Anton Bruckner Der Komponist Anton Bruckner gehört zu den großen Einzelgängern der Musikgeschichte. Nachdem er seinen typischen Stil gefunden hatte, verlief sein Schaffen in einer stetigen Evolution völlig unabhängig von zeitgenössischen Strömungen, weswegen man sich seiner Bedeutung für die spätere Musikgeschichte erst rückwirkend bewusst wurde. Aus Bruckners kompositorischem Werk ragen die insgesamt elf Sinfonien hervor, von denen er neun als gültig betrachtete. In diesen Werken sah er selbst seine wichtigsten Kompositionen. Auffällig an seinem Werk ist die offensichtliche Zweiteiligkeit in vor 1864 und nach 1864 entstandene Werke. Die vor dem 40. Lebensjahr des Komponisten entstandenen Kompositionen sind vorrangig Vokalmusik. Es finden sich mehrere Messen und zahlreiche Motetten darunter sowie eine große Zahl weltlicher Chorwerke, meist für Männerchor. An den geistlichen Werken ist deutlich der im damaligen Oberösterreich gebräuchliche, besonders den Messen der Wiener Klassik verpflichtete Kirchenmusikstil abzulesen. Sie zeugen von gediegener Qualität und handwerklichem Talent, lassen sogar auch schon eine persönliche Handschrift erkennen. Als wohl wichtigste dieser Stücke können das 1848 verfasste Requiem, die Missa solemnis von 1854 und die Vertonung des 146. Psalms von 1858 bezeichnet werden. Die weltlichen Musiken geben einen guten Einblick in das Chorvereinswesen der damaligen Zeit. Der entscheidende Wendepunkt in Bruckners Schaffen fällt in die beginnenden 1860er Jahre, als Bruckner Studien in freier Komposition bei Otto Kitzler nahm, denn zu dieser Zeit begann er, die sinfonische Orchestermusik für sich zu entdecken. Nach einer später verworfenen f-Moll-Sinfonie widmete er sich vorerst wieder der Kirchenmusik und komponierte 1864 mit der d-Moll-Messe sein Schlüsselwerk. In dieser Komposition zeigt sich zum ersten Mal in seinem Schaffen die Synthese aus überkommener Kirchenmusiktradition und dem neuen, sinfonisch geprägten Orchesterstil Bruckners. Zwei Jahre später vollendete er seine erste Sinfonie. Damit war seine Entwicklung zum Sinfoniker abgeschlossen, denn diese Gattung erhielt nun fast die ganze Aufmerksamkeit des Komponisten. Zwar hat er später auch auf anderen Gebieten Meisterwerke geschaffen, wie das Te Deum (1884) oder das Streichquintett F-Dur (1878), doch sind diese Stücke meist durch Aufträge anderer angeregt worden und in ihrer Kompositionsweise sichtlich von den Sinfonien beeinflusst. Rezeption Zu Lebzeiten genoss Bruckner zunächst „nur“ den Ruf eines der größten Orgelvirtuosen seiner Zeit. Seine Anerkennung als Komponist musste er sich dagegen mühsam erkämpfen. Lange Jahre wurden seine Sinfonien (nicht aber die Messen und Motetten) nicht ernst genommen, ihr Schöpfer für einen unzeitgemäßen Sonderling gehalten – was er letztendlich, nur in positiverer Hinsicht, ja auch war – und von maßgeblichen Kritikern verspottet. Obwohl seine letzten Lebensjahre von immer größerem Erfolg gekennzeichnet waren, fand doch eine ernsthafte Würdigung von Bruckners Schaffen erst im 20. Jahrhundert statt. Zu tief waren zu seinen Lebzeiten noch die Gräben zwischen den Anhängern Richard Wagners und denen von Johannes Brahms mit ihrem Wortführer Eduard Hanslick. Das Problem Anton Bruckners war, dass er in keine der beiden Parteien passte: Zwar gehörte er zu den größten Verehrern Wagners, blieb jedoch von dessen Stil und Musikphilosophie so gut wie unbeeinflusst – was schon allein darin erkennbar ist, dass er die von Wagner eigentlich totgesagte Sinfonieform verwendete; andererseits unterschied Bruckner sich auch zu sehr von Brahms, den er als Konkurrenten empfand, obwohl beide im Grunde ähnliche Konzepte absoluter Musik vertraten. So wurde er simpel, sowohl von Gegnern wie von Anhängern, zu den Wagnerianern gerechnet und zog sich damit die unerbittliche Feindschaft Hanslicks zu. Bruckner ist neben Brahms und Wagner derjenige Komponist des späten 19. Jahrhunderts, dessen Schaffen wohl am stärksten richtungweisend für die folgende Entwicklung der abendländischen Musik wurde. Besonders die neunte Symphonie zeigte sich als für ihre Zeit außergewöhnlich modern. In ihrem dritten Satz antizipiert Bruckner bereits die äußerst chromatische Tonsprache des frühen Arnold Schönberg, auch hat dessen Zwölftontechnik dem Hauptthema dieses Satzes nicht unwesentlich viel zu verdanken. Gustav Mahlers ausdrucksstarke Monumentalsinfonik ist undenkbar ohne Bruckners gründliche Vorarbeit auf diesem Gebiet. Vom „Bruckner-Rhythmus“, der sich in der sechsten und neunten Sinfonie zu regelrechten Klangteppichen ausweitet, ließ sich Jean Sibelius für ähnlich rhythmisch verschlungene Strukturen in seinen Sinfonien anregen. In der folgenden Komponistengeneration ist Bruckners Einfluss besonders bei Vertretern des musikalischen Neoklassizismus anzutreffen, allen voran Paul Hindemith und Johann Nepomuk David, die vor allem Bruckners Sinn für klare Formgebung auf sich wirken ließen. Letztendlich war Bruckner auch großes Vorbild konservativerer Komponisten des 20. Jahrhunderts wie Franz Schmidt, Richard Wetz oder Wilhelm Furtwängler, die seinen Stil zur Grundlage ihrer jeweils individuellen Fortführung desselben nahmen. Ebenfalls zum großen Teil ein Verdienst Bruckners war es, dass er durch seine Messen und vor allem sein Te Deum die geistliche Musik konzertsaalfähig machte. Die Bedeutung Bruckners für die gesamte spätere Musik wurde in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg eher in den Hintergrund gerückt, da die Nationalsozialisten Bruckners Musik als „arisch-deutsch“ bezeichneten und ähnlich wie diejenige Beethovens und Wagners für propagandistische Zwecke missbrauchten. So wurde nach der Bekanntmachung von Adolf Hitlers Tod am 1. Mai 1945 das Adagio der siebenten Sinfonie (dessen Coda als Trauermusik für Wagner konzipiert wurde) im Rundfunk übertragen. Man ging sogar so weit, Bruckners Typus (klein, untersetzt, Hakennase) als eigene Unterart der Ariers zu definieren, der besonders gut für die Musik geeignet sei. Als das nicht mehr genügte, wurde Bruckner als groß, stark, blond und blauäugig beschrieben, was natürlich eine komplette Verfälschung der Tatsachen darstellte. Viele Komponisten getrauten sich in der frühen Nachkriegszeit deswegen auch nicht, sich auf Bruckner zu berufen. So wurde statt seines oft der Name des von ihm stark beeinflussten Gustav Mahler genannt. Sehr bald schon begann man jedoch, Bruckner und sein Werk wieder objektiver zu beurteilen, weshalb sich seine Musik wieder ungebrochen großer Beliebtheit in den Konzertsälen der Welt erfreut. Als wichtige Interpreten der Bruckner-Sinfonien gelten u. a. Bruno Walter, Carl Schuricht, Otto Klemperer, Wilhelm Furtwängler, Eugen Jochum, Herbert von Karajan, Kurt Eichhorn, Günter Wand, Sergiu Celibidache, Georg Tintner, Stanislaw Skrowaczewski, Bernard Haitink, Nikolaus Harnoncourt und Eliahu Inbal. Mehrere Institutionen heißen nach dem Komponisten, so nennt sich das Sinfonie- und Theaterorchester der Stadt Linz Bruckner Orchester Linz. Die Privatuniversität für Musik, Schauspiel und Tanz in Linz nennt sich Anton Bruckner Privatuniversität. Das größte Konzerthaus Oberösterreichs ist das Brucknerhaus. Im Herbst, anlässlich des Geburtstages des Komponisten, findet alljährlich das Brucknerfest in Linz statt. Mehrere Gymnasien tragen den Namen Anton-Bruckner-Gymnasium. Das Problem der Fassungen [Bearbeiten] Bruckner pflegte die meisten seiner Sinfonien auch nach der Fertigstellung weiter zu bearbeiten. Die Gründe dafür waren verschiedener Art. Manchmal hielt er das Werk in der ersten Fassung für unvollkommen, sodass er sich in der Folgezeit an eine oder mehrere Überarbeitungen derselben Komposition machte. Die Ausmaße solcher Überarbeitungen reichen von einem bloßen Feilen am Detail, vorgenommen unter einem fließenden Wandel der Vorstellung (vor allem in Periodik und Instrumentation), bis zu beinahe komplett neuen Partituren ganzer Sätze. Vor allem in der vierten Sinfonie ist Letzteres der Fall: Im Laufe der Bearbeitung dieses Werkes komponierte Bruckner einen gänzlich neuen Scherzosatz, und vom Finale sind nur noch die Themen übrig geblieben – ihre Verarbeitung und damit auch der Charakter dieses Satzes sind von der ursprünglichen Konzeption vollkommen verschieden. Während der Komponist aus eigenem Antrieb auch mit der ersten und dritten Sinfonie auf ähnliche Weise verfuhr, so trieb ihn meist aber die Aussicht auf eventuellen Erfolg dazu, seine ursprünglichen Pläne noch einmal zu überdenken: So wurde der erste Entwurf der Achten von dem Dirigenten Hermann Levi zurückgewiesen, worauf Bruckner kurzerhand eine neue Fassung erstellte, mit der dem Werk auch der Durchbruch gelang. Die Erstfassungen zeichnen sich in der Regel durch größere Unmittelbarkeit aus sowie dadurch, dass sie auf die aufführungspraktischen Möglichkeiten der Zeit kaum Rücksicht nehmen. Die späteren Fassungen wirken folglich in dieser Hinsicht geglättet, zeugen aber oft von dem mittlerweile gewachsenen Können Bruckners und strahlen meist eine stärker verinnerlichte Atmosphäre aus als die Frühfassungen. Während diese häufig mehr Wert auf die architektonische Balance der Komposition legen, bemühen sich die späteren Fassungen stärker um kürzere und konzisere Abläufe. Vor allem in der dritten Sinfonie ist das zu bemerken. Seit den 1960er Jahren bemüht sich die Bruckner-Forschung um die Auswertung der verschiedenen Fassungen. Wichtig waren auf diesem Gebiet besonders die Arbeiten Leopold Nowaks. Die Anfänge der Brucknerrezeption waren jedoch durch verfälschende Ausgaben seiner Werke geprägt. Die Hauptverantwortlichen dafür waren Bruckners Schüler Ferdinand Löwe sowie die Brüder Joseph und Franz Schalk. Sie erstellten zusätzlich zu Bruckners Fassungen noch eigenhändige Bearbeitungen zahlreicher Sinfonien, in denen sie für gewöhnlich das Klangbild weitgehend dem wagnerschen Ideal gemischter Orchesterfarben annäherten und große, nicht selten sinnentstellende Kürzungen vornahmen. Dafür hatten sie meist auch Bruckners Erlaubnis, denn die Änderungen waren durchaus gut gemeint und sollten dem Komponisten zu größeren Erfolgen beim Publikum verhelfen. Allerdings schlug diese Absicht oft ins Gegenteil um und sorgte für das lang anhaltende, u. a. durch Felix Weingartner verbreitete Fehlurteil, Bruckners Sinfonien wären Meisterwerke, wären sie nicht so sehr zerstückelt und formlos. Bruckners originale Konzeption kam erst seit dem denkwürdigen Konzert von 1932 unter Siegmund von Hausegger zum Vorschein, in dem dieser den von Löwe bearbeiteten Erstdruck und Bruckners Autograph der drei vollendeten Sätze der neunten Symphonie einander gegenüberstellte. In der Folge wurde dann durch Robert Haas erstmals eine kritische Gesamtausgabe veröffentlicht, die den niedergelegten Notentext des Komponisten wiedergab. Die Schalk- und Löwe-Fassungen sind mittlerweile der Vergessenheit anheimgefallen.