Wolfgang Kayser hat schon in seiner Arbeit Das sprachliche Kunstwerk (Erstauflage 1948) , nicht erst in seiner Arbeit Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung (1957), sehr anschaulich beschrieben, was er unter dieser ästhetischen Kategorie versteht: Vgl. auch Otto Best: Das Groteske in der Dichtung. Darmstadt 1980. Lexikonartikel Groteske in: Reallexikon der Deutschen Literaturwissenschaft Autor: Harald Fricke, Klaus Weimar, Klaus Grubmüller, Jan-Dirk Müller Spolupracovník Harald Fricke, Klaus Weimar, Klaus Grubmüller, Jan-Dirk Müller Berlin: Walter de Gruyter, 1997 in: books.google.cz/ 383 Aber es ist schon kein reines Lächeln mehr, das uns bei echten Grotesken überkommt. Das Wort ist erst seit dem 18. Jahrhundert zum ästhetischen Begriff geworden (maßgeblich war dafür J. Mosers Schrift von 1761 Harlekin oder Verteidigung des Groteske-Komischen), während es bis dahin als Name für eine bestimmte Art der Ornamentik diente, wie sie von Malern der italienischen Renaissance unter dem Eindruck antiker Grotten-Malereien ent- 384 wickelt worden war. Aber der ästhetische Begriff hat bis heute unter der Bindung an das Burleske bzw. Niedrig-Komische zu leiden gehabt, d.h. er hat die entsprechenden Phänomene nicht richtig begreifen können. Im Grotesken entfremdet sich die Welt, die Formen verzerren sich, die Ordnungen unserer Welt lösen sich auf (schon in der grotesken Ornamentik vermischen sich die Bereiche des Unbelebten, Pflanzlichen, Tierischen und Menschlichen; später sind Marionetten, Wachspuppen und andererseits Wahnsinnige, Somnambule, stets auch mehr-als-tierische Tiere beliebte Motive der grotesken Gestaltung), ein unheimlicher Mechanismus scheint über Dinge und Menschen gekommen zu sein. Entscheidend dabei ist, daß diese Entfremdung den Boden unter den Füßen fortzieht und keine Sinndeutung zuläßt: jedes Pathos oder jedes Werben um Mitleid für die Opfer würde das Groteske gefährden, und der harte, kalte Strich ist für Bosch und Breugel und Callot so kennzeichnend wie für Goya, W. Busch, Kubin oder Paul Weber. Unheimliche Kräfte brechen in unsere Welt ein und entfremden sie uns, und allem Lächeln über das Verzerren und Aus-den-Fugen-geraten ist immer ein Grauen beigemischt, wenn uns nicht das Lächeln überhaupt vergeht. Dabei ist es keineswegs so, daß die nächtlichen, abgründigen Mächte immer als Fratzen und Monstren sichtbar werden; in der Malerei hat Pieter Breugel d.Ä. in seinem Spätbild von den Blinden diesen Schritt zur Gestaltung einer aus ihr selber heraus entfremdeten Welt vollzogen. Oft freilich enthüllt sich der genaueren Analyse der unmenschliche, dämonische Charakter von Figuren. So ist Züs Bünzli in Kellers Drei gerechten Kammachern ein verkappter Dämon, jedenfalls bis zum Untergang der beiden älteren Gesellen. Die bürgerliche Dichtung hatte in ihrem Streben nach Sicherung kein rechtes Verhältnis zum Grotesken, und auch die Forschung hat es nicht immer sehen können oder wollen. Es gibt da in der Literaturgeschichte noch viel zu entdecken; vor allem lohnte es, die bisher zu friedlich-idyllisch interpretierte Romantik daraufhin neu zu untersuchen. Schon bei den Theoretikern spielte das Groteske eine erstaunlich große Rolle (Fr. Schlegel, J. Paul, Cousin, V. Hugo, - in der Preface zum Cromwell ist es ein Zentralbegriff). Aber auch in der Dichtung erscheint es überaus häufig (Arnim, Hoffmann, Bonaventura, E. A. Poe, Byron etc.). Die englische Literatur überhaupt ist so voll davon wie die spanische Malerei. Wie das rein Komische, so ist das Groteske – wie ja auch der Blick auf die Malerei lehrt – nichts unmittelbar Gattungshaftes, sondern eine Kategorie der Perzeption, eine Kategorie der Welterfassung und Weltgestaltung. Als solche eigene Kategorie ist das Groteske erst seit kurzer Zeit von der Forschung wieder entdeckt und von der literarischen Interpretation erfaßt worden (die älteren Werke von Schneegans und Floegel sind noch nicht ersetzt). 385 Wie sich das Groteske in größere Strukturen einlagert, bleibt noch zu untersuchen. nach Killy: Das Groteske In den »Athenaeum«-Fragmenten (1798) bestimmt Schlegel das Groteske als Spiel von Ironie u. Humor bis zum »willkürlichen Schein von Selbstvernichtung«: Es spielt »mit wunderlichen Versetzungen von Form und Materie, liebt den Schein des Zufälligen und Seltsamen und kokettiert gleichsam mit unbedingter Willkür«. Bei E. T. A. Hoffmann enthüllen die grotesken Gestalten Jacques Callots durch ihre Distanz zum Dasein ironisch eine Welt voller »geheimer Andeutungen«, die sich gegen realitätsbezogene Betrachtungen sperren. Ebenfalls in den »Athenaeum«-Fragmenten bezeichnet Schlegel mit Groteske auch allgemeine wie subjektive historische Erfahrungen, die sich gegen eine vernünftige Einordnung sperren. Eine komische Spielform des Grotesken definiert Baudelaire 1855 (Vom Wesen des Lachens). Er unterscheidet ein nachahmendes, verweisendes Komisches u. ein absolutes Komisches, das er als Groteske bezeichnet. Sie sei Ausdruck poetischer Laune, reine Schöpfung u. Freude am ursprünglich unschuldigen Leben. Beispiel für eine gelungene Mischung aus nachahmender Komik u. Groteske sei E. T. A. Hoffmanns Prinzessin Brambilla (Breslau 1821). In dieser Tradition der rein spielerischen Groteske stehen so unterschiedliche Autoren wie Friedrich Theodor Vischer, Gottfried Keller oder Wilhelm Busch, Christian Morgenstern, Paul Scheerbart sowie Robert Gernhardt und Eckhard Henscheid. »Übertreibung, Hyperbolik, Übermaß, Überfluß« (Bachtin 1987), »Verschmelzung des Disparaten, Inkongruität« (Thomsen 1974), »Symmetrien, Chiasmen, Inversionen und Überkreuzungen« (Preisendanz 1989) kennzeichnen die heterogenenÜberschreitungen von Grenzen in grotesken Texten. [Sachlexikon: Groteske, S. 5. Digitale Bibliothek Band 9: Killy Literaturlexikon, S. 24653 (vgl. Killy Bd. 13, S. 378- 379)] Vgl. auch Sabine Schlüter: Das Groteske in einer absurden Welt: Weltwahrnehmung und Gesellschaftskritik in den Dramen von George F. Walker Würzburg: Königshausen & Neumann, 2007.