiten Typ: Sie bezieht sich auf Dispositionen von Personen zu einem bestimmten Verhalten, die ohne die Bezugnahme auf mentale oder semantische Fakten beschrieben werden können. Die Idee ist, dass die Beschreibung der Bedeutung der Überzeugungen einer Person auf eine Beschreibung von bestimmten Verhaltensdispositionen reduziert werden kann. Ein prominenter diesbezüglicher Ansatz geht von funktionalen Erklärungen in der Biologie aus. Die biologische Funktion einer Eigenschaft ist dasjenige, aufgrund dessen diese Eigenschaft sich als etwas, das zum Überleben und damit zur Reproduktionsfähigkeit des betreffenden Organismus beiträgt, im Prozess der natürlichen Selektion durchgesetzt hat (aetiologische Theorie) beziehungsweise dasjenige, was diese Eigenschaft gegenwärtig zum Überleben und zur Reproduktionsfähigkeit des betreffenden Organismus beiträgt (dispositionale Theorie) (siehe McLaughlin (2001)). Wenn das biologische Funktionskonzept auf die Semantik übertragen wird, dann ist die Idee, dass (a) mentale Eigenschaften von Personen einschließlich der Eigenschaft, Überzeugungen zu haben, funktionale Eigenschaften im biologischen Sinne sind und dass (b) auch deren semantischer Aspekt durch deren biologische Funktion verstanden werden kann. Diese Idee findet sich schon bei McGinn (1984, S. 168-175). Sie wird insbesondere von Millikan (1990) auf der Basis einer aetiologischen Theorie biologischer Funktionen ausgearbeitet (siehe auch Miscevic (1996)). Es gibt gewichtige Bedenken dagegen, ob auf diese Weise der Infinitäts- und 132 Michael Esfeld der Normativitäts-Aspekt des Problems des Regelfolgens gelöst werden können. Was den ersten Aspekt betrifft, so ist das Problem, dass die Bedeutung unserer Überzeugungen feingliedriger ist als deren Bezug zur Welt: Jede kausal-funktionale Beziehung zur Welt scheint eine ganze Reihe verschiedener intensionaler Beschreibungen zu erfüllen. Was den zweiten Aspekt betrifft, so sind biologische Funktionen keine Normen: Wenn ein bestimmtes Verhalten dem Überleben und der Reproduktion eines bestimmten Organismus förderlich ist, folgt daraus nicht die Norm, dass es für den Organismus korrekt ist, sich in der betreffenden Weise zu verhalten. Selbst wenn biologische Funktionen in gewisser Weise normativ vom Standpunkt der Evolution aus sein sollten, bleibt die Frage bestehen, wie ein denkendes Wesen von seiner Perspektive aus eine Unterscheidung zwischen korrektem und inkorrektem Regelfolgen zur Verfügung haben kann. Ähnliche Einwände treffen Positionen, die Bedeutung von mentalen Fakten im Sinne mentaler Repräsentationen aus verstehen wollen. Fodor (1990) vertritt eine Konzeption asymmetrischer Abhängigkeit, der zufolge die physikalische Umwelt mentale Repräsentationen verursacht, welche die primären Bedeutungsträger sind. Kühe zum Beispiel verursachen Kuh-Repräsentationen (und nur aufgrund dieser gesetzesmäßigen Abhängigkeit kann auch anderes Kuh-Repräsentationen verursachen). Es kann jedoch auch gegen Fodors Konzeption eingewendet werden, dass offen bleibt, wie Kausalbeziehungen zur Umwelt so feingliedrig sein können, dass von ihnen aus der Schritt zu mentalen Repräsentationen verstanden werden kann, die hinreichen, um die Bestimmtheit der Bedeutung unserer Überzeugungen zu erfassen. Damit bleibt auch offen, wie von mentalen Repräsentationen aus verstanden werden kann, was der korrekte Gebrauch eines Begriffes ist. In der Auseinandersetzung um direkte Lösungen geht es nicht darum, dass unter Bezugnahme auf nicht-semantische Fakten der Spielraum der möglichen Bedeutungen der Überzeugungen und Aussagen einer Person in irgend einer Weise eingegrenzt werden kann. Die Frage ist, ob es eine Beschreibung nicht-semantischer Fakten gibt, die hinreicht, um die Bestimmtheit der Bedeutung unserer Überzeugungen zu erfassen. Die Bestimmtheit der Bedeutung zu erfassen, heißt insbesondere, dem Rechnung zu tragen, dass Bedeutung (Intension) feingliedriger ist als Referenz (Extension). Ein Maßstab dafür, ob diese Aufgabe gelöst ist, kann das berühmte Beispiel von Quine (i960) sein: Quine entwirft eine Situation, in der wir einer Person begegnen, mit der wir keine Sprache teilen. Wann immer ein Kaninchen vorbeiläuft, äußert die Person den Ein-Wort-Satz „Gavagai". Quine zeigt, dass es auf der Grundlage des Verhaltens der Person und der Kausalbeziehungen zwischen ihr und der Umwelt unbestimmt ist, ob „Gavagai" bedeutet „Dies ist ein Kaninchen", „Dies ist eine zeitliche Phase eines Kaninchen", „Dies ist ein unabgetrennter Kaninchenteil", „Dies ist eine Instantiation von Kaninchenheit" etc. (Kapitel 2, insbesondere S. 51-53, deutsch S. 101-104). Es ist in dem Kontext von diesem Beispiel zwar bestimmt, worauf die Person Bezug nimmt; aber die Bedeutung ihrer Aussage ist auf der betrach- Regelfolgen 20 Jahre nach Kripkes Wittgenstein 133 teten Grundlage nicht bestimmt. Es scheint, dass diese Schlussfolgerung unabhängig davon gilt, dass die Dispositionen der betrachteten Person endlich sind. Quine zieht aus diesem Beispiel die Konsequenz, dass es eine Bedeutung, die feingliedriger ist als Extension, nicht gibt und führt dann Ersatz-Bedeutungen ein, die durch Sinnesreize hinreichend bestimmt sind. Wenn man, wie Quine, Eliminativist in Bezug auf Bedeutung im herkömmlichen Sinne ist, stellt sich das Problem des Regelfolgens nicht. Ob eine naturalistische Reduktion im Unterschied zu einer Elimination von Bedeutung erfolgreich ist, entscheidet sich jedoch daran, ob diese Reduktion die Feingliedrigkeit der Bedeutung unserer Überzeugungen erfassen kann. 4. Skeptische und pragmatische Lösungen Kripke stellt direkten Lösungen des Problems des Regelfolgens das gegenüber, was er eine »skeptische Lösung« nennt. Der Unterschied zwischen einer direkten und einer skeptischen Lösung ist dieser: Eine direkte Lösung gibt Wahrheitsbedingungen für Aussagen an, die Personen Überzeugungen mit einer bestimmten Bedeutung zuschreiben. Wahrheitsbedingungen sind in diesem Zusammenhang als Wahrmacher in folgendem Sinne zu verstehen: Unabhängig davon, ob einer Person eine Überzeugung mit einer bestimmten Bedeutung zugeschrieben wird, gibt es ein Faktum dessen, das eine solche Zuschreibung wahr macht. Eine skeptische Lösung bestreitet, dass es Wahrheitsbedingungen für solche Zuschreibun-gen gibt. Es werden lediglich Behauptbarkeitsbedingungen anerkannt. Dass eine Person eine Überzeugung mit einer bestimmten Bedeutung hat, ist genau dann behauptbar, wenn die Person an einer sozialen, sprachlichen Praxis teilnimmt, in der sie von anderen Personen so behandelt wird, dass sie Überzeugungen des betreffenden Typs hat. Kripkes skeptische Lösung fällt nicht unbedingt mit einer sozialen Gebrauchstheorie der Bedeutung zusammen. Horwich (1998) zum Beispiel vertritt eine Theorie, gemäß der Bedeutung durch soziale Fakten des Gebrauchs konstituiert wird. Horwichs Theorie ist ebenfalls eine direkte Lösung. Es kann der Einwand erhoben werden, dass soziale Fakten - genauso wie physikalische und mentale Fakten - dem Infinitäts- und dem Normativitäts-Aspekt des Problems des Regelfolgens ausgeliefert sind: Ein Faktum des bisherigen Gebrauchs weist als solches nicht über sich selbst hinaus und kann daher nicht als Norm für den zukünftigen Gebrauch fungieren (vergleiche Kripke (1982), S. 110-112, deutsch S. 138-140, und Miller (2000)). Die skeptische Lösung lässt den Schritt von Behauptbarkeits- zu Wahrheitsbedingungen deshalb nicht zu, weil es für die Gemeinschaft kein Kriterium des Begriffsgebrauchs gibt. Durch den faktischen Gebrauch wird festgesetzt, was als korrekter Gebrauch zählt. Maßstab dessen, ob ein Individuum einen Begriff korrekt gebraucht, ist die Übereinstimmung von dessen Handlungen mit denen 134 Michael Esfeld der Gemeinschaft. In Bezug auf die Gemeinschaft als ganze macht es keinen Sinn, zu fragen, ob Begriffe korrekt gebraucht werden. Es gibt nichts, welches den zukünftigen Begriffsgebrauch einer Gemeinschaft im voraus festlegt. Wright (2001, insbesondere Aufsatz 2) arbeitet diesen Punkt deutlich heraus, obwohl er nicht Kripkes skeptische Lösung teilt. Am weitesten geht Bloor (1997, Kapitel 2): Ihm zufolge gibt es keine Begriffe, deren Extension über die bisherigen Fälle der Anwendung hinaus in irgend einer Weise bestimmt ist; jede neue Anwendung eines Begriffes erfordert eine Entscheidung, für die es keine verbindlichen Kriterien auf der Grundlage des bisherigen Begriffsgebrauchs gibt. Eine pragmatische im Unterschied zu einer skeptischen Lösung erkennt Wahrheitsbedingungen für das Zuschreiben von Überzeugungen an. Genauer, beim Zuschreiben von Überzeugungen fallen Behauptbarkeits- und Wahrheitsbedingungen zusammen. Das Haben von Überzeugungen mit einer bestimmten Bedeutung besteht darin, an sozialen Praktiken dessen teilzunehmen, sich wechselseitig Überzeugungen mit einer bestimmten Bedeutung zuzuschreiben. Es gibt also kein dem Zuschreiben von Überzeugungen vorgegebenes Faktum, aus dem Bedeutung herausgelesen werden kann im Sinne der Reduzierbarkeit der Bedeutungsbeschreibung; hierdurch unterscheidet sich die pragmatische von einer direkten Lösung. Aber das wechselseitige Zuschreiben von Überzeugungen schafft Fakten der Bedeutung im Sinne von etwas, das durch diese Praktiken gemacht wird. Diese Fakten können dann als Wahrheitsbedingungen für Aussagen über die Bedeutung von Überzeugungen fungieren. Hierdurch unterscheidet sich die pragmatische von der skeptischen Lösung. Wright (2001, insbesondere Aufsatz 7) und Pettit (1993, S. 193-213) sprechen von einer Urteils- beziehungsweise Antwort-Abhängigkeit von Aussagen über Bedeutung: Das, was die Bedeutung einer Überzeugung ist, ist von unserem Urteil darüber abhängig und besteht nicht unabhängig von diesem. Der Unterschied zwischen einer direkten, einer skeptischen und einer pragmatischen Lösung des Problems des Regelfolgens kann daran verdeutlicht werden, wie diese Lösungen mit dem Infinitäts- und dem Normativitäts-Aspekt umgehen: Eine direkte Lösung bezieht sich unmittelbar auf den Infinitäts-Aspekt. Sie versucht, etwas aufzuweisen, das die unendlich vielen logisch möglichen Bedeutungen soweit einschränkt, dass die Bestimmtheit der Bedeutung unser Überzeugungen rekonstruiert werden kann. Wenn dieser Aufweis gelingt, dann gibt es etwas, das den semantisch korrekten Gebrauch eines Begriffes für unbestimmt viele neue Situationen festlegt. Eine skeptische Lösung geht davon aus, dass es so etwas nicht gibt. Daraus wird der Schluss gezogen, dass es keine rationalen und normativen Kriterien für den zukünftigen Gebrauch eines Begriffes gibt; die Normativität bezieht sich ausschließlich auf die jeweilige Übereinstimmung zwischen Individuum und Gemeinschaft. Eine pragmatische Lösung setzt beim Normativität^- im Unterschied zum Infinitäts-Aspekt an. Zentral ist das Konzept von Sanktionen. Sanktionen im Sinne von Bestärkungen oder Zurückhaltungen bestimmter Handlungsweisen sollen einer Person ein Regelfolgen 20 Jahre nach Kripkes Wittggenstein 135 Kriterium der Unterscheidung zwischen dem zur Verfügung stellen, was die Person selbst für korrekt hält, und dem, was korrekt ist in den Augen anderer. Sanktionen sollen auf diese Weise für die beteiligten Personen den Spielraum möglicher Bedeutungen eingrenzen: Sie sollen den beteiligten Personen ein praktisches Wissen vermitteln, welches es ihnen ermöglicht, einer Regel ohne Interpretation zu folgen, und welches festlegt, was der korrekte Gebrauch eines Begriffes in unbestimmt vielen neuen Situationen ist. Das entsprechende Regelbzw. Bedeutungswissen ist nur durch Teilnahme an den betreffenden Praktiken zugänglich. Die pragmatische Lösung konzipiert die Semantik von der Pragmatik aus, und zwar von einer normativen Pragmatik aus. Der Normenbegriff wird über das, was in dem Normativitäts-Aspekt des Problems des Regelfolgens angegeben ist, hinaus erweitert: Über die Kenntnis des Gebrauchs eines Zeichens verfügt man genau dann, wenn man (a) weiß, in welchen Situationen dieses Zeichen verwendet wird, und (b) weiß, worauf man sich mit der Verwendung des betreffenden Zeichens festlegt und wozu man damit berechtigt ist. Normativität fungiert in der pragmatischen Lösung mithin (a) in einem weiter gefassten Sinne als Kenntnis der Anwendung und ist (b) nicht eine Konsequenz von Bedeutung, sondern dasjenige, was Bedeutung konstituiert. Wenn von der Normativität von Bedeutung die Rede ist, muss man also unterscheiden zwischen dem Normativitäts-Aspekt des Problems des Regelfolgens, der nicht an eine bestimmte Theorie der Bedeutung gebunden ist, und Normativität als etwas, das Bedeutung konstituiert; letztere Sicht von Normativität ist an eine bestimmte Bedeutungstheorie gebunden. Eine soziale, normative Pragmatik läuft meistens auf eine inferentielle Semantik hinaus: Die Aussagen oder Überzeugungen, auf die man durch eine Aussage oder Überzeugung der Art p festgelegt ist und zu denen man berechtigt ist, bilden den inferentiellen Kontext der betreffenden Aussage oder Überzeugung. Die in dieser Hinsicht am weitesten ausgearbeitete Theorie hat Brandom (1994) vorgelegt. Der inferentielle Kontext legt zwar nicht eine Bedeutung für alle neuen denkbaren Situationen fest; aber es wird angenommen, dass er eine Bedeutung für alle neuen gängigen Situationen festlegt. Insbesondere soll der inferentielle Kontext in der Lage sein, den Unterschied zwischen zum Beispiel einer Überzeugung vom Typ „Dies ist ein Kaninchen" und einer Überzeugung vom Typ „Dies ist eine zeitliche Phase eines Kaninchen" zu rekonstruieren: Mit „Dies ist eine zeitliche Phase eines Kaninchen", nicht aber mit „Dies ist ein Kaninchen" ist man darauf festgelegt, die Aussage „Dies hat zeitliche Teile" zu akzeptieren. Darüber hinaus soll eine solche inferentielle Semantik die Möglichkeit eines realistischen Wahrheitsverständnisses und einer Objektivität der Bedeutung in dem Sinne eröffnen, dass auch der Begriffsgebrauch einer gesamten Gemeinschaft als nicht korrekt beurteilt werden kann (vergleiche Brandom (1994), Kapitel 8, und Esfeld (2002), Kapitel 2 bis 5). Die hauptsächliche Schwierigkeit für die pragmatische Lösung ist, eine de- i36 Michael Esfeld taillierte Theorie sozialer Praktiken vorzulegen. Die Rekonstruktion dessen, wie soziale Praktiken Bedeutung bestimmen können, scheint in ein Dilemma zu rühren. Das eine Horn des Dilemmas ist dieses: Man kann von sozialem Verhalten ausgehen als etwas, das als solches nicht normativ ist und das keine Bedeutung hat, und auf dieser Grundlage versuchen, Normen und über diese Bedeutung zu rekonstruieren (siehe vor allem Haugeland (1998), insbesondere S. 147-150, und Pettit (1993), S. 76-108). Dann ist jedoch nicht offensichtlich, worin sich diese Position von einer naturalistischen, direkten Lösung unter Bezugnahme auf bestimmte Dispositionen - hier Dispositionen zu sozialem Verhalten - unterscheidet: Wenn Bedeutung von sozialem Verhalten aus rekonstruiert werden kann, wieso kann die Beschreibung von Bedeutung dann nicht auf eine Beschreibung sozialen Verhaltens reduziert werden? Es abzulehnen, Bedeutung im Ausgang von sozialem Verhalten, das als solches keine Bedeutung hat, zu rekonstruieren, führt in das andere Horn des Dilemmas: Man ist dann auf die Behauptung festgelegt, dass der Diskurs über Bedeutung ein eigenständiger Diskurs in dem Sinne ist, dass von Vokabular für Nicht-Normatives aus kein Zugang zu diesem Diskurs besteht. McDowell (1984) vertritt eine solche Position (auch Brandom (1994) kann in diese Richtung gelesen werden). Innerhalb dieser Position scheint jedoch keine Rekonstruktion oder Erklärung dessen möglich zu sein, wie soziale Praktiken Bedeutung bestimmen. Eine solche Erklärung könnte nur zirkulär sein, weil sie das zu Erklärende, Bedeutung, voraussetzen muss. Die Überzeugungskraft der pragmatischen Lösung hängt vor allem davon ab, ob es gelingt, einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden. Die Überzeugungskraft einer naturalistischen, direkten Lösung hängt in erster Linie davon ab, ob es gelingt, die Bestimmtheit von Bedeutung und damit dann Normativität im Sinne des Normativitäts-Aspektes des Problems des Regelfolgens von der Beschreibung nicht-semantischer Fakten aus zu erfassen. Als Rückzugsposition bleibt eine skeptische Lösung, die aber keine rationalen Kriterien für Begriffsge-brauch angeben kann. Die Diskussion um das Problem des Regelfolgens zwanzig Jahre nach Kripkes Wittgenstein-Buch ist damit ein typisches Beispiel für eine philosophische Diskussion: Es wird ein Problem formuliert, dessen Ursprung innerhalb der Philosophie liegt, dessen Tragweite aber über eine rein fachphilosophische Bedeutung hinausreicht. Fortschritte werden erzielt in Bezug auf die detaillierte Analyse des Problems und in Bezug auf das, was eine Lösung leisten müsste. Es gibt mehrere konkurrierende Lösungsansätze, bei denen recht genau angegeben werden kann, welche Bedingungen sie erfüllen müssten, um zu überzeugen. Somit wird eine Richtung für die weitere Forschung gewiesen. Keiner dieser Lösungsansätze hat sich bisher aber als durchweg überzeugend behauptet. Regelfolgen 20 Jahre nach Kripkes Wittggenstein 137 Zitierte Literatur Bloor, David (1997): Wittgenstein, Rules and Institutions. London: Routledge. Boghossian, Paul A. (1989): „The Rule-Following Considerations". Mind 98, S. 507-549- Brandom, Robert B. (1994): Making It Explicit. Reasoning, Representing, and Discursive Commitment. Cambridge (Massachusetts): Harvard University Press. (Deutsch Expressive Vernunft. Begründung, Repräsentation und diskursive Festlegung. Übersetzt von Eva Gilmer und Hermann Vetter. Frankfurt (Main): Suhrkamp 2000). Esfeld, Michael (2002): Holismus in der Philosophie des Geistes und in der Philosophie der Physik. Frankfurt (Main): Suhrkamp. Fodor, Jerry A. (1990): A Theory of Content. Cambridge (Massachusetts): MIT Press. Haugeland, John (1998): Having Thought. Essays in the Metaphysics of Mind. Cambridge (Massachusetts): Harvard University Press. Horwich, Paul (1998): Meaning. Oxford: Oxford University Press. Katz, Jerrold J. (1990): The Metaphysics of Meaning. Cambridge (Massachusetts): MIT Press. Kripke, Saul A. (1982): Wittgenstein on Rules and Private Language. Oxford: Blackwell. (Deutsch Wittgenstein über Regeln und Privatsprache. Übersetzt von Helmut Pape. Frankfurt (Main): Suhrkamp 1987). McDowell, John (1984): „Wittgenstein on Following a Rule". Synthese 58, S. 325-363. (Wieder abgedruckt als Aufsatz 11 in Mind, Value and Reality. Cambridge (Massachusetts): Harvard University Press 1998). McGinn, Colin (1984): Wittgenstein on Meaning. An Interpretation and Evaluation. Oxford: Blackwell. McLaughlin, Peter (2001): What Functions Explain. Functional Explanation and Self-Reproducing Systems. Cambridge: Cambridge University Press. Miller, Alexander (2000): „Horwich, Meaning and Kripke's Wittgenstein". Philosophical Quarterly 50, S. 161-174. Millikan, Ruth Garrett (1990): „Truth Rules, Hoverflies, and the Kripke-Witt-genstein Paradox". Philosophical Review 99, S. 323-353. (Wieder abgedruckt als Aufsatz 11 in White Queen Psychology and Other Essays for Alice. Cambridge (Massachusetts): MIT Press 1993). Miscevic, Nenad (1996): „Computationalism and Rule Following". Proceedings of the Aristotelian Society 96, S. 215-229. Pettit, Philip (1993): The Common Mind. An Essay on Psychology, Society, and Politics. Oxford: Oxford University Press. Quine, Willard Van Orman (i960): Word and Object. Cambridge (Massachusetts): MIT Press. (Deutsch Wort und Gegenstand. Übersetzt von Joachim Schulte in Zusammenarbeit mit Dieter Birnbacher. Stuttgart: Reclam 1980). Soames, Scott (1998): „Skepticism about Meaning: Indeterminacy, Normativity, and the Rule-Following Paradox". In: A. A. Kazmi (Hg.): Meaning and Reference. Calgary: University of Calgary Press. S. 211-249. Canadian Journal of Philosophy Supplementary Volume 23. 138 Michael Esfeld Wittgenstein, Ludwig (1952): Philosophische Untersuchungen. Eds. G.E.M. An-scombe, G. H. von Wright, Rush Rhees. In: Ludwig Wittgenstein. Werkausgabe in 8 Bänden. Band i. Frankfurt (Main): Suhrkamp 1984. Wright, Crispin (2001): Rails to Infinity. Essays on Themes from Wittgensteins Philosophical Investigations. Cambridge: Cambridge University Press. BUCHBESPRECHUNGEN Ulrich Arnswald/Anja Weiberg (Hrsg.): Der Denker ah Seiltänzer. Ludwig Wittgenstein über Religion, Mystik und Ethik, 293 S., Parerga, Düsseldorf 2001. Einer der bekanntesten Bemerkungen Wittgensteins zufolge gibt es Dinge, über die man nicht sprechen könne. Von etwas zu sagen, man könne nichts darüber sagen, ist paradox, und es überrascht nicht, dass Wittgensteins Bemerkung für Aufsehen gesorgt hat und bis heute viele Philosophen fasziniert und beschäftigt. Interessanterweise hat Wittgenstein uns (etwa im Tractatus) sogar verraten, worüber genau man nichts sagen könne: über Ethik und die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Nachdem die Wittgenstein-Forschung sich lange Zeit vorwiegend mit Wittgensteins Überlegungen zu sprachphilosophischen und erkenntnistheoretischen Themen befasst hat, gibt es seit einigen Jahren vermehrt Arbeiten zu den „Rand-Themen", die für ihn so zentral waren. Die vorliegende Aufsatz-Sammlung widmet sich all diesen verschiedenen Themen, wobei der Entwicklung von Wittgensteins Denken immer gebührend Rechnung getragen wird. Wittgenstein zufolge sind authentische (religiöse etc.) Denker wie Seiltänzer. In dem vorliegenden Band wird über Stange, Seil und Netz gesprochen sowie darüber, wie ein Absturz zu vermeiden sein könnte. Die meisten Beiträge widmen sich - wie kaum anders zu erwarten - Wittgensteins Auffassungen über Ethik. Da Wittgenstein keine normative Ethik entwickelt hat, geht es hier eher um die Natur und den Status der Ethik. Monika Seekircher macht in „Wittgensteins praktische Ethik' in seinen Briefen" deutlich, dass sich aus diesen Briefen immerhin erkennen lässt, welche Art von ethischer Orientierung für den Menschen Wittgenstein kennzeichnend war: Der Wunsch, ein „authentisches" und „anständiges" Leben zu führen, ist deutlich zu erkennen. Die Bedeutung des Werts der Wahrhaftigkeit für Wittgenstein wird von Anja Weiberg („Philosophie und Leben") hervorgehoben (vgl. 275fr., 286ff). Ihr zufolge war für Wittgenstein nicht nur das persönliche Leben des Einzelnen, sondern auch die Philosophie ethischen Forderungen unterworfen, und zwar insbesondere der nach Wahrhaftigkeit. Regine Münz (,„Von mir kann ich nichts sagen. Ich lebe noch immer' - Ludwig Wittgensteins Schreiben im ersten Weltkrieg") untersucht den Zusammenhang von Zeitgeschehen, Person und Werk (vor allem dem Tractatus). Ihr zufolge kann man an Wittgensteins Tage- und Notizbüchern erkennen, dass nach dem Erleben der russischen Brussilow-Offen-sive von 1916 verstärkt mystische Themen in Wittgensteins Philosophie integriert werden (vgl. i7of). Münz zufolge drücken sich insofern in Wittgensteins Werk Kriegserlebnisse aus, die allerdings unreflektiert bleiben oder gar verdrängt werden (vgl. I75f.).