Aus dem dunklen Winkel des Wohnzimmers sieht Julia den großen von süßen Bonbons beladenen Weihnachtsbaum. Seit Jahren ist es ein künstlicher Baum, denn wie Henry immer wieder betont[Pavel1] , man muss die Natur schonen und es kostet ja wesentlich weniger. Sie hört nur dumpf die Stimmen der anwesenden Gäste, der Familienmitglieder, die sich wie jedes Jahr wieder getroffen haben, um gemeinsam das friedliche Fest zu feiern. Stimme: Aber komm doch! Sie sind hier, weil es sich so gehört! Sogar Marius ist da. Julia freut sich über seinen Besuch. Sie hat ihn seit Jahren nicht gesehen. Zu Hause wurde über ihn nie gesprochen. Henry wollte es nicht und sie, brave Frau, wollte Henry nicht verletzten. Stimme: Nein, du wolltest ihn nicht zornig machen! Julia hat es gelernt, die Zunge im Zaume zu halten. Julia hat nie verstanden, woher Henrys ablehnende Haltung gegenüber Marius kommt. Und jetzt ist der große Bruder da. Aber wo steckt denn Henry? Der Duft des Weihnachtsgebäcks verbreitet sich im Raum und lockt sie in die Küche. Julia beißt die Zähne zusammen. Seit einem Jahr hält sie Diät, damit sie wieder gut in Form ist, damit sie wieder so wie damals aussieht. Stimme: Vor fünfzehn Jahren hat er dich noch attraktiv gefunden und jetzt bist du unansehnlich und fett.“ Henry hat bis jetzt nichts gemerkt, er kümmert sich nur um seinen Körper, er muss doch fit bleiben, sonst wäre es mit seinem Laufbahn zu Ende und würde ihm das Herz brechen. Das Gewichtheben ist sein Leben. Erst dann kommen Robert und sie. Stimme: Bitte, du weißt doch, dass er euch beide liebt - nach dem Bodybuildingraum und seinem I-Phone natürlich. Das Weihnachtsgebäck riecht so süß und lecker. Julia lässt es aber unberührt. Die Mühe wird sich auszahlen, das ist sicher. Stimme: In deinem Leben ist nur der Tod sicher, Darling! Julia: Ich bin doch erst 39! Stimme: Das heißt aber auch bald 40, einen Schritt vor deiner Menopause! Und schau - deine Brüste, die sind auch nicht mehr so fest! Julia: Nicht vergessen, dass ich einen gesunden Sohn zur Welt gebracht und ihn gestillt habe. Stimme: Wen interessiert das heute? Wenn deine Brüste wie die Ohren des Cocker Spaniels deiner Urtante Greta sind, wird dir nicht einmal die heilige Kirche helfen! Beide (Stimme+Julia): Marius! Julia geht zurück ins Wohnzimmer. Sie muss unbedingt Marius begrüßen und fragen, wie es ihm geht, was er macht, ob er verheiratet ist oder eine Freundin hat. Julia: Wenn Henry wüsste, dass ich vor fünfzehn Jahren für Marius alles getan hätte... Stimme: Hast du aber nicht!!! Sie richtet ihren Blick auf das Sofa, wo Marius mit Robert gesessen hatte, als sie vor ein paar Minuten in die Küche gegangen war. „Julia?“ hört sie plötzlich Henrys Stimme hinter ihrem Rücken. „Koste mal diese traumhafte Kokosmakrone von Tante Susanne, schmeckt ganz wunderbar!“ Julia lächelt Henry an, schüttelt den Kopf und geht zu Robert. ________________________________ [Pavel1]Charakteristik von Henry