Methodik Z* j i /"• "11 1 ___j • ^-.A. \-mLa \s~~ %JĽ £^\a~- JL JL %~r \u~ JL JL CJL JL™ V-IL,JLJL £»^ V V JL JL JL jEró^-- JL^w JL JL JL sL- &J? ^^ XXX Beim Zeitzeugeninterview lässt sich Geschichte »hautnah« und aus »erster Hand« erfahren. Das verspricht spannend zu sein. Aber richtiges Fragen ist gar nicht so einfach, wie Martina Tschirner beschreibt Wie knifflig die »Quelle Zeitzeuge« sein kann, erfuhren Katharina und Almuth aus Halle an der Saale, die für den vorletzten Wettbewerb mit Zeitzeugen sprachen: »Das Interview verlief ohne technische Defekte, allerdings waren wir manchmal nicht mutig genug, Herrn Braun zu unterbrechen, wenn er sich in themenfremden Betrachtungen verlor.« Acht Wochen später interviewten die beiden Mädchen den Zeitzeugen erneut: »In dieses Interview gingen wir gut gerüstet, was den Fragenkatalog angeht, dafür hatten wir nun aber technische Probleme.« Das Zeitzeugengespräch hat seine Tücken, das erleben Spurensucher immer wieder. Eine gute Vorbereitung hilft weiter, doch bevor wir zu den Tipps kommen, einige Hinweise zum Nutzen der Oral History. Oral History oder die erzählte Geschichte ist für Historiker immer dann von Interesse, wenn es gilt, Sachverhalte zu erschließen, für die schriftliche oder andere Quellen fehlen. Das können zum Beispiel Erfahrungen aus der unmittelbaren Kriegs- oder Nachkriegszeit sein, als Papier Mangelware war oder die Menschen Wichtigeres zu tun hatten, als ihre Erinnerungen festzuhalten. Interviews können aber auch Alltagserfahrungen vermitteln und somit die Auswirkungen der »großen Geschichte« auf das Leben der »kleinen Leute« sinnlich erfahrbar machen. Wenig Sinn macht es jedoch, die Ereignisgeschichte der »großen Politik« über Interviews erschließen zu wollen. Für die Aufarbeitung konkreter Fakten sollte man unbedingt auf andere Quellen (z.B. Zeitungen, Archivbestände) und auf die Sekundärliteratur zurückgreifen. Zeitzeugeninterviews können hier allenfalls ergänzende Informationen liefern. Die Themenauswahl für die Oral History ist also deutlich eingeschränkt und - das versteht sich von selbst - zudem durch die lebensgeschichtliche Reichweite vor allem auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts begrenzt. Bei der Oral History geht es um persönliche Erfahrungen, und diese sind immer subjektiv. Die Zeitzeugen erzählen keine Geschichte, »wie sie wirklich war«, sondern berichten über ihr ganz persönliches Erleben und ihre subjektiven Eindrücke, und gerade dies macht die Interviews interessant. Als Interviewer sollte man sich aber immer wieder vergegenwärtigen, dass die Erinnerungen der Zeitzeugen stets lückenhaft sind oder durch spätere Wahrnehmungen, Erfahrungen, durch Aussagen anderer Personen oder durch Medien und Bücher »überlagert« wurden. Deshalb müssen die Aussagen der Zeitzeugen überprüft, in ihren jeweiligen Kontext eingeordnet und mit anderen Quellen abgeglichen werden. Nur wer sich in einem Thema wirklich gut auskennt, kann »richtige« und wichtige Fragen stellen und Antworten auch bewerten. Deshalb ist die Lektüre von Fachliteratur zur inhaltlichen Vorbereitung unabdingbar. Erst dann sollte man sich überlegen, welches Ziel man mit der Befragung verfolgen und in welchem Personenkreis man den oder die Zeitzeugen suchen möchte. Zur Vorbereitung gehört auch die Ausarbeitung eines Interviewleitfadens, der dabei hilft, das Gespräch zu strukturieren, und dafür sorgt, dass man nichts vergisst. Während des Interviews sollte man sich nicht sklavisch daran halten, denn das sture »Abarbeiten« des Leitfadens kann ein Gespräch auch ersticken. Zur Übung könnten andere Erwachsene aus dem Bekanntenkreis interviewt werden. Das verleiht für den »Ernstfall« Sicherheit. Wettbewerbsteilnehmer berichten immer wieder, dass sie in Gesprächen mit Eltern, Freunden, Verwandten, im Verein oder in der Nachbarschaft auf Zeitzeugen aufmerksam gemacht wurden. Daneben sollte man sich nicht scheuen, in Seniorenwohnheimen nachzufragen. Auch ein Aufruf in der lokalen Presse kann zur erfolgreichen Vermittlung eines interessanten Zeitzeugen führen. Wichtig ist, sich genau zu überlegen, ob ein Zeitzeuge aus eigenem Erleben zum jeweiligen Thema berichten kann. Und um verschiedene Perspektiven zu bekommen, ist es sinnvoll, Zeitzeugen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher sozialer Herkunft zu befragen. Teilnehmer, die in der eigenen Familiengeschichte forschen möchten, sollten sich fragen, wie tabubelastet mögliche Themen vielleicht sind. Und mit welchen eventuell negativen Gefühlen das Verhältnis zwischen Eltern und Großeltern bis heute belegt ist, etwa bei besonderen Konflikten. Zeitzeugengespräche sind schwierig, wenn die Interviewer unmittelbar vom Gegenstand des Gesprächs betroffen sind - bei der Auswertung des Gesprächs kommen einem dann die eigenen Gefühle in die Quere. 40 SPUREN SUCHEN 2006 Lust und Frust beim ^eitzeugcninterview Es ist hilfreich, die Kontaktaufnahme mit fremden Zeitzeugen vorher zu üben. Dabei ist es wichtig, Informationen über den Geschichtswettbewerb zu geben, das Thema näher zu erläutern und darüber aufzuklären, was mit den Ergebnissen der Befragung geschehen soll. Der Hinweis, dass das Interview im Wettbewerbsbeitrag anonymisiert werden kann, hat schon manche Tür geöffnet. Vorab sollte der Interviewer in Erfahrung bringen, ob der Zeitzeuge mit der Aufzeichnung des Gesprächs einverstanden ist. Die eigene Wohnung des Gesprächspartners ist der günstigste Ort für das Interview, denn diese ist ihm vertraut und er fühlt sich dort wohl. Und ein Mitbringsel als Dankeschön nicht vergessen! Ein Gespräch richtig zu führen, gute Fragen zu stellen, nachzuhaken und gleichzeitig auf die Antworten angemessen zu reagieren und den Gesprächspartner beim Thema zu halten - all dies ist nicht einfach. Hier macht aber Übung den Meister. Gerade zu Beginn des Gesprächs ist es wichtig, nicht zu viel und zu schnell zu fragen, denn sonst kommt der Zeitzeuge nicht ins Erzählen. Erst in der zweiten Interviewphase sollten gezielt Fragen gestellt werden. Wichtig ist weiterhin, die Fragen »offen« zu formulieren, also Fragen zu vermeiden, die mit »Ja« oder »Nein« beantwortet werden können. Die Auswertung des Interviews ist die anspruchvollste Phase. Zunächst müssen zumindest wichtige Passagen verschrifthcht und auf Widersprüche abgeklopft werden. Einzelne Angaben müssen anhand anderer Quellen und Informationen überprüft und Einschätzungen des Zeitzeugen mit anderen Rechercheergebnissen verglichen werden. Ein zweites Interview kann helfen, Lücken zu schließen oder Widersprüche zu klären. Schließlich müssen die Aussagen bewertet und in den Kontext der eigentlichen Forschungsfragen gestellt werden. Wer sich mit der Nacherzählung der Lebensdaten der Zeitzeugen zufrieden gibt, verschenkt viele Erkenntnisse. Zweifellos ist die Zeitzeugenbefragung eine anspruchsvolle und sehr aufwendige Methode der historischen Forschung. Aber unter Beachtung einiger dieser Tipps lassen sich viele unverzichtbare Informationen gewinnen. Allein der Kontakt zu den Zeitzeugen ist ein großer persönlicher Gewinn. Nur Mut! Interview-Tipps auf einen Blick Vorbereitung: - Interviewziele festlegen - (Leit-)Fragenkatalog formulieren - Interviewpartner suchen - Kontaktaufnahme üben - Interviewpartner kontaktieren, über den Wettbewerb und den Inhalt des Gesprächs informieren - Termin und Ort des Gesprächs festlegen - Gesprächsführung üben - Technische Hilfsmittel überprüfen und ihren Einsatz üben - Mitbringsel organisieren Durchführung - Fotos, Gegenstände oder andere Quellen als Gesprächsanlass nutzen - Nachfragen und vorbereiteten Fragenkatalog nicht nur abhaken - Offene Fragen stellen - Evtl. einen zweiten Gesprächstermin vereinbaren Auswertung - Transkription wichtiger Interviewpassagen - Überprüfung des Gesagten anhand anderer Quellen und Informationen - Deutung des Gesagten, nicht nur bloße Hinnahme als »historische Wahrheit« «V -."'! '4& Dr. Martina Tschirner ist Lehrerin an der Freiherr-vom-Stein-Schule in Fulda, Mitarbeiterin am hessischen Institut für Qualitätsentwicklung (IQ) und jurorin des Geschichtswettbewerbs. SPUREN SUCHEN 2006 4I