gen verfassen) ihre Nachahmungen auch gerne mit zusätzlichen komischen und satirischen Effekten: Wortspiele, Anachronismen, höhnische Anspielungen auf die Person und das Werk des Autors der Vorlage, parodistische Verdrehungen der Namen der Protagonisten usw.: all diese Elemente sind zwar für die karikaturistische Absicht nicht unbedingt notwendig, werden aber als funktionelle Hinweise oder Signale eingesetzt. Vor allem aber wird der karikaturistischen Praxis auf dem Weg des Paratextes (Vorworte, Anmerkungen, Interviews usw.) fast durchweg ein Kommentar zur Seite gestellt, dessen Aufgabe es ist, klar und deutlich zu erklären, worum es geht. Das nicht-satirische Pastiche geht hingegen den umgekehrten Weg oder verzichtet zumindest auf jede negative zusätzliche Aussage. Der Gegensatz zwischen diesen beiden Verfahren stellt sich somit als ein im Grunde genommen pragmatischer (als Angelegenheit eher der Situation als der Performanz), metatextueller und ideologischer dar. Wir werden die Spur dieser beiden Ideologien oder bei uns heimischen Theorien nun verfolgen und beginnen mit der Persiflage, die mir die älteste bzw. traditionellste zu sein scheint - und die bis heute auch die verbreitetste ist. XVII Die Klassik kannte weder für die spielerische noch für die satirische Nachahmung einen eigenen Gattungsbegriff. Der Ausdruck Pastiche taucht in Frankreich gegen Ende des 18. Jahrhunderts in der Sprache der Malerei auf. Es handelt sich dabei um eine Lehnübersetzung aus dem italienischen pasticcio, wörtlich »Pastete«, das zunächst eine Mischung verschiedener Nachahmungen und später einzelne Nachahmungen bezeichnete. 1767 spricht Diderot von seinem literarischen Gegenstück, obwohl er selbst Pastiches geschrieben hat, in hypothetischer Form, so als ob es sich um eine mögliche Gattung gehandelt habe.1 Marmontel2 weist auf diese neue Bedeutung hin und führt als Beispiel eine in der Manier Montaignes gehaltene Stelle bei La Bruyère an, auf die wir noch zurückkommen werden. Der Larousse du XIXe siècle übernimmt von Marmontel das Beispiel La Bruyères und unterscheidet gemäß 1 Salon de 1767. 2 Artikel Pastiche der Eléments de littérature, 1787. 118 der bereits herrschenden Vulgata ein ernstes und ein satirisches bzw. demonstratives Pastiche, welches letztere - vor allem dann, wenn es die Übertreibung zu weit treibt - eher den Namen Parodie verdienen würde. Jede satirische oder nicht-satirische Nachahmung eines Stils setzt die Kenntnis dieses Stils voraus, und man weiß, daß zur Zeit der Klassik die stilistischen oder thematischen Merkmale einer Gattung deutlicher wahrgenommen wurden als individuelle Merkmale, die im dichterischen Kanon nirgendwo umrissen werden. Wahrscheinlich ist die Nachahmung von Gattungsstilen genauso alt wie die Gattungen selbst, und wir konnten bereits feststellen, daß das komisch-heroische Gedicht, ein typisches Produkt der Klassik, aus einer satirischen Nachahmung des »epischen Stils« besteht, was auch immer darunter zu verstehen sein mag. Im dichterischen Bewußtsein der Klassik wird jedes individuelle Stilmerkmal sozusagen sofort nachdem es wahrgenommen wurde, in ein zeitloses Charakteristikum einer Gattung uminterpretiert oder verwandelt und damit aufgelöst. Der Marotismus stellt durchaus einen für Marots Stil typischen Zug dar, in der Sprache der Klassik würde man eher sagen, daß Marot den Marotismus lediglich erfunden habe und daß dieser nun im Repertoire der Figuren genauso allen zur Verfügung stünde wie die Metapher oder die Hypallage. Und wenn Boileau auf Kosten seines bevorzugten Prügelknaben die erwähnte Nachahmung verfaßt, so tut er dies nur insofern, als sich in Chapelain jenes allgemeine Merkmal ideal verkörpert, das im vorliegenden Fall als »Fehler« gilt: die Kakophonie. Die Persiflage wirkt hier also zugleich satirisch und reduzierend; dies trifft auch auf jenen berühmten Brief an den Herzog von Vivonne1 zu, in dem Boileau nacheinander die Manieren Guez de Balzacs und Voitures imitiert. Balzac steht hier als Beispiel für ein negatives Merkmal, nämlich die großsprecherische Hyperbel, und Voiture für das gegenteilige Merkmal, die asteisierende Litotes. Ersterer ist, wie Boileau kommentiert, »weder in der Lage, die Dinge einfach auszudrücken, noch von seinem hohen Roß herabzusteigen«, »weil er zuviel sagen wollte, hat er gar nichts gesagt« (dies ist bereits das Prinzip Talleyrands: »alles Übertriebene ist bedeutungslos«), und Voiture »sagt alles, was ge- 1 ;.Iuni 1675, in: Boileau, CEuvres completes (Paris: Gallimard, 1966), S. 776. Gemeinsames Thema ist eine Lobrede auf den genannten Herzog. 9 sagt werden muß, indem er vorgibt, nichts zu sagen« (dies ist die implizite Überlegenheit des Understatements und erinnert bereits an die Devise Mies van der Rohes: »Lessismore«). Ein Autor, ganz gleich, ob er nun »gut« oder »schlecht« ist, stellt für Boileau offenbar - zumindest als Gegenstand einer Nachahmung - nie eine komplexe literarische Individualität dar, sondern immer die typische Verkörperung eines allgemeinen Merkmals. Typisch und ausschließlich: Chapelain, Balzac und Voiture setzen also nicht nur ein universelles Merkmal eidetisch ein, sondern scheinen dabei auch davon auszugehen, daß dieses Merkmal ihre Stile erschöpfend definiert. Von einer bestimmten Zuspitzung abgesehen, gilt - nach wie vor im 18. Jahrhundert - dasselbe für jene Marivaux-Persiflage, die Crebillon in seinem Roman L'ecumoire (Der Schaumlöffel dem Maulwurf Moustache in den Mund legt. Hier ein Auszug: »>Diese Sitten mögen Euch sonderbar anmuten, aber Ihr habt unrecht damit. Eine von Euch als tugendhaft angesehene Frau läßt Euch einen Monat lang auf ein Rendezvous warten. Eine lange Zeit! U n d was gewährt sie Euch am Ende Eures Martyriums? Nicht mehr als das, was Euch eine andere, die nicht so mit ihrer züchtigen Ehrbarkeit prahlt, gleich am A n fang geboten hat! Ihr seht, es k o m m t auf eins heraus; die brünstige Liebesglut setzt sich zuletzt doch immer durch. Durch alle die ausgeklügelten abschlägigen A n t w o r t e n , die eine Frau gibt, schimmert immer ihre spätere Niederlage durch; sie mag sie beschleunigen oder hinauszögern, aber am Ende k o m m t sie gewiß. D o c h die Phantasie ist dieser Niederlage vorausgeeilt, und nun hat man die Begierden gut beim O h r e zupfen; sie wachen kaum auf; und geschieht es trorzi 1734. Ich verweise auf die von E. Sturm besorgte kritische Ausgabe, Paris: Ni 1976, Kap. IV, Vund VI. [Dt.: Die Verirrungen von Herz und Geist. Der Schaumlöffel. Aus dem Französischen von Hilda von Born-Pilsach, Karlsruhe 1966, S. 348 f.] Angespielt wird hier natürlich auf La Vie de Marianne. Marivaux wird zwar nicht genannt, sein Stil konnte aber von allen seinen Lesern erkannt werden. Dies beweist, in einigem Abstand davon, ein Brief Diderots an Sophie Volland (20. September 1765), in dem dieser sich ebenfalls an eine Marivaux-Nachahmung wagt (»Nach dem ersten Fehltritt weiß man insgeheim, daß es so weitergehen wird; und es verdrießt einen, ständig darauf warten zu müssen, daß dieser Fehltritt, der uns Erleichterung in einem schweren Kampf bringen und eine Folge von vollständigen und ununterbrochenen Freuden bieten soll, begangen wird und nicht begangen werden darf...«) und im Kommentar den Namen seiner beiden Vorbilder (es handelt sich nämlich, wie mir Henri Lafon sagt, sozusagen um das Pastiche eines Pastiches) verrät: »Nun, teure Freundin, finden Sie nicht, daß seit der MaulwurfFee Crebillons bis zum heutigen Tage niemand besser marivaudieren konnte als ich?« 120 dem, so stellt sich das Vergnügen, das erst für eine ferne Z u k u n f t verheißen wurde, entweder nicht zur rechten Zeit ein, oder es k o m m t überhaupt nicht mehr. Die Tugend ist weiter nichts als ein geschwätziges Weib, das Buch u m Eure kostbare Zeit zu bringen sucht; und w e n n sie die Liebe vertrieben zu haben g l a u b t . . .< Wiederholt doch bitte, was Ihr soeben gesagt habt<, unterbrach Tanzai sie. >Ich will auf der Stelle tot umfallen, wenn ich davon auch nur eine Silbe verstanden habe. Was für eine Sprache sprecht Ihr bloß?< »Die von Lappalien<, erwiderte der Maulwurf. »Wenn Ihr meine Sprache reden wolltet<, entgegnete der Prinz, »würdet Ihr mir großes Vergnügen bereiten. Wie stellt Ihr es nur an, daß Ihr Euch selbst versteht ?< >Ich versuche mich zu erraten<, antwortete der Maulwurf. « Ich m i c h a u c h . E s ist aber n i c h t sicher, o b die E i n s c h ä t z u n g C r é b i l l o n s selbst n i c h t n u a n c i e r t e r o d e r m e h r d e u t i g e r a u s g e f a l l e n w ä r e ; d a r a u f s c h e i n t z u m i n d e s t die d u r c h a u s b e g e i s t e r t e R e a k t i o n der e b e n f a l l s z u h ö r e n d e n P r i n z e s s i n N e a d a r n e h i n z u d e u t e n : »Ich kenne nichts Entzückenderes, als zwei Stunden über D i n g e z u sprechen, über die andere kaum eine Minute reden können. Was macht es schon, wenn man sich wiederholt, sofern man dem, was man sagt, nur einen Anstrich von Neuheit zu geben versteht? Überdies ist jene vortreffliche Ausdrucksweise, die Ihr rügt, ungemein verführerisch. Sie gibt Stoff zum Nachdenken. Glücklich, wessen Unterhaltung einen so feinen G e schmack verrät! Weshalb soll man immer ein und dieselben Redensarten gebrauchen und es nicht einmal wagen zu trennen, was nebeneinander z u stehen gewohnt ist? Warum sollte es verboten sein, Wörter miteinander Bekanntschaft schließen zu lassen, die sich nie gesehen haben oder die glauben, daß sie nicht zusammenpassen? Führt uns das Erstaunen, das sie ergreift, weil sie sich nebeneinander erblicken, nicht auf den Gipfel des Entzückens ? U n d w e n n sie darüber hinaus noch außer dem Erstaunen, das Euch amüsiert, Schönheiten hervorbringen, w o Ihr Fehler zu finden vermeintet, seid Ihr dann nicht aufs höchste überrascht? U n d m u ß ein Vorurteil. ..« A b e r s e l b s t dieses P l ä d o y e r ist, w i e m a n s o f o r t s i e h t , e i n e M a r i v a u x - I m i t a t i o n ; d a r a u f w e i s t a u c h f o l g e n d e B e m e r k u n g T a n z a i s hin: » I h r ü b e r r a s c h t m i c h in d e r T a t ; i c h w u n d e r e m i c h n u r , d a ß es b l o ß s o k u r z e Z e i t g e b r a u c h t h a t , E u c h m i t d i e s e m s c h l e c h t e n G e s c h m a c k a n z u s t e c k e n . « T a n z a i g i b t j e d e n f a l l s ein v o l l k o m m e nes B e i s p i e l f ü r d i e k r i t i s c h e H a l t u n g a b , die f ü r d i e P e r s i f l a g e t y p i s c h ist: M o u s t a c h e s Stil e r s c h e i n t i h m als F r e m d s p r a c h e 1 (»Was i D'Alembert berichtet, daß ein Mitglied der Académie den Vorschlag machte, Mari- 1 2 1 für eine Sprache sprecht ihr bloß?«), die für ihn, wie er etwas später sagt, ein trostloses Geschwätz, ein Geschwafel darstellt, das völlig unverständlich ist und »uns nun schon wenigstens drei Stunden mit einer Geschichte auf(hält), die ich in längstens einer Viertelstunde zu Ende gebracht hätte«; denn »es gibt nichts Lächerlicheres, als Geist und Witz zur Unzeit auszukramen«. Dieser Stil ist also ein Typus, der zwar von Marivaux erfunden wurde, aber so, wie Marot einst die Kunst des »Marotisierens« erfand: Diese spitzfindigen Erörterungen, jene »Fliegeneier«, wie Voltaire sagen wird, »die auf Waagschalen aus Spinnweben gelegt werden«, stellen eine zugleich thematische (Subtilitäten über Empfindungen) und stilistische (Neologismen, Oxymora, substantivierte Adjektive, Abstrakta) Manier dar, die bezeichnenderweise ebenfalls mit einem aus dem Namen ihres Erfinders abgeleiteten Gattungsnamen belegt wurde: eben Marivaudage. Jenes satirische Verfahren, das darin besteht, den nachgeahmten Stil als eine künstliche Sprache zu beschreiben, wird in der Folge zu einem derTopoi, zu einem der ergiebigsten Themen karikaturistischer Metatexte werden. In Un prince de la bohème (Ein Prinz aus Böhmen)1 formuliert der Journalist Nathan eine Sainte-BeuvePersiflage, deren Modell er jedoch, im Gegensatz zu Crébillons Maulwurf, explizit angibt: »Tout cela, si vous me permettez d'user du style employé par monsieur Sainte-Beuve pour ses biographies d'inconnus, est le côté enjoué, badin, mais déjà gâté, d'une race forte. Cela sent son Parc-aux-Cerfs plus que son hôtel de Rambouillet. C e n'est pas la race des doux, j'incline à conclure pour un peu de débauche et plus que je n'en voudrais chez des natures brillantes et généreuses; mais c'est galant dans le genre de Richelieu, folâtre et peut-être trop dans la drôlerie; c'est peut-être les outrances du dix- j huitième siècle; cela rejoint en arrière les mousquetaires, et cela fait tort à Champcenetz; mais ce volage tient aux arabesques et aux enjolivements de la vieille cour des Valois. O n doit sévir, dans une époque aussi morale que la ! nôtre, à l'encontre de ces audaces; mais ce bâton de sucre d'orge peut aussi montrer aux jeunes filles le danger de ces fréquentations d'abord pleines de rêveries, plus charmantes que sévères, roses et fleuries, mais dont les pentes vaux als »Erfinder eines neuen Idioms« in die Akademie der Wissenschaften aufzu- I nehmen. i 1840. Pléiade, VII, S. 812-816. Balzac ist im mimetischen Schreiben zu Hause: Die Tolldreisten Geschichten sind in einem mittelalterlichen Stil geschrieben, und der ;] erste Artikel Luciens in den Verlorenen Illusionen ist ein Jules-Janin-Pastiche, das . dessen Besprechung von Das Chagrinleder in L'Artiste vom 14. August 1831 zur ] Vorlage hat. 122 11e sont pas surveillées et qui aboutissent à des excès mûrissants, à des fautes pleines de bouillonnements ambigus, à des résultats trop vibrants. Cette anecdote peint l'esprit vif et complet de la Palferine, car il a l'entre-deux que voulait Pascal; il est tendre et impitoyable; il est comme Épaminondas, également grand aux extrémités. Ce mot précise d'ailleurs l'époque; autrefois il n'y avait pas d'accoucheurs. Ainsi les raffinements de notre civilisation s'expliquent par ce trait qui restera. - Ah! çà, mon cher Nathan, quel galimatias me faites-vous là? demanda la marquise étonnée. - Madame la marquise, répondit Nathan, vous ignorez la valeur de ces phrases précieuses, je parle en ce moment le Sainte-Beuve, une nouvelle langue française. Je continue. ( . . . ) Ceci, toujours en se tenant dans les eaux de monsieur SainteBeuve, rappelle les Raffinés et la fine raillerie des beaux jours de la monarchie. O n y voit une vie dégagée, mais sans point d'arrêt, une imagination riante qui ne nous est donnée qu'à l'origine de la jeunesse. C e n'est plus le velouté de la fleur, mais il y a du grain desséché, plein, fécond qui assure la saison d'hiver. N e trouvez-vous pas que ces choses annoncent quelque chose d'inassouvi, d'inquiet, ne s'analysant pas, ne se décrivant point, mais se comprenant, et qui s'embraserait en flammes éparses et hautes si l'occasion de se déployer arrivait? C'est l'acedia du cloître, quelque chose d'aigri, de fermenté dans l'inoccupation croupissante des forces juvéniles, une tristesse vague et obscure. - Assez! dit la marquise, vous me donnez des douches à la cervelle. - C'est l'ennui des après-midi. O n est sans emploi, on fait mal plutôt que de ne rien faire, et c'est ce qui arrivera toujours en France. La jeunesse en ce moment a deux côtés: le côté studieux des méconnus, le côté ardent des passionnés. - Assez! répéta madame de Rochefide avec un geste d'autorité, vous m'agacez les nerfs. - ( . . . ) Assurément (toujours en nous servant du style macaronique de monsieur Sainte-Beuve), ceci surpasse de beaucoup la raillerie de Sterne dans le Voyage sentimental. Ce serait Scarron sans sa grossièreté. Je ne sais même si Molière, dans ses bonnes, n'aurait pas dit, comme du meilleur de Cyrano: Ceci est à moi! Richelieu n'a pas été plus complet en écrivant à la princesse qui l'attendait dans la cour des cuisines au Palais-Royal: Restez-y, ma reine, pour charmer les marmitons. Encore la plaisanterie de CharlesEdouard est-elle moins acre. Je ne sais si les Romains, si les Grecs ont connu ce genre d'esprit. Peut-être Platon, en y regardant bien, en a-t-il approché, mais du côté sévère et musical... - Laissez ce jargon, dit la marquise, cela peut s'imprimer, mais m'en écorcher les oreilles est une punition que je ne mérite point.« [AU dies ist, wenn Sie mir gestatten, mich des Stils zu bedienen, den Herr Sainte-Beuve in seinen Biographien von Unbekannten pflegt, ail dies ist die I 2 3 verspielte, launige, aber bereits verdorbene Seite einer kräftigen Rasse. Das riecht mehr nach Parc-aux-Cerfs als nach Hotel de Rambouillet. Das ist nicht die Rasse der Sanften, ich neige dazu, bei strahlenden und großzügi gen Naturen auf ein bißchen Ausschweifung, mehr, als mir lieb ist, zu schließen; das ist galant in der Manier Richelieus, fröhlich, und geht viel leicht in der Spaßmacherei ein Stück zu weit; das ist möglicherweise die Überspitztheit des achtzehnten Jahrhunderts; das geht auf die Musketiere zurück und tut Champcenetz unrecht; dies Flatterhafte wurzelt in den Arabesken und Verzierungen am einstigen Hofe der Valois. In einer so moralischen Zeit wie der unsrigen muß man angesichts derartiger Gewagtheiten mit aller Strenge vorgehen; diese zuckersüße Lutschstange vermag jedoch auch den jungen Mädchen die Gefahren eines Umgangs vor Augen zu führen, der zunächst von mehr charmanten als strengen, rosigen und blühenden Träumereien erfüllt ist, dessen gefährliche Bahn hingegen nicht überwacht wird und so in knospende Exzesse mündet, in Verfehlungen vol 1 von zwielichtigen Aufwallungen, in allzu vibrierende Ergebnisse. Diese Anekdote wirft ein Licht auf den lebhaften und umfassenden Geist der Palferina, da er von jenem Dazwischen zeugt, das Pascal forderte; er ist zärtlich und unerbittlich; er ist wie Epaminondas, dieselbe Größe im Äußersten. Dieser Ausspruch kennzeichnet im übrigen die Epoche; damals gab es nämlich gar keine Geburtshelfer. Und so erklärt sich die Verfeinerung unserer Zivilisation durch diesen Wesenszug, der bleiben wird. - Nanu, mein lieber Nathan, welchen Galimathias reden Sie da? fragte die Marquise erstaunt. - Madame la Marquise, antwortete Nathan, Ihr verkennt den Wert dieser erlesenen Sätze, ich spreche im Augenblick das Sainte-Beuve, eine neue französische Sprache. Ich fahre fort. ( . . . ) Dies erinnert - wir verbleiben im Fahrwasser Herrn Sainte-Beuves - an die Raffines und den feingeschliffenen Spott der schönen Tage der Monarchie. Hier wird ein wolkenloses Leben ohne Endpunkt sichtbar, j jene heitere Phantasie, die uns nur am Ursprung der Jugend gegeben ist. Das ist nicht mehr der Samtglanz der Blüte, sondern hat getrocknetes, volles, fruchtbares Korn für den Winter. Finden Sie nicht, daß diese Dinge etwas Unerfülltes, Unruhiges ankündigen, etwas, das nicht analysiert, nicht beschrieben, aber verstanden werden kann, das in wirren und hohen Flammen aufflackern würde, wenn sich die Gelegenheit zu seiner Entfaltung böte? Das ist die acedia des Klosterlebens, etwas Säuerliches, etwas in der fauligen Untätigkeit jugendlicher Kräfte Gärendes, eine vage und düstere Trauer. - Genug, rief die Marquise, das sind kalte Duschen für mein Gehirn! - Das ist die Langeweile dieser Nachmittage. Man hat nichts zu tun, und man tut es schlecht, anstatt gar nichts zu tun, und so wird es in Frankreich immer sein. Im Augenblick hat die Jugend zwei Seiten: die strebsame Seite der Verkannten, die feurige Seite der Passionierten. 124 - Genug, wiederholte Madame de Rochefide mit einer herrischen GeMc. Sie reizen meine Nerven! - ( . . . ) Ganz gewiß (wir bedienen uns noch immer des Makkaronistils I lerrn Sainte-Beuves) übertrifft das bei weitem den Spott Sternes in der Sentimentalen Reise. Das ist Scarron ohne seine Grobschlächtigkeit. Ja, ich hin mir nicht einmal sicher, ob nicht sogar Molière an einem guten Tag darüber, wie über das Beste von Cyrano, gesagt hätte: Das gehört mir! Richelieu hat nicht mehr gesagt, als er der Prinzessin, die im Küchenhof des Palais-Royal auf ihn wartete, schrieb: Bleibt nur, wo Ihr seid, Königin, und betört die Küchenjungen. Selbst Charles-Edouards Scherzwort ist weniger herb. Ich weiß nicht, ob die Römer oder Griechen diese Art von I lumor kannten. Piaton hat sich ihm, genau betrachtet, möglicherweise genähert, aber eher von der strengen und musikalischen Seite h e r . . . - Hören Sie auf mit diesem Kauderwelsch, sagte die Marquise, so etwas kann man drucken lassen, aber mir damit die Ohren wund zu reden ist eine Strafe, die ich nicht verdiene.] Auffällig sind hier jene von der Marquise oder von Nathan selbst benutzten Wendungen, die aus Tanzais Rede wörtlich übernommen zu sein scheinen: Kauderwelsch, Galimathias, Makkaronistil, Sie reden mir die Ohren wund, Sie reizen meine Nerven, und vor allem: »Ich spreche das Sainte-Beuve, eine neue französische Sprache«. Wir werden dieser Formulierung in ihrer jüngsten und zugleich beliebtesten Ausprägung noch begegnen, zuvor aber muß ich noch einen genaueren historischen Hinweis anbringen. O b es sich nun um Boileau, Crébillon, Diderot oder Balzac handelt (ich hätte noch zwei oder drei andere anführen können, mit denen wir uns, allerdings auf einer anderen Ebene, noch befassen werden), stellen die erwähnten Persiflagen durchwegs Liebhabereien dar; ihre Verfasser beschäftigten sich mit der Nachahmung sozusagen nebenher, etwa in ihrem Briefwechsel oder durch den Mund ihrer Romanfiguren. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts werden die Persiflage und das Pästiche diese Randstellung einnehmen; sie gelten noch nicht als kanonische Gattungen, deren Werke von professionellen Spezialisten geschaffen werden und als selbständige Publikationen erscheinen. Ich habe hier nicht die Absicht, eine Geschichte dieser Gattung zu entwerfen, es scheint mir aber, daß diese Professionalisierung im Zweiten Kaiserreich einsetzt, als der Ruhm Victor Hugos - einer wegen seiner dichterischen Idiosynkrasie und seiner monumentalen Exponiertheit idealen Zielscheibe - eine noch nie dagewesene Welle von Nachahmungen auslöst: Im selben Jahr 1865 erscheinen die drei Bücher I 2 5 Edouard Delprats, Charles Monselets und André Gills.1 Die geistige Verfassung des Kaiserreichs, die bekanntlich in den Operetten Offenbachs zum Ausdruck kommt, scheint dies ebenfalls begünstigt zu haben. Und die Welle der Publikationen ebbt damit keineswegs ab: Gegen Ende des Jahrhunderts erscheinen die Pastiches Jules Lemaitres, die er in seinem literarischen Feuilleton unterbrachte, sowie, zu Beginn unseres Jahrhunderts (ab 1907), die Reihe A la manière de... von Reboux und Muller, deren Erfolg wahrscheinlich Proust dazu anregte, seine Lemoine-Affäre (1908) zu schreiben und zu veröffentlichen. Eine ähnliche Beliebtheit genossen in England die verschiedenen Veröffentlichungen Max Beerbohms.2 Seither dürfte in Frankreich etwa alle vier oder fünf Jahre eine Sammlung mehr oder weniger satirischer Pastiches erscheinen, die entweder berühmte Klassiker oder momentane Berühmtheiten aufs Korn nehmen, deren ständiger Wechsel allein schon den kommerziellen Fortbestand dieser Gattung garan- tiert.3 Le Roland Barthes sans peine von Burnier und Rambaud4 weist eine Reihe formaler Merkmale auf, die als Ausnahmen oder als Innovationen in der Geschichte des satirischen Pastiches gelten können - sie stehen im Dienst eines »Gedankens«, der wiederum die herrschende Ideologie der Gattung recht gut illustriert. Zunächst handelt es sich meines Wissens um das erste Mal, daß eine Sammlung von Pastiches zur Gänze einem einzigen Autor gewidmet ist5: Sie enthält also mehrere Pastiches über denselben 1 E. Delprat, Les Frères d'armes (Pastiche von La Légende des siècles), La librairie des bibliophiles, ohne Autorennamen; C. Monselet, Une chansonnette des rues éï~c[es bois, ohne Autorennamen, A. Chaillot; A. Gill, V.H. revu et corrigé à la plume et au crayon. Les Chansons des grues et des boas, Paris. 2 Am bekanntesten ist A christmas Garland (1912). 3 Unter den zahllosen "Werken seien angeführt: R. Scipion, Prête-moi ta plume, 1946; G . A . Masson, A la façon de..., LLC 1949; M. Perrin, Monnaie de singe, Paris: Calmann-Lévy, 1952; J. Laurent et C. Martine, Dix Perles de culture, Paris: Table ronde, 1952; S. Monod, Pastiches, Paris: Lefebvre, 1963; M.-A. Burnier und P. Rambaud, Parodies, Paris: Balland, 1977; am Rande sei auf die mehr oder weniger gelungenen Varianten des in den Titeln anklingenden Gattungsvertrages verwie- sen. 4 Paris: Balland, 1978. 5 Le Côté de Chelsea von André Maurois, Trianon 1929, bestand zur Gänze aus einem langen Proust-Pastiche, dessen Umfang sich gewissermaßen aus der Breite der Vorlage ergab (Reboux und Muller zogen sich anders aus der Affäre: sie ließen ihr Vorbild ein »Billet« von mehreren Seiten schreiben). 126 Autor, die sich stark an die bereits in der Sammlung Parodies enthaltenen Persiflagen anlehnen. Eine zweifache Übertretung der impliziten Gattungsregel ne bis in idem, einmal muß genügen: Es ist genauso vulgär, ein Pastiche zu wiederholen, wie einen Witz ein /weites Mal zu erzählen. Andrerseits, und auch dies ist wahrscheinlich das einzige Beispiel für einen derartigen Fall, haben die Autoren in der offensichtlichen Absicht zu »beweisen«, daß die Wirklichkeit der Fiktion zumindest gleichkommt und daß keine Karikatur das Modell selbst übertreffen kann, mitten unter die Nachahmungen eine authentische Seite (»Der Hautlose« aus den Fragmenten einer Sprache der Liebe) eingefügt; die implizite Frage an den Leser lautet somit: »Haben Sie erkannt, daß diese Seite .luthentisch oder weniger übertrieben ist als die anderen, die ich selbst geschrieben habe?«; möglicherweise handelt es sich auch um eine dem Opfer gestellte Falle, sollte dieses je auf den Gedanken kommen, einen Plagiatvorwurf zu erheben, der den Satirikern eine willkommene Publizität verschaffen könnte. Und schließlich ein Punkt, der uns sehr wichtig zu sein scheint: Dem mimetischen Akt selbst wird hier eine Art Exposé darüber vorangestellt, auf welche Art und Weise jene stilistische Kompetenz hergestellt wurde, auf die sich die Nachahmung stützt. Die Konstituierung iles Barthesschen Idiolekts wird hier in die Form eines Schulbuches oder eines Schnellkurses zum Erwerb einer Fremdsprache gekleidet: Lektionen und Übungen für ein rasches Erlernen eines Idiolekts. Die ersten Lektionen gehen nach der »direkten Methode« vor: pastichierte oder, seltener, auch authentische Sätze neben ihren »Übersetzungen« ins Französische (Übersetzung in die Muttersprache), progressive Übungen zur Übersetzung in die Fremdsprache: Sätze ergänzen usw. Anschließend werden die wichtigsten Merkmale des Idiolekts »beschrieben«: Vokabular, Zeichensetzung, typische Wendungen, Techniken der Gliederung und der Erweiterung von Texten durch Füllwerk - wobei sich die meisten dieser Analysen wiederum, wie zu betonen ist, auf selbstgestrickte Beispiele stützen: Im Gegensatz zu Proust, der sich bei seinen Balzac- oder Flaubert-Pastiches von deren authentischen Texten inspirieren ließ, stützen Burnier und Rambaud ihre Karikatur auf eine stilistische Analyse - der Karikatur selbst. Was natürlich bequemer ist. Das diese Beschreibung leitende satirische Thema liegt auf der Hand und kommt im übrigen auch im Titel zum Ausdruck: Das 127 Roland-Barthes ist hier (genauso wie das Sainte-Beuve bei Balzac und das Marivaudage bei Crébillon) eine Sprache, oder zumindest ein mit dem Französischen verwandter und sich von ihm zusehends entfernender Dialekt, der dadurch gekennzeichnet ist, daß in ihm an sich recht banale Gedanken auf unnötig redundante und komplizierte Weise ausgedrückt werden: »Banalitäten im neuen Gewand«. Dieses polemische Thema möchte ich als die Ideologie der Persiflage bezeichnen: Der karikierte Stil wird immer als eine Art Manierismus dargestellt. Warum aber auch als »Sprache«? Warum heißt es das Marivaux, das Sainte-Beuve, das Roland-Barthes? Diese Bezeichnungen könnten auch als reine Hyperbeln betrachtet werden: dieser oder jener Stil ist derart auffällig, derart abweichend und derart idiotisch, daß er der Gemeinsprache genauso fernsteht wie eine Fremdsprache. Im Grunde genommen verweist diese Bezeichnung aber auch auf eine präzisere und negativere Eigenschaft: nicht nur die der Originalität, sondern vor allem der Preziosität. »Könnten Sie nicht dasselbe auf (gut) Deutsch sagen?« - d. h. in jener rechtschaffenen Sprache, die die klassischen Rhetoriker als die »einfache und allgemeinverständliche« Ausdrucksweise bezeichneten? Die implizite Antwort auf diese - rhetorische - Frage lautet immer: Ja!1 Weil dasselbe auch einfacher gesagt werden könnte, ist die Sprache, in der sie schreiben, unnötig kompliziert (dies ist die polemische Definition der Preziosität und der Neologie). »Ein einfacher Satz muß immer kompliziert sein«, lautet daher eine der generativen Regeln des Roland-Barthes laut Burnier-Rambaud. Daher auch die Übersetzungsübungen, die zeigen sollen, wie eine simple Banalität mit Hilfe affektierter und geschraubter Formulierungen in einemri »neuen Gewand« erscheinen kann, und umgekehrt. Hinter der Praxis und der Tradition der Persiflage steckt eine I Die des Angeklagten hingegen, sofern er Lust dazu hat und Gelegenheit bekommt, sich zu verteidigen, lautet immer nein (ich behaupte nicht, daß er damit immer recht hätte). Marivaux etwa begegnet dem Vorwurf des Neologismus folgendermaßen: »Die Zahl der Wörter oder Zeichen bei einem Volk entspricht der Menge der Ideen, j die es hat... Sollte in Frankreich jemals eine Generation von Menschen heranwach- 1 sen, die mehr Verstandesschärfe aufweist, als es in Frankreich und anderswo je gegeben hat [Ich spreche von mir, meine Herren, ohne jede Eitelkeit'], dann bedürfte es neuer Wörter, neuer Zeichen, um die neuen Ideen auszudrücken, zu denen die neue Generation fähig ist: die Wörter, die wir haben, würden nicht ausreichen ...« {Le Cabinet du philosophe, sechstes Blatt, Journaux et Œuvres diverses, Paris: Gar- I nier). 128 stilistische Norm, die Vorstellung von einem »guten Stil«, die der (naiven) Vorstellung entspricht, der gute Stil sei der einfache Stil. Dieser im allgemeinen impliziten Vorstellung begegnen wir in ihrer am deutlichsten (ich sage nicht am besten) artikulierten Form bei Paul Reboux - und zwar nicht in seinen Pastiches, die glücklicherweise auf jede Glosse verzichten, sondern (denn irgendwann ist immer eine Glosse fällig) in seinem später verfaßten Vorwort zu G. A . Masson, A la façon de..., einem Vorwort, das sich als Ars poetica dieser Gattung versteht. Als erste »Bedingung« für den Erfolg einer Persiflage muß der pastichierte Autor (dies versteht sich von selbst) berühmt sein (um erkannt werden zu können, muß man bekannt sein); die zweite besteht darin, daß dieser Autor »imitierbar ist, d.h., daß er markante Charakteristika, Tics, Besonderheiten aufweist...«. Auch dies versteht sich eigentlich von selbst: um einen Stil nachahmen zu können, muß man es mit einem Stil, mit einer spezifischen Schreibweise, zu tun haben. Die Vorstellung, die Reboux sich von der erwähnten »Besonderheit« und vor allem a u c h . . . von ihrem Gegenteil macht, formuliert er so: »Es ist durchaus möglich, den stürmischen Humanitarismus eines Mirbeau zu verspotten oder das Fernweh eines Loti, die Biederkeit eines J.H. Fabre, den Jahrhundertwendestil eines Henry Bataille, die Pedanterie Lenötres, den Hermetismus Stéphane Mallarmés, die Redundanzen eines Politikers, die bürgerlichen Tugenden dieses oder jenes Moralisten [es fällt auf, daß thematische Merkmale hier die Oberhand über »rein« stilistische Merkmale gewinnen]..., es ist jedoch unmöglich, ein gelungenes Pastiche auf den diamantenen Stil Anatole Frances anzufertigen, auf den leuchtenden Voltaire, den untadeligen Maupassant, den unnachahmlichen Molière... Von derartigen Schriftstellern gleitet der Spott ab wie Tröpfchen von einem undurchdringlichen Gefieder.« Hier wird offenbar das Unnachahmliche beschrieben und durch die Aneinanderreihung von Molière, Voltaire, Maupassant und France als einfacher Stil erklärt, als eine Art Nullpunkt oder »weiße« Schreibweise, die Sprache in ihrer grundlegenden Reinheit. Dagegen will noch kann der Karikaturist keine Attacke reiten. Die Persiflage enthält somit, untrennbar mit ihr verbunden, ein Stilideal, das die Vorstellung von den »Bedingungen« ihrer Realisierung prägt. »Ein Buch wie jenes da [Reboux meint zweifellos: dieses] ist eine ästhetische Notwendigkeit. Es erhellt den literarischen Horizont. Es kann von den verblüfften Lesern als 129 Schutzschild verwendet werden, die jenen Schlauköpfen auf den Leim gegangen sind, die ihre Unfähigkeit allzu geschickt hinter methodischer Unverständlichkeit verbergen. Es lehrt ein sauberes Denken, eine klare Sprache, die Kunst, das nicht als rund darzustellen, was eckig ist, die Natur nicht mit Hilfe vager und flüchtiger Analogien zu beschreiben, sondern mit Hilfe von Bildern, die knappe Formulierungen verlangen. Indem es sich über die selbstgefälligen Schriftsteller und über die Scharlatane lustig macht, gibt es uns zu verstehen, daß man nicht nur für sich selbst schreibt, zum Spiel oder bloß, um seine Empfindungen auszudrücken. Man muß schreiben, um sich verständlich zu machen, um den anderen mitzuteilen, was man empfunden hat. Es zeigt, wie riskant es ist, sich vom Weg der Mitte und vom gesunden Menschenverstand zu entfernen.« Ende der Durchsage. Vermuten Sie dahinter nicht ein von mir selbst ad hoc zusammengestoppeltes Apokryph oder ein Zitat aus irgendeiner von irgendeinem amtlich bestallten Versager anläßlich irgendeiner Preisverleihung gehaltenen Rede: dieses Credo des Pasticheurs stammt tatsächlich von Paul Reboux. Jean Milly, der es in seiner kritischen Einführung zu den Pastiches Prousts anführt, kommentiert zu Recht, daß ein derartiges Manifest genau das Gegenteil der Proustschen Philosophie des Stils - so wie sie sich unter anderem in den Pastiches manifestiert - darstellt. Dieser diametrale Gegensatz entspricht voll und ganz dem größtmöglichen Abstand zwischen dem Geist der Persiflage und dem des Pastiches - so wie es sich zumindest bei Proust darstellt. Bei ihm allein und vielleicht noch beim Joyce des »Sonnenstiere«Kapitels des Ulysses. Wie aber Io sagte, »dies scheint mir zu genü- gen«. XVIII Wir wissen, daß das satirische Register der Nachahmung in der klassischen Antike zumindest in der Form des noch genauer zu behandelnden komisch-heroischen Gedichts unter dem griechischen und später lateinischen Namen parodia bekannt war: satirisch sind auch jene Szenen der Frösche Aristophanes' gemeint, in denen Aischylos und Euripides sich gegenseitig persiflieren.1 Schwieriger einzuschätzen ist jenes in Petronius' Satyricon enthali V. 928-930 und 1285-1295, von Euripides stammendes Aischylos-Cento und -Pastiche; 1309-1363, Aischylos' im selben Ton gehaltene Antwort darauf. 130 tene und von Eumolpius vorgetragene Gedicht über den Bürgerkrieg1, das mir eher eine rein spielerische - oder sogar ernste Nachahmung der Manier Lucanus' zu sein scheint. So wie vieles andere, dürfte auch das Pastiche in seiner reinen Ausprägung von Plato erfunden worden sein - ihm gelang es, wie wahrscheinlich niemandem bis Balzac, Dickens und Proust, die Sprache seiner Personen zu individualisieren (und sei es auch unter Zuhilfenahme literarischer Nachahmungen). So unter anderem im Gastmahl, wo Phaidros so wie Lysias spricht, Pausanias wie Isokrates, Agathon wie Gorgias (und dazu noch zwei in seinem eigenen dichterischen Stil improvisierte Verse) und w o Aristophanes, Alkibiades und natürlich Plato selbst sich in jeweils sehr unterschiedlichen und stark typisierten Stilen ausdrücken. Ebenso auch im Phaidros, der jene Rede des Lysias enthält, von der seit 24 Jahrhunderten niemand sagen kann, ob es sich bei ihr um ein Apokryph oder um ein (langes) Zitat handelt. Auf jeden Fall aber um eine Hommage. Dieser traditionelle Begriff, den Debussy zum Titel eines (recht freien, aber überschwenglichen) Rameau-Pastiches machte, bezeichnet auf zutreffende Weise jenes nicht-satirische Register der Nachahmung, das nur in den seltensten Fällen neutral bleiben kann und dem nur die Wahl zwischen Verspottung und bewundernder Anlehnung bleibt - auf die Gefahr hin, beides zu einem mehrdeutigen Register zu vermengen, das mir die gelungenste Nuance des Pastiches zu sein scheint, sobald dieses auf den aggressiv-vulgären Ton der Persiflage verzichtet. Ein anderes Beispiel dafür findet sich im Umfeld der französischen Klassik; es stammt aus der Feder La Bruyè- res2: »Ich mag Menschen nicht, die ich nicht anreden und grüßen darf, bevor sie mich grüßen, ohne mir in ihren A u g e n etwas zu vergeben oder sie in ihrer hohen Meinung von sich selbst zu bestärken. M O N T A I G N E w ü r d e sagen: >Ich will meine Ellbogen frei haben und höflich und leutselig sein nach meiner Weise, ohne Bedenken und Rücksichten. Ich mag um alles nicht gegen meine Neigung angehen und wider den Strich meiner N a t u r handeln, wenn sie mich zu dem hinzieht, dem ich begegne. Ist er meinesgleichen und mir nicht feindlich gesinnt, so nehme ich seinen freundlichen G r u ß voraus, frage ihn nach seinem Befinden und Gesundheit, biete ihm 1 Satyrikon. Übersetzt von Carl Fischer, München: Hanser, 1962, S. 157-174. 2 Die Charaktere oder die Sitten des Jahrhunderts (»Von Gesellschaft und Unterhaltung«), Neu übertragen und herausgegeben von Gerhard Hess, Leipzig 1940, S . 9 7 f . I 3 I