DIE ZEIT, 02.04.2009 Nr. 15 - 02. April 2009 http://www.zeit.de/2009/15/Google N E T Z W E L T Auf dem Rücken des Autors Google digitalisiert das Wissen der Welt. Wer dagegen protestiert, gilt als Spielverderber. Autoren und Verleger in Deutschland und den USA bekommen das zu spüren. VON SUSANNE GASCHKE In diesen Tagen flattert Tausenden von deutschen Autoren, Übersetzern und Journalisten ein Schreiben der Verwertungsgesellschaft Wort ins Haus. Sein Layout ­ sehr kleine Schrift, Text einzeilig ­ ist lesefeindlich wie immer bei den Briefen dieser Organisation. Aber diesmal geht es nicht wie sonst um die Mitteilung, dass irgendein Schulbuchverlag den einen Artikel oder das andere Gedicht eines Autors nachdrucken möchte. Es liegt auch nicht der bescheidene Verrechnungsscheck bei, mit dem Autoren einmal im Jahr pauschal für alle Fotokopien entschädigt werden, die sich Menschen bundesweit von ihren Werken machen. Nein, diesmal verbirgt sich in der Einzeiligkeit Brisanz: Die VG Wort berichtet ihren Mitgliedern von einer Rechtsverletzung, begangen durch einen amerikanischen Konzern, systematisch, absichtsvoll, über Jahre hinweg. Es geht um die Firma Google und ihren Plan, das Wissen der Welt zu digitalisieren, ein Vorhaben, für das die Firmengründer Larry Page und Sergey Brin mehrfach und öffentlich 200 bis 300 Jahre veranschlagt haben. Was nach Größenwahn oder Science Fiction klingt, ist schon nach wesentlich kürzerer Zeit sehr handgreiflich. Seit Anfang dieses Jahrhunderts sucht Google nach Möglichkeiten, buchstäblich alle Bücher der Welt zu scannen. Etwa sieben Millionen Bücher, darunter womöglich mehr als 100000 deutsche, sind bereits bearbeitet ­ freilich hat niemand die Rechteinhaber dieser Bücher gefragt, ob sie das auch wollen. Googles moon shot nennt Marissa Meyer, eine Topmanagerin des Konzerns, das Projekt, so bedeutsam wie die Mondlandung. Wer gegen eine solche Mission das schnöde Urheberrecht ins Feld führe, gelte als Spielverderber, sagt Professor Karl Riesenhuber, Urheberrechtsspezialist an der Ruhr-Universität Bochum. Leicht erscheine dieses Recht heute als Hemmschuh der kulturellen Entwicklung im digitalen Zeitalter. Schnell ist von einem Zugangsrecht der Verbraucher die Rede, davon, dass die Gedanken frei seien, dass die Kultur nicht monopolisiert werden dürfe. Tatsächlich aber geht es darum, dem Schöpfer eines Werkes einen angemessenen Anteil an dem durch Verwertung seiner Werke erzielten Gewinn zu sichern. Manche Menschen leben davon. Der Vorwurf der Monopolisierung ­ aus dem Munde aller möglichen Vorkämpfer für Bürgerrechte im Netz ­ richtet sich erstaunlicherweise selten gegen Akteure wie Google als vielmehr gegen die Autoren selbst, gegen die Wissenschaftler, gegen den überkommenen Kulturbetrieb: Als wollten die Produzenten ihre Inhalte horten, zulasten der Massen. Bei der Umsetzung des moon shot halfen Google zunächst amerikanische und englische Universitätsbibliotheken, die das für modern hielten oder froh darüber waren, einen finanzkräftigen Partner für die Digitalisierung und damit für die Sicherung ihrer wertvollen Bestände gefunden zu haben ­ zunächst Harvard, Stanford, Michigan, Oxford sowie die New York Public Library. Inzwischen kooperiert Google weltweit mit sehr viel mehr Partnern aus dem universitären Bereich, darunter auch die Bayerische Staatsbibliothek in München. Manche Einrichtungen, wie etwa München, beschränken die Erlaubnis, ihre Bestände zu scannen und sie damit ganz oder auszugsweise für die Google-Buchsuche zugänglich zu machen, auf alte Werke, deren Urheberrecht erloschen ist. Andere, wie die Bibliothek der Universität Michigan, ließen Google alles einscannen, was da war: auch vergriffene Bücher, deren Rechteinhaber höchst lebendig sind, und sogar solche, die noch ganz aktuell in Buchläden auf Kunden warten. Einer der von Googles Praktiken Betroffenen ist der Frankfurter Verleger KD Wolff (Stroemfeld Verlag). Von einem Studenten erhielt er den Hinweis, dass ein Band der von ihm verlegten Kleist-Ausgabe komplett bei Google zu finden sei. Wolff suchte selbst und hat inzwischen über 200 geschützte kritische Editionen ­ unter anderem von Werken Kafkas, Hölderlins, Gottfried Kellers ­ im Netz aufgespürt. Wir können es uns nicht leisten, rechtlich gegen jeden einzelnen Fall vorzugehen, sagt Wolff. Aber die Kleist-Geschichte kämpfen wir gerichtlich durch. Der Verlag klagt vor allem auf die Erteilung von Auskünften, Wolff will unter anderem wissen, welche seiner Bücher noch betroffen sind. Seine schriftlichen Anfragen zur bisherigen Nutzung ignorierte Google. Es wäre etwas anderes, wenn sie sich bequemt hätten zu fragen, sagt der Verleger. So drehen sie die Verhältnisse auf den Kopf. Statt bei Rechteinhabern um die Erlaubnis zur Digitalisierung zu bitten ­ ausdrücklich hat der Schöpfer eines Werkes auch das Recht zu bestimmen, ob es im Internet zugänglich gemacht werden darf ­, schafft Google Fakten. In Amerika haben sowohl Autoren als auch Verleger sich dagegen gewehrt, unter anderem mit einer Sammelklage, einer sogenannten class action, die im Herbst 2005 eingereicht und im Oktober vergangenen Jahres vom zuständigen Gericht mit einem Vergleichsvorschlag beantwortet wurde. Bis Anfang Mai nimmt das Gericht Widersprüche und Kommentare zu dem Entwurf entgegen, im Juni entscheidet es. Das Besondere an einer amerikanischen class action ist, dass sie für alle Betroffenen gilt, also auch für Nichtamerikaner. Es ist schon ein Rechtsinstitut, das durchaus ein amerikanisches Sendungsbewusstsein ausdrückt, sagt Christian Sprang, Justitiar beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Theoretisch hat jeder, auch jeder deutsche Autor, die Möglichkeit, aus dem Vergleich auszutreten ­ dann behält er, rein rechtlich gesehen, seine Ansprüche gegen Google wegen Urheberrechtsverletzung. Dieser Schritt führt freilich nicht dazu, dass sein Buch aus dem Netz genommen wird. Will der Autor dies erreichen, dann muss er Google zivilrechtlich verklagen, in Amerika ein teures Vergnügen. Autoren, deren Bücher von Google bereits gescannt wurden und die nun in den Vergleich einlenken, werden mit 60 Dollar pro Buch entschädigt. Daneben erhalten sie, ebenso wie die Urheber erst nach Vergleichsschluss gescannter Bücher, von allen zukünftigen Erlösen, die Google mit der Nutzung der Texte erzielt, einen Anteil von 63 Prozent. Die deutsche VG Wort hat sich entschlossen, mit dem Vergleich pragmatisch umzugehen, statt sich fundamental gegen die Anwendung amerikanischen Rechts auf deutsche Bücher zu stellen ­ und die Autoren vielleicht leer ausgehen zu lassen. Dafür wird sie durchaus kritisiert. Aber wir erreichen immerhin, dass die Autoren nach Googles Zugriff überhaupt wieder in die Position eines Rechteinhabers versetzt werden, sagt Robert Staats, geschäftsführender Vorstand bei der VG Wort. Seine Organisation wird für alle bereits gescannten Werke aus Deutschland, egal ob vergriffen oder lieferbar, die 60 Dollar einziehen und an die Autoren und Verlage verteilen. Danach wird sie für alle deutschen Bücher ein removal erklären, sie also wieder aus dem Google-Textkörper herausnehmen. Das schützt freilich nur bedingt vor künftigen Übergriffen, denn Google behält eine Sicherungskopie jedes gescannten Buches, wobei es das Geheimnis der Unternehmenssemantiker bleibt, worin der Unterschied zwischen Sicherungskopie und Kopie besteht. Das Vorgehen der VG Wort hält auch Christian Sprang vom Börsenverein für vernünftig. Man sieht allerdings, wie groß der Unterschied zwischen den Kulturen ist, sagt er. Die angloamerikanische ist eine Copyright-Welt, da geht es vor allem um Nutzungsrechte, um die wirtschaftlichen Interessen derjenigen, die Bücher verbreiten. In Europa begreifen wir das Urheberrecht viel stärker als Persönlichkeitsrecht. So habe nicht jeder Autor ein Interesse daran, dass auch seine schreiberischen Jugendsünden digital verewigt würden. Manche vergriffenen Bücher sind aus der Sicht von Autor und Verlag wirklich zu Recht vergriffen, sagt Sprang. Google folgt da eher der Tonnenideologie: Content ist Content, ob blödsinnig, veraltet oder peinlich ­ egal.Musste nicht auch der Konzern, der mit seinem berühmten Unternehmensmotto Don't be evil immer noch gern auf Start-up-niedlich macht, wissen, dass er mit dem Massenscanning geltendes Recht verletzte? Google berief sich auf das amerikanische Konzept des fair use, das deutschen Einschränkungen des Urheberrechts im öffentlichen Interesse ähnelt: Auch bei uns muss ein Autor beispielsweise der Verwendung von Textauszügen in Schulbüchern zustimmen, bekommt dafür aber eine ­ oft freilich nur auf dem Papier so genannten ­ angemessene Vergütung. Die fair use- Regel kann unter Umständen die Verwendung von Textauszügen auf transformative Art und Weise rechtfertigen, sofern diese den kommerziellen Erfolg eines Werkes nicht gefährdet. Doch Google digitalisierte nicht Auszüge, sondern ganze Werke und wollte mit den snippets daraus durchaus Geld verdienen. In Deutschland, vielleicht wegen der stärker als Persönlichkeitsrecht empfundenen Beziehung der Autoren zu ihren Werken, fällt die Reaktion auf Googles Vorgehen und auf den Vergleich emotionaler aus als in Amerika. Mehr als 750 Autoren, Verleger und Wissenschaftler unterzeichneten einen Protestaufruf des Heidelberger Literaturwissenschaftlers Roland Reuß, darunter Daniel Kehlmann, Durs Grünbein, Julia Franck, Ulrich Beck; auch Michael Naumann, Herausgeber dieser Zeitung, und einige Redaktionsmitglieder. In dem Heidelberger Appell heißt es: Das verfassungsmäßig verbürgte Grundrecht von Urhebern auf freie und selbstbestimmte Publikation ist derzeit massiven Angriffen ausgesetzt und nachhaltig bedroht... International wird durch die nach deutschem Recht illegale Veröffentlichung urheberrechtlich geschützter Werke geistiges Eigentum auf Plattformen wie GoogleBooks und YouTube seinen Produzenten in ungeahntem Umfang und ohne strafrechtliche Konsequenzen entwendet. Die von dem regelrechten Ansturm der Unterzeichner überraschten Initiatoren sehen sich jetzt allerdings ihrerseits harscher Kritik ausgesetzt, weil sie in ihrem Aufruf nicht nur Google, sondern auch die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen (bestehend aus Wissenschaftsrat, Deutscher Forschungsgemeinschaft, der Leibniz-Gesellschaft und anderen) angegriffen hatten ­ mit dem Vorwurf, auch dieser Spitzenzusammenschluss der deutschen Forschung plane weitreichende Eingriffe in die Presse- und Publikationsfreiheit, deren Folgen verfassungswidrig wären. Die organisierte Spitze der deutschen Wissenschaft widerspricht vehement. Keineswegs solle die Förderung eines freien elektronischen Zugangs zu wissenschaftlichen Artikeln die Publikationsfreiheit beschränken: Es gehe nur um Forschungsergebnisse, die aus Steuermitteln finanziert und damit zum Nutzen der Gesellschaft insgesamt erarbeitet wurden. Damit allerdings findet, quasi auf dem Verwaltungswege, durchaus ein Angriff auf das Urheberrecht vor allem der Geisteswissenschaftler statt, denn bisher waren sie in der Wahl ihres Publikationsortes frei, und wenn jemand ihr Handbuch Mittelhochdeutsch tatsächlich kaufen wollte, hatten sie eben Glück, und der Staat nahm es billigend in Kauf ­ wie die Tatsache, dass Naturwissenschaftler mit den von ihnen entwickelten Patenten eine Menge Geld verdienen konnten. Der Staat subventioniert schließlich auch die Landwirtschaft, einfach, damit es sie gibt ­ und ohne den Bauern im Herbst die Ernten wegzunehmen. Die Rechte der Autoren, und dagegen richtet sich der Heidelberger Appell, sind eben nicht nur durch Google, sondern auch durch einen sich wandelnden gesellschaftlichen Komment unter Druck, der mit dem Siegeszug der digitalen Kultur neue Spielregeln durchzusetzen versucht. Von einer neuen Norm des Teilens im Netz spricht etwa der St. Galler Professor für Informationsrecht Urs Grasser ­ ohne Sorge darum, dass es sich um das Eigentum anderer Leute handelt, das da so großzügig geteilt wird. Kunst habe doch immer auf dem Prinzip der Adaption, der Anspielung und der Kopie beruht, schreibt Dirk von Gehlen in der Süddeutschen Zeitung. Die Digitalisierung ist ein technischer Entwicklungsfortschritt, der revolutionäre Folgen nach sich zieht... Die Gesellschaft und der sogenannte Kulturbetrieb müssen sich fragen, wie sie damit umgehen wollen. Für Gehlen ist das klar: Er hätte nicht gewollt, dass die Kerzenmacher im 19. Jahrhundert (sprich: Autoren und Wissenschaftler) über die Nutzung elektrischen Lichts (sprich: GoogleBookSearch, Open-Access-Plattformen, Tauschbörsen) abstimmen. Google, einem Riesenkonzern mit unbestreitbaren Gewinninteressen, kommt eine solche Argumentation der Netzweltversteher natürlich enorm entgegen. Autoren, die mit ihrer geistigen Anstrengung Geld verdienen müssen, schütteln den Kopf. Was es wert ist, kopiert zu werden, ist es wert, geschützt zu werden, sagt Börsenvereinsmann Sprang. Nur Urheberrechtsschutz ist ein Anreiz dafür, dass solches Wertvolle geschaffen wird. Dass jedenfalls die digitale Enteignung der Urheber ein Konjunkturprogramm für bessere Wissenschaft und Kultur ist, mag glauben, wer seine Hausaufgaben bei Wikipedia abschreibt. ZEIT ONLINE 2009