Thomas Samhaber/Franz Pötscher/Niklas Perzi Fünf Jahre geöffnete Grenze er Journalismus ist bei überraschenden Begebenheiten mit Ausdrücken der Superlative meist schnell zur Hand. Bei positiven Veränderungen wird rasch vom „Jahrhundertereignis" oder von einer „Sternstunde der Menschheit" gesprochen. So wird vieles zur Sensation, was schon nach kurzer Zeit vergessen und von den nächsten sensationellen Neuigkeiten verdrängt wird. Dennoch scheint es im Verlauf der Geschichte Ereignisse zu geben, die über andere unübersehbar hinausragen. In solchen historischen Konzentrationspunkten können einerseits entscheidende Weichenstellungen für die weitere Entwicklung stattfinden, andererseits werden in den oft als unvorhersehbar empfundenen Ereignissen lange Vorgeschichten deutlich sichtbar. Bei der „Grenzöfrhung" zwischen Österreich und der Tschechoslowakei am 4. Dezember 1989 handelt es sich zweifelsohne um ein derartiges Ereignis. Im ersten Teil dieses Artikels sollen vor allem die Wochen rund um den Fall des „Eisernen Vorhanges" am Beispiel der Grenze Gmünd/ Cmunt-České Velenice nachgezeichnet werden. Als Hauptquelle dient uns die Darstellung in der verbreitetsten regionalen Wochenzeitung des Bezirkes, der Gmünder Zeitung, einer Regionalausgabe der Neuen Niederösterreichischen Nachrichten (NÖN); daneben stützen wir uns auf Aussagen, welche wir in zwei Interviewserien erhalten haben. Der zweite Teil ist vorwiegend dem Verhältnis von Österreicherinnen und Tschechinnen gewidmet, wie es sich aufgrund von Umfragen darstellt, die von den Autoren 1991 und 1994 auf beiden Seiten der Grenze durchgerührt wurden. Die Fotoseiten stellen einen eigenständigen dritten Teil dar und sollen verschiedene Spuren der österreichisch-tschechischen Kommunikation illustrieren. 1. Die „Grenzöffnung" Die Grenze vor 1989 - wie „tot" war sie? In Gesprächen mit den Bewohnerinnen des österreichischen Grenzgebietes kommt immer wieder zum Ausdruck, wie stark das Verhältnis zur Grenze und zum Grenznachbarn von traumatischen Erinnerungen bestimmt ist. Unsere Interviewpartnerinnen gingen immer wieder auf folgende historische Ereignisse ein: Die Abtretung der 13 Gemeinden des Gmünder Bezirkes an die Tschechoslowakei nach dem Ersten Weltkrieg, die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung nach 1945 sowie die als ungerecht empfundene Wiederherstellung der Vorkriegsgrenzen nach dem Zweiten Weltkrieg. Kaum erwähnt wurde dagegen die Rolle einzelner Österreicher als Soldaten der „Deutschen Wehrmacht" zuerst bei der Besetzung der „Sudetengebiete", dann der Tschecho-Slowakei und später im „Protektorat" während der Jahre 1938-1945. In den 50er Jahren prägte die Errichtung des „Eisernen Vorhanges" und dessen Undurchdringlichkeit das Erleben der Bewohnerinnen an der Grenze und bestätigte das im Westen aufgebaute Bild von den osteuropäischen Ländern als „Reich des Bösen". Vor allem das Schleifen und fast noch mehr der langsame Verfall der Dörfer im tschechischen militärischen Sperrgebiet, der teilweise von Österreich aus mitverfolgt werden konnte, nimmt in den Aussagen der Bewohnerinnen einen zentralen Platz ein. Bei manchen Interviewpartnerinnen ist das Erleben der Grenze bis 1989 noch deutlich von weit zurückliegenden Erinnerungen mitbestimmt. „Persönlich habe ich diese Grenze eigentlich als wohltuend empfunden. Dieser südböhmisch-waldviertlerisch-mühlviertlerische Kulturkreis wurde brutal zerstört und durchschnitten. Diese Trennung war für mich so endgültig, daß ich mir gedacht habe: ,Gut, wenn ihr das gemacht habt, dann soll es dabei bleiben.' Es war für mich leichter, das Faktum der Abtrennung zu akzeptieren und zu sagen: , Schön, ihr wolltet das so haben, geht euren Weg, wir gehen den unseren. Unser Weg geht hinauf, und wohin eurer geht, das werdet ihr sehen'" (Gespräch mit Eberhard E., Zollamtsdirektor i.R, 26. 10. 1994). In anderen Aussagen drückt sich die Angst vor der befestigten, strikt überwachten Grenze aus: „Die Grenze war in unserem Aufwachsen eigentlich tot. Von Kindheit an ist uns gesagt worden, die Grenze ist für euch tabu, (...) geht nicht zu nahe hin" (Wilhelm B., Bahnhofsvorstand, 26. 10. 1994). Bei illegalem Grenzübertritt hatten Österreicherinnen mit erheblichen Unannehmlichkeiten und Kosten zu rechnen - für die tschechoslowakischen Bürgerinnen war ein illegaler Grenzübertritt sogar lebensgefährlich. Sowohl geglückte als auch gescheiterte Fluchtversuche konnten in Gmünd direkt miterlebt werden. Spektakulär war etwa die Flucht eines Tschechen, der 1969 mit einem Kranwagen die Schlagbalken am Grenzübergang Gmünd- Böhmzeil/Ceske Velenice durchbrach und auf österreichischer Seite im Zollamtsgebäude steckenblieb. 85 Kranwagen im Zollamt Gmünd Quelle: Zollamt České Velenice Erschütterung löste auch der Fall des František Faktor aus, der bei seinem Fluchtversuch am 5. August 1984 auf österreichischem Boden erschossen wurde. Die letzte Flucht vor dem Eintreten der Reisefreiheit war die eines ^jährigen tschechischen Grenzsoldaten, der, als sein Kollege schlief, in der Nacht zum 3. 10. 1989 in Uniform auf den Gleisen der Franz-Josefs-Bahn nach Österreich lief (NÖN, 12. 10. 1989). So unüberwindlich die Barrieren zum Nachbarland auch erschienen, sie verhinderten doch nicht jede Kontaktaufnahme. So erzählte uns ein Pensionist aus Gmünd von seinen wiederholten Besuchen bei einem tschechischen Briefmarkensammlerkollegen, der schließlich auch zu einem Gegenbesuch nach Gmünd kommen konnte. Nach der Rückkehr mußte er den tschechoslowakischen Behörden allerdings eine genaue Schilderung seines Aufenthaltes geben (Gespräch mit Karl K., Pensionist aus Gmünd, 22. 10. 1994). Im allgemeinen handelte es sich bei den Reisen von tschechoslowakischen Bürgerinnen nach Österreich vor allem um organisierte Busreisen, etwa von Gewerkschaften, Arbeiter-, Sport- und Kulturvereinen sowie um Verwandtenbesuche. Für Österreicherinnen bestand die ganze Zeit über die Möglichkeit, das Nachbarland zu besuchen. Aufgrund der Visumspflicht war dies jedoch mit erheblichem bürokratischen Aufwand verbunden und wurde nur von wenigen Bewohnerinnen des österreichischen Grenzgebietes wahrgenommen. Viele besaßen nicht einmal einen Reisepaß. (Dies zeigte sich in den Wochen nach der „Grenzöffnung", als tausende Paßanträge bei der Paßabteilung der Bezirkshauptmannschaft Gmünd einlangten). Wie gering die Reisetätigkeit war, zeigt die durchschnittliche Zahl der Grenzübertritte beim Grenzübergang Gmünd-Böhmzeil im Jahr 1988. Im Jahresdurchschnitt waren es 15 Grenzübertritte pro Tag, im Jänner zwischen vier und fünf Personen, in der Hauptreisezeit August knapp 60 (Auskunft: Zollamt Gmünd). Ein in Gmünd kolportierter Witz bringt die damalige Realität auf den Punkt: „03 Verkehrsdienst. Die Wartezeiten an den Grenzen: Gmünd, 4 Stunden. Diese Mitteilung betrifft jedoch nur die Zöllner." In einer gewissen Weise wurde im Wald- und Weinviertel die „tote" Grenze sogar Teil der regionalen Identität und half, das Gefühl des „Benachteiligtseins" zu erklären. „Für die Grenzregion Waldviertel war der , Eiserne Vorhang' von Politikern aller Couleurs stets als die Ursache für seine Strukturprobleme hingestellt worden. Folgerichtig erwartete man von seiner Beseitigung das Verschwinden der regionalen Disparität" (Komlosy 1993). Den meisten Österreicherinnen waren das Land und dessen Bewohnerinnen auf der anderen Seite der Grenze so gut wie völlig fremd. In den Lokalzeitungen des Waldviertels war in den Jahren vor 1989 über die ČSSR nur sehr selten etwas zu lesen; meist im Zusammenhang mit harmlosen Grenzkonflikten, etwa wenn Spaziergänger beim Schwammerlsuchen versehentlich die Staatsgrenze überschritten, Hobbyflieger „ČSSR-Gebiet berührten" (NÖN, 27. 10. 1989) oder im Zusammenhang mit Besuchen tschechoslowakischer Politiker oder Vereine im Waldviertel. Wie fremd die ČSSR im Herbst 1989 den Österreicherinnen noch war, kommt auch in einer Artikelserie der NÖN über das tschechische Grenzgebiet zum Ausdruck. Stellenweise erhält man den Eindruck, als handle es sich hier um Berichte über eine Expedition in ein weit entferntes Land: „Dr. Katzenschlager berichtet: Interessante Eindrücke bei Reise jenseits des Eisernen Vorhanges. (...) Wir fuhren Orte, Täler und Landstriche ab, die nur wenige Kilometer von Weitra entfernt liegen und aber immer mehr aus unserem Bewußtsein schwinden und in eine schier unendliche Ferne gerückt sind" (NÖN, 19.10.1989). Hingegen waren die Bewohnerinnen auf der tschechischen Seite, wie wir in vielen Interviews bemerken konnten, via ORF über Österreich oft erstaunlich gut informiert. 86 Wenn die Medien in den Monaten unmittelbar vor der Grenzöffnung über die ČSSR berichteten, dann zumeist im Zusammenhang mit dem Bau des Atomkraftwerkes Temelín und dem österreichischen Widerstand dagegen. Die engagiert geschriebenen Artikel zu Temelín verstärkten das bedrohliche Bild von dem Fremden hinter der Grenze. „Langsam erkennt Bevölkerung: Dem Waldviertel droht Gefahr durch Temelín." „Diskussion zeigte: Ohnmächtig gegenüber Temelin-Bedrohung" (NÖN, 21. 9. 1989). Eine Abendveranstaltung wurde unter dem Titel angekündigt: „Notwehr gegen Temelín" (NÖN, 27. 10.1989). Die Gemeinden wollten eine „Schutz-gemeinschaft gegen Temelín" bilden (NÖN, 9. 11. 1989). Sogar dem Ereignis der „Grenzöffnung" selbst wurde in der Ausgabe vom 7. 12. 1989 weniger Platz eingeräumt als der Berichterstattung über die Temelín-Diskussion. Tauwetter in Sicht? „Die Berliner Mauer stürzt ein - der Eiserne Vorhang in Gmünd bleibt zugezogen", titelte die NÖN noch am 23. November 1989 und setzte fort: „Noch Eiszeit in Gmünd. Tauwetter in Sicht?" (NÖN-Magazin, 23. 11. 1989). Auch wenn sich an den Grenzübergängen zur ČSSR noch nichts bemerken ließ, gaben die Ereignisse in Ostdeutschland und Ungarn Grund zur Hoffnung: „Zwischen Budapest und Berlin spielen sich unbeschreibliche Szenen ab, an die selbst chronische Optimisten noch vor wenigen Monaten nicht im Traum zu denken gewagt hätten. Fällt als nächster der 462 Kilometer lange , Eiserne Vorhang' an Nieder-österreichs Grenze zur ČSSR? (...) Die Wirtschaft wittert Chancen, die Menschen stehen in hoffnungsfroher Erwartung" (NÖN, 23. 11. 1989). Ab November 1989 lassen sich vereinzelte Versuche feststellen, die vorher nur sehr spärlich vorhandene Kommunikation über die Grenze hinweg zu (re)aktivieren. So wurde zwischen den Städten Gmünd und České Velenice ein Abkommen unterzeichnet, das es tschechischen Ärzten ermöglichte, Notpatienten in das nahe Gmünder Krankenhaus zu überstellen (ebd.). Eine Städtepartnerschaft zwischen Gmünd und České Velenice, die vor allem sportliche und kulturelle Kontakte fördern sollte, wurde schon Anfang November 1989 in die Wege geleitet (NÖN, 9. 11. 1989), und die Schulpartnerschaft der Gmünder Gymnasien mit dem Gymnasium Sedlčany wurde Ende September 1989 abgeschlossen, wobei kleine Delegationen der Schulen einander besuchten (NÖN, 16. 11. 1989). „Zur Verbesserung der Beziehungen zur ČSSR im Interesse der regionalen Wirtschaft" gründete der Litschauer Bürgermeister am 30. November ein Komitee (NÖN, 7.12.1989), und in Gmünd wurden die ersten Tschechisch-Sprachkurse abgehalten, die auf unerwartet großes Interesse stießen. „Die erhoffte Öffnung der Grenze zur ČSSR löste einen wahren Run auf die Tschechisch-Sprachkurse aus" (NÖN, 5.10. 1989). 4. 12. 1989: Der erwartete Ansturm bleibt aus Trotz mancher Anzeichen dafür, daß die Grenze durchlässiger werden könnte, kam ihre „Öffnung" oder, amtlich gesprochen, „die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht für tschechoslowakische Staatsbürger" am 4. 12. 1989 doch überraschend. Viele konnten es kaum glauben, und zunächst nutzten nur wenige die Möglichkeit des erleichterten Grenzübertrittes. Vor allem junge Familien aus České Velenice kamen zu Fuß für einen kurzen Besuch nach Gmünd. Der erwartete Ansturm blieb jedoch - zur Enttäuschung mancher Reporter und Fotografen — an den Grenzübergängen des Oberen Waldviertels aus. In Gmünd war die Zahl der neugierigen Österreicherinnen, die — ohne sie dabei zu überschreiten - „Grenz' schaun" gingen, höher als die der Aus- und Einreisenden (NÖN, 7. 12. 1989). 159 Personen überquerten am 4. 12. 1989 die Grenze in Gmünd-Böhmzeil, 89 in Neunagelberg/ Halamky und nur fünf PKWs mit insgesamt 15 Personen den Grenzübergang Grametten/Nová Bystrice (NÖN, 7. 12. 1989). Grenzübertritte am Grenzübergang Gmünd-Böhmzeil/Ceske Velenice von Jänner 1989 bis Dezember 1993 Quelle: Zollamt Gmünd, Grafik: Samhaber 87 „Friedliche Invasion Tausender Tschechen" war die Schlagzeile auf der Titelseite eine Woche nach der „geöffneten" Grenze, und im Blattinneren hieß es weiter: „20.000 Tschechen bei uns auf Besuch: Tschechen strömen auch bei uns über die Grenzen" (NÖN, 14. 12. 1989). Die Reisetätigkeit der tschechischen Bevölkerung, die zunächst zögernd begonnen hatte, hatte eine Woche nach der Grenzöffnung ihren ersten Höhepunkt erreicht; bis zu 300 Personen pro Stunde wurden am Zollamt Neunagelberg/ Halamky abgefertigt. Zunächst betrafen die Reiseerleichterungen nur die tschechoslowakischen Bürgerinnen. So trat für mehr als zwei Wochen die skurrile Situation ein, daß tschechoslowakische Bürgerinnen bereits ohne, Österreicherinnen hingegen noch immer ausschließlich mit Visum ein- und ausreisen durften. Die Visumspflicht wurde schließlich noch vor Weihnachten (am 20.12.1989) abgeschafft, doch der beim Grenzübertritt zu tätigende Zwangsumtausch hielt viele Österreicherinnen von Kurzbesuchen in der Tschechoslowakei zurück, da die Ausfuhr der eingewechselten tschechoslowakischen Kronen nicht erlaubt war. So betrug der Anteil der Österreicherinnen an den Grenzübertritten in Gmund/České Velenice in der letzten Dezemberwoche nur 25%. Nach der Abschaffung des Pflichtumtausches am 8.1. 1990 änderte sich das schlagartig. Der Anteil der Österreicherinnen stieg im Verlauf einer Woche auf 60%. Mit Beginn des neuen Jahres ging die Reisetätigkeit kurzfristig stark zurück. Längerfristig stieg jedoch die Zahl der Grenzübertritte kontinuierlich an, erreichte im Sommer 1992 den absoluten Höhepunkt, ging ab Herbst 1992 wieder stark zurück und ist seit dieser Zeit, von saisonalen Schwankungen abgesehen, in etwa konstant geblieben (Auskunft Zollamt Gmünd). Begegnungen: Mitleid - Angst - Freundschaft „Im Dezember 1989 bin ich nach Gmünd gefahren, um mir noch rasch ein paar fehlende Installationsteile zu besorgen. Ich war mit einem Anorak und Turnschuhen bekleidet und hatte einen kleinen Rucksack mit. Ich wunderte mich über die seltsamen Blicke der Gmünder, bis ich erkannte, daß sie mich für einen Tschechen hielten; die Blicke waren nicht unfreundlich, aber scheu und etwas mitleidig" (Gespräch mit Günter S., März 1990). In wesentlich bescheidenerem Umfang als an anderen Orten (etwa in Hainburg, wo an einem „großen Freundschaftstreffen" Anfang Dezember 120.000 tschechoslowakische Bürgerinnen aus Preßburg/Bratislava teilnahmen) kam es im Grenzraum Südböhmen/Oberes Waldviertel zu freundschaftlichen Begegnungen und gemeinsamen Feiern von Österreicherinnen und Tschechinnen. Einige Beispiele aus den ersten Tagen sollen hier angeführt werden. So bauten am Grenzübergang in Neunagel-berg/Halamky am 4. Dezember Vertreter der Stadt Schrems kurzerhand einen Informationsstand auf, hießen die Besucher willkommen und luden sie zu einem kostenlosen Imbiß ein (NÖN, 7. 11. 1989). Am Gmünder Stadtplatz wurden von Gymnasiasten Spielsachen an tschechische Kinder verteilt (NÖN, 5. 1. 1990). Bei manchen österreichischen Unternehmungen der ersten Wochen freilich drängt sich der Verdacht auf, daß man die „Hilfsbedürftigkeit" der tschechischen Bevölkerung überbewertete. Der Stadtpfarrer von Gmünd I rief in seiner Sonntagspredigt die Versammelten zu einer Spende für Kinder und Bedürftige aus České Velenice auf. Drei Tage später fuhr man mit zwei Kleinlastwägen voll Mandarinen und Bananen in die benachbarte tschechische Stadt, um die gespendeten Südfrüchte zu verteilen (NÖN, 5. 1. 1990). Dennoch war allen diesen Aktivitäten gemei-sam, daß sie Zeichen für eine gute Nachbarschaft setzen wollten. Sie wurden von der tschechischen Seite auch als solche verstanden und durchwegs positiv aufgenommen. Zur größten und originellsten tschechischösterreichischen Begegnung in der Stadt Gmünd kam es, als eine 400 Personen umfassende Delegation des Bürgerforums von Wittingau/Třeboň der Stadt Gmünd einen offiziellen Besuch abstattete. Sie hatten nicht nur zwei Musikantengruppen und Třeboňer Karpfen als Geschenk mitgebracht, sondern auch einige Fässer Bier, die gemeinsam getrunken wurden. Aber nicht alle Gesten der Freundschaft stießen bei der österreichischen Bevölkerung auf ungeteilte Zustimmung. Der Betreiber des Gasthauses „Brückenwirt", der an die tschechischen Besucher gratis Gulasch und Bier ausgab, wurde deshalb von Einheimischen mit Worten wie „Erinnerst du dich nicht mehr an das Jahr 1945" scharf attackiert, und auch gegen das Verteilen von Spielsachen gab es Proteste von seiten der Gmünder Bevölkerung (NÖN, 5. 1. 1990). \r*éommentar m lj':;||«|.:; ||j ERNST GRATZL 1 aiiXällltt 1 Einer ist froh j ■ Obwohl Jahrzehntelang die hermetisch abgeriegelte CSSR-Grenze beklagt -wurde, I sind Jetzt, wo sie offen ist, kei- 1 nesfalls alle Waldviertler glück-j lieh. Im Gegenteil, viele sehen I 1 in den Gästen aus der CSSR 1 1 eine unerwünschte Belästi- 1 1 gung. Andere wiederum erln- 1 I nern sich an das Jahr 1945. Es I gibt aber auch Mitmenschen, I die die Entwicklung positiv se- I J hen, wie der Heidenreichstei- I ner Bürgermeister Präs. Hau-I fek bei seinem Neujahrsemp- I fang erwähnte. „Eigentlich I muß ich froh sein", hatte ihm ein Heimatvertriebener erzählt, I „denn so konnte ich mir in den I letzten Jahrzehnten eine neue I Existenz aufbauen. Hätte ich I bleiben können. Würde ich I Jetzt, wie so viele Tschechoslowaken vor den Schaufenstern I stehen und mir die angebote- I nen Waren nicht leisten kön- I nen. ! NÖN, 11. 1. 1990 Euphorie - Enttäuschung - Normalisierung Meist wird die Entwicklung des österreichisch-tschech(oslowak)ischen Verhältnisses seit dem Fall des „Eisernen Vorhanges" in diese drei chronologisch aufeinander folgenden Phasen eingeteilt. Diese generelle Tendenz läßt sich auch im Vergleich der Umfrageergebnisse von 1991 und 1994 deutlich nachweisen. Unabhängig davon finden sich jedoch innerhalb der Bevölkerung bei verschiedenen Gesellschaftsschichten und Interessengruppen divergierende Einschätzungen der Auswirkungen der „Grenzöffnung". Manche Personen(gruppen) sahen die neue Nachbarschaft von Anfang an stets als Chance und sind bis heute bei dieser Meinung geblieben. Bei anderen findet sich bereits in der Phase der ersten „Euphorie" eine negative Einschätzung. Vergleicht man die „Grenzöffnungs"-Feierlichkeiten im Raum Gmünd mit jenen in anderen Orten Österreichs, so kann nur eingeschränkt von euphorischer Stimmung gesprochen werden. Aufbruchsstimmung herrschte vor allem unter den Politikern. Man sprach davon, daß „die Ostregion hiermit in die Mitte Europas gerückt" sei. Der niederösterreichische Landeshauptmannstellvertreter Erwin Pröll forderte die Errichtung neuer Grenzübergänge und eine Orientierung der Regionalförderung auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit (NÖN, 14. 12. 1989). SPÖ-Nationalrat Rudolf Parnigoni kündigte eine Arbeitsgemeinschaft „Arbeitsmarkt ohne Grenzen" an: „Buslinien und die Franz-Josefs-Bahn sollen grenzüberschreitenden Arbeitnehmern das Pendeln ermöglichen. Betriebe sollen kooperieren, und bei der Ausländerbeschäftigung sollen CSSR-Bürger im Waldviertel Vorrang haben" (NÖN, 7. u. 14. 12. 1989). Die politischen Entscheidungsträger stellen wahrscheinlich jene Gruppe dar, auf die die Phasen Euphorie- Enttäuschung-Normalisierung wohl am ehesten zutreffen. Auf tschechischer Seite waren sowohl das Gefühl der Euphorie als auch der darauffolgenden Enttäuschung viel deutlicher zu bemerken als in Österreich. Dies geht auch aus den folgenden Umfrageergebnissen hervor. 2. Umfrageergebnisse 1991 und 1994 Mit der Grenzöffnung des Jahres 1989 rückte die Region an der österreichisch-tschechischen Grenze plötzlich in den Mittelpunkt des Interesses. Bekannte Journalisten begaben sich in die Grenzregion und berichteten in subjektiv gefärbten Momentaufnahmen über die augenscheinlichen Veränderungen. Für tiefergehende Analysen der Auswirkungen der Grenzöffnung gab es keine Quellengrundlage. Wir rührten daher 1991 in den österreichischen Bezirken Gmünd und Waidhofen an der Thaya/Bejdov nad Dyjí und den tschechischen Bezirken Neu-haus/Jindrichův Hradec und Budweis/České Budějovice eine repräsentative Umfrage (Sam-haber/Pötscher/Perzi/Kühne, 1992) durch. Im Rahmen des Projektes „Kulturen an der Grenze" wurde im Mai 1994 erneut eine Umfrage vorgenommen, bei der Fragebogen und Sample (n Ö = 431, n ČZ = 327) erweitert wurden. Im Vergleich der Ergebnisse von 1991 und 1994 können nun Anhaltspunkte für die innere Entwicklung der Nachbarschaft im Verlauf der letzten Jahre gewonnen werden. Die Einschätzung der wirtschaftlichen Situation Persönliche wirtschaftliche Situation Ö91 Ö94 CSFR 91 ČZ94 verbessert 42% 8% 9% 20% weder-noch 50% 75% 68% 65% verschlechtert 8% 17% 23% 15% Auf die Frage, wie sich die wirtschaftliche Situation des/der Befragten seit der Grenzöffnung entwickelt habe, gaben 1991 nur 9% der Tschechinnen eine Verbesserung an, wobei vor allem Selbständige und Freiberufler von der geänderten Situation profitieren konnten. 23% der Befragten gaben an, ihre persönliche Situation habe sich verschlechtert. Bei den Verlierern ist die Gruppe der Arbeiterinnen überdurchschnittlich vertreten. Als hauptsächliche Ursache für eine Verschlechterung wurden Reallohnverluste durch die hohe Inflationsrate angegeben. Ein direkter Zusammenhang mit den Auswirkungen der Grenzöffnung wurde überwiegend verneint. Auf der österreichischen Seite gab hingegen fast die Hälfte der Befragten an, ihre persönliche Situation habe sich in wirtschaftlicher Hinsicht verbessert, nur 8% gaben „verschlechtert" an, auch hier wurde meist kein unmittelbarer Zusammenhang zur Grenzöffnung gesehen. 1994 hat sich das Bild stark gewandelt: Während nun in Tschechien mehr Befragte „verbessert" angeben als „verschlechtert", waren bei den Österreicherinnen letztere deutlich in der Überzahl. | Wirtschaftliche Entwicklung der Region im i Zusammenhang mit der „Grenzöftnung" Ö91 Ö94 ČSFR 91 ČZ94 positiv 42% 21% 22% 67% weder-noch 50% 31% 38% 25% negativ 8% 48% 40% 8% Diese unterschiedliche Entwicklung in der Haltung von Österreicherinnen und Tschechinnen drückt sich noch deutlicher bei der Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven für die eigene Region und bei den Prognosen für die Zukunft aus: Besonders zu denken gibt, daß 1994 mit 48% fast die Hälfte aller befragten Österreicherinnen angab, die wirtschaftliche Entwicklung ihrer Region habe sich mit der Grenzöffnung verschlechtert. 1994 bewerteten die Befragten aus Tschechien die zukünftige Entwicklung der Region zwar eindeutig positiv (65% „optimistisch" und 13% „pessimistisch") jedoch nicht mehr ganz so optimistisch wie 1991 (71% und 7%). Auf der österreichischen Seite schätzten mit 40% (1991 waren es 16%) mehr Menschen die Entwicklung pessimistisch ein als optimistisch (36%) - 1991 befanden sich die Optimisten noch mit 52% in der Mehrheit. 89 Wirtschaftliche Zusammenarbeit Ö94 ČZ94] sehr positiv 8% 17% 1 positiv 36% 35% weder-noch 35% 45% negativ 13% 3% sehr negativ 8% 0% Negativer als von den Tschechinnen wurde von den Österreicherinnen auch die wirtschaftliche grenzüberschreitende Zusammenarbeit beurteilt. Diese wurde zwar von einer Mehrheit (44%) gutgeheißen, aber von immerhin 21% der Österreicherinnen abgelehnt. Im Gegensatz zu Österreich war diese Gruppe auf der tschechischen Seite verschwindend klein, rund die Hälfte stand dort wirtschaftlichen Kooperationen positiv gegenüber. Die verbleibende knappe Hälfte antwortete neutral. Motivation und Frequenz von Reisen ins Nachbarland Reisefrequenz seit 1989 Ö91 Ö94 ČSFR 91 ČZ94 noch nie 14% 7% 7% 6% ein- bis 1 zweimal 54% 27% 31% 32% ein- bis zwei-| mal im Jahr 23% 40% 32% 42% bis zweimal im Monat 6% 18% 23% 16% öfter 3% 8% 7% 4% Eineinhalb Jahre nach der Grenzöffhung hatte mehr als die Hälfte der im Grenzgebiet lebenden Österreicherinnen das Nachbarland erst ein-oder zweimal besucht. 14% hatten die Grenze seit 1989 überhaupt noch nie überschritten. Auf der tschechischen Seite hatten im selben Zeit- 90 räum hingegen 93% Österreich bereits besucht, davon 62% öfter als zweimal. Die Reisefrequenz der Tschechinnen war 1991 also noch deutlich höher als die der Österreicherinnen. Mittlerweile hat die Reisetätigkeit der Österreicherinnen zugenommen, die der Tschechinnen hingegen ist bis 1994 etwas zurückgegangen. Einmal im Monat und öfter fuhren 1991 noch 30% der Tschechinnen, 1994 waren es nur mehr 7,5%. Gründe für die Reisen ins Nachbarland | Ö91 Ö94 ČSFR 91 | ČZ 94 J Freunde, 1 Bekannte (1991: und Verwandte) 21% 2% 22% 14%| Verwandte 4% 7%| Vereinsausflüge 23% 12% 27% 15% Tourismus 54% 38% 53% 49% 1 Einkauf 15% 50% 33% 52% 1 Gastronomie 19% 10% 0,5% j berufliche Gründe 4% 4% 4% 6% Besuch von Veranstaltungen 6% 14% Deutliche Veränderungen sind auf beiden Seiten bei den Motivationen für die Grenzübertritte festzustellen. Vereine spielen 1994 in diesem Zusammenhang eine weitaus geringere Rolle als 1991. Der Prozentsatz der Befragten, die „Vereinsaus-flüge" als Grund für ihre Besuche im Nachbarland angeben, hat sich von 23% auf 12% (in Österreich) bzw. von 27% auf 15% (in Tschechien) verringert. Zwischenmenschliche Kontakte (Besuch von Bekannten und Verwandten) als Reisemotivation hatten in Tschechien 1991 und 1994 mit rund 22% den gleichen Stellenwert wie in Österreich 1991 (21%); bei den Österreicherinnen fällt jedoch eine markante Veränderung auf- nur mehr für 6% der Befragten von 1994 war dies noch ein relevanter Grund für eine Reise ins Nachbarland. Tourismus wurde bei der Umfrage 1991 sowohl bei den Tschechinnen als auch Österreicherinnen als Hauptgrund für Grenzübertritte genannt. 1994 hieß der Hauptgrund in beiden Ländern: Einkaufen. Wie stark gegenwärtig die Einkaufsmöglichkeiten das Reiseverhalten bestimmen, geht auch deutlich aus der folgenden Zollamtsstatistik hervor, die die Anzahl der Grenzübertritte am Übergang Gmünd-Böhm-zeil/České Velenice für den Monat August 1994 ausweist. Zu erkennen ist deutlich, daß an Sonn-und Feiertagen wesentlich weniger Reiseverkehr über die Grenze stattfindet, es sei denn, es handelt sich um einen österreichischen Feiertag, der in Tschechien Werktag ist und an dem die Geschäfte folglich geöffnet haben. Dagegen ist der Besuch von Veranstaltungen zwar für manche Tschechinnen (14%), aber kaum für Österreicherinnen (6%) entscheidend. Berufliche Gründe sind in beiden Ländern nur für eine kleine Gruppe von 4% (Ö) bzw. 6% (ČZ) von Wichtigkeit. Tatsächlich ist die Zahl der in den Bezirken Gmünd und Waidhofen beschäftigten Tschechinnen gegenwärtig sehr gering. Laut Schätzung des Arbeitsamtes Gmünd sind rund 200 tschechische Arbeitnehmerinnen im Bezirk Gmünd beschäftigt. Bevorzugtes Reiseziel ist 1994 auf beiden Seiten eindeutig die benachbarte Region. Nur 19% der Österreicherinnen und 24% der Tschechinnen gaben weiter entfernten Zentren wie Prag und Brunn bzw. Wien und Linz den Vorzug. Zwischenmenschliche Beziehungen Erstaunlich hoch ist der Prozentsatz jener Befragten, die bei den Umfragen 1991 und 1994 angaben, bereits vor der Grenzöffnung persönliche Kontakte im Nachbarland gehabt zu haben. Um die 12% sind es bei den Österreicherinnen, bei den Tschechinnen sogar um die 20%. Interessanter ist jedoch, in welchem Ausmaß von 1989 bis 1994 persönliche Kontakte stattgefunden haben. 1991 gaben 29% der Österreicherinnen und 45% der Tschechinnen an, neue Bekanntschaften im Nachbarland gemacht zu haben. Dies weist auf eine starke Bereitschaft hin, U ~i i i i í~~r r~r i i i i i i t i i i i i i i i i i i i i i r r i i o 5 s i « ^ d i s ĺ « » s § s t«i ° s á í s Grenzübertritte Gmünd- Böhmzeil/ České Velenice, August 1994 auch auf der privaten Ebene über Sprachschwierigkeiten hinweg miteinander in Kontakt zu kommen. Seit 1991 ist dieser Prozentsatz jedoch nur bei den Tschechinnen (auf 57%), jedoch nicht bei den Österreicherinnen gewachsen. Persönliche Erfahrungen mit den Nachbarn Ö91 ČSFR 91 Ö94 ČZ94 [positiv 46% 84% 44% 47% [neutral 41% 15% 48% 46% [negativ 13% 1% 8% 7% schiedlichem Ausmaß: „Negative Erfahrungen" mit Österreicherinnen gaben praktisch keine Tschechinnen an; bei den Österreicherinnen waren es immerhin 13%, die „negative" oder „sehr negative" Erfahrungen nannten. 1994 näherten sich die Antworten beider Seiten stark an: Es fand sich auch auf der tschechischen Seite etwa der gleiche Prozentsatz an Befragten, die „negative Erfahrungen" ankreuzten. Auch in dieser Frage ist in Tschechien eine deutliche Abschwächung des anfangs so überaus positiven Österreichbildes zu bemerken. Die Frage nach den persönlichen Erfahrungen mit Bürgerinnen aus der ČSFR (ČZ) bzw. Österreich wurde 1991 von beiden Seiten noch sehr unterschiedlich beantwortet. Auf beiden Seiten überwogen eindeutig die positiven Erfahrungen gegenüber den negativen, jedoch in sehr unter- Stimmung in der Heimatgemeinde gegenüber j Bürgerinnen des Nachbarlandes Ö91 Ö94 ČSFR 91 ČZ94 1 positiv 33% 29% 77% 35% | neutral 41% 49% 22% 48% | negativ 26% 22% 1% 17% Dieselbe Tendenz bemerkt man auch bei der Frage nach der Stimmung in der Gemeinde. 77% der befragten Tschechinnen schätzten 1991 die Stimmung in ihrer Gemeinde gegenüber Österreicherinnen noch „gut" oder „sehr gut" ein, 1994 waren dies nur mehr 35%. Die in der Gemeinde vorherrschende Stimmung gegenüber Österreicherinnen wird zwar in Tschechien immer noch positiver betrachtet als umgekehrt, der Unterschied beträgt aber nur wenige Prozentpunkte. Spracherwerb Ö91 ČSFR 91 Ö94 ČZ94 |ja 22% 87% 12% 77% nein 78% 13% 88% 23% Voll Optimismus erklärte Oldřich Lhotsky vom Bürgerforum Wittingau/Třeboň in einer Rede anläßlich eines Besuches in Gmünd Anfang Jänner 1990 (NÖN, 5. 1. 1990): „Die Leute finden wieder zueinander. Es trennt uns nichts mehr als die Sprache. Aber die kann man auf beiden Seiten lernen. Der Weg ist frei und soll auch immer frei bleiben." Wenn die sprachlichen Barrieren mittlerweile deutlich geringer geworden sind, dann liegt das fast ausschließlich an den erweiterten Deutschkenntnissen der tschechischen Bevölkerung. 1991 gaben 87% der tschechischen Befragten an, Deutschkenntnisse erwerben bzw. erweitern zu wollen. Drei Jahre später hatten sich diese in der eigenen Einschätzung bereits deutlich verbessert - waren es 1991 noch 34%, die keine Deutschkenntnisse besaßen, so sind es heute nur mehr 7%. 63% verfügen über „gute" oder „sehr gute" Deutschkenntnisse; seit 1991 hat sich also diese Gruppe mehr als verdoppelt. Von geringem Erfolg gesegnet sind hingegen die Versuche der Österreicherinnen, die andere Sprache zu erlernen. (Zumindest mittelmäßige) Sprachkenntnisse besaß 1994 nach wie vor nur eine verschwindend kleine Gruppe von 3% der Befragten. Die Besuche von Tschechisch-Sprachkursen haben sich in unserer Umfrage noch nicht auf die Sprachkenntnisse ausgewirkt 91 RADIO-MULLER Heidenreichstein RADIO-TV-STEREO-VIDEO ~lŘAFlO"-MULLĚŘ~ Litschau VE'KERÉ ELEKTRO+KUCHYŇSKÉ BOŽÍ-MR ŽÁKY LEvíBIČKY-MIKRO+TROU /-AUT. RRAČKY-SPORAKY FOTOPRÍSLUŠENSTVÍ RADIO-TV-STEREO-VIDEO j»4r *aMfimt<-rlMtrh»flÍKuns in Sk-ilcrinlermvh Kl Jsa 1 • i jj»»l3ííj«-rtí»rri Rh- ■ • ííWSaí»»»»«« • t-rteití i»«rdc«i the \ :«*•>?--u" u r i!Qri,>! clahťi with kvint ífeftfCírtÍEKiía • i!k . , »«tirftJvÉf;« rrfíenra ľ'--.»:.-, «s» í.eijííSaci'«*?? Siwfä'Mfchr ArhvíUkriílif jr prtii/dciiu ffrinc? itMiohnu v!ľo misu papr ncfliuhou pn.it.' Juiiinc informace o volfrvck (n>^t^.'ii 'unc pŕÍL'bozim •HfcnKÜi.-.di i Oberes Waldviertel: Aufschriften fúr tschechische Besucherinnen kktäᣠ03G¥OJ)£ &>C/J>£ WC// Mesto nákupu Gmünd 4 Einkaufszentren Centrum nákupu Stadtplatž Náměstí tchubertplatz ubertovo náměstí Bahnhbfstraße «tanrenipt^0 Nádražní ulice $cs\téVé\eiäce Kirchengasse Kostelní ulice 92 — höchstens insofern, als man nun die eigenen Sprachkenntnisse kritischer einschätzt. Behaupteten 1991 noch 41% der Österreicherinnen, „geringe" Tschechischkenntnisse zu besitzen, so waren es 1994 nur mehr 15%. Mittlerweile ist der Besuch von Sprachkursen rückläufig. Bei den Kursen der Volkshochschule Gmünd gab es 1991 noch genügend Interessierte, um vier Tschechisch-Sprachkurse mit je ca. 12 Teilnehmerinnen abhalten zu können. Seit 1993 reichen die Anmeldungen gerade aus, um einen Kurs pro Jahr abhalten zu können (Auskunft VHS Gmünd). „Die meisten Fortgeschrittenenkurse wurden mangels Anmeldungen abgesagt" (Bernhard Schneider 1995). Das Bild vom Nachbarn Das tschechische Bild von den Österreicherinnen Ein überraschendes Ergebnis der Umfrage 1991 war das positive Bild, das die Tschechinnen von Österreicherinnen hatten. In Österreich schien fast alles besser zu sein als daheim. 1994 relativierte sich dieses überwältigend positive Bild doch stark. Beurteilte 1991 nur 1% der Befragten die Stimmung gegenüber den Österreicherinnen als überwiegend negativ, so waren es 1994 ganze 17%. Man darf aber nicht übersehen, daß immer noch positive Eindrücke überwiegen. Aufgrund einer einzigen Assoziationsfrage („Was fällt Ihnen spontan zu Österreich ein?") lassen sich Rückschlüsse auf das Österreich-Bild anstellen. Die Liste der häufigsten Nennungen sah 1991 folgendermaßen aus: Ordnung 16% Sauberkeit 15% Alpen, Berge 15% Höherer Lebensstandard 12% Wien 10% Schöne Landschaft 8% Achtung, Anstand, Rücksicht 7% Schöne bzw. volle Geschäfte 4% Es zeigt sich, daß die Tschechinnen aufgrund der wenigen ersten Eindrücke Österreich vor allem im Vergleich zu ihrem eigenen Land wahrnahmen. Die Volkskundlerin Vera Mayer beschreibt, wie stark das „erste emotionelle Moment" bei vielen Tschechinnen beim ersten Grenzübertritt war. „In Wien war es durch andere, optische Eindrücke, die vollen Geschäfte, die Sauberkeit, die gepflegte Umgebung usw. schon ein wenig überlagert. Es kam zum äußerlichen Vergleich der zwei Welten, der bei vielen förmlich zu einem Kulturschock führte." Mayer entwirft auf der Basis qualitativer Interviews, die während des ersten Massenansturms von Tschechoslowaklnnen in Wien im Dezember 1989 durchgeführt wurden, ein unserer Umfrage ganz ähnliches Bild von der Haltung der Tschechoslowaklnnen zu den Österreicherinnen: „Die Ordnung, die Sauberkeit, die renovierten und gepflegten Häuser, die Ruhe und die vorweihnachtliche Behaglichkeit haben alle sehr beeindruckt. Vor allem aber die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Wiener wurde hoch gelobt" (Mayer 1990). 1994 hatten sich die Assoziationen der Tschechinnen mit Österreich etwas verändert: Alpen, Berge 20% Sauberkeit 10% Wien 9% Nachbar 8% Streit um Temelín 5% freundschaftliche Beziehungen 5% Österreich-Ungarn 4% Ordnung 3% Entwickelte Wirtschaft 3% Gute Lebensbedingungen 3% Sport 3% Saubere Umwelt 3% Es zeigt sich, daß jene wenigen Schlagworte, die sich nur in einem oberflächlichen Vergleich auf die Zustände in der Heimat beziehen, tendenziell weiter nach hinten gerutscht sind (Ordnung, Sauberkeit). Das Bild ist insgesamt differenzierter geworden, was sich schon aus der höheren Anzahl von Antworten ablesen läßt (1991: 40, 1994: 70). In vielen Dingen empfinden die befragten Tschechinnen Österreich immer noch als Vorbild, besonders was den Bereich der Wirtschaft, der Lebensbedingungen, des sozialen Friedens und des Umweltschutzes betrifft. Häufig werden die guten nachbarschaftlichen Beziehungen betont, daneben sind aber auch jene Faktoren stärker ins Bewußtsein gerückt, die die Beziehungen zwischen den beiden Ländern belasten. Dabei ist an erster Stelle der Streit um das II SUVENÝRY 999*9«* DÁRKY-SKLO POHLEDY CIGARETY TOALET. POTŘEBY ■ I SMĚNÁRNA 999W999 WECHSELSTUBE GESCHENKE-GLAS ANSICHTSKARTE DÜNSTIGE PRI VERKAUF ZIGARETTEN Südböhmische Grenzregion: Deutschsprachige Aufschriften für österreichische Besucherinnen Fotos: Thomas Samhaber 93 Atomkraftwerk Temelín zu nennen, der mit 11 Nennungen immerhin den fünften Platz in der Liste einnimmt. Auch die Probleme rund um die Vertreibung/Aussiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung fallen einigen Befragten ein. Geht man in der Reihenfolge weiter nach unten, so finden sich durchaus auch einzelne sehr negative Assoziationen wie: „Die Österreicherinnen kaufen unsere Geschäfte leer", „Mittlerweile sind wir ihre Diener geworden", „Sie werden am Grenzübergang bevorzugt", „negative Erfahrungen", „SS", „Unbildung", „die Aufschriften: Bitte nicht stehlen". Zusammenfassend kann man sagen, daß sich das Bild der Tschechinnen von den Österreicherinnen etwas zurechtgerückt hat. Es werden nicht nur mehr Äußerlichkeiten oberflächlich miteinander verglichen, auch die Probleme in den gegenseitigen Beziehungen sind stärker ins Bewußtsein gerückt. Der fast unglaublich positive Eindruck, den die Tschechinnen in der ersten Euphorie von den Österreicherinnen gewonnen hatten, hat sich aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre relativiert. Besonders im Grenzgebiet treten die österreichischen Besucher weniger in der Form des interessierten Touristen als vielmehr in der Form des hamsternden und mit Geld um sich werfenden reichen Nachbarn auf, was naturgemäß Unwillen und Neid bei der ansässigen Bevölkerung hervorruft. Dennoch ist die Einstellung zu den Österreicherinnen auch im problematischeren Grenzraum immer noch überwiegend positiv. Das österreichische Bild von den Tschechinnen Auf österreichischer Seite standen 1991 bei den Nennungen eher negativ besetzte Begriffe im Vordergrund. „Atomkraftwerke", „Temelín" und „Umweltverschmutzung" wurden am häufigsten genannt. Atomkraftwerke, Temelín 25% Umweltverschmutzung 7% Sehenswürdigkeiten 6% Nachbarschaft 5% Tschechische Orte 5% Tschechen; „Behm" 4% Rückständigkeit 3% Vergleich dazu die Ergebnisse von 1994: Atomkraftwerke, Temelín 27% Billige Einkaufsmöglichkeit 16% Sehenswürdigkeiten, Prag 9% Umweltverschmutzung 7% Schimpfwörter 3% Freizeit, Sport 3% Angst vor Arbeitsplatzverlust 2,5% Vertreibung 2,5% Kommunismus 2,5% Immer noch dominieren „Atomkraftwerke" und an dritter Stelle „Umweltverschmutzung". Symptomatisch für die Entwicklung der Nachbarschaftsbeziehungen im Grenzraum ist der am zweithäufigsten genannte Begriff. Jede(r) Sechste assoziiert mit Tschechien „billige Einkaufsmöglichkeit". 1991 wurde Tschechien mit „Einkauf noch kaum in Verbindung gebracht. Die nunmehr zentrale Rolle, die der private Konsum im Verhältnis der Österreicherinnen zur tschechischen Nachbarregion spielt, zeigt sich hier ebenso deutlich wie in der Untersuchung des Reiseverhaltens. Auch in Interviews, die im Rahmen des Forschungs- und Ausstellungsprojektes „Kulturen an der Grenze" für einen Videofilm aufgenommen wurden, bezogen sich die Aussagen der Befragten zumeist auf die Welt des Konsums. Häufiger als 1991 werden 1994 aber auch Sehenswürdigkeiten genannt. Auch „Freizeit und Sport" spielen 1994 eine Rolle. Bei den weiteren häufig gegebenen Antworten handelt es sich um vorwiegend negativ besetzte Begriffe wie „Vertreibung" und „Kommunismus" oder gar Schimpfwörter. Die „Angst vor dem Verlust des eigenen Arbeitsplatzes" wird nun mit dem tschechischen Nachbarland assoziiert. Es besteht die Gefahr, daß die nun „geöffnete" Grenze ebenso wie zuvor die „tote" als monokausales Erklärungsmodell für die wirtschaftlichen Probleme der Peripherie Waldviertel dienen muß, zumindest was die österreichische Seite anlangt. Dies würde freilich auf Kosten einer konstruktiven regionalen österreichisch-tschechischen Zusammenarbeit im Grenzraum gehen. Literatur Hölzl, Andrea: 1992 Entwicklungsmöglichkeiten für den Bezirk Gmünd anläßlich der Öffnung der tschechischen Grenze. Eine wirlschaftsgeographische Untersuchung insbesondere über die Chancen in den Sektionen Handel und Gewerbe. Diplomarbeit. Wien Komlosy, Andrea: 1993 Kluft statt Stacheldraht. In: Zolltexte 2: 13f Komlosy, Andrea: 1992 Sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Abriß der Region Gmünd-Ceske Velenice. In: Das Waldviertel, Jg. 41,1: 26-61 Mayer, Vera: 1990 Der sanfte Weg vom Wenzels- zum Stephansplatz. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, Neue Serie Bd. 44,1: 43 Ohagen, Hermann-Josef: 1992 Das österreichische Waldviertel und Südböhmen nach der Öffnung der Grenze. Chancen und Perspektiven eines peripheren Grenzraumes aus geographischer und planerischer Sicht. Diplomarbeit. Köln Reichmann, Hannes/Rotomer, Erich: 1990 Waldviertel: Das Armenhaus erwacht. In: Option: 28-34 Samhaber, Thomas/Pötscher, Franz/Perzi, Niklas/ Kühne, Martin: 1992 Die Folgen der Grenzöffnung in der Einschätzung der Bewohnerinnen der südböhmischen/ Waldviertler Grenzregion. In: Das Waldviertel, Jg. 41,4: 372-389 Samhaber, Thomas: 1995 Leben an der Grenze. Videofilm zur Ausstellung „Kulturen an der Grenze", Waldviertel Akademie Schneider, Bernhard: 1995 Die regionalwirtschaftlichen Auswirkungen der offenen Grenze in der Grenzregion Südböhmen/Waldviertel - Erfahrungsbericht und Handlungsbedarf aus der Sicht eines österreichischen Planers. In: Územní plánováni a urbanismus. Hg.: Terplan a.s. + Ministerstvo hospodářství ČR Worm, Alfred: 1990 Die geteilte Stadt. In: profil Nr. 17: 98ff 94