BIRNEN, FEIGEN UND MELONEN Auf der breiten Landstraße fuhr ein Lastwagen mit großem Getöse. Auf seiner Ladefläche klapperten die aufgestapelten Obstkisten gegeneinander: Pflaumen, Apfel. Birnen, Feigen und Wassermelonen waren beisammen. ..Der fährt ja wie ein Wahnsinniger! Wenn das so weitergeht, kriegen wir lauter blaue Flecken!" meckerten die gelben Birnen. „Und das ist wirklich eine lange Reise!" sagten die rotbackigen Apfel. „Wir sind gestern am Bodensee aufgeladen worden. Woher kommt ihr?" fragten die Birnen. „Sieht man uns denn das nicht an? Wir kommen aus dem Schwarzwald!" antworteten die Apfel und streckten gleich ihre Brust heraus, damit man sie besser sähe. „Wir", unterbrachen die Pflaumen, „waren bis jetzt auf ejnem großen Bauernhof im Bayerischen Wald!" „Euch Pflaumen kennen wir gut!" sagten die Birnen. .Wo wir herkommen, auf unserem Bauernhof, gibt es auch einige Pflaumenbäume! Nur, die werden nicht abgeerntet. Wenn die Pflaumen reif sind, fallen sie auf die Erde und faulen vor sich hin. Keiner mag sie!" fügten die Birnen gehässig hinzu. Die Pflaumen wurden richtig schwarz vor Wut. Doch bevor sie etwas sagen konnten, rief jemand: „Ich schon kennen! Wir zu Hause auch auf Boden faul werden. Viel, viel auf Boden fallen!" Es war eine kleine Feige. „Ja, Ja!" stimmten die anderen Feigen zu. „Du fremdes Gemüse, he? Woher du kommen?" fragten die Apfel. „Ich Obst, nicht Gemüse! Aus Griechenland, Pelopon-nes kommen. Dort uns keiner mehr wollen. Hierbei euch uns gerne mögen!" „Hm! Also ehrlich gesagt verstehe ich es nicht. Wer soll euch hier mögen?" fragten die Birnen mit ihrer zickigen Stimme. „Fremdes Gemüse ist bei uns nicht mehr gefragt. Es wird zurückgeschickt! Wohl nie vom Importstop gehört! Und wißt ihr, was dann passiert? Nicht auf Erde, sondern in Kisten faul werden! Hi, hi, hü". Die Birnen lachten giftig; und sie wurden noch gelber. Fast wie saure Zitronen sahen sie jetzt aus. Da hörte man plötzlich ein komisches Knirschen. Es waren die runden Wassermelonen. Sie rieben ihre dicken Bäuche aneinander und brachen dann in lautes Gelächter aus. „Ihr redet ein komisches Zeug!" sagten sie. „Wir Melonen, aber auch die Feigen, sind bei euch besonders gefragt! Also was soll der Quatsch über fremdes Obst?" „Du Wasserkopf, du!" entgegneten die Birnen. „Nichts verstehen? Unser Obstmarkt ist doch vom fremden Gemüse überschwemmt. Ihr seid unerwünscht!" Bei diesen Worten quietschten die Bremsen des Lastwagens. Die Ladeklappe wurde aufgemacht und die Kisten schnell ausgeladen. „Paß auf die Feigen auf!" sagte die Gemüsehändlerin zu einem jungen Mann, der die Kisten in den Laden brachte. „Sie sind frisch und sehr empfindlich! Feigen und Melonen kommen ganz vorne ins Schaufenster. Birnen und Apfel kippst du in die großen Körbe, die hinten im Laden stehen. Die halten länger und können auch warten. Die Pflaumen werden neben der Tür als Sonderangebot verkauft." "Dann setzte sich die Frau, nahm Zellophanpapier und wickelte jede Feige einzeln ein. Sie legte sie vorsichtig nebeneinander auf ein Tablett und stellte es ins Schaufenster. „Ich verstehe die Welt nicht mehr!" dachte eine kleine Feige. „In unserer Heimat ist keiner mehr da, uns zu pflücken, und hier werden wir wie rohe Eier behandelt!" „Wir verstehen die Welt nicht mehr!" dachten auch die Birnen und wackelten empört auf ihrem runden Unterteil hin und her. „Man sagt doch immer bei uns, daß fremdes Gemüse zurück muß, und dann wickelt man es auch noch in Luxuspapier!" riefen sie laut. „Vielleicht sind es die neuen Maßnahmen, damit sie schneller gefressen werden!" meinten die Äpfel. Einige Tage später trafen sich die Streitenden wieder. Dieses Mal war es auf der weißen Tischdecke eines teuren Restaurants: Melonen mit Schinken, Birnen im Eisbecher als „Birne Helene" und flambierte Feigen. Torossi, Eleni: Tanz der Tintenfische. Gutenachtgeschichten nicht nur für Kinder. Kiel: Neuer Malik-Verlag, 1986. S. 7-10. A25