Mährens deutschsprachige Literatur im 19. und 20. Jahrhundert Ludvik Václavek In der Vergangenheit stammten aus Mähren, bzw. wirkten in Mähren, manche Persönlichkeiten der österreichischen Literatur. Im 18. Jahrhundert war das vor allem Josef Freiherr von Petrasch (geb. 1714 in Slavonsky Brod in Kroatien, gestorben 1772 in Neuschloss bei Butschowitz). Dieser Sohn eines österreichischen Generals war der Gründer der aufklärerischen Gesellschaft Societas incognitorum eruditorum in terris austriacis mit Sitz in Olmütz, die die erste gelehrte Gesellschaft dieser Art auf dem Gebiet der Donaumonarchie war, und er war auch Herausgeber ihrer Zeitschrift Monathliche Auszüge alter und neuer gelehrter Sachen. Er schrieb eine ganze Reihe von Komödien, in denen er künstlerische Prinzipien realisierte, die der Reformbemühung Sonnenfels' ebenbürtig waren. Der prominente österreichische Denker und Schriftsteller der Aufklärung Josef von Sonnenfels (1733-1817) stammte aus dem Nikolsburger Ghetto, wirkte aber vor allem in Wien. Er bemühte sich um eine Literatur- und Theaterreform im Geiste der Aufklärung, bekämpfte den barocken Stil und die Tradition des Volkstheaters und ging so in den Spuren des deutschen Literaturreformators Johann Christoph Gottsched. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der bedeutendste deutschmährische Landsmann Charles Sealsfield (1793-1864), der eigentlich Karl Postl hieß und aus Poppitz bei Znaim stammte. Dieser Autor von politischen, abenteuerlichen und didaktischen Romanen lebte seit dem Jahre 1823 teilweise in den USA, teilweise in der Schweiz; bis zum Tode hielt er seine Herkunft geheim. Die Thematik seiner Werke ist größtenteils an die West-Hemisphäre gebunden; seine Konzeption der Welt, seine politischen und künstlerischen Ansichten wurden aber während seines fünfzehnjährigen Studiums und Wirkens in Prag unter dem Einfluß des Philosophen Bernard Bolzano und der Prager Kulturelite, die teilweise freimaurerisch war, formiert. Die gesellschaftliche Realität der österreichischen Monarchie und der deutschen Staaten unterzog er der Kritik in seiner 1828 in London herausgegebenen Schrift Austria as it is. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand in Mähren eine umfangreiche Literatur in deutscher Sprache, die durch ihren Charakter und ihre Thematik an den Lebenskontext der österreichisch-ungarischen Monarchie und an die österreichische Literatur gebunden war. Damals existierte hier aber keine so starke Gruppe, wie es in Prag der Fall war, wo die Mitglieder der ersten Welle der „Prager Schule", die ehemaligen Beiträger der Zeitschrift Ost und West (erschienen in den Jahren 1837-1848), ihr Werk fortsetzten und sich um das gegenseitige Kennenlernen und um das Verständnis der deutschen und der tschechischen Kultur bemühten. Trotzdem lebten und wirkten hier die Nachfolger der sog. Olmützer Dichterschule, gegründet von Josef Leonhard Knoll (1775-1841), die dann teilweise in Brünn, teilweise in verschiedenen Orten des Landes wirkten. Als ein gemeinsames Merkmal der deutsch schreibenden Liberalen in Mähren galt die Tatsache, daß sie eine positive Beziehung zum tschechischen (oder - wie man damals vorwiegend zu sagen pflegte - slawischen) Element hatten, das für sie einen bedeutenden Bestandteil der Identität ihres Landes bildete. In der Thematik ihrer Werke zeigt sich das bewundernde, romantische Interesse für die Vergangenheit Mährens und des tschechischen Volkes, in ihren Stellungnahmen äußerte sich ein territorialer mährischer Patriotismus, der allerdings den mährischen Aspekt nicht als Gegensatz zum tschechischen Moment betrachtete, sondern dem Gedanken des multinationalen Reiches treu blieb. Unter ihnen ragte der aus Brünn stammende und in Brünn wirkende Schüler Knolls, Josef C. von Wieser (1813-1886) hervor. Seine lyrische und epische Produktion war reich; wir nennen hier seinen Gedichtzyklus Welehrad (1862), der des Milleniums der byzantinischen Mission nach Mähren gedenkt. Von seinen Dramen ist Zawisch der Rosenberger (1864) nennenswert und sein Drama über einen Kämpfer der französischen Revolution von 1789 Ein Meister des Lichtes (1868). Ein anderer Schüler Knolls war der in Brünn lebende Franz Donneh (1815-1882), dessen romantische Lieder und historische Balladen durch Freiheitspathos und patriotische Glorifikation des tschechischen Volkes gekennzeichnet sind. Eine bedeutende literarische und politische Persönlichkeit war Andreas Ludwig Jeitteles (1799-1878), ein aus Prag stammender, in Olmütz wirkender Medizinprofessor, der im Jahre 1869 nach Graz ging. Er beteiligte sich an den revolutionären Aktivitäten des Jahres 1848, war Abgeordneter des Frankfurter Parlaments. In nationaler Hinsicht war er - anders als die Mehrheit der Nachfolger Knolls - großdeutsch orientiert. Böhmen und seine besondere Tradition ignorierte er. Sein dichterisches Werk, das Lyrik, didaktische Dichtung, epische Dichtung und Epigramme enthält, gab er 70 1874 in Graz heraus, und zwar unter dem Pseudonym Justus Frey. A. L. Jeitteles wird manchmal mit seinem Brünner Vetter Alois Jeitteles (1794-1858) verwechselt, der u. a. Autor des Gedichtzyklus An die ferne Geliebte ist, den Ludwig von Beethoven vertonte. Das Gros des literarischen Schaffens, das in Mähren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in den Jahrzehnten nach der Jahrhundertwende entstand, war nur von provinziellem Charakter und Rang. Nach dem Entstehungsmilieu und nach der Thematik müssen zwei Gebiete unterschieden werden: das ländliche und das städtische Gebiet. Ein Teil der ländlichen Literatur kann unter dem Begriff „Heimatliteratur" verzeichnet werden, bei weitem aber nicht die ganze Produktion. Wir finden hier einfache oder poetisierte Schilderungen oder Reflexionen des Landes, Erinnerungen, heimatkundlich oder belletristisch verarbeitete Vergangenheit, historische Geschichten, Sagen, „Bilder aus dem Alltagsleben", ländliche Geschichten im Geiste des konservativen Bauerntums, wie auch in kritischem Geiste. Um eine Zusammenfassung und Bewertung des deutschen literarischen Schaffens in Mähren unter literarischem, historischem und heimatkundlichem Gesichtspunkt bemühte sich z.B. der aus Grossselowitz stammende und in Brünn wirkende Paul Strzemcha (1844-1940, Pseudonym Paul Kirsch), Editor der Anthologie Deutsches Dichterbuch aus Mähren (1893) und Autor einer ganzen Reihe literarhistorischer Studien. Im ähnlichen Geiste wirkte auch Wilhelm Szegeda (geb. 1886 in Tschernowitz bei Brünn), der einerseits Autor einiger nationalorientierter Romane war, die im Gebiet der Pollauer Berge spielen, andererseits eine Anthologie der tschechischen Poesie herauszugeben versuchte. - Man sammelte aber auch Volkslieder und -sagen und schuf Gedichte und Erzählungen im Dialekt. Ein Dialektdichter war Karl Bacher (1884-1954). Er stammte aus Waltrowitz bei Znaim, ging jedoch bald nach Österreich. Er ist Autor der Sammlung Südmährische Gedichte (1922) und einer ganzen Reihe von Theaterstücken. Zum Werk der deutschen (oder genauer: österreichischen) Mährer in den Städten muß man folgendes bemerken: Z.B. in der großen mährischen Stadt Brünn herrschte eine spezifische Situation, die für das literarische Treiben und Schaffen günstig war, und die teilweise der Situation in Prag (vor allem dem oft zitierten „dreifachen Ghetto", d. h. der Trennung der Deutschen von den Tschechen, der Juden von den Deutschen und Tschechen und der Bürgerlichen von den niedrigen Schichten) ähnelte. Der Anteil der Deutschen an der Gesamtzahl der Bewohner war hier aber viel größer als in Prag. Deswegen empfand die deutsche Bevölkerung ihre Isolation nicht so 71 dringend und fürchtete sich nicht so sehr vor dem Erstarken des tschechischen Elements. Die Juden in Brünn hatten innerhalb der deutschsprachigen Bevölkerung eine bessere Stellung, als es in Prag der Fall war. Man empfand hier keine großen Ausgliederungszwänge und keine Gefährdung, weder der Deutschen noch der Juden, es gab keinen so dankbaren Nährboden für die magisch wirkende Atmosphäre des Untergangs oder für die intellektuelle oder imaginäre Abwehr gegen sie. - Olmütz war keine Großstadt mit vergleichbarem deutschem literarischem Kulturleben, sie war aber auch keine gewöhnliche Provinzkleinstadt, deren Kulturleben sich auf bloße Reproduktion des Importierten oder auf das Sammeln der Folklore in der Gegend beschränkt hätte. Das deutsche Element stellte hier die Mehrheit der Bevölkerung dar und befand sich nicht in Isolation. Der deutsche Nationalismus nahm hier – genauso wie in vielen anderen mährischen und schlesisch-mährischen Städten – im Laufe des 19. Jahrhunderts zu, dominierte aber keineswegs im Denken der deutschen Bevölkerung. Sie orientierte sich meistens nicht – zumindest nicht dauerhaft – an der großdeutschen Idee der Gemeinschaft mit dem deutschen Reich, obwohl dieser Gedanke von Zeit zu Zeit auftauchte. Vorwiegend wurde Wien als Staats- und Kulturzentrum anerkannt, das den Maßstab der Kultur- und Lebenswerte bestimmte. Der mährische Staatsbürger Österreichs, später der Bürger der österreichisch-ungarischen Monarchie, der deutsch sprach, schwankte zwischen dem Bewußtsein des österreichischen Polynationalismus mit einer toleranten Beziehung zu anderen Nationen (die er aber oft für inferior hielt) und zwischen dem Gefühl, daß er von diesen Nationen, besonders von den Tschechen, bedroht wird und sich deswegen gegen sie – auch mit militanten Mitteln – wehren muß. Manche deutsche Schriftsteller blieben im Land – in Brünn, Olmütz, Troppau und in anderen kleineren Städten – ansässig und wirkten als Journalisten, Lehrer usw. Oft ging es ihnen um die Erhaltung und Verstärkung der deutschen literarischen, historischen und folkloristischen Traditionen in den verschiedenen mährischen und schlesischen Gebieten. Sie widmeten dieser Aufgabe ihre aufklärerische, literarhistorische und verlegerische Aktivität. Andere Autoren gingen nach Wien, wo sie als Journalisten wirkten, ernste oder modische Dramen schrieben usw. Es muß bemerkt werden, daß sich die tschechische und die deutsche Kultur und Literatur voneinander immer mehr isolierten. Die deutschösterreichischen Mährer kannten kaum tschechische Schriftsteller, die Tschechen nahmen zwar die deutschen Klassiker zur Kenntnis, nicht aber 72 die lokalen deutsch schreibenden Autoren. Die mährische deutsche Bevölkerung beobachtete mit wachsenden Befürchtungen das Fortschreiten der tschechischen Wiedergeburt und wehrte sich dadurch, daß sie ihre Sprach- und Kulturtraditionen zu betonen versuchte. Als Mittel zu dieser nationalen Festigung dienten die gleichen Elemente, wie in der tschechischen Wiedergeburt: Gesangchöre, Laienbühnen, verschiedene Zeitschriften, Almanache, Vereine, neu gegründete Bibliotheken in den Dörfern und Städten usw. Von der Situation in Böhmen unterschieden sich jedoch die mährischen Zustände dadurch, daß die tschechische Wiedergeburt hier um eine Generation verspätet war, so daß die nationale Spannung etwas langsamer anwuchs. Zu den bedeutendsten österreichischen Schriftstellern des 19. Jahrhunderts gehörte zweifelsohne Marie von Ebner-Eschenbach (geb. 1830 in Zdislawitz bei Kremsier, gestorben 1916 in Wien); sie galt lange Zeit als die stärkste Persönlichkeit der deutsch geschriebenen Literatur, die mit Mähren verbunden war. Sie stammte aus der Grafenfamilie Dubsky; als Kind kam sie zuerst in Berührung mit dem Tschechischen, weil sie von tschechischen Dienstmädchen erzogen wurde. Ihr Leben verbrachte sie teils in Wien, teils in Mähren, woher ihre Kenntnis der dörflichen Volksschichten und der bedeutende Teil der Thematik ihrer Werke kommt. So war sie früher jedem tschechischen Gelehrten und Leser bekannt, in diesem Sinne wurde von ihr in Österreich gesprochen, so kennt sie ein bestimmter Leserkreis auch heute noch. Man sprach über ihre spezifische Stellung innerhalb des österreichischen Realismus, über ihre engagierte sozialkritische Tendenz, über die humanistische Denkweise, über ihr zartes, meisterhaftes Formieren des literarischen Stoffes, vor allem in Kurzgeschichten und Novellen. Der Ruhm ihres umfangreichen Werkes, das früher viel gelesen wurde, schien jedoch mit der Zeit zu verblassen, zu bestimmten Zeiten galt ihre Art des Schreibens als längst überwunden, ihr Realismus als zu provinziell. In der letzten Zeit setzt sich allerdings die Meinung durch, daß Ebner-Eschenbachs Werk große künstlerische Kraft hat, daß es nicht veraltet ist und daß es zu unrecht gering geschätzt wurde. Die Autorin versuchte am Anfang ihrer schriftstellerischen Tätigkeit sich längere Zeit als Dramatikerin durchzusetzen – ihre mehr als zehn Dramen blieben aber erfolglos. Ihre Prosa dagegen fand schnell Anerkennung – z.B. die Kurzgeschichten Die Großmutter (1875), der Roman Bozena (1876), später dann eine Reihe ihrer Novellen (z.B. Die Freiheiren von Gemperlein, 1881, Dorf- und Schloßgeschichten, 1883, Krambambuli, 1882, Glaubenslos?, 1908 usw.) Zu ihren 73 bedeutendsten Werken gehört der Roman Das Gemeindekind (1887), der in Zdislawitz spielt. Der österreichische Dichter und Schriftsteller Ferdinand von Saar (1833-1906), anerkannter Meister der realistischen literarischen Kunst des 19. Jahrhunderts und Vorgänger und Wegbereiter der literarischen Moderne, war zwar kein gebürtiger Mährer, doch Mähren spielte in seinem Leben und auch in seinem Werk eine große Rolle. Er stammte aus Wien, wo er die meiste Zeit seines Lebens verbrachte. In den Jahren 1849 bis 1860 diente er als Kadett und später als Infanterieoffizier in verschiedenen Garnisonsstädten – in Olmütz, Brünn, Znaim, Prag usw. In den siebziger bis neunziger Jahren kam er oft nach Mähren, verbrachte einen Teil des Jahres in Wien, einen Teil in Rajec bei Blansko, wo er als Gast der Fürstin Elisabeth von Salm im Familienschloß wohnte. Sein Werk und seine Persönlichkeit erlangten Anerkennung im Künstlerischen sowie im Gesellschaftlichen. Den Ruf als Dramatiker sicherte ihm seine erste Tragödie, die Tetralogie Kaiser Heinrich IV. (1865). Seine weiteren historischen Tragödien blieben jedoch ohne Widerhall, und Saar verließ diese Gattung. Großen Erfolg erreichte er mit seinen präzis stilisierten und psychologisch durchdachten Novellen, die in den Sammlungen Schicksale (1889), Frauenbilder (1892), Requiem der Liebe (1895), Tragik des Lebens (1906) herausgegeben wurden. Eine bedeutende Stellung unter diesen Texten nimmt eine Reihe von Geschichten ein, die sich auf die mährische Landschaft mit ihrer genauen Topographie und auf dort lebende, überwiegend volkstümliche und eigenbrötlerische Gestalten beziehen. In seinen südmährischen Novellen äußert sich immer stärker die Tendenz zur Verbindung der Realität mit symbolischem Ausdruck, zur Darstellung der Tiefendimensionen, die Bemühung um eine durchgearbeitete Komposition und die Bindung an die mythologische Tiefenstruktur des kulturellen Erbes. Die Kurzgeschichte Die Troglodytin beispielsweise ist eine balladische Geschichte einer tragischen weiblichen Gestalt, die aus den Armenspelunken aus der Blansko-Gegend stammte. Doktor Trojan ist eine Erzählung über einen eigenbrötlerischen Arzt, einen donquichottartigen Außenseiter, der in Rajec wirkte. Herr Fridolin und sein Glück erzählt die Lebensgeschichte eines Schloßdieners; die Geschichte ist teilwiese satirisch, teilweise humoristisch und endet in (anspruchsloser) Freude und Zufriedenheit. Die Literaturgeschichte hat Saar lange Zeit unrecht getan, wenn sie ihn einfach als einen (vielleicht verspäteten) Repräsentanten der Generation der Realisten bezeichnete. In den letzten zwei Jahrzehnten 74 wuchs aber das Interesse an seinem teilweise schon vergessenen Werk, das jetzt eine viel günstigere Bewertung erfährt. Aus Weißkirchen in Mähren stammte der Schriftsteller und Publizist, der um die Jahrhundertwende die literarische Atmosphäre Österreichs mitgestaltete, Jakob Julius David (1859-1906); er blieb nach seinem Universitätsstudium in Wien, wo er für verschiedene Zeitschriften schrieb. Sein Werk, das von der Thematik und vom Geiste her zwischen dem sozialkritisch orientierten Realismus und dem Naturalismus oszilliert, besteht vor allem aus einer großen Menge Kiemprosa und aus einigen Romanen, die im ganzen damaligen Österreich gepriesen und auch in Deutschland gelesen wurden. Seine Lyrik (Gedichte, 1891) und Dramatik (Hagars Sohn, 1891, Ein Regentag, 1895) spielten keine bedeutende Rolle. Die Themen seiner Erzählungen sind zum großen Teil Episoden aus dem Schicksal von Menschen, die in der „unschönen" Welt der Armut und des Proletariats leben, in Großstädte ziehen, die das soziale und moralische Übel zeugen und die Werte der Humanität zerlegen. Solche Geschichten finden wir z.B. in den Sammlungen Die Wiedergeborenen (1891), Probleme (1892), Frühschein (1896) u. a. Davids Erzählen zeigt so das abgewandte Gesicht von dem, was Wien im Schein der belle epoque bedeutete. Der Roman Am Wege sterben (1899) erzählt das Leben besitzloser Studenten, wie es David aus seiner eigenen Erfahrung kannte. Der Übergang (1902) gehört zu den besten Romanen über Wien – es ist ein monumentales Bild des Untergangs einer Bürgerfamilie. David kehrt in seinem Werk immer wieder in die mährische Welt zurück und äußert seine Sympathien der tschechischen Kultur gegenüber. Das mährische Dorf bildet das Milieu, wo die Handlung mancher seiner Kurzgeschichten (Das Höferecht, 1890, Die Mühle von Wranowitz, 1901) spielt. Vor allem ist aber die mährische Welt Hintergrund und Objekt der künstlerischen Aussage in dem bis heute am höchsten geschätzten Werk Davids, in der Sammlung Die Hanna (1904). In der Titelgeschichte wird der Konflikt zwischen den ethischen und den ästhetischen Postulaten, zwischen der Moral der liberalen künstlerischen Kreise und der konservativen Moral des Dorfes zum Schicksal für ein Dorfmädchen. David schrieb auch ein Buch über den bedeutenden österreichischen Schriftsteller Ludwig Anzen-gruber, erschienen 1904. Von den mährischen Autoren, die hauptsächlich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts oder noch in den Jahren um 1900 schufen, sei noch zu nennen z.B. der Dichter und Prosaiker Hieronymus Lorm (eig. Heinrich Landesmann 1821-1902). Er stammte aus Nikolsburg, studierte in 75 Wien, in den vierziger Jahren ging er nach Deutschland, nach der Revolution von 1848 kehrte er nach Wien zurück, seit 1892 lebte er in Brünn. Lorm war von Jugend an taub, im Greisenalter erblindete er. Trotz dieser Handicaps nahm er an dem Wiener literarischen Leben teil und war in Kontakt mit einer ganzen Reihe deutscher Schriftsteller. Er schrieb Romane (z.B. Ein Zögling des Jahres 1848, 1855), Erzählungen (z.B. Eine mährische Gräfin, 1898), Gedichte (die Sammlungen Dichtung, 1875 und Mw Gedichte, 1877). Er machte sich einen Namen auch als philosophierender Publizist durch seine Schriften Natur und Geist im Verhältnis zu den Kulturepochen (1884) und Der grundlose Optimismus (1894). Aus Olmütz stammte und in Wien wirkte Ottokar Friedrich Stauf von der March (eig. O. F. Chalupka, 1864-1941), dessen Tätigkeit sich zum großen Teil nach Böhmen richtete. In den Jahren 1900-1905 gab er die Zeitschrift Neue Bahnen heraus, die für die deutschsprechende Bevölkerung Böhmens bestimmt war. Stauf, der der österreichisch-ungarischen Monarchie gegenüber kritisch eingestellt war, war ein Repräsentant der großdeutsch gesinnten deutsch-österreichischen nationalistischen Bewegung. Er trat auch als Gegner des Pazifismus auf, der sich in Österreich seit den neunziger Jahren durchsetzte, vor allem dank der aus Prag stammenden Schriftstellerin Bertha von Suttner, geborene Kinsky. Staufs Sammlung Die Waffen hochl (1907) ist eine absichtliche Negation der Prinzipien, die in Suttners Roman Die Waffen nieder! (1889) und in der gleichnamigen, von ihr in den Jahren 1892-1899 herausgegebenen Revue verkündet wurden. Später gab Stauf auch eine antisemitische Anthologie Die Juden im Urteil der Zeit (1923) heraus. Auf der anderen Seite sieht man bei ihm das Bemühen um ein Europäertum und um Modernität in der Literatur; er informierte die deutsche Öffentlichkeit über das Geschehen in den slawischen Literaturen (in der Münchner Zeitschrift Die Gesellschaft). Stauf ist auch Autor von Lyrik, z.B. der Sammlung Heldenlieder (1896), von Literaturkritiken Literarische Studien und Schattenrisse (1905) und von einem autobiographischen Text Erlebtes und Erzähltes (1896). Der Historiker Willibald Müller (1845-1919) stammte aus Wildschütz[1] bei Jauernig, wirkte als Leiter der Studienbibliothek in Olmütz und starb in Freiwaldau. Er ist Autor einer ganzen Reihe von Studien über die Geschichte Mährens, Autor einer Biographie über Josef von Sonnenfels und zweier historischer Romane, die in einem für das 19. Jahrhundert typischen Stil voll von Kolportageelementen geschrieben sind. Ein Ratsherr von Olmütz (1891) ist eine Art kulturhistorische Illustration des Lebens in der Zeit der schwedischen Okkupation während des Dreißigjährigen Krieges und zugleich ein Ausdruck der Antipathie sowohl gegen die Invasoren, als auch gegen die kaiserliche Armee, die die belagerte Stadt zerstörten. Der Geist des Lokalpatriotismus verbindet sich hier mit der Idealisierung des selbstbewußten Bürgertums. Die patriotische Tendenz zielt gegen den äußeren Feind, es gibt hier keine Äußerungen zu Nationalitätenspannungen innerhalb der Bevölkerung. Der Roman Um Sprache und Glauben (1905), der im 15. Jahrhundert spielt, zeugt davon, wie sich die nationalen Streitigkeiten auch in Mähren am Anfang des 20. Jahrhunderts verschärften. Das gegen die Tschechen gemünzte Werk versteht das Hussitentum als eine ins Religiöse gehobene Form des tschechischen Nationalismus, die mit irrationaler Begeisterung die deutsche Bevölkerung bedroht. – Der Historiker Müller, der sich auch mit der Geschichte der Juden in Mähren beschäftigte, verfiel im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen dem Antisemitismus nicht. Philipp Langmann (geb. 1862 in Brünn, gestorben 1931 in Wien), der den bedeutendsten Teil seines Lebens in Brünn verbrachte, wo auch der Kern seines Werkes entstand, erreichte den Gipfel seiner Dramatikerkarriere am Ende des 19. Jahrhunderts. Sein sozialkritisches Drama Bartel Turaser (1897) wurde damals ähnlich hoch gewertet wie Gerhard Hauptmanns Meisterdrama Die Weber; Langmanns zahlreiche weitere Dramen (z.B. Gertrud Antleß, 1899) und sein reiches novellistisches Werk (z.B. Ein junger Mann von 1895, 1895) erreichten keinen so großen Erfolg. Die bedeutendste deutschschreibende literarische Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts, die mit Mähren verbunden war, war der österreichische Schriftsteller und Denker Robert Musil (1880-1942). Er wurde zwar in Klagenfurt geboren, seine Familie stammte aber aus Rychtářov bei Wischau und hatte tschechische Wurzeln. Die äußeren und vor allem inneren Erlebnisse des jungen Kadetten Musil in der Militärrealschule in Mährisch Weißkirchen in den Jahren 1894-97 gaben den Anlaß zur Entstehung seines ersten Romans Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (1906), eines Pionierwerks der expressionistischen[2] Prosa. Die Impulse aus Weißkirchen und aus Brünn, das Musils Heimatstadt in seiner Jugend war, und wo er an der Technischen Hochschule studierte und seinen Militärdienst ausübte, bildeten zweifellos die Basis für die Entwicklung seiner Ansichten über die Grundprobleme seiner Zeit. Mit der Tschechoslowakei blieb Musil in Kontakt auch nach dem ersten Weltkrieg; aus Wien schrieb er am Anfang der zwanziger Jahre Theaterkritiken für Prager deutsche Zeitungen (manche wurden von ihm mit „Matthias Rychtarschow" unterschrieben). Bis zum 77 Jahre 1924 kehrte er immer wieder zurück zu den Eltern nach Brünn. Später wurden dann seine Kontakte zu unserem Land spärlicher (Musil lebte in Wien, eine gewisse Zeit auch in Berlin), während des Zweiten Weltkrieges wurden sie ganz unterbrochen. Nach dem nationalsozialistischen Anschluß Österreichs 1938 ging Musil in die Schweiz, wo er in Armut und Einsamkeit starb. Musils Werk wird für einen der Meilensteine des modernen literarischen Denkens und Schaffens gehalten, und zwar vor allem dank seinem bekanntesten Werk, dem monumentalen Roman Der Mann ohne Eigenschaften, dessen einzelne Teile von 1930 an bis zu Musils Tod entstanden[3]. Die raffinierte und nuancierte Fabulation wird meisterhaft mit dem analytischen Denken über Menschen und Welt verkettet. Im Vordergrund stehen die Gedankenanalyse, der globale Kommentar, umfangreiche essayistische Passagen. Die Romanhandlung spielt – obwohl nur vage angedeutet – in den letzten Jahren der Monarchie, die der Schriftsteller „Kakanien" nennt (nach der Abkürzung k. k.); bei weitem geht es hier jedoch nicht nur um Phänomene und Probleme, die mit der österreich-ungarischen Realität zusammenhingen. – Musil ist auch Autor einer ganzen Reihe von Novellen, die in den Sammlungen Vereinigungen (1911) und Drei Frauen (1924) enthalten sind; er schrieb auch einige Dramen (z.B. Vinzent oder Die Freundin bedeutender Männer) und viele Essays und Reden. Unter die wichtigen, in deutscher Sprache schreibenden Prosaisten, die in Deutschland, Österreich und auch im Ausland anerkannt waren, wird neben Musil auch der Brünner Landsmann Ernst Weiß (1882-1940) gezählt, ein Arzt, der in Prag, Wien und auch in Berlin studierte und wirkte. 1934 ging er ins Exil nach Paris, wo er beim Einmarsch der deutschen Armee 1940 Selbstmord beging. Die sein Werk bestimmenden Ausgangspunkte waren die Psychoanalyse, der Expressionismus und die Erotik schnitzlerschen Typus. Große Aufmerksamkeit erregte sein Roman Tiere in Ketten (1918). Erfolg hatten auch seine weiteren Romane –Boetius von Orlamünde (1928), Georg Letham, Arzt und Mörder (1931) u. a. Weiß bewegte sich in seinen Romanen und Novellen in einer pathologischen Welt, die von Wahnsinnigen, Kranken, Verbrechern usw. bevölkert wird, um am ausdrucksvollen „Material" zeigen zu können, was er für allgemein wichtig hält. Mit dem Feingefühl eines hochgebildeten Psychiaters dringt er in die Psyche der Menschen ein, wobei er auch den Wechsel der Psyche von Generation zu Generation darstellt. Weiß' Helden kämpfen nicht nur mit den schrecklichen, niederschmetternden Kräften der Triebe und der Irrationalität, sondern auch mit der äußeren Bedrohung von Seiten des Nationalsozialismus, wie sie in den 78 Romanen Der arme Verschwender (1936) und Der Augenzeuge sichtbar wird (der Roman Der Augenzeuge wurde im Nachlaß gefunden und im Jahre 1963 herausgegeben). Unter Weiß' Dramen hat das Publikum am meisten vielleicht das expressionistische Drama Tanja beeindruckt (1919); von seiner Kleinprosa verdient die Erzählung Die Messe von Roudnice (1937) unsere Aufmerksamkeit. Die Ausrichtung eines anderen mährischen Schriftstellers, Rudolf Kassner (1873-1959), war philosophisch und kultur-publizistisch. Er wurde in Groß-Pawlowitz geboren, studierte in Wien und Berlin, kannte R. M. Rilke, bereiste mehrere Kontinente, nach dem zweiten Weltkrieg lebte er in der Schweiz, wo er auch starb. In seiner reflexiven Prosa ging er von den Konzeptionen und Begriffen Kierkegaards und Nietzsches aus. Er ist Autor mehrerer Essays über die Problematik des Menschseins, über Moral und Kunst (z.B. Mystik, die Künstler und das Leben, 1900; Die Moral der Musik, 1905; Das 19. Jahrhundert, Ausdruck und Größe, 1947). Einen kulturhistorischen Wert hat sein Buch der Erinnerungen (1938) und das autobiographische Werk Die zweite Fahrt (1946). Der aus Brünn stammende Dichter und Prosaist Richard von Schaukal (1874-1942) nahm einen konservativen, aristokratischen Standpunkt im Leben und in der Kunst ein. Seine lyrischen Verse sind einerseits der deutschen Romantik verpflichtet, andererseits der modernen Neuromantik, dem Impressionismus und den französischen Symbolisten, die er ins Deutsche übersetzte. Schaukai ist Autor einer ganzen Reihe von Gedichtsammlungen, z.B. Tristia (1898), Tage und Träume (1899), Buch der Seele (1908) und von Novellen - z.B. Eros-Thanatos (1906), Schlemihle (1907). Im Buch der Erinnerungen Großmutter (1906) idealisiert der Autor das Leben der Vergangenheit, im Gegensatz dazu ist sein Roman Leben und Meinungen des Herren Andreas von Balthesser, eines Dandy und Dilettanten (1907), eine Kritik der modernen Welt, vor allem ihrer verfallenden Ästhetik und des plebeisierten Lebensstils. Ganz anders ist der Prosaist Ludwig Winder (1889-1946). Er stammte aus Schaffa in Südmähren, besuchte die Handelsakademie in Olmütz und lebte dann vorwiegend in Böhmen, am längsten in Prag. Seine politischen Ansichten waren links orientiert. Im Jahre 1939 emigrierte er nach Großbritannien, von dort kam er nie zurück. In der Tschechoslowakei war er bekannt und wurde sogar von der tschechischen Kritik anerkannt; er wird für einen der bedeutendsten Autoren der Prager deutschen Literatur gehalten. Ein Teil seines Werkes ist der jüdischen Problematik gewidmet 79 (z.B. der Roman Hugo. Tragödie eines Knaben.) Der expressionistische Roman Jüdische Orgel (1922) stützt sich auf autobiographische Momente. Als eine aktuelle Warnung vor der Gefahr des Nationalsozialismus und des Krieges wurde sein Roman Der Thronfolger (1938) gelesen, der gegen die Habsburgermonarchie gerichtet ist. Im mährischen Milieu spielt die Handlung der Novellen aus der Sammlung Das ganze Dorf war in Aufruhr (1930) von Oskar Jellinek (1886-1949). Dieser Schriftsteller wurde in Brünn geboren, seit 1904 lebte er in Wien, 1938 ging er ins Exil in die USA. Er bemühte sich um die Wiederbelebung der klassischen Formen in Prosa und Lyrik (Gedichte und kleine Erzählungen, 1952). – Gedanklich und ästhetisch ganz anders orientiert war Hugo Sonnenschein (1890-1953), ein Unruhestifter, zuerst Anarchist, später Sprecher der Proletarier und zuletzt Opfer der kommunistischen Internationale. Er stammte aus Gaja, wirkte als Revolutionär und Dichter in Wien, seit 1934 lebte er in Prag, wo er in der Illegalität auch nach der Besetzung des Landes blieb; 1943 wurde er verhaftet und ins KZ deportiert. Nach dem Krieg wurde er – wahrscheinlich zu unrecht und auf einen Befehl aus Moskau – wegen Kollaboration mit den Nazis verurteilt und starb im Gefängnis Mirov. Die Freiheit, das Rebellentum, die Landstreicherei, die Gottsuche sind die tragenden Elemente seiner Gedichte, die teils expressionistisch, teils im Volksliedton stilisiert sind: Slowakische Lieder, Nichts als Brot und Freiheit (1935), Der Bruder wandert nach Kalkutta (1937) u. a. Der Dichter bezeichnete sich selbst als „Bruder Sonka". Einer der Mährer beinflußte wesentlich die Geschichte des deutschgeschriebenen „magischen Romans" (der in Prag durch die Werke von Gustav Meyrink und Paul Leppin repräsentiert wurde). Es war Franz Spunda (1890-1963), der in Olmütz geboren wurde und der seit 1918 in Wien lebte. Er blieb aber ständig im Kontakt mit seiner Heimatstadt. In den 20er Jahren wurde er durch seine Romane berühmt, deren Phantastik einerseits als chaotische innerliche Reaktion auf die gesellschaftlichen Ereignisse der Kriegs- und Nachkriegsjahre zu verstehen ist, andererseits wird sie von der tatsächlichen Überzeugung von der Wirkung der magischen Kräfte im Menschen getragen. Spundas Romane sind auch voll von Kolportagesensationen aus verschiedensten Gebieten des okkultistischen Geschehens: Der gelbe und der weiße Papst (1923) oder Das ägyptische Totenbuch (1924). Diese Orientierung auf das Magische nahm allerdings allmählich ab, Spunda griff andere Themen auf. Das stärkste Element seiner Weltanschauung und seiner Einstellung zu Kunst, Leben und zur Menschheit ist seine Beziehung zur altgriechischen Kultur, aber auch zum heutigen Griechenland, wo bis heute – so die Meinung des Autors – die antiken humanistischen und mythischen Werte lebendig sind. Spunda schrieb über Griechenland mehrere kulturhistorisch orientierte Reisebücher, z.B. Griechenland. Fahrten zu den alten Göttern (1938), und mehrere Romane, unter ihnen auch den damals sehr erfolgreichen mythologischen Roman Minos oder Die Geburt Europas (1931). Einen Teil seiner späteren historischen Romane widmete er der spätantiken Geschichte und dem Schicksal der germanischen Stämme in der Zeit der Völkerwanderung z.B. Wulfila (1936). In der Zeit des zweiten Weltkriegs versuchte er in seinem Werk metaphorisch oder fast direkt seine ablehnende Einstellung zur Ideologie und zu den Taten des Nationalsozialismus auszudrücken. Der Roman über Karl IV, Der Herr vom Hradschin (1942), ist ein Manifest der Toleranz und des Verständnisses zwischen den Nationen und ein Protest gegen Eroberung und Gewalt. Ein ähnliches Pathos klingt auch in der in demselben Jahr herausgegebenen Kurzgeschichte Gesang aus der Tiefe an. Spunda schrieb auch Lyrik, die erst expressionistisch (Gottesfeuer, 1924), später dann klassizistisch-ekstatisch stilisiert war (Eleusinische Sonette, 1933). In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts existierte in Olmütz eine Gruppe von geistig produktiven jungen deutschen – meist jüdischen – Intellektuellen. In den 20er Jahren kam es zur Zusammenarbeit dieser Gruppe mit den tschechischen Intellektuellen – mit dem Philosophen J. L. Fischer und dem Dichter O. F. Babler. Als Zentralgestalt galt der Architekt und Philosoph Paul Engelmann (1891-1965), der im Jahre 1934 nach Palästina auswanderte. Er ist als Diskussionspartner des österreichischen Philosophen Wittgenstein (siehe auch sein Buch Ludwig Wittgenstein. Briefe und Begegnungen, 1970) und als Mitarbeiter des Architekten Adolf Loos bekannt. Später beschäftigte er sich in seinen theoretischen und essayistischen Arbeiten mit Philosophie, Literatur, Ästhetik, Judaistik und mit politischen Fragen. Sein Bruder Peter Engelmann (1892-1939) war vor allem Maler. Sein Büchlein Die Welt als Unwille (1918), das durch attackierende Stimmung und expressionistischen Stil gekennzeichnet ist, füllen satirische Verse, die von Karikaturen begleitet sind. Er starb, indem er nach der Besetzung Böhmens und Mährens Selbstmord beging. Friedrich Pater (1891-1955) machte auf sich durch seine ästhetischen Studien im Buch Eins und Alles (1930) aufmerksam, die sowohl in der Zeitschrift Der Brenner in Innsbruck, als auch von F. X. Šalda in Prag geschätzt wurden. Was die eigentliche literarische Tätigkeit anbelangt, war 81 aus dieser Gruppe am produktivsten der aus Proßnitz stammende Dramatiker Max Zweig, der ein Verwandter des österreichischen Schriftstellers Stefan Zweig war. Er wurde im Jahre 1892 geboren und starb 1992 in Israel, wohin er vor dem zweiten Weltkrieg emigrierte und wo er in ständiger Verbindung mit Paul Engelmann war. Zweig war vom Theater fasziniert, seine Tätigkeit als Dramenautor begriff er als eine heilige Mission. Seine Ästhetik ist stark von den Klassikern abhängig, seinen Werken ist ein eigenartiges Pathos eigen, das sowohl in der Ethik als auch in der Mystik verankert ist. Es werden hier stark individualisierte Charaktere vorgestellt, die meistens in historische Kulissen eingesetzt werden, so z.B. in den Dramen St. Helena (1931), Rasputin (1932), Die Verdammtem (1951). Im Expressionismus, der jahrelang in der deutschen Literatur eine dominante Stellung einnahm, sah er reinen Manierismus, und die verschiedenen „Avantgarden" der nächsten Jahre riefen in ihm Schauergefühle hervor. Zweig fand Erfolg und Anerkennung erst in der späteren Zeit, am häufigsten wurden seine Werke in den 60er Jahren gespielt. Von kunsthistorischer Bedeutung ist sein Buch Lebenserinneningen (1987). ________________________________ [1] Vlčice, pošta Žulová. [2] Meistens wird Musils Romanerstling als Teil der Literatur des Jungen Wien betrachtet, schon wegen des Maeterlick-Mottos: «Sobald wir etwas aussprechen, entwerten wir es seltsam. Wir glauben in die Tiefe der Abgründe hinabgetaucht zu sein, und wenn wir wieder an die Oberfläche kommen, gleicht der Wassertropfen an unseren bleichen Fingerspitzen nicht mehr dem Meere, dem er entstammt. Wir wähnen eine Schatzgrube wunderbarer Schätze entdeckt zu haben, und wenn wir wieder ans Tageslicht kommen, haben wir nur falsche Steine und Glasscherben mitgebracht; und trotzdem schimmert der Schatz im Finstern unverändert.» [3] eigentlich veröffentlicht, entstanden sind die Entwürfe Spion, Der Spion und Der Eerlöser schon seit 1919.