An Johannes Brahms (dt.) New York, 28.12.1894 Hochverehrter Meister und Freund! Wie und wo soll ich heute anfangen? Fünf Jahre habe ich Sie nicht gesehen - zwei Jahre bin ich schon in Amerika - diesen Sommer war ich in Böhmen - und Sic nicht gesehen! Wie vieles hätte ich Ihnen zu sagen! - Aber wie und wo anfangen? Es fällt mir schwer. -^ *■>*-' ^t^^. Schon lange hätte ich Ihnen schreiben sollen. Simrock sagte mir, daß Sie die große Freundlichkeit hatten, meine Sache durchzusehen, und auch Suk und Nedbal sagten, daß Sie Ihnen in Wien von den Ouvertüren erzählten, und vieles, vieles andere sagt mir, welch einen unschätzbaren Gönner ich in Ihnen habe - und so kann ich heute nur die schlichten Worte sagen: Dank, herzlichster Dank sei Ihnen für alles, was Sie mir und für mich getan haben! Wie habe ich mich gefreut, Sie in Iscjil diesen Sommer aufzusuchen - aber der Mensch denkt, Gott lenkt - die Krankheit meiner Tochter Anna verhinderte meine Pläne, und so durfte ich mich nicht rühren von Vysoká. Dann kam ich im September zurück nach Prag, und im Oktober mußte ich wieder meine Reise nach Amerika antreten. Nun sitze ich wieder hier und tue was ich eben kann. Fünf Kinder habe ich in Prag gelassen und der Bube Otakar und meine Frau sind ganz allein hier, und so haben wir oft Heimweh, wenn ich was schreiben kann, so ist es die einzige Erholung für mich. Zwar sind hier Musik-Genüsse genug, aber ich ziehe mich möglichst zurück - nur dann und wann gehe ich in philharmonische oder Kammermusik Konzerte, und die sind hier sehr schön. Ihre c-Moll und nächstens Ihre e-Moll werden wir hier hören - wie freue ich mich - Seidl dirigiert. Und wie! Nächstens werden auch alle meine drei Ouvertüren (aber mit Erklärungen) aufgeführt. Ich lese soeben in den Wiener Zeitungen, daß Richter die »Karneval« Ouvertüre am 9. Dezember gespielt hat und nicht wie so oft - meine Komposition abgelehnt wurde. Herr Simrock hat mir schon lange nicht geschrieben, vielleicht wird er es tun, da ich ihm heute die Korrektur der Biblischen Lieder geschickt habe. Was mag wohl nun schon Dr. Hanslick tun, da er jetzt in Pension getreten ist - er bleibt doch immer treu der Neuen freien Presse? Wie oft gucke ich nach den Buchstaben E. H. in der Presse, aber wie selten finde ich da etwas. Wie das kommt, weiß ich nicht. Da uns nur noch drei Tage vom neuen Jahr trennen, so will ich auch gleich bei dieser Gelegenheit Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche sagen, und bitte Sie, mir Ihre so werte Freundschaft zu bewahren. Daß dieser Brief so ungeraten ist - verzeihen Sie gütigst - aber Briefe an Sie zu schreiben halte ich für sehr schwer, vornehmlich aber dann, wenn man so vieles zu sagen hat - aber Sie kennen mich zu gut wie nicht jemand anderer und so glaube ich, daß ich mich meiner Aufgabe für heute so gut wie möglich entledigt habe, und bleibe ich mit herzlichsten Grüßen Ihr ergebenster ocíc^c m~ Antonin Dvorak An Oiilie,Anna, Magdalena, Antonín, Aloisie Dvorak und Klotilda Čermáková New York, 28.12.1894 Teure Kinder, teure Großmutter! Heute, am Samstag morgen (schon nach den Feiertagen), haben wir endlich den sehnsüchtig erwarteten Briet von Euch erhalten. Es kamen drei auf einmal und von Herrn Bolešek auch. War das eine Freude! Unbeschreiblich! Was haben wir seit Heiligabend über die Feiertage gelitten! Immer dachten wir, die »Lucania« (sie legte am 15. von Liverpool ab) würde etwas bringen, doch leider nein. Und so hatten wir keine Hoffnung mehr, bis die »Majestatic« kommen würde, die am 19. in Liverpool ausgelaufen ist. Endlich kam sie gestern, am Freitag, an. Doch es gab ein fürchterliches Gewitter, und man ließ sie nicht in New York einlaufen. Wir haben Eure Briefe verschlungen, sie haben uns nach den Sorgen über die Feiertage große Freude bereitet. Es waren wahrlich traurige Feiertage für uns. Aber was hilft es, das Wichtigste ist, daß wir einen Brief von Euch haben. Mutter sagte immerzu, es sei wohl jemand krank,