Warum man Klassiker spielt und bearbeitet? Ute Nyssen: Ehret die Dichter! (DIE ZEIT, 22/2001) Die Veränderungswut gegenüber dem Text, ja schon die jahrzehntelange Bevorzugung von Klassikern, hatte allzu oft in der Habgier der Regisseure ihren Grund. Sie konnten sich mit Übersetzungen - und erstaunlich, wer alles Russisch, Italienisch, Norwegisch, Englisch beherrschte - und "Bearbeitungen" zusätzlich zur Gage[1] noch eine Tantieme[2] ergattern. Neue Autoren mussten von diesem Futtertrog möglichst weggehalten werden. Ein kleiner Zwischenbericht an dieser Stelle zur finanziellen Situation eines Dramatikers. Die deutschen Stadt- und Staatstheater sind zu zirka 85 Prozent subventioniert, nur 15 Prozent entstammen dem Kartenverkauf an der Kasse. Aber nur von der Kasse bezieht der Autor seine Tantiemen, zirka 15 Prozent. Nur er und der freiberufliche Übersetzer haben unmittelbar unter dem Publikumsschwund zu leiden. Der Regisseur und alle anderen am Theater Beschäftigten werden kassenunabhängig bezahlt. Die Stücke eines neuen Autors werden üblicherweise im Studio gespielt - dafür bekommt er im Durchschnitt ein Pauschalhonorar von 200 Mark pro Abend, durchschnittliche Aufführungszahl: 15. Falls das Stück ein Riesenerfolg wird, erlebt es sechs bis acht Inszenierungen pro Spielzeit, das bringt dem Autor ein Jahreseinkommen von etwa 20 000 Mark, mit einem Verlagsanteil, der kaum die Kosten deckt. Hat der Autor mehrere Stücke auf dem Spielplan, kann es günstiger aussehen, aber nie summieren sich die Einnahmen geradlinig über mehrere Spielzeiten. Zum Vergleich: Die Leitungsteams aller westdeutschen Bühnen zusammen verdienten 1989 das Achtfache aller Autoren zusammengenommen, und zwar ausschließlich der Tantiemen für die hausinternen so genannten Übersetzungen und Bearbeitungen und selbst geschneiderten Weihnachtsmärchen, die selbstverständlich alle im großen Haus gespielt wurden. Dass die desolate finanzielle Ausgangslage Einfluss auf alle hatte, die für das Theater schreiben wollten, liegt auf der Hand. Dennoch stimmt es nicht, wenn Jürgen Flimm im Gespräch mit Gerhard Jörder (ZEIT Nr. 14/01) suggerieren will, die Dominanz der Regisseure seit etwa 30 Jahren sei im "Defizit an zeitgenössischer Literatur begründet". Es gab genügend wichtige Texte - etwa von Weiss, Kipphardt, Hochhuth, Dorst, Kroetz, Strauß, Heiner Müller bis Bernhard, Turrini, Tabori, Jelinek, Schwab, ganz zu schweigen von den vielen fremdsprachigen Autoren. Ebenso entscheidend aber wirkt sich das Interesse der Theaterleitungen aus: Einige Intendanten und Verwaltungsdirektoren haben sich mit einem Geiz gegen die bessere Bezahlung, also Förderung neuer Autoren gestemmt, der von empörender Geringschätzung der Urheber sprach, der Autoren, von deren Werk das Theater lebt. ________________________________ [1] Bezahlung der Einzelleistung eines Künstlers; Künstlerhonorar [2] an einen Autor, Musiker u.ÿa. gezahlte Vergütung für Aufführung od. Wiedergabe seines musikalischen od. literarischen Werkes: Unter Tantiemen können auch auflagenabhängige Einkünfte von Buchautoren und Musikkomponisten verstanden werden. Bei einer Festlohnvereinbarung tragen die Unternehmen das wirtschaftliche Risiko, bei einer Gewinnbeteiligung geht ein Teil dieses Risikos auf den Künstler über. Z, B. Auszahlungen durch die GEMA an die bei ihr angemeldeten Künstler und Komponisten fallen unter den Begriff Tantieme. Richtet sich die Beteiligung nach dem Gewinn, ist der jährliche Reingewinn als Berechnungsgrundlage heranzuziehen.