Sommersemester 2004 Tomáš Butala (40801) Schicks Beitrag zum kulturellen Leben in Brünn Als Eugen Schick im Jahre 1909 im Alter von zweiunddreißig Jahren starb, bedeutete sein Tod einen großen Verlust für die deutsche Literatur in Brünn. Nicht unbedingt, weil Schick selbst Kurzprosa und Lyrik geschrieben hat, sondern mit ihm verschwand einer der führenden Geister des Kulturlebens in dieser Stadt. Die Bedeutung dieses Litaraten bestand mehr in seiner journalistischen und publizistischen Arbeit. Seine Belesenheit [JM1] war enorm: „Man hätte ihn zum Mentor aller neuen Bestrebungen in Kunst und Kultur nehmen können.“[JM2] , behauptet K.H. Strobl im Vorwort zum Band Auf der Gass’n. Schick arbeitete er als Korrespondent bei einer Bank. Auf jeden Fall hat er sich aber rasch ein hohes Renommee als Kunstkritiker und Journalist geschaffen. Sein Name war mit der größten deutschen Zeitung Brünns, der Tagesbote aus Mähren und Schlesien[JM3] verbunden, wo er regelmäßig seine Rezensionen und Aufsätze veröffentlichte. Zu erwähnen ist die im Jahre 1906 publizierte Broschüre Die mährische Moderne, in der er die wichtigsten Autoren zeitgenossischer deutschmährischer Literatur vorstellte. Diese Arbeit war von Subjektivität geprägt, die Schick offen zugab; damit bewies er seine zurückhaltende Einstellung zur Kritik, z.B.: „Ich betone ausdrücklich: es sind durchaus subjektive Einschätzungen(…). Denn, was heißt: Objektivität der Kritik?’„. Er distanziert sich von Berufskritikern: „Die neunmalweisen Literaturpropheten schon zu orakeln anhuben, (…)“ etwas Anderes, als ein Eingeständnis der Distanz zur „professionellen„ [JM4] Schick ist nie nach Wien umgezogen, obwohl er diese Stadt liebte. Aus dem beschränkten Material der Bücher erfährt man nichts Genaueres von seinen Beziehungen zu Brünn und Wien. Darüber spricht aber sein langjähriger Freund K.H. Strobl in dem Vorwort zu Auf den Gass’n: „Trotzdem Eugen Schick in Brünn geboren war und den weitaus größten Teil seines Lebens in Brünn zugebracht hat, ist er ein richtiger Wiener gewesen.„, „Hier (in Wien) war die magische Zone, die ihn bannte.“ Auf den Gass’n sind Schicks Nachdichtungen der Texte von A. Bruand im wienerischen Dialekt sind. Im „Brünnerischen“ gibt es dagegen nur das Gedicht Die rote Ritschko. Schick hat es schließlich klar zum Ausdruck gebracht. In dem Artikel Man gravitiert nach Wien, schreibt er: „Es ist nicht viel los in der österreichischen Provinz. In Sachen der Kunst nicht und sonst auch nicht.“ Auf Brünn deuten die Namen einiger Strassen und Orte, z.B.: in Feierabend geht es wahrscheinlich im Hintergrund um die Regotisierung des Brünner Domes - in der Nähe soll Franzensberg liegen - das war der ehemalige Name von heutigem Park „Denisovy sady„. Die Gaisgasse in der Geschichte Indianerkrapfen mit Schlagobers, ist die heutige „Kozí„ Strasse, die Flederwischgasse ist heutige „Peroutková„ Gasse, die in Krautmarkt mündet. Aus stillen Gassen und von kleinen Leuten Sozialproblematik prägt in sein erstes Buch Aus stillen Gassen und von kleinen Leuten, (1902). Treffend äußerte sich Schick in einer Selbstanzeige in der Zukunft, in der er diese Sammlung als „Chokoladepralinee mit sozialpolitischer Fühlung“ bezeichnete. Sein Engagement bestätigte auch K.H. Strobl im Vorwort zu Auf der Gass’n, „...Da konnte er zum Streiter werden (...) wenn er einem Bedrängten helfen wollte.„ Die Passivität und die Unfähigkeit (oder das Nicht-Wollen) eigenes Schicksal zu ändern, werden in diesem Buch zum Leitmotiv, das für alle Personen verbindlich ist. Das Kapitel Die stille Gasse hat die Funktion einer Vorrede, stellt den Inhalt und die Form des Erzählbandes vor. Es kommen einige kurze Skizzen nacheinander, die dem Leser mosaikartig eine Einsicht in das alltägliche Leben in einer Vorstadtgasse bieten sollen. Der Autor bringt hier in der Ich-Form seine Zuneigung zu „kleinen“ Menschen zum Ausdruck. Er liebe die Vorstadtgassen „mit ihrer leisen Traurigkeit“ und ihre Bewohner, die sich nur einmal im Jahr eine Theaterkarte „auf die vierte Galerie ins Theater“ leisten können. Es handelt sich um Genrebilder aus der Peripherie einer Stadt, tatsächlichceine Art „Literatur-Mosaik“. Wie die einzelnen Steine eines Mosaiks ein harmonisches Ganzes bilden, so sollen die Kurzgeschichten über die Stadt aussagen. Manche Skizzen haben keine Handlung, hallten nur eine Stimmung fest, so z.B.: Um ¼ 3 in der Nacht, Alb, Sommermittagstille, u.a.). Die Schicksal der Helden einzelner Erzählungen und Skizzen hängen kaum zusammen, aber der Vorstellung des Autors nach, sollen sie Aussagekraft über das Milieu der Vorstadt haben. Die Gestallten bleiben am meisten statisch, auf die Darstellung ihrer Entwicklung oder Psychologie muss in dem beschränkten Raum einer Skizze verzichtet werden. Das Buch wird in drei Teile gegliedert. Als Schwerpunkt kann man den ersten Teil akzeptieren. Hier gleitet der Blick des Erzählers über die Stadt, es taucht eine Szene und einige Personen auf, man kann aus einem kurzen Schlaglicht auf ihr Leben nicht viel erfahren, fast alle Texte verbindet jedoch ein gedämpfter Ausklang: „Es ist ganz still geworden. Nur irgendwo schmettert eine Nachtigall....„, „Und ein Blütenrieseln ging über die zwei unter dem Baume...„ , „Und sie tanzen und tanzen...„ , „Zu zweit gingen sie durch das Seitengässlein, in dem der laue Abendregen rauschte...„ Ein lyrischer Ausklang, ein Verzicht auf eine Pointe betont das Skizzenhafte. Schicks Absicht war ein sozialer Appell: Er wollte im ersten Plan „die Leute, denen es wohlergeht (...) daran erinnern, dass es andere gibt, die so tagaus, tagein nichts haben als Plage und Mühseligkeit...“ Der Leser wird zwar auf eine Problematik aufmerksam gemacht, es werden ihm aber keine Anhaltspunkte für ein längeres Verweilen beim Thema angeboten. So z.B.: Feierabend. Es geht eindeutig um eine tragische Geschichte, in der das Elend und der Alkohol eine große Rolle spielen. Es handelt sich aber um nichts anderes, als um eine literarisch bearbeitete Zeitungsnotiz die über einen Selbstmord berichtet. Dagegen gibt es im Buch auch ganz andere Momente; sehr erfrischend wirkt z.B. der rasante Erzählstil in Adieu Maus! mit ungewöhnlichen Gleichnissen: „Er brauchte Medizin, nicht Champagner (…), ein Mädel mit weichen Händen, nicht eine Sphinx“. Der Erzähler nimmt eine so tiefe Einsicht in das Nachdenken des Helden, dass es genügen würde, einige Abschnitte in die Ich-Form zu transponieren und es gibt den inneren Monolog. Dieser anonyme Mann erweckt aber kaum Sympathie des Lesers, dafür ist er viel zu egoistisch und lächerlich. Eine konkrete Geschichte Wahrscheinlich nur eine einzige Geschichte , nämlich Indianerkrapfen, umfasstr eine längere zeitspanne. Es vergehen drei Jahre, der Leser wird auch über die unmittelbare Vergangenheit informiert. Inhaltlich nähert sie sich einer bitteren Anekdote. Leider nur in diesem Fall findet der Leser eine Spur von Ironie oder des Sinnes für Humor. Das ist auch der Grund, warum das Buch etwas starr wirkt. Natürlich passt der Humor zu diesem Thema gar nicht, wir können nur bereuen, dass Schick keine Möglichkeit hatte, seine Ironie oder auch Selbstironie zu zeigen, die bei ihm zu erwarten sind (mehrere Hinweise in der Mährischen Moderne). Kathi, ein Dorfmädchen, fristet ihr Leben nach Mutters Tod kümmerlich in der Stadt in einem ziemlich trostlosen Milieu. Sie arbeitet in einer Kunstblumenhandlung, in der ein sozialer Aufstieg kaum zu erwarten ist: eine zwecklose Tätigkeit mit einem vergänglichen Ergebnis (In einem Märchen von H.Ch. Andersen würde sie wahrscheinlich Streichhölzer verkaufen). Dazu wird sie noch von der Besitzerin des Geschäfts, die übrigens ihre Tante ist, tyrannisiert. Der Autor schweigt darüber, ob zufällig ihr Leben einige positive Aspekte hat. wahrscheinlich nicht. Wichtig ist, dass Kathi genug naiv ist um zu glauben, dass es wirklich „jemand in der großen Stadt gibt, der sich um sie kümmert„. Ein älterer, seriöser Herr lädt sie in seine Wohnung ein. Kathi geht mit ihm. Eine Stunde später läuft sie in eine Konditorei um Indianerkrapfen zu kaufen. Geld hat von dem Herrn bekommen. Hier ist zu bemerken, dass die Heldin dieser Geschichte absichtlich als äußerst primitiv geschildert ist. Sie verkörpert gleich zwei der primären menschlichen Grundbedürfnisse. Es ist wohl klar, wie sie das Geld in einer Stunde verdient hat. Aus dem Bett läuft sie in die Konditorei, dann mit einem Schuldgefühl in die Kirche. Dass gerade die Süßigkeiten das „Corpus Delicti„ darstellen, ist so gut wie gleichgültig, man braucht sie nur als ein Symbol der Sünde sehen. Im Traum füttert sie dann eine Kuh eben mit Indianerkrapfen, d.h. es ist möglich, dass sie unbewusst ein Minderwertigkeitsgefühl intensiv erlebt. Nach drei Jahren heißt Kathi Fräulein Kara, sie wurde inzwischen eine Luxusprostituierte. Ihr Schuldgefühl sollte längst weg sein, der Appetit bleibt - sie isst „Trüffelpasteten wie Hausbrot„. Dann erwähnt der Autor zum dritten Mal das Symbol: „Nur etwas kann Fräulein Kara zum Größten Erstaunen ihrer Kolleginnen nicht einmal anschauen: Indianerkrapfen mit Schlagobers…„. Also doch überdauert ein Minderwertigkeitsgefühl und die „Fräulein Kara„ ist zu beschränkt, um die wirklichen Gründe zu erkennen, die sie zum Schluss in ein Bordell geführt haben. Aus dem Kontext des Buches geht es aber deutlich hervor, dass vor allem die ungünstige soziale Determination an solchem Schicksal schuld war. Schluss Das Werk von Eugen Schick ist von starkem sozialem Mitgefühl geprägt. Sein Lokalpatriotismus und seine Energie konnten eine gewinnbringende Bereicherung des Kulturlebens in Brünn und Wien bedeuten, wäre er nicht vorzeitig gestorben. Mit Eugen Schick will ich mich in meiner Diplomarbeit weiter beschäftigen. Literaturverzeichnis: Aus stillen Gassen und von kleinen Leuten. Leipzig 1902. Empfindsames Notierbüchlein. Stuttgart 1905. Die mährische Moderne. Sonderabdruck aus der Zeitschrift des deutschen Vereins für die Geschichte Mährens und Schlesiens. Jg. 10. Heft 1-2. Brünn 1906. Auf der Gass’n. Nachdichtungen im Wiener Dialekt nach Chansons von Aristide Bruant. Brünn 1910. ________________________________ [JM1] Weitblick, seine Übersicht war bewundernswert: [JM2] ” [JM3] n, [JM4] ”