Literaturwissenschaft Oberbegriff für alle Arten,Methoden und Aspekte der wissenschaftlichen Beschäftigung mit einer nationalen oder allgemeinen Literatur. Gemeinsamkeiten weisen die unterschiedlichen Ansätze nur im Bestreben nach Erkenntnis literarischer Werke, sonst differieren nicht nur ihre Methoden, sondern auch ihre Forschungsvorhaben. Sie definieren nämlich unterschiedlich ihren Gegenstand: früher war es nur die Dichtung, später wurden auch Sachtexte bzw. Triviallirteratur als ihr Gegenstand betrachtet. Wie ist die Beziehung der Literaturtheorie zur - Ästhetik? Semiotik? Linguistik? Textkritik, Editionstechnik? Bibliographie? Literaturgeschichte? Literaturkritik? Ältere Dissziplinen: Poetik - Lehre von der Dichtkunst: Wesen, Gattungen, Ausdrucksmittel (Aristoteles, Horaz) Rhetorik - ars bene dicendi (Quintilianus) Stilistik (Individualstile, National- und Epochenstiele) Hermeneutik (Reflexion über die Bedingungen des Verstehens und seiner sprachlichen Wiedergabe; Wechselbeziehung zwischen Vorverständnis und Erwartungshorizont des Textrezipienten) Neuere: Rezeptionsforschung (H. R. Jauß: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissensachft; W. Iser: Der Akt des Lesens) Literatursoziologie (Schücking: Geschichte des Geschmacks; das Werk als als sprachlich geformte und deutende Vorstellung der Welt plus soziale Voraussetzungen seiner Hervorbringung, Deutung, Aufnahme und Weiterverarbeitung) Poststrukturalismus (Derida) Diskursanalyse (Foucault) Die Polyphonie eines Gedichts Hälfte des Lebens von Friedrich Hölderlin Mit gelben Birnen hänget Und voll mit wilden Rosen Das Land in den See, Ihr holden Schwäne, Und trunken von Küssen Tunkt ihr das Haupt Ins heilignüchterne Wasser. Weh mir, wo nehm ich, wenn Es Winter ist, die Blumen, und wo Den Sonnenschein Und Schatten der Erde? Die Mauern stehn Sprachlos und kalt, im Winde Klirren die Fahnen. 1. Die Schicht der Wortlaute und sprachlautlichen Gebilde X ´xx ´xx ´xx X ´xx ´xx ´xx X ´xxx ´x X ´xx ´xx X ´xxx ´xx ´xxx ´x X ´xx´xxx ´xx ´Xxx ´xx ´x x ´xxx ´xxx ´x x ´xxx x ´xxx ´xx x ´xx ´x ´xxx ´xx ´xx ´xxx ´xx In der Vokalinstrumentation ist ein Unterschied zwischen der bunteren ersten und der grauen zweiten Strophe. Die Tatsache, daß in der ersten 11 und in der zweiten 9 verschiedene Vokale vorkommen , ist allerdings irrelevant. Unsere Behauptung ist auf die Feststellung gestützt, daß sich in der zweiten das lange e viermal wiederholt, während in der ersten kein Vokal öfter als zweimal vorkommt. Der Eindruck des Farbenreichtums der ersten Strophe wird durch die symmetrische Verteilung der Vokale gleichen Typs im 1., 2. Und 7. Vers verstärkt, wogegen in der zweiten Strophe die Anhäufung des Vokals e im ersten Vers (alle betonten Silben) den Eindruck der Eintönigkeit hervorruft. Im Rhythmus erscheinen uns drei Prinzipien als verbindlich: die Übereinstimmung der ersten und zweiten Zeile ruft die Erwartung eines regelmäßigen Aufbaus hervor. Nirgends stoßen ein männlicher Schluß des Verses und eine betonte erste Silbe des folgenden Verses aneinander, ähnlich wie nie zwei betonte Silben im Vers folgen. Drei Intonationsscheiden im Gedicht werden durch den männlichen Schluß des 3., 6. und 13. Verses gebildet, da wir uns den Anfang des 14. Verses auch als Im Winde ... vorstellen könnten, der auf diese Weise den gleichen rhythmischen Aufbau hätte, wie der 7. Vers. Durch die Ablehnung der Symmetrie wird die Zerrissenheit der zweiten Strophe unterstrichen. Die Schicht der Bedeutungseinheiten des Satzsinnes und des Sinnes[1] ganzer Satzzusammenhänge. Zeichen sind nicht nur als Hinweis auf gewisse Denotate, sondern ihr Klang und Bild werden ernst genommen, sind nicht nur transparente, wertneutrale Hüllen. Ausdruck und Darstellung Ernst Cassirer sprach vom Prinzip der symbolischen Formung, das von der Trias der Funktionen Ausdruck, Darstellung, reine Bedeutung - wie z.B. ein mathematisches Kalkül und Stil – im menschlichen Tun bestimmt wird. Sinnlichkeit und Sinn müssen nach Cassirer im Sinne »symbolischer Prägnanz« als ursprüngliche Korrelation verstanden werden. Entsprechend wird das Leib-Seele-Verhältnis als die erste Form einer symbolischen Relation verstanden. Alle Kultur bewegt sich so zwischen den Extremen Ausdruck und reiner Bedeutung. Im Gedicht soll man indirekt eine bildliche Darstellung der Bedetungen zur Anschauung bringen. Die Verletzung der Kompatibilitätsregeln der Alltagssprache z. B. durch ein ungewöhnliches Epitheton wie Hölderlins heilignüchterne Wasser löst eine neue Suche nach dem Sinn des Gedichts aus. Wie ist die Ernüchterung eines Trunkenen zu deuten? Ist es ein Verlust oder ein Reifeprozess, ein Wandel zu einer Erhabenheit, die das Subjekt gegen Verletzungen wappnet? Joseph P. Strelka in seiner Einführung in die Textanalyse[2] hebt Rilkes Leid-Stadt aus der zehnten Duineser Elegie[3], die in einem überraschenden Sinnzusammenhang eine neue Perspektivbe eröffnet, als sprachschöpferische Leistung hervor. Die Neuprägung: zeigt das Leben der Vergeuder der Schmerzen, der meisten Menschen, die den Schmerz verdrängen, die ihn nicht bewusst durch-leiden. Die sich im vergoldeten Lärm bewegen, der nur durch glänzende Aufmachung Ablenkung bereitet. Das ähnelt so einem jämmerlichen Trostmarkt (mit dem vorgefertigten Trost). Meine Interpretation von Höldelins Bedeutungsschicht ist, dass eine Hingabe an die Trunkenheit des Lebens sich mit Abstand der Jahre als Gefahr erweist, die die nur dank einer ästhetischen Distanz zu überwinden ist. Diese Distanz kann aber die emotionelle Fülle der Trunkenheit nicht ersetzen, ein Gefühl des Entschwundenseins, des Mangels hinterläst auch bei einem Heilignüchternen seine Spuren. 2. Die Schicht der dargestellten Gegenständlichkeiten Im Gedicht gibt es Unbestimmteheitsstellen, die erst im Wege der Rezeption durch den einzelnen Leser ausgefüllt werden. Wie werden Schatten der Erde vom Leser wahrgenommen? Als Geborgenheit vor der sengenden Hitze oder als Gegensatz zu der Lichtseite des Lebens? 4. Die Schicht der schematisierten Ansichten, in denen die im Werk dargestellten Gegenständlichkeiten zur Erscheinung kommen Skelett oder Schema, welches die Gesamtheit der widerholbaren Momente des Gehalts einer Ansicht unterordnet. Ist es ein christliches oder ein heidnisches Lebensgefühl, das das Gedicht zum Ausdruck bringt Die Ansichten, die vom Werk für die Konkretisation parat gehalten werden, die werkimmanent und werktranszendent sind. ________________________________ [1] Zu einer Inspirationsquelle für die analyt. Philosophie des 20. Jh. wurde Gottlob Freges Aufsatz Über Sinn und Bedeutung (in: Ztschr. für Philosophie u. philosoph. Kritik, N. F. 100, 1892, S. 25-50). Dieselbe Bedeutung haben nach F. zwei singuläre Terme (Eigennamen) genau dann, wenn sie denselben Gegenstand bezeichnen; zwei Prädikate (Begriffswörter), wenn sie auf dieselben Gegenstände zutreffen, u. zwei Behauptungssätze, wenn sie beide wahr oder beide falsch sind (denselben Wahrheitswert haben), Identität der Bedeutung verbürgt also noch nicht Identität des Sinnes. Zwei Behauptungssätze haben nur dann denselben Sinn, wenn man das mit dem einen Gesagte nicht glauben kann, ohne eo ipso das mit dem anderen Gesagte zu glauben. Zwei Satzfragmente haben genau dann denselben Sinn, wenn sie denselben Beitrag zum Sinn eines Satzes leisten. Smysl, koncept, myšlenkový obsah jazykového výrazu (Sinn) a denotát (Bedeutung) Denotát výrazů Jitřenka a Večernice je týž – Venuše – ale jejich smysl je různý. [2] S. 41f. [3] Freilich, wehe, wie fremd sind die Gassen der Leid-Stadt, wo in der falschen, aus Übertönung gemachten Stille, stark, aus der Gußform des Leeren der Ausguß prahlt. der vergoldete Lärm, das platznede Denkmal. O, wie spurlos zerträte ein engel ihnen den Trostmarkt, den die Kirche begrenzt, ihre fertig gekaufte: reinlich und zu und enttäuscht wie ein Postamt am Sonntag.