■J* i í Produktions-, Lebensform, an geltenden Normen der Moral und Religion, aber dies alles von einer wel anschaulich nicht festgelegten Warte aus. Auch dies ist ein Faktor der Ichdissoziation. Die Kritik am Allgemeinen 1 ) integriert sich nicht in eine allgemeine Bewegung. Die im Vaterkonflikt J f / symbolisch ausgetragene Auseinandersetzung mit dem allgemeinen, als ^zwanghaft erfahrenen Syst m desintegriert das Ich aus diesem System, /aus sozialen Bindungen und Normen, ohne jedoch eine klar definierte ( neue Identität anzubieten. V Das ist bei keinem Auto so deutlich wie bei Ernst Toller. In seinem 1919 in Gefangenschaft geschriebenen Drama 'Masse Mensch* steht "Die Frau", der bürgerlichen Kla se entstammend und mit einem Mann dieser Schicht verheiratet, aber fü die Sache des Proletariats engagiert, so ausweglos zwischen Bürgertum und Proletariat, wird so auseinandergerissen durch den Widerspruch zwischen ihrer ethischen Maxime der Gewalt-losigkeit und dem gewaltsamen Mittel des Klassenkampfes, daß eine politische Solidarisierung mit keiner sozialen Gruppe mehr möglich ist (siehe Kap. 3.4). Diese ausweglose Situation repräsentiert, wie wir sehen werden, Tollers eigene Lage und stellvertretend in Toller die Struktur-* krise des Expressionismus gegen Ende des expressionistischen Jahrzehnts. War es doch die politische Polarisierung am Ende der Wilhelminischen und zu Beginn der Weimarer Ära, die wesentlich zur Auflösung der Bewegung des Expressionismus beigetragen hat. f 2.7.3 Das Wahnsinn- und Selbstmoidmotiv im Expressionismus In einer solchen sozialpsychologischen Situation ist ein sensibles und labiles Ich besonders gefährdet. Und in der Tat weist die Häufigkeit des Wahnsinn- und Selbstmordmotivs auf diese Gefährdung hin. Georg Heyrn spricht von Menschen, "drinnen der Wahnsinn krallt" (279, 431); "Selbstmörder gehen nachts in großen Horden" (ebd., 440). Ein Gedichtzyklus ist überschrieben 'Die Irren" (ebd., 253 ff.), ein anderes Gedicht cDie Selbstmordeť (ebd., 472). In 'Die Dämmerung' von Lichtenstein heißt es lapidar: "Ein blonder Dichter wird vielleicht verrückt" (462, 44), zwei weitere Gedichte sind überschrieben: 'Die Fahrt nach der Irrenanstalt'. Bei van Hoddis finden sich die Verse: 1st es Irrsinn, isťs Erleben, Daß man so ins Leere rennt? Darf man wie 'ne Sonne schweben Brennend hoch am Firmament/ (310, 42) Woher die Häufigkeit dieser Motive? Die Eingangsverse von van Hoddis ■ zeigeTHieXníbl^äienz der Bedrohung. Der Autor war sicher auch, wie } Erwin Loewenson feststellt, "ein Opfer seines waghalsigen Experimentier rens mit sich selbst." (ebd., 117) 182 Viele Autoren stellen jedoch, so Wilhelm Klemm im Gedicht 'Meine Zeiť, den wohl noch wichtigeren Zusammenhang her zwischen der dge-nen/"so namenlos zerrissenen" Zeit und des "Wahnsinns Abgrund" (22, 40), zwischen der Erfahrung entfremdeter Wirklichkeit und Mord-, Selbstmord-, Wahnsinnsmotivik. So entwickelt Hasenclevers Drama 'Die Menschen' in einer Folge surrealer Szenen groteske Wirkungen, indem es das Motiv des "zerrissenen Menschen" sozusagen wörtlich nimmt. Der ermordete Alexander läuft mit seinem Kopf im Sack auf der Bühne herum und konstatiert lakonisch: "Wir liegen im Grabe." (267, 205) Vor einem Schwurgericht aussagend: "Alle sind Mörder", antwortet ihm der Ruf: "Ins Irrenhaus!" (ebd., 214) Die Sprache des Kurzdramas ist über weite Strecken eine selbst zerrissene Kette von Einwortsätzen. Tollers Drama 'Die Wandlung' beklagt als Ausgangslage "diese Zerrissenheit" und führt sie konkret in der Form kriegsverkrüppelter automa-tenhafter Menschen vor. Georg Heyms 'Der Irre' (siehe 2.6.4.2) und Alfred Döblins 'Die Ermordung einer Butterblume' beschreiben die Mordprojektionen eines Irren bzw. Psychopathen als eine selbst gesellschaftlich motivierte Form von Aggression und Mordrausch. Die Dialektik von kerkerhafter Eingrenzung des Subjekts durch sich selbst in der modernen Gesellschaft und einem 'Außer-sich-sein' erkennt Ernst Wilhelm Lotz im Gedicht 'Nachtwache ...': Wir sind umragt von uns ... ... wir sind außer uns: Vor unsrer Enge ... (1, 125) An Stelle einer Vielzahl von Belegen, die hier leicht noch anzuführen wären, möchte ich eine erschütternde Brief stelle von Georg Trakl zitieren. Trakl schreibt 1913 an Ludwig von Ficker: Es [ist] ein so namenloses Unglück, wenn einem die Welt entzweibricht. O, mein Gott, welch ein Gericht ist über mich hereingebrochen. Sagen Sie mir, daß ich die Kraft haben muß noch zu leben und das Wahre zu tun. Sagen Sie mir, daß ich nicht irre bin. Es ist steinernes Dunkel hereingebrochen. (577, 186) Für viele Expressionisten war der 1. Weltkrieg radikaler Ausdruck dieser inneren Zerrissenheit der Zeit. Nach der Schlacht von Grodek, an der er als Sanitäter teilgenommen hatte, nahm sich Trakl im November 1914 das Leben. In seiner frühen, noch ganz undogmatischen'Theorie des Romans hat Georg Lukács den'Zusammenhang zwischen mocWner Wirklichkeitsproblematik einerseits, Verbrechen und Wahnsinn andererseits erkannt: ". f. Verbrechen und Wahnsinn sind Obiektivationen der transzendent fc taien Heimatlosigkeit." (/547Wl[nsbesondere für den so radikal ideolo-"gíekritischen ExpressiomsmuT~gilt diese Einsicht. Die Aullösung von, 183 Metaphysik nr»d dig damit verbundene Zerstörung eines 'absolut' gesicher-* jrn wHtHHrn r*"*1*- m f "T» rTfnerationf die an einem solchen W^ hild noch orientiert war, zerstörerisch wirken. Ia, diesem Sinne sind die^ lAotive Wahnsinn, Selhstdestruktion und häufig auch Mord in erster -~T,inie Aus^mrk drŕ Trfnnmnr flin-r 'Vprrissenen Zeit" und nicht etwa nnT ]rHividni1pnTrhrr1n{:ir4> 7" ^fŕ>rprftifľi Tl Insbesondere der bereits von Nietzsche erkannte Zusammenhang zwischen absoluter Vernunftherrschaft lffid Wahnsinn würde eine Reduktion auf individualpsychologische Faktoren verbieten, obwohl, bei genauen Fallstudien, natürlich von ihnen nicht zu abstrahieren ist. In Nietzsches 'Zarathustra* heißt es: Nicht nur die Vernunft von Jahrtausenden - auch ihr Wahnsinn bricht • an uns aus. Gefährlich ist es, Erbe zu sein. (650, 338) Ich habe den Zusammenhang zwischen hypertropher Rationalität und kollektiven Formen von Wahnsinn insbesondere am Werk Carl Einsteins und Gottfried Benns zu zeigen versucht (siehe 2.6.4.5 ff.L Gerade diese f Autoren haben ja kritisch aufmerksam ^pmacht anf die innere Pialf.RfiK ■ f zwischen einer totalitären, sich selbst einschnüren H pn Rationalität und, fr aufbrechéngeřnFořřnen von Irrationalität, ja Wahnsinn, die ihren verv, i^gr^^^p Alfrwv im w^w;T ^den sollten^So kritisiert auch ~ Tollers Drama 'Die Wandlung' mit einem gespenstischen Auftritt von Kriegskrüppeln, die künstlich von einem Medizinprofessor zusammengeflickt worden sind, zugleich Kriegspolitik und das 'Synthese'vermögen rationaler Wissenschaft. Immer geht es jedoch primär um gesamtgesellschaftliche Phänomene, nicht nur um psychologische Kategorien. Die Psychologie, z. B. die Schizophrenieforschung, hält nur unzureichende Modelle für die hier angedeuteten Phänomene parat. Wenn die von Bateson u. a. entwickelte "double-bind-Theorie" und die von Lothar f rappmann beschriebene 'Soziologische Dimension der Identität' prinzipiell bereits den Sozialisierungsprozeß in die Schizophrenieforschung einbeziehen, so wird hier doch immer noch zu wenig auf die Historizität sozialer Normen reflektiert. Zu Recht weist Hans Kilián in 'Das enteignete Bewußtsein' auch auf die Grenzen der Psychoanalyse bei der Er-f forschung und Behandlung voru I.dentitätsstöiungen. Diese Grenzen be-^~- stünden u. a. darin, "daß sie (die Psychoanalyse) nicht in der Lage ist, die historische Identitätsstruktur der Subjekt-Objekt-Spaltung des menschlichen Bewußtseins oder - besser gesagt - des bewußten menschlichen Seins und Werdens ins Auge zu fassen und durch Analyse aufzuheben. Die Psychoanalyse ist ein systemimmanentes Bezugssystem unserer Kultur, das an deren Subjekt-Objekt-Spaltung teilhat." (643, 42) Sie kann, mit anderen Worten, so wenig wie jede andere Psychologie, die auf der un-befragten Grundlage des modernen Suhjektbegriffs operiert, die historische Identitätskrise jenes Subjektbegriffs voll begreifen, eben weil sie weder 184 die historischen Entstehungs- noch die Krisenbedingungen dieses Begriffs in ihre Überlegungen bewußt genug einbezieht. Kilián schreibt dementsprechend und konsequent "Sozialgeschichte als Metapsychologie". Die Häufiekeit des Selbstmord- und Wahnsinnmotivs in der expressio- nistischen Literatur ist in erster Linie AusdiucK einer historischen atruk- TjjrggšP. Hps modernen Subjekt- und Wirklichkeitsbegriffs, die ihrerseits durch eine Vielzahl von Faktoren bedingt ist: die Entwicklung der mate-_ Vflellüh PmHultr'^nltP Hrr MpHipn. der Wissenschaften, der spezielleiT é politischen ihh *™a}™ ftpfingiingpn dps wilhelminischen Bürgertums | in Deutschland. So notwendig es ist, die spezifische Klassenlage und die individualpsychologischen Voraussetzungen bei der Analyse zu berücksichtigen, so falsch, weil einseitig, wäre es andererseits, die in der expressionistischen Literatur sich niederschlagende Krise des Subjekts - die lehr dissoziation - nur auf einen dieser Faktoren zurückzuführen. Ichdissozia-tirm im Expressionismus ist nicht einfach auf die labile Psyche überspanne * ter Literaten oder auf die Klassenlage von bürgerlichen Intellektuellen, die^. % ihrer Hprkunt't entlaufen, nicht zumj^"iptflrint tinrlp.nf rp.Hii7.ie.rnar^yiel- ', < mehr weist die hier zu Tage tretende*"Strukturkrise des Subjekts auf prin- \ j zipielle, durch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen bedingte Schwierig- | \ leiten, eine autonome^ mit .sich identische und der Objektwelt versöhnte____J Form von Subjektivität noch zu verwirklichen. Der Expressionismus ist zugleich - und das soll das folgende Kapitel zeigen - der wohl eigenwilligste Versuch in der Geschichteder modernen Literatur, eine autonome Form des Menschseins noch einmal, und dies in děr Form der Utopie, zu retten. Die Idee des 'neuen Menschen' ist zugleich die Antithese zur dialektisch nicht mehr aufhebbaren Ichdissoziation. Somit ist noch das Scheitern dieser Idee und der Sprache, in der sie propagiert wird, lehrreich. Das Scheitern bezeichnet ex negativo nicht nur den geschichtsphilosophischen Ort des modernen Suhjektbegriffs, sondern, damit verbunden, auch den von Literatur und ihren sprachlichen Aus-drucksmöglichkeiten zu Beginn dieses Jahrhunderts. 185