4 Tödliche Sünden Die siebeti Todsünden (von der Kirche früher auch Wurzebünden, heute Hauptsünden genannt; lat. vitia capitalia): 1. Hochmut (auch Stolz, Hoffart, Ruhmsucht, Anmaßung; lat. superbia oder inanis glo-ria) 2. Trägheit (Müßiggang Faulheit, Überdruß; lat. acedia oder tristilia) 3. Unzucht (Unkeuschheit, Wollust, Fleischeslust; lat. luxuria) 4. Zorn (lat. ira) 5. Geiz (Habsucht, Habgier, lat. avaritia) 6. Neid (lat. invidia) 7. Unmäßigkeit (Völlerei; lat. gula) Die Siebenzahl der Todsünden ist seit Papst Gregor dem Großen (540-604) üblich, früher wurden, indem man Hochmut (superbia) und Stolz (inanis gloria) trennte, acht Sünden gezählt. Die Reihung der Sünden hat sich im Laufe der Zeit mehrmals geändert, allerdings stand der Hoch?nut ab Urgrund aller Sünden immer am Anfang, die Trägheit (acedia) immer am Ende. Die heutige Reihung der Kirche ist Hochmut. Geiz, Neid, Zorn, Unzucht, Unmäßigkeit, Trägheil; sie wurde von mir aus dramaturgischen Gründen geändert. Milden Lastern, mit den Sünden beschäftigten sich seitdem Mitte/alter zahlreiche Mora-litäten. Im 20. Jahrhundert setzten sich zwei bedeutende Dramatiker mit dem Thema „Die sieben Todsünden" auf ihre Weise auseinander (ein dritter mit einem kleinen Apercu). Da ist zuerst der Tiroler Franz Kranewitter (1860 1938), derüber zwanzigjahre (1903 bis 1925) an seinem Einakterzyklus arbeitete, den er ab sein Hauptwerk ansah. Krane-witters Dramen — so auch die „ Todsünden" — sind im Bauern- und Kleinhäuslermilieu seiner Tiroler Heimat angesiedelt, seine Figuren sprechen den örtlichen Dialekt. Zentrum der Auseinandersetzung ist die Familie — „das Haus ab Hölle" (Johann Holzner). Anders ah sein erfolgreicher luindsmann Karl Schönherr ist Kranewilter — weil seine Stücke härter, kompromissloser waren - kaum fernab außerhalb der Tiroler Grenzen gespielt worden und heute vergessen. Einzig Tiroler iMienbühnen und die professionellen .Tiroler Volksschauspiele Telfi" spielen noch seine Stücke. Ich selbst wirkte 1981 bei den ersten Volksschauspielen in Kranewitten „Todsünden"ab Moritatensänger mit. Ruth Drexel, Kurt Weinziert, Dietmar Schönherr, Gernot Priedel, Josef Kuderna. Reinhard Schwabenitzky undAlfBrustetlin inszenierten je einen der Einakter. Die Aufführung - wegen der Länge verteilt über zwei Abende - hatte überregionales Echo zur Folge, sie wurde auch vom Fernsehen aufgezeichnet, trotzdem blieb Kranewitter weiterhin ungespielt. Das hat mit seiner Sprache, dem Dialekt zu tun. auch mit dem Milieu, nicht zuletzt aber auch mit einem Blut- und Bodengeruch, der Kranewitten Stücken (mehr ab denen Schönherrs) anzuhaften scheint, weitgehend zu unrecht, wie ich meine. Kranewitter ist in eine Reihe zu stellen mit Anzengruber, Schönherr, Thoma und Lorca. Der zweite Autor ist Bertolt Brecht (1898-1956). der 1933 fiir Kurt Weil! einen Todsünden-Text schrieb, und zwar für eine Ballettaufführung mit Gesang und Orchester. Brecht erfand zwei Schwestern, Anna I (Gesang) und Anna 2 (Tanz); im Grunde sind beide ein und dieselbe Person. Den Standpunkt der Familie vertreten zwei Tenöre, ein Bariton und ein Bass. Die Schwestern verlassen das heimatliche Louisiana, weil sie Geld verdienen wollen, damit die Familie ein Haus bauen kann. Auf ihrer siebenjährigen Reise Todliche Sünden 10 Tödliche Sünden durch Amerika werden die beiden mit den sieben Todsünden konfrontiert. Brecht stellt wie üblich die gewohnte Moral auf den Kopf, dreht die Sünden um. Anna tritt ah Nackttänzerin auf, verkauft sich an einen Mann, alles ßr die Familie. Brecht fordert sie auf, neidig zu sein aufdie Reichen, zornig zu sein auf die, die sie ausheuten, genug zu essen, stau für die Familie zu sparen usw. Bei der Pariser Uraufführung der Truppe Les Ballets 1933 sang Lotte Lenya Brechts Text als Anna 1, Tilly Losch tanzte dazu als Anna 2. Nicht verschwiegen soll werden, dass auch Eugene lonesco einen Einakter zum Thema schrieb, nämlich als Drehbuch für den französischen Episodenfilm „Les sept peches capi-taux" (in der deutsclren Fassung „Die sieben Todsünden"),-den die Regisseure Sylvain Dhomme, Philippe de Broca, Jean-Luc Godard Edouard Molinaro, Jacques Demy, Roger Vadim und Claude Chabrol 1962 drehten. lonesco beschäftigte sich mit dem Zorn, und zwar dergestalt, dass eine Fliege in der Sonn-tagssuppe zuerst Ehekrach, dann Unruhen, schließlich Krieg und endlich den Untergang der Welt auslost. Durch den Einsatz von sieben Autoren sind die einzelnen Episoden sehr unterschiedlich, es verbindet sie ein leichtfüßig-satirischer Unterton. 1995 hat übrigens noch einmal ein Film das Todsünden-Motiv aufgegriffen, und zwar der amerikanische Thriller „Seven" (mit Brad Pitt, Morgan Freeman, Gwyneth Paltrow, Regie David Fincher), in dem ein Serienkiller seine Opfer nach dem Schema der sieben Todsünden aussucht. Zu Beginn des Jahres 1997trat der Schauspieldirektor des Tiroler Landestheaters. Dietrich W. Hübsch, mit einem Ansinnen an mich heran. Man plane einen Todsünden-Projekt, wobei das Meraner Theater „Im Keller" Kranewitterproduzieren soll und ein deutsches Theater die Brecht/Weill-Variante. Ich selbst möge ßr Innsbruck einen neuen Einakter-zyilus schreiben. Geplant sei, die drei Produktionen untereinander auszutauschen. Dies schien mir ein spannendes Vorhaben. Der Begriff „Sünde" istja unschwer hemuszulosen aus dem kirchlichen Kontext, und zwar auch ohne Brecht'schen Trick, denn im Grunde ist Sünde ja nichts anderes ah ein unsolidarisches Verhallen dem Mitmenschen und der Gesellschaft gegenüber. Und interessant ist: Die eigene Sünde richtet sich auch gegen einen selbst. Der Hochnut, der Zorn, der Geiz - alles richtet sich letztlich gegen einen selbst. Die Bestraßng erfolgt schon hier und jetzt. „ Tödliche Sünden " wurde nach der hervorragenden Innsbrucker Uraufführung nur noch in Wien, Graz, Stuttgart und in Montpellier (mit Gastspiel in Paris) nachgespielt. Es ist ein finsteres Stück, heute würde ich es nicht mehr so schreiben. I" PERSONEN: Mann Frau 1 Frau 2 Wr, Kind RÄUME: Speisezimmer Wohnzimmer 1 Wohnzimmer 2 Fernsehstudio Büro Das Kind ist darzustellen von junger, kleiner Schauspielerin, Geschlecht und Alter sollen aber immer diffus bleiben, obwohl man an Hand des Textes dreimal (Hochmut, Zorn, Geiz) ein männliches und zweimal (Unzucht, Unmäßigkeil) ein weibliches Kind vermuten kann. In Maske und Kostüm gleichen die Personen den Außerirdischen in amerikanischen Science-Fiction-Serien. Dies kann eine kleine Anomalie im Gesicht oder in det Gesichtsform sein, ium Beispiel ein sehr hoher Haaransatz, wodurch auf der ver-I. gtößerten Stirnfläche Raum ist für ein reliefärtiges (wulstiges, wucherndes) Zeichen oder Mal. Auch das Interieur hat Anklänge dieses Genres. Wohnzimmer und Speisezimmer definieren sich durch Lichtschranken, das Fernsehstudio durch Lichtfelder, das Büro durch Lichtfelder mir großen Fensteröffnungen. Falls Musik, dann „Filmsoundtrack", wobei man als Hauptthema die Melodie von JEs ist ein Schnitter, der heißt Tod" einarbeiten könnte, da dieses Lied in dreien det • Einakter vorkommt. Tödliche. Sünden 12 13 Tödliche Sünden HOCHMUT In große Höhen steigt die Seele des Hochmütigen empor, und von dort, stürzt sie sich selbst in die Tiefe hinab. (Evagrios Pontikos, 345-399) Speisezimmer. Der Raum ist durch Lichtschranken abgegrenzt, eine Türöffnung frei. Dunkel. Mann und Trau 1 kommen herein. Mann hat einen langen, schwarzen Gummimantel an und trägt eine Geburtstagstorte mit zehn brennenden Kerzen, Frau hat ein langes Messer in der Hand. Kind sitzt am Tisch, hat dasselbe Gesicht wie Mann. Diese Gleichheit muß keine fotografische seht, es genügt, wenn die beiden dieselbe auffallende Anomalie in der Gesichts- oder Schädelform aufweisen, zum Beispiel eine ausgebuchtete Stirn. Mann und Kind können diese Maske auch in den anderen Einaktern beibehalten, detin es ist in der symbolischen Bedeutung richtig, wenn die beiden sich immer ähneln. Kind trägt den rechten Arm in Schlinge. Vor ihm am Tisch Teller und Kuchengabel sowie ein großes Glas mit einem Cocktail von Aufbaupräparaten. Mann/Frau: (singen) Happy Birthday to you, Happy Birthday io you, Happy Birrh-day. dear Hans, Happy Birthday to you! Mann stellt die Torte auf den Tisch, Kind steht auf, blast die Kerzen aus. Mann und Frau applaudieren, das allgemeine Licht geht von selbst an, Frau küßt Kind auf etwas übertriebene Art, sticht ihm dabei fast das Messer in den Hab. Kind entwindet sich, setzt sich. Frau ist auf fast unmerkliche Weise betrunken. Mann nimmt Frau mit leichter Ungeduld das Messer weg. Frau setzt sich, zündet sich eine Zigarette an, trinkt von ihrem Cognac. Mann schneidet die Torte an, legt ein Stück auf den Teller des Kindes, setzt sich, schaut leicht nervös auf seine Uhr, schaut lächelnd Kind an, dieses blickt zurück. Mann deutet mit dem Kopf auf das Tortenstück. Mann: Heute darfst du, ausnahmsweise. Kind beginnt langsam zu essen, Gabel für Gabel, ganz sorgfältig und ohne Appetit, Mann und Frau schauen lächelnd zu. Mann: (zu Kind) Wir müssen uns dann absprechen, was wir morgen in der Talkshow sagen. Wir sind bei Ulrike. Die hat die höchsten F.inschaltquoten. Frau: (ärgerlich) Hör doch endlich auf, ihn dauernd der Öffentlichkeit zu präsentieren. Sowas von peinlich. Mann: Du bist nur neidig, weil sich für dich niemand interessiert. Frau: Du führst ihn vor wie einen Frcak. Warum tust du ihm das an? Mann starrt sie an, will etwas Zorniges sagen, beherrscht sich wegen des Kindes. Frau: Würdest du bitte den Mantel ausziehen, was soll das? Mann: Wir haben einen Interviewtermin. Frau schüttelt mit tiefem Ärger den Kopf, Mann schaut auf seine Uhr, schaut zum Kind, schuht ihm auffordernd lächelnd das Glas näher. Kino: Ich kann das nicht mehr trinken, Vater. Mann: Du brauchst es. Kind: Ich bring's nicht mehr hinunter. Tut mir wirklich leid. Mann holt Ampulle und Spritze hervor, zieht die Flüssigkeit in die Spritze, steht auf, schiebt Kind den linken Ärmel zurück, injiziert in eine Kanüle, die mit Heftpflaster befestigt ist. Kind läßt es sich gefallen, schaut nicht einmal hin, ißt ivährenddessen weiter. Frau wendet sich wütend ab. Mann: Hast du dir das Video angeschen? Kind: Ja. Mann: Worauf kommt es an? Kind: Handgelenk steif, nicht zu weit ausholen, Gewicht nach vorne, still stehen, ruhiger Schlag. Mann: Du schlägst den Gegner, nicht den Ball. Kind antwortet nicht. Mann: Du schlägst den Gegner, nicht den Ball. (Dezidiert.) Dein einziges Ziel ist die Vernichtung des Gegners! Kind: Ja, Vater. Mann: (setzt sich) Du bist zu wenig aggressiv. Warum bist du so wenig aggressiv? Ich war ungeheuer aggressiv. Ohne Aggressivität geht es nicht. Du mußt deinen Gegner hassen. Frau: Stell dir einfach vor, dein Vater ist der Gegner. Dann müßte es doch hinhauen. Kind: Du sollst nicht rauchen, Doris. Frau: Sag Mama zu mir. Kind ißt, antwortet nicht. Frau: Sag einmal Mama zu mir. Warum sagst du nicht Mama zu mir? An deinem Geburtstag. Mann schlägt Frau die Zigarette aus dem Mund, steht auf, hebt die Zigarette auf, löscht sie sorgfältig im Aschenbecher aus. Mann: (zu Frau) Du hast uns immer sabotiert. Immer. (Heftig:) Wir sind Sporder! Frau zündet sich eine Zigarette an. Frau: Darf ich dich was fragen, Kind? An deinem Geburtstag? Hast du Spaß an deinem Leben? Mann: Was soll das? langst du schon wieder an zu stänkern? tödliche Sunden 11 15 Tödliche Sünde» Frau: Ich darf ja wohl das Kind an seinem Geburtstag tragen, ob es Spaß hat an seinem Leben. Mann: (dezidiert) Das Leben ist kein Spaß. Das I*ben ist Kampf. Wenn du gewinnst, dann hast du Spaß. Frau: Wird er kaum jemals Spaß haben. Mann: F.inc Voraussetzung ist, vor allem für ein Kind: Harmonie in der Familie. Frau: Bin ich dafür. Mann: Warum störst du dann die Harmonie? Ständig. (Heftig:) Seil Jahren! Frau: Weil ich überflüssig bin. Mann: Bist du nicht. Bist du nicht. Du bist ein wichtiger Bestandreil des Planes. Du bist unerläßlich. Frau: Ach ja? Mann: Du bist zuständig für Harmonie. Wir haben eine Abmachung, erinnere dich. Du bist zuständig für I larmonie. Deine einzige Aufgabe. Du bist frei, du kannst tun, was du willst, aber wenn wir nach Hause kommen, ist deine Aufgabe die Harmonie. Ein freundliches Lächeln, gute, gesunde, ausbalancierte Kost, die Frage, wie war es, erzählt, wie war es, Anteilnahme, Interesse, das Kind in den Arm nehmen, wenn es einmal nicht so gut lief. Mehr nicht. Das war abgemacht. Stattdessen sabotierst du uns. Behelligst uns mit deiner Überspanntheit. Rauchst, trinkst, läßt dich gehen. Wir brauchen Halt, Halt! Frau: Ich kündige die Abmachung, Hans. Mann: Das geht nicht, das kannst du nicht. Frau: Ich steige aus. Ich gehe. Ich laß euch allein. Mann: Das machst du nicht. Frau: Doch, Hans. Mann: (nimmt hart ihn Hand) Das machst du nicht. Kind: (weinend) Nicht an meinem Geburtstag. Nicht an meinem Geburtstag. Frau: Was? Kind: Streiten. Streiten. Frau: Ich streite nicht. Ich teile euch nur mit, daß ich weggehe. Kind: Geh bitte nicht weg. Frau: Ihr braucht mich nicht. Kjnd: Ich brauch dich. Mann: Siehst du. Kind: Ich brauch dich, Doris. Er bringt mich um. Frau: Wer bringt dich um? Kind: Vater. Mann: Ich bring dich doch nicht um. Kind: Doch, tusr du. Mann: Das ist doch absurd. Du bist mein Kind. Du bist alles, was ich habe. Das einzige. Warum soll ich das tun? Kind: Weil ich dich enttäuscht habe. Mann: Noch ist nicht aller Tage Abend. Kind: Doch. Ich bring es nicht. Du weißt es. Mann: Das hat sie dir eingeredet. Kind: Nein, hat sie nicht. Mann: Das hat sie dir eingeredet. Sie haßt mich, das weißt du. (Reißt Frau an den Haaren.) Sabotage. An meinem Lebenswerk. Frau reißt sich los, will hinaus, Mann ihr nach, mit dem Messer, ergreift sie. Mann: Ich birte dich, zwinge mich nicht zu einer Affekthandlung. Frau setzt sich wieder, Mann legt das Messer auf den Tisch. Mann: Glaubst du, ich hab es nicht gehört, das nächtliche Geflüster? Geh mit mir weg, leb dein eigenes Leben, tu, was dir Spaß macht, tu, was all die anderen Kinder tun, in deinem Alter, Fasr-Food-Fraß und Kino und streunen auf der Straße? Kind: Ich geh nicht mit ihr weg, Vater. OX'eint mit vollem Mund.) Mann: (nimmt das Kind in den Arm) Wir schaffen das, wir schaffen das schon. Kind: Ich hab dich enttäuscht, ich hab dich so enttäuscht. Mann: Es ist nicht deine Schuld. Es ist die mangelnde Fiarmonic, der Erwartungsdruck, der Streß. Ich hab ein neues Trainingsprogramm ausgearbeitet. Ruhige, konzentrierte Schritte. Morgen geht es los. Du bist höchstens ein Jahr hinten. Wir holen das auf, ich vcrsprech's dir. Frau: Du bist nicht ein Jahr hinten, Kind, du holst das nicht auf. Du quälst dich umsonst, sieh es doch endlich ein. Seit sechs Jahren schau ich dir zu. Du rackerst wie ein Tier. Bis heule hast du den Rhythmus nicht gefunden, wie ein verschreck-tes Hofau hüpfst du auf dem Platz herum, deine Rückhand ist eine Katastrophe, dein Aufschlag lächerlich. Dein Arm, dein Rücken, deine Knie sind jetzt schon im Eimer. I.aß es. Du bist nicht begabt dafür, aus. Mann: Ich bring dich um. Frau: Er ist nicht begabt dafür. Sich der Realität ins Auge. Mann: Ich war begabt dafür. Also ist auch er begabt dafür. Er ist ich. Frau: Sicher ist er du. Aber hast du dich schon einmal gefragt, ob du wirklich begabr warst dafür. Mann: Jeder hat mich tür ein Genie gehalten. Ich war ein programmierter Sieger. Frau: Und dann hattest du den Unfall. Mann: Dann hatte ich den Unfall. Tödliche Sünden L6 17 Tödliche Sünden Trau: Vielleicht kam der Unfall gerade zu rechten Zeit. Mann: Wie meinst du das? Frau: Die Augen der Öffendichkeit ruhten bereits auf dir, mein Lieber. Vielleicht hattest du Angst, es nicht zu schallen. Vielleicht deshalb der Unfall. Mann: Ach, du kommst mir mit Psychologie. Verschon mich, ja? Du blöde Kuh. Frau: Und jetzt trägt auch er seinen Arm in der Schlinge. Komisch, nicht. Mann: Das ist harmlos. Harmlose Entzündung. Falscher Hebel. Schlag den Gegner, nicht den Ball. Frau: Du warst letztlich nicht begabt dafür und er ist es auch nicht. Und du peinigst ihn bis aufs Blut. Für nichts. Alles umsonst. Kind: Sie hat recht Vater, ich kann es nicht. Laß mich etwas anderes werden, bitte. Bitte, Vater. Mann fassungslos, absolut fassungslos, geht wie ein Tier im Raum umher. Frau: Laß ihn etwas anderes werden. Dann wird alles gut. Mann: Ich war begabt dafür! Ich war es! Ich kann euch die Zeitungsartikel zeigen, die Videos! (Bedrohlich zu Frau:) Sprich mir das nicht ab, sprich mir das nicht ab! Frau: Gut, von mir aus, ich kannte dich nicht. Aber ich kenne ihn. Er bringt es nicht. Mann: Ich bin Typ A, das ist bewiesen! Also muß er auch Typ A sein! Frau: Er ist bestenfalls ein B-minus. Mann: Es kann nicht sein! F.s kann nicht sein! Schau ihn dir an. Er ist die perfekte Kopie. (Zu Kind:) Du kennst die Videos. Ich mit zehn. Das bist doch du. Kind: Ja, das bin ich. Mann: Du bist identisch mit mir. Vollkommen identisch. Das haben die DNA-Tests bewiesen. Kind: (weinend) Ich möchte nicht so sein wie du. Ich möchte nicht so sein wie du. Mann: Du bist nicht wie ich. Du bist ich. Versteh das doch endlich. Kind: (weinend) Ich will ein Eigener sein. Mann: Wieso will er ein Eigener sein? Das gibt's doch nicht. Seit wann willst du ein Eigener sein? Kind: Immer schon. Und es ist so schwer. Warum hast du es mir gesagt? Warum muß ich das wissen? Mann: Damit Klarheit herrscht. Soll ich dich belügen? Frau: Damit ich ausgeschaltet bin. Mann: Das dürfte nicht vorkommen. Das dürfte nicht vorkommen. So dürfte er nicht denken. Da ist was schiefgelaufen. Da ist was schiefgelaufen. Deshalb funktioniert die Sache nicht. Die haben geschlampt. (Denkt krampfhaft nach.) Es gibt nur eine Möglichkeit. Es ist etwas von dir in ihm. Irgendetwas von dir. Frau: Nicht gut möglich. Ich bin nur die Gebärmaschine. Mann: (geht auf und ab, überlegt verzweifelt; nach einer Weile) Sie haben deine Eizelle nicht sorgfaltig genug entkernt. Nur das kann es sein. Dann hat er auch von dir Erbgut. Frau: Würde ich dir gönnen. (Schaut Kind an.) Dann wärst du auch mein Kind. Das war schön. Schöner als die Vorstellung, daß du aus einer Schuppe seiner Kopfhaut entstanden bist. Mann: (umarmt weinend sein Kind) Mein Sohn, mein Sohn! Oh mein Gott, wenn sie mich betrogen haben. Oh mein Gott! (Setzt sich verzweifelt hin.) Frau: (schaut Kind an) Ich hab mir nie Gedanken darüber gemacht. Es schien klar. Aber jerzr ... Doch, du hast Züge von mir, du bist auch ein Teil von mir, ganz bestimmt. (Beginnt zu weinen.) Mein Kind! Mein Kind! Ich bin so froh, ich bin so froh. Es ist ihm nicht gelungen, mich ganz auszuschalten. Mann: Du warst einverstanden! Du hast mir versprochen, mir spätet keine Vorwürfe zu machen. Vor den Ärzten hast du es mir versprochen! Frau: Weil du mich eingewickelt hast. Du und die Arzte. Ich hab mich blenden lassen. Und ich war verknallt in dich. Total verknallt. Dieser große, blonde Mann, mir dem schönen, biegsamen Körper. Mit den goldenen Härchen am Unterarm. Deine EUbogenbeugc, die ich geküßt habe, am Abend, am Strand. Ich hab mir das schön vorgestellt, so eine Kleinausgabe von dir. Von mir hab ich ja nie sehr viel gehalten. - Aber als du hattest, was du wolltest, war ich erledigt. Es gab nur mehr das Kind für dich. Nur mehr das Kind. Warum hast du es nicht von der Putzfrau austragen lassen? Oder von einer Kuh? Mann: Das Leben ist eine Pflicht. Auch mein Leben ist eine Pflicht. Frau: (zu Kind) Fühlst du es, Kind? Fühlst du es? Fühlst du, daß du auch etwas von mir hast? Kind: Ich will ein Eigener sein, ich will ein Eigener sein. Mann: Den Defätismus hat er von dir! Die Depression hat er von dir! Das mangelnde Durchhaltevermögen! Frau: Na, das wird sich zeigen. (Steht auf.) Komm, Kind, wir gehen. Wir verlassen diesen Mann. Und du wirst ein Eigener. Ganz du, nur du, einmalig auf der Welt. Komm, mein Kind. Kind starrt vor sich hin. Frau: Komm, auf in die Freiheit. Es ist schön da draußen. Da ist Luft zum Atmen. Kind: Geh voraus. Geh packen. Mann: (zu Frau) Du glaubst doch nicht wirklich, daß ich das zulasse? Frau: Nimm ruhig dein Messer. Ich bin stark, jetzt bin ich stark, täusche dich nicht. Mann steht mit dem Messer auf. Mann: Willst du mir das wirklich antun, daß ich dich umbringen muß? Todliche Sünden 1K Kind: Laß sie gehen. Mann schaut Kind an. Kind: (zwingend) Laß sie gehen, Vater. (Zu Frau:) Geh nur. Frau: Komm mit, bitte. Ich rette dich. Kind: Muß mich verabschieden. Laß mich allein mit ihm. Geh, geh nur. Frau geht zögernd hinaus. Kind: (nach einer Weile) Ich kann nicht weg von dir. Mann: Ich wußte es. (Kommt her, umarmt das Kind.) Glaubst du, es Stimmt, daß du etwas von ihr hast? Kind: Nein. Sie ist mir ganz fremd. Mann: Dann schaffen wirs. Kind: Nein, wir schaffen es nicht. Sic hat recht. Du warst nicht gut genug. Also bin auch ich nicht gut genug. Sie schauen sich an. Mann wendet sich ah, geht im Raum hin und her. Er leidet wie ein Hund, so heult er dann auch auf. Mann: (außer sich) Ich hab dich oben stehen sehen! Ich hab dich oben stehen sehen! Dann sieht er es doch ein, wird ruhig, entschließt sich. Er schaut Kind an. Mann: Sie sollte nicht davonkommen. Kind: Warum? Ist doch egal. Geht sie uns was an? Langes Schweigen. Die Lichtschranken fließen an der Türöffnung zusammen, so daß es keinen Ausgang mehr gibt. 19 Tödliche Sünden Blackout. TRÄGHEIT Das Auge des Überdrüssigen starrt dauernd die Fenster an, und sein Geist stellt sich die Besucher vor. Die Tür knarrt, und jener springt auf. Fr hört eine Stimme und späht durch die Fenster, und er geht von dort nicht weg, bis er, lahm geworden, sich setzt. Fernsehstudio. Mann trägt den langen, schwarzen Mantel, sitzt auf einem Barhocker an einem erhöhten Tisch, auf dem ein Glas Wasser steht und eine automatische Schrotflinte liegt. Mann nimmt die Waffe an den passenden Stellen in die Hände. Mehrere Scheinwerfer sind auf den Mann gerichtet, der Rest des Raumes liegt im Dunkeln. Die Zuschauer erfahren erst am Schluß, um welchen Raum es sich handelt. Mann: Das Rauchen schmeckt mir nicht mehr, das Trinken schmeckt mir nicht mehr, auch das Essen schmeckt mir nicht mehr, Sie können mir hinstellen, was Sic wollen. Soweit bin ich gekommen. Früher hab ich gern gegessen, getrunken und geraucht. Jetzt kann ich nichts mehr genießen. Nichts. Nichts. Die Saiclliu.n-schüssel hab ich herumergeschossen. Hab mich durchgezappt, jahrelang, nächtelang, die ganzen Idioten, die durch die Gegend knallen und Autos zu Schrott fahren und ganze Häuserzeilen in die Luft blasen; diese blödsinnigen Talkshows mit ihren Sado-Maso-Freaks und den Proleten, die sich wegen Lappalien anschreien und prügeln; klar, manchmal holt man sich einen herunter, allein vorm Fernseher, aus dem die Brüste quellen; reicht dir dann auch, diese asymmetrischen Fraucnlci-ber und Muskelprotze mit ihren bemühten Turnübungen, das Gefaktc idiotisch und der Hardcore genauso. - Ich kann midi an nichts erinnern. Ich kann mich an nichts erinnern! Was war das für ein Leben, ich kann mich nicht erinnern! Zwei Kinder, ja, okay. Bis man die auf die Beine gebracht hat ... Soll das lustig sein? Nicht ein Moment, wo ich mich an was gefreut habe, nicht ein Moment, ehrlich. Doch, einmal, im Bett, mit einer Frau, das war unglaublich intensiv. Nicht mit meiner Frau, mit einer anderen, Frau meines besten Freundes. Ein einziges Mal im Leben. Kommt man dafür auf die Welt? - Ich kann mich vor allem an die Kindheit nicht erinnern. Ich meine, wofür lebt man, wenn man sich nicht erinnern kann? Ein paar Beleidigungen merkt man sich, ja. Daß sie dauernd was von einem wollen, die Eltern. Eltern, komisches Worr. Spielen sich auf, nehmen sich wichtig. Wofür? Meine Frau hat das dann hauptsächlich gemacht. Mit ihnen gebüffelt, dauernd in die Schule gerannt, den Lehrern was vorgeheult. Sie haben's geschafft, klar. Ist doch mir egal. Sic enden wie ich. Urlaub, ja. kann ich mich erinnern. Aber Tödliche Sünden 20 nur an das Einpacken, Urlaub ist das Entsetzlichste. Schon das Einpacken ist entsetzlich. Einmal ein guter Fisch, am Strand, vom Grill. Die einzige schöne Erinnerung. - Das Leben ist anstrengend. Das Leben ist nur anstrengend. Wozu soll das gut sein? Freunde. Blöd rumstehen, blöd quatschen. Ist doch so, oder? Mitmenschen sind anstrengend. Ich treffe schon seit Jahren niemanden mehr, geh nirgends hin. Sport hat mich nie interessiert. Voraussetzung für Männerfreundschafr. Kein Sport - keine Freunde. Es hat mich nie interessiert, wer gewinnt. Nicht im mindesten. Ich konnte nicht einmal die Mannschaften auseinanderhalten, auf dem Spielfeld. - Doch, einmal, die Rolling Stones, in der Halle, mit zwanzigtausend Leuten, das war wirklich toll. Dreißig Jahre her. Einmal gut vögeln, einmal die Stones, einmal ein Fisch. (Lacht.) Dafür hab ich gelebt. - Die Ehefrau: vollkommen uninteressant. Schon vor der Heirat, eigentlich. Mir war jede recht, ehrlich gesagt. Nur nicht überspannt sollte sie sein. Die paar Freundinnen, die ich vorher hatte - alle überspannt. Meine Mutter war auch überspannt. Ich habe mir eine nicht überspannte Ehefrau gewünscht. Ist das zuviel verlangt? Es war zuviel verlangt. Sie hat mich gelegt. Sie hat mir die Ausgeglichene vorgespielt. Bis zur Hochzeit. Am nächsten Tag ging's schon los. Aber ich hätte es wissen müssen, sie hatte dieses Lächeln auf dem Gesicht, dieses seltsame Lächeln. Rätselhaft, geheimnisvoll. Das ist der Mona-Lisa-Ttick. Damit legen sie dich. Fallen Sie nie auf den Mona-Lisa-Trick herein, ich warne Sie. Da versteckt sich nichts Besonderes dahinter. Nur Überspanntheit. Ich habe zwanzig Jahre mit einer überspannten Ehefrau verbracht. Ist das in Ordnung? Kommt man dafür zur Welt? Und immer sticheln sie. Sie sticheln. Die Arbeiterfrauen schlagen, die Angestellten- und Akademikerfrauen sticheln. Ich muß Ihnen das näher auseinandersetzen, weil das klarerweise totgeschwiegen wird. Tabuthema. Politisch nicht korrekt. Frauenfeindlich. Also, konkret: Die Arbeiterfrauen schlagen ihre Männer. Jawohl. Jawohl. Ja, lachen Sie nur, meine Damen. Ich hab sie getroffen, diese Männer, als ich noch im Außendienst war. Zitternd, zitternd sind sie in der Kneipe gesessen, weil sie wußten, was ihnen blüht, wenn sie nach Hause kommen. Ich konnte es zuerst nicht glauben. Ich konnte es zuerst nicht glauben, als früher Anhänger der Emanzipation, als offen sich bekennender Feminist. Dann traf ich einen Bürgermeister. Bürgermeister eines kleinen Marktfleckens. Kommen ins Gespräch, dies und das, er zieht gegen die Frauen los, aus irgendeinem Anlaß, ich verteidige sie natürlich, wie immer, daraufhin erzählt er mir Folgendes: Jeden Mittwoch, wenn er Sprechstunde hat, für die Anliegen der Gemeindebürger, sitzen diese Männer bei ihm und weinen. Sie weinen. Sie erzählen ihrem Bürgermeister, ihrem Genieindeoberhaupt, daß sie von ihren Frauen geschlagen werden. Und sie weinen, sie weinen wie kleine Kinder. So ist das. So ist das. Nicht umgekehrt, wie die öffentliche Meinung lautet. Ja, ja, ich weiß, das paßt Ihnen nicht, meine Damen. Warum gibt es kein Männer-haus, warum gibt es kein Haus für geschlagene Männer? Ich sage Ihnen, warum. Weil sich die Männer schämen. Weil sie sich schämen, die Prügel zuzugeben. Sie werden alle geprügelt, alle. So, weiter: Die Angestellten- und Akademikerfrauen sticheln. Sie schlagen nicht, sie sticheln. Und das ist noch schlimmer. Ich habe es am eigenen Leib erlebt. Meine Frau hat auch immer gestichelt. Immer. Das Infame daran ist: Ich könnte Ihnen nicht einmal ein Beispiel nennen. Man kann auch dem 21 Tödliche Sünde Scheidungsrichter kein Beispiel nennen. Gott sei Dank keimt er das auch, von seiner eigenen Frau. Man kann deshalb kein Beispiel nennen, weil diese Stichelei derart raffiniert und um sieben Ecken herum daherkommt, daß man als Mann vollkommen dariebensteht. Man wird beleidigt, man wird in seiner Ehre verletzt, man wird heruntergemacht, und schon eine Stunde später ist man nicht mehr in der Lage, das Gesagte zu rekapitulieren. Das ist es, was einen so wütend macht, was einen zur Weißglut treibt, was Mordgelüste in einem erweckt. Die Männer unter Ihnen werden mich verstehen, und Sie, meine Damen, verhöhnen Sie mich ruhig, machen Sie sich lustig über mich, mir ist das egal, heute ist es mir egal. Ich sage Ihnen noch etwas: Jede Vergewaltigung ist ein Verzweiflungsakt. Ausdruck der Unterdrückung. Jawohl. Jawohl. Ein Mann, der nicht unterdrückt wird, von seiner Mutter, von seiner Frau, von seiner Freundin, der wird nicht zum Vergewaltiger. So ist das. So ist das. Und alles, und alles, was die Männer mit Kindern machen, oft mit den eigenen, sie würden es nicht tun, wären die Frauen friedfertiger, sanftmütiger, hingebungsvoller, statt schlagend, stichelnd, fordernd. Jawohl. Jawohl. Und unterstellt den Männern nicht ständig Sexualgier! Es ist ja umgekehrt. Umgekehrt. Immer wollen sie was von einem, die Frauen. Immer. Aber sicher. Ich hab meine Frau die letzten zehn Jahre nicht mehr angerührt. War unklug, ich weiß. Sie werden stocksauer. Machen einem das Leben zur Hölle. Ich hab einen Araber getroffen, in einer Hotelbar. Du mußt nur eins run, hat er gesagt: Beschlafc deine Frau, dann ist alles gut. Sic hat ein Anrecht darauf, hat er gesagt, du bist verpflichtet, sie zu beschlafen. Na, der hat Nerven. Ich mag sie nicht, was soll ich machen? Ich mag sie nicht. Sie hat's mit meinen Kollegen getrieben. Mir doch egal. Ging mir nur auf den Wecker, daß die Kollegen dann so freundlich zu mir waren. Und die Frauen der Kollegen hatten Mitleid mit mir und wollten mich entschädigen, wollten mir's besorgen. War mir alles viel zu ansrrengend. Ich hasse Komplikationen, ich hasse das wirklich. Beziehungen bringen Komplikationen mit sich. Unweigerlich. Ich habe seit zehn Jahren mit keiner Frau mehr geschlafen. Geht mit Selbstbefriedigung genauso, aber absolut. Ich brauch nur mich. Jetzt nicht einmal mehr das. Nicht mehr. Mich brauch ich auch nicht mehr. Ich bin mir zuwider. Ich schlafe die meiste Zeit. Dämmerzustand. Träum viel. Wahnsinnig anstrengend. Erinnere mich aber nicht daran. Erinnere mich an keinen einzigen Traum. Aber ich muß wohl träumen, weil ich so fertig bin, wenn ich aufwache. Ich schlafe auf dem Sofa, zieh mich nicht mehr aus, auch nicht mehr um. - Bei uns in der Firma war eine Rollsttihlfahrerin. saß in der Telefonzentrale, schon lange tot. Mit der hätte ich schon damals gern getauscht. Sie konnte das nicht verstehen. Aber - Krüppel werden bevorzugt, das ist doch so. Von Krüppeln erwartet man sich nichts, man stellt keine Ansprüche an sie. (Lacht auf.) Die hat mich doch tatsächlich überredet, bei einer Demoxistration mitzugehen. Zwanzig Jahre her. War sogar erfolgreich. Ich kann Ihnen die abgeschrägten Gehsteigkanten zeigen. War das einzige Mal, daß ich mich für etwas engagiert habe im Leben. Gott, war mir das zu blöd. Alle haben uns angestarrt. Heute bin ich froh, daß ich mir diesen Ubereifer erspart hab, in der Jugend. So was von peinlich, wenn man sich die Typen von damals heute anschaut, im Fernsehen, mit ihren Frisuren und Hosen, und wie sie blöd daheruuatschen ... So war ich nie. „Dies Land gehört euch. Aber Tödliche Sünden 22 ihr müßt es auch beschützen. Seid bereit, dafür zu kämpfen." Viva Zapata. Marlon Brando. War ich dafür. Aber rein sentimental. Che. War auch für mich damals ein Idol. Aber rein sentimental. Rein sentimental. Weil uns die Medien sentimental machen. Che, der Jesus Christus. Alles wegen dieses einen Fotos. Dieses asthmatische Arschloch, dieses arrogante. Die Mafia ist mir tausendmal lieber, in Kuba. Denen ist es doch besser gegangen, mit der Mafia, oder? Im Grunde ist es mir egal, ob Kapitalismus oder Sozialismus. Aber der Sozialismus ist so langweilig, grau, hat kein Flair. Che hatte Flair, die Revolution hat immer Flair, klar, aber dann wird's fad. Obwohl, anzustrengen brauchte man sich nicht, im Sozialismus, absolutes Recht auf den Arbeitsplatz, sie konnten dich nicht rausschmeißen. Mich haben sie natürlich irgendwann rausgeschmissen. - Ich erinnere mich nur an Sachen, die mir irgendwie unangenehm sind! Der Junge hat einmal zu mir aufgeschaut, ob er etwas gut gemacht hat, vier Jahre alt war er. Das hat mich irgendwie berührt. Unangenehm. Er hat mir leidgetan. Mir kamen fast die Tränen. Ist doch scheißegal, ob man etwas gut macht oder nicht. Was ist gut? - Nicht, daß ich in der Firma nicht meinen Mann gestellt hätte, in den Anfangsjahren, als junger Spund. Wollte ja dies und das erreichen, dies und das haben, und die Frau hat Druck gemacht, hat gestichelt. Ohne sie hätte ich mir damals schon kein Bein ausgerissen. Einmal hat mich der Chef in seinem Wagen mitgenommen. Lederpolsterung. Das roch so gut. Nichtraucherwagen, natürlich. Und wie die Türen zufielen -pflopf. Klasse. Die verstehen was vom Autobau. Ich hab was übrig für gute Geräusche, für guten Ton. Ich hatte Dolby Surround, bevor ich die Schüssel hcrunrer-schoß. Sagenhaft, was die heute für Geräusche produzieren. Besonders die Schußwaffengeräusche. Natürlich alles erstunken und erlogen. Ich war mit einem Kollegen beim Combatschießen, zwanzig Jahre her. Das knallt vollkommen uninteressant, vollkommen uninteressant. Aber es fühlt sich gut an, so ein Ding in der Hand, zugegeben. (Nimmt die Flinte.) Die hier knallt natürlich schon recht eindrucksvoll; Sie werden es ja hören. Als ich achtzehn war, hatte ich einen Freund, der einzige in meinem Leben, der einzig wirkliche, der wollte ein berühmter Fußballer werden. Muß hinzufugen, zuerst konnte er mich nicht ausstehen, weil mich Fußball nicht interessierte, aber irgendwann, bei einer ganz furchtbaren Sauferei, eigentlich der einzigen meines Lebens, na, ich muß schon erzählen, was es war, denn es hatte wirklich grauenhafte Folgen. Wir tranken Likör. Das war (zählt an den Fingern ab) Eierlikör, Pfeflerminzlikör, Schokoladelikör, Orangenlikör und, was war es noch, ja, Mandellikör, alles durcheinander. Mein Freund hatte dieses entsetzliche Zeug aus dem Getränkegroßhandel mitgebracht, wo er als Lagerarbeiter sein täglich Brot verdiente. Wir kotzten wie die Reiher. Wie die Reiher. Der Geruch von Likör verursacht mir heute noch Brechreiz. Na, jedenfalls sind wir während dieses Besäufnisses draufgekommen, daß wir uns mögen, daß wir denselben makabren Witz haben und beide ein Faible fürs Kino. Mit seiner Fußballkarriere war's leider bald vorbei, weil er zuviel soff und rauchte. Er ist dann — durch irgendeinen Zufall - Leichenbestatter geworden. Im Cafd heckten wir immer Banküberfälle aus. Das war damals leicht. Jeden Tag passierte das. Meistens mit so einer (hält sie hoch) automatischen Schrotflinte, Pump Gun sagen die Amis dazu. Die wurde populär, weil's diesen Film gab vom Peckinpah, „Getaway", mit Steve 23 Tödliche Sünden McQueen. Kannst du einen Motorblock damit zerschießen. Er hat die Gegner reihenweise abgeknallt. Flogen drei Meter zurück, landeten an der Wand, rutschten zu Boden, und an der Wand dann dieser triefende Blutfleck. In der Zeitlupe sah das irre aus. Seitdem hab ich immer ein Bild im Kopf, vorm Einschlafen. Ich mit dieser Flinte, ich drücke zweimal hintereinander ab. Einmal auf eine Frau, in die Brust, einmal auf mich, so, unters Kinn, der Gesiditsschädel fliegt weg, komplett. Das war aber schon so, bevor ich meine Frau kannte. Es ist irgendeine Frau. Eigenartig, dieses Bild, diese Zwangsvorstellung, wo ich doch ein vollkommen unaggressiver, passiver Mensch bin. Ein einziges Mal im Leben hab ich mich geprügelt, da war ich vierzehn. Ich hab gewonnen, obwohl ich etwas schmalbrüstig war. Na ja, die Wut wird mir geholfen haben, der Jähzorn. Manchmal krieg ich so einen Jähzorn. Mein einziger Fehler, eigentlich. (Hebt die Flinte.) Da sollte man sowas lieber nicht zu Hause im Schrank haben. Einmal war's sehr knapp, da hätte ich beinah meine Familie ausgerottet. Ich hab das Ding übrigens von meinem Fußballerfreund bekommen. Der wurde dann Zuhälter. Als Nebenjob. Weil die Lcichenbestatterei doch etwas öde war. Wir trafen uns zufällig in einer Hotelbar, Jahre her schon wieder, ich feierte allein meinen Geburtstag, Streit mit der Frau, abgehauen ... Zog der doch tatsächlich diese Flinte aus seinem Mantel und schenkte sie mir zum Geburrstag. Ich hab geweint vor Rührung. Guter Kerl. Hat's auch nicht lange gemacht. Lungenkrebs. (Lacht.) Beim Nachhauseweg kam ich mir vor wie der Steve McQueen! Ich hab eine Verkehrsampel hertintergeschosscn. Aber Ehrenwort, der eüizige aggressive Akt gegen öffendiches Gut in meinem Leben. — Ja, Kino, das hat mich damals interessiert. Und Diskothek, mit meinem Fußballerfreund. Janis Joplin. Die einzige Frau, die mir je was bedeutet hat. Ich selbst hab aber nie Drogen genommen, ich hab mich — wie gesagt — auch nie so richtig betrunken, nur immer soviel, um mich ein wenig einzulullen. Vielleicht hatte ich Angst, außer Kontrolle zu geraten, die Selbstkontrolle zu verlieren. Ich wollte immer Herr meiner selbst sein. Aber vielleicht muß man die Kontrolle verlieren, um sich zu spüren. Das einzige war der Tanz damals. Hab immer mit mir allein getanzt, so mit achtzehn. Die Mädchen fanden das komisch, weil ich hampelte wie ein Spastiker. Doch, das ist eine gute Erinnerung. Einmal hab ich's in die Trance geschafft, ein einziges Mal. Etwas, das mit der Zivilisation nichts zu tun hat. Vor zehntausend Jahren hätt ich's vielleicht durchgezogen. - Ich habe den Chef gehaßt, für seinen Wagen. Nicht weil er ihn hatte und ich nicht, lächerlich. Sondern, weil er da reinpaßte. Ich würde nie in so einen Wagen passen. Außerdem bin ich Raucher. Du mußt Nichtraucher sein für so einen Wagen. Er paßte auch in seinen Anzug rein, ich paßte nie in meinen Anzug rein. Ist aber schon lange kein Problem mehr für mich. Was soll's. Geld, Besitz, Konsumgesellschaft, ich scheiß drauf. Die Hungerbäuche im Fernsehen, die Massaker, mir doch egal. Sie werden kommen. Unweigerlich. Recht geschieht uns. Ich hab meinen Hund erschossen, damit (hebt die Flinte), er ging mir auf die Nerven. Ich will nicht, daß jemand an mir hängt. Die Katze hab ich nicht erwischt, die war zu schnell, die hat dann ein Auto überfahren. Die war okay, Katzen sind ja nicht so anbiedernd, aber ich hatte keine Lust mehr, sie zu füttern und ihr Klo auszuräumen. Der Hund hat mir außerdem den Garten vollgeschissen. Den Garten mähe ich noch, so eine Gewohn- Tödliche Sünden 24 25 Tödliche Sünden hcit. Das Blödeste überhaupt. Das ist mein Leben. Sinnlos den Garten mähen. Die Blumen meiner Frau abgemäht, die letzte Freude, an die ich mich erinnern kann. Der Pflanzensaft ist mir ins Gesicht gesprirzt. Wirklich ein Genuß. Ich hab sie nicht erschossen, bin doch nicht blöd. Obwohl ich mir manchmal denke, so im Gefängnis, das war schön. Allerdings nur mit Einzelzelle, ich würde die Typen nicht aushalten. Wirklich, eine Zeidang hab ich mir gedacht, wenn sie mir eine Hinzelzelle garantieren, geh ich rein. Ich denke, wenn man genug Radau macht, bekommt man eine Einzelzcllc. Oder nicht? Sie hat sich scheiden lassen, alles cin-vernchmlich, das Haus hat sie mir gelassen, nett von ihr. Sic ist eine anständige Frau, abgesehen von ihrer Stichelei, auf jeden Fall. Tut mir leid, daß ich sie nicht mochte. Aber ich mag ja niemanden. Ich zeig das nicht, natürlich nicht, wozu. Ich war immer zu jedem freundlich, wirklich. Ich bin nicht gehemmt, ich kann mich unterhalten, ich hör mir jeden Blödsinn mit freundlichem Gesicht an. Ich gelte absolut nicht als Sonderling. Bei nieinen Kollegen war ich sogar beliebt. Hab ihnen ja nichts in den Weg gelegt, in den letzten zwanzig Jahren, wollte ja nichts werden, war kein Konkurrent. Na ja, die letzte Zeit waren sie etwas sauer auf mich. Ich hatte einfach keine Lust mein. Sie mußten meine Arbeit tun. Ich hab mich dann krankschreiben lassen, immer wieder, ein paar Wochen, ein paar Monate; ging mir ja wirklich nicht gut. Dann hat Gott sei Dank ein Arzt herausgefunden, was mit wirklich fehlte: depressive Abcitsunlust. Lachen Sie nicht, das gibt's. Depressive Arbeitsunlust. Brauchte ich gar nicht mehr hinzugehen. Irgendwann wurde mein Chef lästig. Aber da hatte ich schon eine manische Öffentlichkeitsscheu, das heißt, wenn ich mich unter mehr als zwei Menschen aulhielt, bekam ich Angstzuständc. Das hat sich dann gesteigert bis zur Phobophobie, das isr die Angst vor Angsian-fällen. Irgendwie ist es meinem Chef dann doch gelungen, mich von der Lohnliste zu bekommen. Die Arbeitslose hat mir absolut gereicht. Bin ja allein. Jetzt krieg ich den Notstand, Sozialhilfe und Hilflosenzuschuß. Meine Phobien haben sich nämlich gesteigert, ich will das nicht näher erläutern. Von Gesichtslähmung bis Gürtelrose hab ich jedenfalls alles hinter mir. Letztendlich handelt es sich um chronische Lebensunlust. Irgendwie, muß ich sagen, in der Rückschau, komm ich mir nicht gut behandelt vor, von meinen Kollegen, von meinem Chef. Haben Wir/.e gerissen über mich, sich lustig gemacht. Ich war ja doch nicht das Übliche. Kein ganzer Kerl, so ein richtiger Kerl. Ein Kumpel. Die Kolleginnen getuschelt, gestichelt. Vielleicht geh ich doch noch hin und knall sie alle ab. Oder einen Polirikcr. Den Kanzler, im Urlaub, dürfte nicht schwer sein. Ich mag sie nicht. Sie sind eigentlich die einzigen, wo ich wirklich eine Abneigung verspüre. Nicht weil sie überbezahlt sind oder korrupt oder weiß Gott was, mir ist das alles egal. Sic sind so geschäftig, so geschäftig. Sie tun so wichtig. Wofür? Mir geht das auf die Nerven. Und ich glaub ihnen nicht, ich glaub ihnen nicht. Schaun Sie, ich war im Außendienst, eine Zeidang. Ich mußte das aufgeben, ich hielt das nicht durch. Jeden Tag erzählst du den Leuten denselben Scheiß. Jeden Tag. Mit genau denselben Worten. Das hält man doch nicht aus. Man glaubt sich ja selber nicht mehr. Die Schüssel hab ich heruniergcschossen, hauptsächlich, weil ich die Werbeblöcke nicht mehr aushalte. Was denken sich diese Affen? Denken die, das interessiert uns? Ks interessiert uns nicht. Oder? Aber absolut nicht. „Jetzt eine kleine Pause, und dann der Renrner, der die Pcnismanschctte erfunden hat", ihr könnt mich mal. Ich hab ja ohnehin alles gekauft, den ganzen Fast-Food-Dreck und die Schokoriegel, was wollt ihr? Ich würde sie abknallen, aber ich weiß nicht, wo sie sind. Ich habe hundert Pizzas in meiner Tiefkühltruhe, stapelweise Schokoriegel im Kasten, ich geh ja nicht mehr raus, schon seit sieben Monaten nicht mehr. Meine Tochter war magersüchtig, wie alle. Mit 1leißhungerattacken dazwischen. Stapelweise Schokoriegel versteckt, aber 95% fettfrei. Dann gekotzt. Die Psychologen, diese Schweine. Stochern bei den Eltern herum. Dabei haben die einfach die Schnauze voll, die Mädchen. Sie haben die Schnauze voll. Sie haben es satt, bis daher. Damals hab ich's nicht verstanden. Warum tust du uns das an, hab ich gesagt. Kiiochengestell, 28 Kilo, nur mehr ein Gerippe. Und die Nachbarn, die Verwandten. Als harren wir alle den Aussatz. Wir waren eine ganz normale Familie, ganz normal! Eine Bilderbuchfamilie. So einen Hungerbauch. Schau dir die Hungerbäuche an, im Fernsehen, du Mistvieh, mit dem vollen Kühlschrank vor der Nase! Mann, war ich blöd. Zwangsernährung. Psychologenschweine. Das ist das einzige, was mich wirklich erschüttert hat, in meinem Leben, diese Krankheit, diese unheimliche Krankheit. Und das einzige, das mir leidtur. Die versäumte Nähe, in dem Moment, wo sie ein Engel war. Rein wie ein Engel, durchsichtig. Kein Interesse an Sex, wie schön, ich hab zwanzig Jahre gebraucht, um soweit zu sein. - Und nun frage ich Sie ganz offen, hat unser Leben einen Sinn? Es hat keinen Sinn, machen Sie sich nichts vor. Wozu? Wozu das alles? Um einmal guten Sex gehabt zu haben und einmal gelungenen Fisch? Lohnt es sich, das Spiel zu spielen? Erfolg, Geld, Macht? Lächerlich, wozu die Anstrengung? Der Hund, der träge vor der Haustür liegt, hat eine Existenzberechtigung. Nicht wir. Ich geh Ihnen mit gutem Beispiel voran. (Nimmt die Flinte, setzt die Mündung unter seinem Kinn an. setzt sie wieder ab.) Übrigens, wußten Sie, Frauen machen Selbstmordversuche, Männer Selbstmorde. So ist das. Frauen nehmen Tabletten, damit sie gerettet werden, Männer hängen sich auf, erschießen sich oder fahren auf die falsche Seire der Autobahn. Das hört ihr nicht gerne, ihr Frauen, ich weiß. Eine Charaktereigenschaft des Mannes ist die Konsequenz, müßt ihr euch merken. Und was nachher, nachher nichts. Gott sei Dank. Als Kind hatte ich es mit der Jungfrau Maria. Aber nur, weil ich in eine Schulkameradin verknallt war. Die hatte so ein Madonnengesicht. Ein durchtriebenes Luder, vollkommen überspannt. Hat sich über mich lusüg gemacht, mit ihren Freundinnen, getuschelt, gestichelt. Der Mona-Lisa-Trick, schon im Kinderwagen fangen sie damit an. Und dann haben sie mir den Jesus Christ Superstar angedreht, in der Pfarrjugend. Sali echt cool aus, mit seinem Bart und den langen Haaren. Aber ich hab's dann geschnallr. Ging nur darum, uns reinzulegen, uns dranzukriegen, uns rcinzupressen, in ihr Korsett. Gott. Die Religion. Einige von Ihnen halten sich noch daran fest, ich weiß. Aus Konvention, aus Konvention, erzählen Sie mir nichts. „Irgendwas wird es schon geben." Ach was, nichts gibt es, einen Dreck gibt es. Lassen Sic los. Lassen Sic einfach los. (Ein Gong ertönt, er registriert es.) Der Glaube an einen Gott, an Götter, an irgendetwas, das uns leitet, der Glaube an ein Leben danach ist schlicht und einfach ein Massenwahn. Mine kollektive Geisteskrankheit. Und niemand wagt es, das zu sagen. Niemand. Sie auch nicht, feige Bande. Okay, das war's. Tödliche Sünden 26 27 Tödliche Sünden Volles Licht und Lichtfelder ah Raumbegrenzungen, Frau 2 als Moderatorin steht da. Moderatorin: (deutet auf Mann) Hans! Applaus-Inschrift blinkt, etwas magerer, schnell vertröpfelnder Applaus. Moderatorin: (etwas enttäuscht von seinem Auftritt) Das war beeindruckend, Hans. Eine Lebensbeichte. Mann: Ich könnt dir noch ganz andere Dinge erzählen, Ulrike. Mit dem Erzählen kommt ja doch die Erinnerung; interessant, hätt ich nicht gedacht. Moderatorin: Na, wir haben schon einen ganz guten Überblick bekommen. Zum Teil nicht ohne, zum Teil nicht ohne, was du da von dir gegeben hast. Sag, Hans, was hat dich bewegt, zu uns zu kommen? Warum nimmst du das auf dich? Du, der du seit Jahren nicht mehr freiwillig unter Menschen gehst. Warum erzählst du uns das alles? Mann: (leicht beleidigt) Ja, ich weiß schon, daß ich nichts Besonderes zu erzählen hab. Moderatorin: Nein, so mein ich das nicht, Hans. Mann: Das war mein Leben, so war es. Uninteressant. Vergeudet- Vertan. Ich weiß nicht, wozu ich gelebt habe, ich weiß es nicht. Moderatorin: Ich will ja nut von dit erfahren, Hans, warum hast du das Bedürfnis, davon zu sprechen, ausgerechnet hier, im Fernsehen? Nachdem du dich gerade vorhin so negativ zu diesem Medium geäußert hast, nachdem dein Satellitenempfänger daran glauben mußte. Mann: Weil ich den Leuten sagen will, daß das Leben sinnlos ist. Bevor ich mich I verabschiede. Moderatorin: Wozu? Was soll das bringen, Hans, den Leuten den Lebensmut zu nehmen? Mann: Du gehst mir auf die Nerven, Ulrike. Willst du mich verhören, oder was? Moderatorin: Hans, ich habe den Verdacht, du bist ein Intellektueller. Mann: Ich bin doch kein Intellektueller. Moderatorin: (schaut auf ihren Zettel; etwas süffisant) Aber du hast ein paar Semester Psychologie studiert, oder? Und Pädagogik. Pfiffe aus dem Publikum. Mann: Hat doch damals jeder. Ich bin kein Intellektueller, Ulrike. Ich habe Klugscheißer immer gehaßt. Der einzige Freund meines Lebens war Lagerarbeiter und Leichenbestatter. Bitte sei so gut und beleidige mich nicht. Moderatorin: Ich will dich nicht beleidigen, Hans. Ich will dich auch nicht verhören. Ich will dir helfen. Dazu sind wir da. Mann: Mir ist nicht zu helfen. Und es tut mir jetzt auch leid, daß ich in deine Show gekommen bin. Weiß Gott, ich bin wirklich kein Intellektueller, aber diese Sendung ist doch etwas sehr unter meinem Niveau. Moderatorin schaut mit hochgezogenen Augenbrauen ins Publikum. Pfiffe. Mann: Schaun ja sowieso nur bügelnde Hausfrauen zu. (Lacht bitter auf) Ich Idiot. Erzähl ich meine Lebensgeschichte bügelnden Hausfrauen. ; Pfiff*- I Moderatorin: Entschuldige, Hans, normalerweise suchen ja wir uns die Gäste aus, aber du hast dich ja direkt aufgedrängt. War doch so, oder? I; Mann: Ja. ^IjvfoDERATORiN: (legt die Hand ans Ohr) Wie bitte? ^Mann: (laut) Ja, verdammt! Tut mir leid, bin schon weg. (Will-ohne Flinte - abgeirrt.) .Moderatorin: Hans! Hans! (Sie geht ihm nach, legt ihm die Handan die Schulter.) Entschuldige, Hans, das war nicht nett von mir. Na, komm, wir wollen nicht so auseinandergehen. Ich hab auch noch eine Überraschung für dich. Wlefithrt den leicht widerstrebenden Hans am Arm wieder nach vorne. Moderatorin: Die entscheidende Frage, Hans, die ich jedem unserer Gäste heute |V stelle: Du willst dich wirklich umbringen? i: Klar, auf jeden Fall. Moderatorin: Was sagt das Publikum? Soll Hans sich umbringen? i paar klatschen. Moderatorin: Nicht die Mehrheit. Mögen die mich nicht, die jetzt applaudiert haben? Würde mich echt inter-j|: essieren. (Geht ganz nach vorne, leicht beleidigt, leicht aggressiv:) Bin ich so unsym-i: pathisch, ja? Ich sage, was ich denke! Das ist der Unterschied. Niemand, der sagt, l^was er denkt, ist sympathisch! Der Ehrliche ist nicht sympathisch, ganz klar. Laßt |i;euch das mal durch den Kopf gehen. bpERATORiN: Ich denke, das war nicht so gemeint, Hans. Wir sind auch keine I^endung, die zum Selbstmord auffordert oder den Selbstmord unterscüczt. Ganz Gegenteil, wir sind zur Lebenshilfe da. Hans! Das Leben ist so schön. Geh ^Hinaus, geh wieder unter die Leute, auf die grüne Wiese, laß die Seele baumeln. [(■Du wirst sehen, das Leben lohnt sich. Ein Kuß, eine Berührung, ein Glas Wein nit Freunden, das Leben ist aufregend, Hans! Ann: Na, komm, Ulrike, laß gut sein. Moderatorin: Nun, was mir nicht gelingt, gelingt vielleicht jemand anderem. W(Zeigt zum Auftritt.) Doris, die Frau von Hans! blaus-fnschrift blinkt, Frau 1 tritt mit Auftrittsmusik auf, ganz in Weiß, mit einem i entrückten Lächeln. Applaus sowie auch begeistertes Pfeifen und fohlen des jungen blikutns. Frau: Da entstand ein großes Erdbeben, und die Sonne wurde schwarz wie ein häre-W ner Sack, und der Mond wurde ganz wie Blut, und die Sterne des Himmels fielen tödliche Sünden 28 K* 29 Jodliche Sünden auf die Erde, und der Himmel schwand dahin wie ein Buch, das man zusammenrollt. Applaus-Inschrift blinkt, Applaus. Mann starrt Frau an, geht zum Tisch, nimmt die Flinte, repetiert, schießt auf Frau. Auf ihrer Brust erscheint ein riesiger, triefender roter Fleck, und sie fallt zu Boden. Ein paar Zuschauer klatschen. Mann reißt die Arme mit der Flinte in die Höhe, stößt ein befreiendes Triumphgeheul aus. Moderatorin: Das war Foul, Hans. Frau steht wieder auf. Frau: Gott liebt dich, Hans. Mann: (richtet die Flinte auf 'sie) Get the fuck out of here! (Zum Publikum.) Glauben Sie nicht, daß ich Aggressionen habe. Alles abgesprochen, alles Pake. Frau: Gott liebt dich, Hans. Mann: (starrt sie an, wirft plötzlich die Flinte zu Boden; aufheulend) Nein, tut er nicht! Frau: (sie kommt zu ihm, umarmt ihn) Gott liebt dich, Hans. Mann: (wird von Schluchzen geschüttelt) Ich bin so allein. Ich bin so allein. Frau: Du bist nicht allein. Du bist nicht allein, Hans. Mann: (weinend) Ich fühl mich so fremd. Ich fühl mich so fremd hier. Ich gehör nicht in diese Welt. Manchmal wünsch ich mir, Wesen kommen, von einem anderen Stern, und nehmen mich mit und machen alles gut. Frau: Es wird alles gut. Es wird alles gut, Hans. Sie kommen. Am 31- Dezember kommen sie. Mann: Warum hast du mich verlassen? Frau: Ich mußte dich verlassen. Ich war so unvollkommen. Jetzt bin ich wieder da. Mann: Ich bin unvollkommen. Ich bin der letzte Dreck. Abschaum. Frau: Komm, Hans. Komm mit mir und reinige dich. Wir gehen in die Berge und warten auf sie. Wir sind viele. Und wir lieben uns. Gemeinsam erwarten wir ihre Wiederkunft. Das Gericht. Das Ende und den Anfang. Und alles wird gut sein, alles, Hans. Frau nimmt Mann an der Hand und geht mit ihm ab. Sie schreiten in das Licht. Abgangsmusik. Moderatorin: Hans und Doris! Applaus-Inschrift blinkt, Applaus. Moderatorin; Jetzt eine kleine Pause, und dann der Rentner, der die Penisman-schette erfunden hat. Blackout. UNZUCHT Die Säule ruht auf einer Basis, und die Leidenschaft der Unzucht stützt sich auf die Sattheit. jQXbhnzimmer 1. Lichtschranken als Raumdefinition, Türöffnung frei. Morgen. Mann, fFntu i, Kind. Mann hält Schulrucksack und zerrt Kind zur Tur, Kind wehrt sich. Mann Z.wirdzornig, gewalttätig, Kind entflieht zu Frau, diese fuhrt es mit sanftem Zwang Marin \uneder zu, Kind entflieht beiden, sie verfolgen es wie ein Haustier, kreisen es ein, Kind fbfü'ft Kissen vom Sofa nach ihnen, verkriecht sich unter Möbel, Mann greift auf Knien Such ihm, Kind beißt ihm in die Hand, Mann tritt nach dem Kind, Frau auf der ande-Seite erwischt das Kind, zerrt es liebevoll hervor, setzt sich mit ihm auf Sofa, den Arm klammernd um es gelegt, Kind wehrt sich noch ein wenig, gibt dann den Widerstand auf, ^örtai. * |Frau: Es war einmal ein Kind eigensinnig und tat nicht, was seine Mutter haben wollte. Darum hatte der liebe Gott kein Wohlgefallen an ihm und ließ es krank IjNverden, und kein Arzt konnte ihm helfen, und in kurzem lag es auf dem Toten-j.bettchen. Als es nun ins Grab versenkt und Erde über es hingedeckt war, so kam äj; auf einmal sein Ärmchen wieder hervor und reichte in die Höhe, und wenn sie es sjV hineinlegten und frische Erde darüber taten, so half das nicht, und das Ärmchen l^'kam immer wieder heraus. Da mußte die Mutter selbst zum Grabe gehen und mit Binder Rute aufs Ärmchen schlagen, und wie sie das getan hatte, zog es sich hinein, :- und das Kind hatte nun erst Ruhe unter der Erde. (schaut Frau an, Frau steht mit ihm auf, das Kind ist nun folgsam. Mann nimmt (ander Hand. ,u: (küßt Kind) Habs schön. d: Ich will bei dir bleiben. .u: Du mußt gehen. Jedes Kind muß gehen. : (zieht Kind zur Tur) Leider wieder Überstunden. Wird spät. 1ann und Kind gehen, die Lichtschranken fließen an der Türöffnung zusammen. Frau mt die Kissen auf 'twechsei Nacht. Lichtschranken geschlossen. An der Rückwand nun eine große Fern-Hche, Frau schaut Talkshow, raucht, trinkt Bier. Mann ist in Talkshow — Interieur bei TRÄGHEIT - bei Frau 2 als Moderatorin, er trägt den langen, schwarzen Man- ■i: Dann wickelt sie mich in Frischhaitefblie, von oben bis unten. ioDERATORJN: Das macht Spaß, Hans? Tödliche Sünden 30 31 Tödliche Sünden Mann: Eng muß es sein, ganz eng. Besonders unten herum, da ist dann alles so schön gequetscht. Und um den Kopf herum muß es auch ganz straff sein, damit ich keine Luft krieg. Moderatorin: Stirbt man da nicht, nach einet Weile, Hans? Mann: Nicht wirklich. Ist ja luftdurchlässig, die Frischhaltefolie. Bißchen Ohnmacht muß aber schon sein. Moderatorin: Mit Alufolie geht's nicht? Mann: Die reißt ja ein. Außerdem muß das ja durchsichtig sein, sonst sieht man die gequetschten Körperteile nicht. Moderatorin: Na, klar. Sag, Hans, und deiner Frau macht das auch Spaß? Mann: Die fahrt drauf ab, und wie, die geile Nuß. Moderatorin: Na, dann hoffe ich, daß du dich möglichst lange frisch hältst, in deiner Frischhaltefolie, Hans. Das war Hans. Applaus des Publikums. Moderatorin: Jetzt eine kleine Pause, und dann der Rentner, der die Penisman-scheite erfunden hat. Applaus. Mobiltelefon läutet, Frau schaltet Fernseher aus, nimmt das Telefon. Frau: Fairyland Hotline, Doris. - Hallo, Hans, du Arsch, gehst mir ganz schön auf t den Wecker. Okay, hör zu. Einstmals hat ein Hausvater ein Schwein geschlachtet, das haben seine Kinder gesehen; als sie nun nachmittags spielen wollen, hat das eine Kind zum andern gesagt: „Du sollst das Schweinchen und ich der Metzger sein"; hat darauf ein bloß Messer genommen und es seinem Brüderchen in den Hals gestochen. (Stöhnen aus dem Hörer.) Warte, warte, laß dir Zeit. Hans, die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Die Mutter, welche oben in der Stube saß und ihr jüngstes Kindlein in einem Zuber badete ... - Ja, ich komm und bade dich, Hans, ich will dein Metzget sein, (Steht auf und geht herum.) Hans, aber ... - Hans, hör zu, die Geschichte geht noch weiter. Die Mutter also hörte das Schreien ihres anderen Kindes, lief alsbald hinunter, und als sie sah, was vorgegangen, zog sie das Messer dem Kind aus dem Hals und stieß es im Zorn dem andern Kind, welches der Metzger gewesen, ins Herz. (Stöhnen.) Ja, Hans, ja, Hans. Und nun gute Nacht, Hans, bis morgen, erinnere dich, deine Frau beklagt sich über die hohe Telefontechnung. - Du bist in der Firma, Hans, das ist klug. Oder auch nicht, du Idiot, was ist. wenn sie die Nummern kontrollieren? - Im Chefbüro bist du, du raffiniertes Luder? - Okay, Hans, so will ich dir die Geschichte zu Ende erzählen. Darauf lief die Mutter alsbald nach der Stube und wollte sehen, was ihr Kind in dem Badezuber mache, aber es war unterdessen in dem Bad ertrunken; (Stöhnen) deswegen die Frau so voller Angst ward, daß sie in Verzweiflung geriet und sich selbst erhängte. - Nein, Hans, ich verachte dich wirklich, Hans, abgrundtief, Hans. - Nein, es ist nicht gespielt, bei dir nicht, Hans, bei vielen anderen ja, die nur das eine wollen, Hans, aber du willst den Abgrund, Hans, den Haß, Hans, das ist so geil, Hans, laß dir weitererzählen. (Setzt sieh.) Der Mann also kam vom Felde, und als er dies alles gesehen, hat er sich so betrübt, daß er sich mit selbigem Messer das Herz aus dem Leibe schnitt und es aufaß. (Stöhnen.)}», ich komme und bade dich, Hans, ich steche dich ab wie ein Schwein, Hans, Wolken von schwarzem Blut im dampfenden Wasser, Hans, gefallt dir das, ja, das gefallt dir, ja, das gefallt dir, aber ja, ich schneide dir den Bauch auf, ich zerre deine Gedärme heraus, aber ja, Hans. (Orgastischer Schrei von Hans.) Tschüß, Hans, bis morgen, Hans, bleib mir treu, Hans, du Arsch. Frau legt das Telefon weg, zündet sieh eine Zigarette an. Liehwechsel. Später. Frau fitzt im Halbdunkel. Die Lichtschranken machen die Türöffnung frei. Sie schaut hin. Mann kommt herein, trägt den langen, schwarzen Mantel und eine Art Gasmaske, seine Stimme ist verfremdet. Frau: Du hast die Schlösser geknackt. Mann? Mann: Ich bin Hans. I Frau: Die verklage ich. Und kein Alarm. Die verklage ich. J^Mann: Ich bin Hans. Ich wollte zu dir. ?;Frau: Keine gute Idee, Hans. (Sie steht auf, streckt ihn mit Karateschlägen und Trinen nieder.) Hans, es ist mir nicht gestattet, mit meinen Kunden persönlichen Kontakt zu haben. Get the fuck out of here. I Mann: (steht auf) Danke, Doris, du bist so gut zu mir. Aber das reicht nicht. WMann zieht das lange Messer, das wir aus HOCHMUT kennen, aus seinem Mantel, setzt ytt ihr an die Kehle. (Frau: Mein Mann kommt bald nach Hause, Hans, und er ist verrückt. j; Ich bin nicht verrückt. Frau: Ich weiß, Hans, ich weiß. *: Ich bin so froh, Doris. £rau: Warum bist du froh, Hans? Ich hatte immer Angst, du bist häßlich. Sie sind alle häßlich. Sechs habe ich ^besucht. Sie waren alle häßlich. Du bist die siebte, du bist schön. jjRAU: Was verstehst du unter häßlich, Hans? W. Gewöhnlich. Sie waren so gewöhnlich. So dumm. Sie harten eine dumme fej-rcsse. Einen dummen Arsch. Du hast keine dummes Fresse, keinen dummen J.Arsch. Du bist geil. Von dir laß ich mich killen. »u: Ich kann dich nicht killen, Hans. Dann wanden mein geiler Arsch hinter -Gitter. 5s- -W: Ich habe Säure mitgebracht, Doris. Schüttest du einfach in die Badewanne. |> Den Brei ins Klo. Frau: Lieber Hans, das schlag dir aus dem Kopf. Zu unappetitlich, Hans, tut mir Tödliche Sünden 32 I. 33 ■ Tödliche Sünden Mann: (packt sie an den Haaren, drückt die Messerspitze in ihre Kehle) So hast du gelogen, so hast du gelogen? (Heulend:) Du hast gesagt, du kommst zu mir und tust es! Du hast gesagt, du tust es! Frau: Warum, glaubst du, häng ich am Telefon? Damit mir kein Typ zu nahe kommt. Ich mag es nicht, wenn mir Typen zu nahe kommen. Phantasie ist okay, steh ich drauf. Dachte, bei dir ist es auch so. Daß du hier bist, Hans, ist schrecklich. Mann reißt sie nieder, schlägt ihren Kopfauf den Boden. Mann: Töte mich! Töte mich! Töte mich! Töte mich! Frau: Ja! Ja! Ja! Ist ja gut, Hans! Aber nicht hier! Mein Mann kommt! Wir gehen in den Waid, hinaus in der» Wald! Hans, du weißt es, der Wald ist der Friedhof der Ermordeten. So viele liegen da draußen verscharrt, so viele. Mann: Frauen liegen da draußen verscharrt! Ich will nicht zu den Frauen! (Setzt ihr das Messer wieder an.) Du oder ich, Doris. Hier und jetzt, Doris! Frau: Warum so konsequent, Hans, ich versteh das nicht. Jeden Tag red ich mit Typen, die die Folter lieben, die den Tod lieben. Aber doch nicht wirklich, Hans, nicht wirklich! Mann: Bitte wirklich, ich bin müde, bitte wirklich. Ich will einen Abgang, einen geilen Abgang. Frau: Ich sag dir was, Hans. Der einzige, den ich wirklich killen könnte, das ist mein Mann. Mann nimmt seine Maske ab, Frau erkennt Mann. Frau: Du? Mann: (setzt sich, legt das Messer weg; traurig) Nie hast du es mit mir gemacht. Nie. Nie, wie ich es wollte. Frau: Du hast nichts gesagt. Mann: (heulend) Ich bin in sieben Talkshows aufgetreten. Du hast mich nicht gehört, du hast mich nicht gesehen. Nur eine Last bin ich für dich. Frau: Du hast nichts gesagt. Mann: Nie hast du meine Sehnsucht geschaut. Hans muß ich sein, und dich anrufen. (Weinend-) Mir hast du nie so schöne Geschichten erzahlt. Mir nie. Frau: Das tut mir leid. Mann: All meine Träume, Frau, all meine Traume ... (Weint auf.) Ich will beführt werden, ich will auch berührt werden. Frau: Das tut mir leid. Wir können neu beginnen, Mann. Mann: Wir können nicht neu beginnen, Ftau. Das ist das Ende. Ich habe sie alle umgebracht. Frau: Wen hast du umgebracht? Mann: Im Büro. Alle niedetgemetzelt. Sie waren mir nicht gut gesinnt. Frau: Denk an unset Kind, Mann. Mann: Ich denk an unser Kind. Immer. Mit großer Sehnsucht. Ich habe es heute verkauft. Frau: Du hast unser Kind verkauft? Mann: Ich habe es am Markt angeboten und an den Meistbietenden verkauft. Das ist meine Rache an dir. Ist mir schwergefallen. Sehr. Das Kind hat mich geliebt. Das Kind hat mich nicht unappetitlich gefunden. Das Kind hat die Dinge mit mit gemacht. Sie rast schreiend auf ihn zu, nimmt das Messer, will ihn erstechen, sie ringen miteinan-t der, fallen zu Boden, er ringt sie nieder, entwindet ihr das Messer. Mann: Bald darfst du es tun, bald, hab noch etwas Geduld, Frau. 'Ij Frau: Du hast die Dinge mit dem Kind gemacht. Nicht es mit dir. j," Mann: Es mit mit. Es hat mich geliebt. ;sFrau: Ich schneide dir die Gedärme aus dem Leib. C;$4ann: Oh ja, bitte, tu es, tu es, nur einen Moment noch, ich muß dich was fragen, j^,'Warum so rasend, frage ich dich. Du hast es gewußt, erzähl mir nichts, du mußt ^es gewußt haben, wie oft habe ich das eheliche Schlafgemach verlassen, mitten '„ in der Nacht, und bin erst nach Stunden zurückgekehrt, und du bist da gelegen, in derselben Stellung wie vorher auch, mit dem Rücken zu mir, mit deinem . abweisenden Rücken zu mir, deine Wirbelsäule hätte ich umfassen wollen und sie dir herausreißen aus dem Leib, du unbekannte, kalte Frau aus Eisen. Erzähl mit 'nichts, du hast es gewußt, du hast es geduldet, du hast es zugelassen, damit ich dich in Ruhe lasse, damit ich dir nicht zu nahe komme, unappetitlich. Warum f, so rasend also, frage ich dich. Du hast es bei mir geduldet, warum nicht auch bei anderen, sind die anderen schlechter als ich, soll es in der Familie bleiben, Frau, in j unserer wunderbaren Familie? schlägt schreiend auf ihn ein, er überwältigt sie wieder, setzt ihr das Messer an. ,u: Stoß zu, stoß zu, ich will nicht mehr leben. .hebt das Messer hoch, wie um sie zu erstechen, läßt es dann fallen, süffisant dabei chtlnd Dann setzt er sich neben sie auf den Boden und betrachtet sie, immerfort spöt-lächelnd. Sie richtet sich auf die Knie auf, schaut ihn an, greift plötzlich blitzschnell dem Messer, will ihn erstechen. Das Kind kommt mit dem Rucksack in der Hand 'n. Mann und Frausehen es, Frau hält inne. D: Ich bin fortgelaufen. starren zum Kind, Mann steht auf, geht zum Kind, umarmt es. ND: Darf ich bleiben, Vater? 's ■ *Nn: Du darfst bleiben, Kind. iD; (zu Frau) Wird nun alles gut, Mutter? schaut Kind an, schaut das Messer in ihrer Hand an, legt es weg. Tödliche Sünden _34 35 Tödliche Sünden Mann: Alles wird gut. Kind leg sich auf das Sofa, schaut zu Frau. Frau geht zu ihm, deckt es zu, setzt sich zu ihm. Kind: Erzählst du mir eine Geschichte, Mutter? Frau: Ja. ich erzähl dir eine Geschichte. Mann setzt sich zu ihnen, streichelt den Kopf des Kindes. Das Mobiltelefon läutet, Frau nimmt es- Frau: Ach, Hans ... (Erzählt die Geschichte Hans und dem Kind.) Es hatte eine Mutter ein Büblein von sieben Jahren, das war so schön und lieblich, daß es niemand ansehen konnte, ohne ihm gut zu sein, und sie hatte es auch lieber als alles auf det Welt. Mann streichelt das Kind Frau: Nun geschah es, daß es plötzlich krank ward und der liebe Gott es zu sich nahm; darüber konnte sich die Mutter nicht trösten und weinte Tag und Nacht. Bald darauf abet, nachdem es begraben war, zeigte sich das Kind nachts an den Plätzen, wo es sonst im Leben gesessen und gespielt hatte; weinte die Mutter, so weinte es auch, und wenn der Morgen kam, war es verschwunden. Als aber die Mutter gar nicht mehr aufhören wollte zu weinen, kam es in einet Nacht mit seinem weißen Totenhemdchen, in welchem es in den Sarg gelegt war, und mit dem Kranichen auf dem Kopf, setzte sich zu ihren Füßen auf das Bett und sprach: Kind: (setzt lächelnd fort) „Ach, Mutter, höre doch auf zu weinen, sonst kann ich in meinem Sarge nicht einschlafen, denn mein Totenhemdchen wird nicht trocken von deinen Tränen, die alle drau Hallen." Mann lächelt, streichelt das Kind. Frau: Da erschrak die Mutter, als sie das hörte, und weinte nicht mehr. Die Lichtschranken an der Türöffnung fließen zusammen. Blackout- ZORN Wirre Träume erblickt der Zornige, und den Ansturm wilder Tiere phantasiert der Wütende. Wohnzimmer 2. Tag. Frau 2 mit Kopftuch ist hochschwanger und sitzt vor sich hin schauend auf dem Sofa, das wir aus UNZUCHT kennen, diesmal aber mit orientalischem Über-warf. Die Lichtschranken, die den Raum definieren, sind ausgefranst und von anderer Farbe, was die ärmere Wohnsituation symbolisieren soll Türöffnung geschlossen. Es läutet. I Frau: (mit Akzent) Mann nicht zu Hause. I Stimme Mann: Ich bin der Glücksbote. Fairyiand Digitalis. S.1 Frau: Mann Arbeit. fc,"Stimme Mann: Sie haben gewonnen. Frau: Darf nicht aufmachen. Mann verboten. t■'■ Stimme Mann: Ich muß das Zeug loswerden, Frau. * Frau: Hab ich gewonnen? ! .Stimme Mann: Ja. Beim Preisausschieiben. I Frau: Kannst du vor die Tür legen? |i Stimme Mann: Ich brauch Ihre Unterschrift. jrFRAU: Am Abend kommen. Mann unterschreibt. i Stimme Mann: Also, ich geh jet2t wieder. jFrau: Nein, komm schon. <■■* fj&au geht zur Türöffnung, die Lichtsclminken fließen auseinander. Mann kommt herein. Ipr hält ein Päckchen in der Hand und trägt den uns bekannten langen Mantel Er gibt ~fjfrr das Päckchen, holt Formular und Kugelschreiber hervor. C-^(ann: Da unterschreiben. |raU: Zuerst nachschauen. Bitte sitzen. dann setzt sich, Frau öffnet das Paket, packt ein billige Halskette und Ohrringe aus, t sich daran. in: Bitte anlegen, ich muß das fotografieren. Y versteht nicht. Mann zieht Fotoapparat hervor. i: Foto. Kommt in den Katalog. au schiebt dos Kopftuch zurück, legt sich die Ohrringe an, will das Haiskette anlegen, t Probleme damit, er will ihr helfen, das Kopftuch ist im Wer. Tödliche Sünden 36 37 Tödliche Sünden Mann: Könnten Sie das Kopftuch abnehmen? Frau: Nein, nicht abnehmen. Mann akzeptiert es, schließt mit Mühe die Kette, nimmt den Fotoapparat. Mann: Man sieht die Ohrringe nicht. Frau schiebt das Kopftuch noch weiter zurück, behält die Hand am Ohr, schiebt es in Position. Der Mann fotografiert sie dreimal. Mann: So — und jetzt noch unterschreiben, bitte. Frau unterschreibt. Mann steckt das Formular ein. Mann: Das wär's. (Willgehen.) Frau: Kaffee? (Deutet auf Tisch, wo ein Känncben mit türkischem Kaffee steht.) Mann: Ja, gern, könnt ich brauchen. Frau: Bitte sitzen. Mann setzt sich, sie schenkt ihm und sich ein, setzt sich. Mann: Danke. Darf ich rauchen? Frau: Bitte, ja. Mann: Bei euch darf man noch rauchen. (Zündet sich Zigarette an, trinkt vom Kaffee.) Sehr gut, guter Kaffee. Frau: Wer Auto? Mann: Wie? Ach, das Auto. Keine Ahnung, wer das gewonnen hat. Macht der Chef. Das kriegt kein Ausländer, bestimmt nicht. Frau: Macht nix. Noch nie was gewonnen. Schön. Ganz schön. Mann: Es kommt ein Katalog, in den nächsten Tagen. Sie brauchen nichts zu bestellen. Sie sind nicht verpflichtet. Frau: Schau ich mir gern Kataloge an. Mann: Ja? Wirklich? Sie kommen wenig hinaus, was? Frau: Böse Welt, da draußen. Sagt Mann. Mann: Böser Mann. Frau: (lacht) Nein, guter Mann. Viel Arbeit. Mann: Sind Sie schon lange hier? Frau: Zwanzig und fünf Jahre. Mann: Lange Zeit. Kein Heimweh mehr? Frau: Frauen kommen. Verwandte. Alles Verwandte in der Nachbarschaft. Trinken Tee, lachen, erzählen Geschichten von zu Hause. Bin nicht allein. - Doch. Brennt immer noch. (Zeigt an das Herz.) Da. Brennt immer noch. Stadt. Mag ich nicht so gern. (Schaut ihn an.) Ich komme aus den Bergen. Kannst du weit schauen, ganz weit. Einen Tag, bevor Besucher kommt, kannst du ihn sehen. Himmel und Erde wie ein aufgeschlagen es Buch. Einmal sind drei Fremde gekommen, wir haben den ganzen Tag gewartet, auf dem Felsen, übet dem Dorf. Es waren Deutsche, mit Rucksack. Ich habe ihnen die Blumen gezeigt, zwischen den Steinen, damit sie wissen, wie schön es bei uns ist; die Blumen, die wir Blutstropfen nennen. Ganz süß und stark sind sie, die Berge beginnen sich zu drehen, wenn man zuviel riecht. Sie haben mir Kaugummi gegeben, die Besucher, sie haben mir den Kopf gestreichelt. Da war ich ein Kind. Immer hab ich mir gedacht, komme ich nach Deutschland, will ich sie suchen. Aber Deutschland ist groß. Sie greift sich an den Hals, holt ihre eigene Halskette hervor, an der eine Metallkapsel hängt. Sie zieht die untere Hälfte der Kapsel ab, sie enthält die Blüte einer getrockneten Braunelle. Frau: Das ist die Blume. Sie reicht Mann die Kapsel, er schaut die Blüte an. J'IVIann: Ja, wie ein Blutstropfen. (Riecht daran.) Riecht immer noch. Frau: Willst du behalten? % Mann: Sehr lieb, danke, aber das gehört zu Ihnen. Das muß bei Ihnen sein. Ergibt ihr die Kapsel zurück, sie schaut die Blüte an, nimmt sie dann heraus, zerbröselt sie, schlägt die Hände vors Gesicht, weint kurz auf, beherrscht sich, nimmt die Hände wpm Gesicht. I-Trau: Es ist besser, wenn ich vergesse. Wir gehen nicht mehr zurück. Mann hat immer gesagt, wenn genug Geld für ein schönes Haus, wir gehen zurück. Aber wir gehen nicht zurück. Kinder sind hier geboren, sprechen nur Deutsch. Niemand will zurück. Ich komme erst im Sarg zurück. ;Mann: Ich habe auch Heimweh. Aber ich weiß nicht, wohin. 'rau: Kommen Sie auch von Ferne? n: Ich komme aus dem Innern der Erde. Auf der Suche nach meiner Heimat. '. Aber ich finde sie nicht. Ich finde sie nicht mehr. Die Heimat muß erst wiederhergestellt werden. versteht ihn nicht, ist irritiert. :. Die Hoffnung liegt in den Kindern. Neue Kinder, schnell, zäh, hart. Haben j. Sie viele Kinder? .U: Nein. Vier Kinder. (Faßt sich an den Bauch, lächelt.) Bald fünf. n: Gute Kinder? xr. Drei gute Kinder, ein böses Kind. n: So? Was macht das böse Kind? will nicht antworten. in; Einbrecher? Dieb? Tunichtgut? will nicht antworten. 4N: Kinder gehören in Lager. Es ist unverantwortlich, sie den Eltern zu überlas-Si sen. iMANb Tödliche Sunden____^ B< ■ P__Tödliche Sünden Frau: Drei gute Kinder. Wie Inländer. Mann: Sie haben schöne Haare. Schwarz wie Ebenholz. Frau zieht das Kopftuch schützend vor. Mann: (nach einer Weile) Zeigen Sie mir Ihre Haare? Bitte. Frau: (verschämt, aber geschmeichelt) Darf ich nicht. Darf nur Mann sehen. Mann: Sind sie lang, die Haare? Frau: Ja, lang. Kämme ich jeden Tag eine Stunde. Mann will ihr sachte an die Haare fahren, sie zuckt zurück, er fährt langsam wieder hin, holt eine Haarflechte hervor, läßt sie durch die Fingergleiten, Mann: Fühlt sich wunderbar an. So schöne Haare. Er zieht sich wieder von ihr zurück, schaut sie bewundernd an. Frau hat den Blick gesenkt, steht auf, entfernt langsam ihr Kopftuch, ihr Haar ergießt sich nieder. Es reicht fast bis zum Boden, Mann steht auf, geht um sie herum, betrachtet bewundernd das Haar, berührt es, legt sich schließlich eine Flechte an die Wange. Frau wundert sich sehr und ist sehr angetan. Mann: Noch niemals habe ich so schöne Haare gesehen. Königlich. Königlich. Er streicht ihr am Kopf übers Haar, streift dabei auch ihre Wange. Es schüttelt sie von der Berührung, sie weicht erschreckt zurück. Er setzt sich wieder, trinkt vom Kaffee. Sie setzt iichauch, will sich die Haare hinaufbinden. Mann: Bitte lassen. Sie läßt es bleiben, trinkt von ihrem Kaffee. Mann betrachtet sie unverwandt. Mann: Sie gehen wohl nicht schwimmen. Frau versteht ihn nicht. Mann: Waren Sie schon einmal am Strand, in der Sonne? Fpau: Sonne? Mann: Ja, Sonne. Badeanzug. Frau: Zwei Töchter. Haben Badeanzug. Waren zu Hause, am Meer. Ganz braun. | Nicht schön. Mann: Find ich auch. Ich find das auch nicht schön. Weiß ist viel schöner. Weiß und weich. Nicht hart und braun. Wissen Sie, daß unsere Frauen alle hart und braun sind? Frau: Inländer. Mann: Ja, die Inländerinnen. Harter, brauner Körper. (Sehr traurig:) Meine Frau ist 1 auch hart und braun. Er schaut sie an, fährt ihr langsam an den obersten Knopf des Kleides, will ihn öffnen, sie j schiebt sanft seine Hand weg, schüttelt den Kopf. Mann: Ich will dich nur ansehen. Nur ansehen. Bitte. pßa« schaut ihn unverwandt an, steht nach einer Weile auf, weicht ein paar Schritte W&rück, knöpft sich langsam das Kleid auf, entblößt eine Brust, Sie ist schneeweiß. Mann ^jjfarrtzu ihr, steht dann langsam auf, geht zu ihr, sie streckt abwehrend die Hand aus, er Ummtsie mit der linken, fährt ihr dann ganz leicht mit den Fingerspitzen seiner anderen " l an die Brust, sie erschauert. : Weiß wie Schnee. Ich habe es gewußt. Weiß wie Schnee. - Weiß wie Schnee, fot wie Blut, schwarz wie Ebenholz. |ÜAU: (erschricktplötzlich) Bitte gehen, i schaut sie lange an. Sie küßt schnell seine Hand, legt sie sich an die Stirn, knöpft $h das Kleid zu. Atf: Bitte gehen. r schaut sie an, schreit plötzlich auf wie ein verzweifeltes Ungeheuer, reißt ihr das d auf, wieder erscheint die eine Brust, Frau steht gelähmt vor Schreck. ■j: (leise) Ich bin der Zorn Gottes. (Deutet auf ihre Brust.) An dieser weißen jfBfust, an dieser wunderschönen weißen Brust hast du die Nattern genährt. Mil-ftiphen von Nattern. Die vom Blute meines Volkes trinken. flieht aus seinem Mantel das uns bekannte lange Messer. Frau schreit gequält auf, bt einen Schritt zurück. jjn: Ich ehre dich, ich ehre dich wirklich, mein Volk ist ein verkommenes Volk. Sie waren zu faul, um die Drecksarbeit zu tun und haben euch geholt; analpha-Jsetische Sklaven, miserabel behandelt. Jetzt geht ihr auf die Universität, und der Muezzin ruft zum Gebet, daß es durch die ganze Stadt schaut. In zwanzig Jahren seid ihr mehr als wir und habt die Macht und mein Volk wird erlöschen, einfach erlöschen. Ich muß mein Volk retten, obwohl es das nicht verdient. Setz dich. Setz ich, bitte. Uu'setzt sich. *n: Ich möchte, daß du es verstehst. Mach das Kleid zu. i macht das Kleid zu. in: Du bist anständig. Ihr seid anständig. Sie verwehren euch das Kopftuch, | iese Idioten. (Heftig:) Wie können sie das vergessen? Wie können sie nur alles Ijergessen? Meine Großmutter trug auch ein Kopftuch! Nicht nur, weil es prak-iirisch war, bei der Arbeit! Aus Anständigkeit! Alle Sitte, alle Moral, aller Anstand verloren gegangen. Aus dem Fernsehkasten, aus allen Druckerzeugnissen ergießt sich ein pestialisch stinkender Strom von Laster und Verkommenheit! Sie wissen nicht einmal mehr, sind sie Mann oder Frau! Wo anfangen, wo anfangen? (Setzt sich.) Ich bin ein Vorbote, Frau. Sie haben mich geschickt. Ich komme aus dem |J! Innern der Erde. Wo wir uns versteckt halten, wohin sich die Besten meines Volkes zurückzogen, nach dem verlorenen Krieg. So ging ich meinen Weg, wie es der Auftrag war. Nahm einen bürgerlichen Beruf an, war in einer Organisation, war in einer Partei. Sie haben sich distanziert, sie haben mich hinausgeworfen. Weil mir die Lüge nicht erlaubt ist. Ein Politiker muß lügen, muß seine Zunge Tödliche Sünden 40 Ml 41 Todliche Sünden im Zaum hallen. Ich sagte die Wahrheit, wie es mein Auftrag war. Drei Jahre Gefängnis. Drei Jahre Gefängnis für das Aussprechen der Wahrheit. Meine Arbeit natürlich vetloten, meine Familie verloren, meine Existenz verloren. Ein Aussätziger, ein Gebrandmarkter, wie sie es mir prophezeit hatten, Dabei denken so viele wie wir. So viele. Sie wagen es nicht, es auszusprechen. Aus gutem Grund, wer will schon seine Existenz gefährden? So ging ich meinen Weg weiter, wie es mein Auftrag wat. Wenn die Rede versagt, so der Befehl, folgt das Fanal, die Blutspur, die Rauchwolke. Heute bin ich bei dir. Frau küßt dem Mann hastig die Hand legt sie sich an die Stirn. Frau: Bitte gehen, Mann. Ich verstehe dich nicht, Mann. Mann: Ich traf einen Araber, in einer Hotelbar. Man muß die Frauen töten und die Kinder, hat er gesagt. Damit raubst du ihnen die Zukunft. Er war aus Bedehem. Das war nicht unser Weg, im Allgemeinen. Nur auf ein bestimmtes Volk bezogen, dessen Namen auszusprechen Sünde ist, wie man auch den Namen des Teufels nicht aussprechen soll, weil et sonst kommt. Nun, das ist det letzte Feldzug. Sein Name ist Terror. Der einzige Weg. So töte ich also Frauen und Kinder, als ein Würgengel Gottes, als ein neuer Jesus Christus. Auch auf mich wartet das Kreuz. Bald schon. Sie sind hinter mir her. Ein schwarzer Hubschrauber steht manchmal über dem Haus, in dem ich wohne. Er glitzett wie eine Libelle, im Mondlicht. (Schaut Frau an.) Du wirst heute die siebente sein. Ich leide wie ein Hund darunter. Manchmal denk ich mir, warum tu ich das? Warum lasse ich mein Volk nicht untergehen, warum lasse ich den Dingen nicht ihten Lauf? Warum gebe ich mich nicht geschlagen und kehte zurück, ins Innere der Erde, ins Dunkle, zu den Meinen, zu den Auserwählten? Frau beginnt auf Arabisch zu beten. Mann: Aber mein Volk war ein edles Volk. Ein starkes Volk. Ein opferbereites Volk. Herrscher der Welt. Hochgewachsene Männer, mit Adleraugen, weiche, weiße Frauen, Mütter. Und eine Jugend, zäh, schnell, hart. Er tritt hinter sie, mit dem Messer in der Hand. Sie dreht sich nicht nach ihm um, betet weiter. Mann: Und unser Gott wat ein starker Gott. Der Gott, der Eisen wachsen ließ. (Beginnt zu singen:) Es ist ein Schnitter, det heißt Tod. Hat Gwalt vom großen Gott. Heut wetzt er das Messer, es schneidt schon viel besser, bald wird er drein-schneiden, wir müssens erleiden. Hut dich, schöns Blümelein. Er nimmt sie an den Haaren, setzt ihr das Messer an den Hals. Kind kommt herein. Mann sieht es zuerst nicht, Kind stellt sich hinter Mann, er bemerkt es, wendet den Kopf. Mann: Bist du das böse Kind? Kind: Get che fuck out of here. Mann: (beugt sich zu Frau) Das böse Kind? Frau: Ja. Mann: Was macht es? Frau: (traurig) Dasselbe wie du. '(Kind hielt ein Schnappmesser verborgen, sticht Mann das Messer von hinten ins Herz, \Mann sinkt tot zu Boden. Frau steht auf, schaut auf toten Mann hinunter, ihre Haar-%ipitzen berühren sein Gesicht. fKiND: (ohne Akzent zum Publikum) Ich bin ein Krieger. Ich mache Aliens weg. Es ist eine Invasion. Sie kriechen aus dem Innern der Erde. Man muß etwas tun. Unser Volk war ein edles Volk. Ein starkes Volk. Ein opferbereites Volk. Herrscher der kv Welt. Hochgewachsene Männer, mit Adleraugen, weiche, weiße Frauen, Mütter. Und eine Jugend, zäh, schnell, hart. •ckout. i vcuitne ounaen 42 GEIZ Der Vielbegüterte aber ist von Sorgen gefesselt und wie ein Hund an die Kette gebunden. Speisezimmer. Abend. Weihnachtsdekoratwn auf Amerikanisch. Kerzen. Auf der Fernsehfläche flackert Kaminfeuer. Auf dem festlich gedeckten Tisch ein Truthahn. Mann und Frau 1 festlich gekleidet, Frau 2 und Kind als Gäste sind dieselben Figuren wie in ZORN, Frau 2 auch jetzt hochschwanger, sie tragen auch dieselbe Kleidung, aber: Kind trägt jetzt zusätzlich den langen Mantel Vor den Gästen am Tisch liegen zwei kleine Weihnachtspakete. Mann: (steht, liest aus der Bibel) Da machte sich auf auch Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazateth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Betlehem, auf daß er sich eintragen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, daß sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn, und wickelte ihn in Windeln, und legte ihn in eine Krippe, weil für sie kein Platz in der Herberge war. Und es waren Hirten in derselbigen Gegend auf dem Felde, die Nachtwache hielten bei ihrer Herde. Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie, und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn heute ist euch in der Stadt Davids ein Heiland geboten, nämlich Christus, der Herr. Dies soll euch das Zeichen sein: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln eingewickelt und in einer Krippe liegend." Und plötzlich war bei dem Engel eine Menge himmlischer Heerscharen, die Gott lobten und sprachen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen." (Mann legt die Bibel weg, setzt sich.) Gesegnete Mahlzeit. Kind hat schon höchst ungeduldig auf das Essen gewartet und stürzt sich nun darauf Frau 2 hat geduldig und aufmerksam zugehört. Mann iß lustlos, Frau 1 ißt fast gar nichts. Frau 2 ißt gemächlich und stetig, Kind ißt mit den Händen hastig in sich hinein, beide blicken dabei nicht auf Mann und Frau 1 schauenden beiden lächelnd zu, lächeln sich an. Frau: War doch wieder eine gute Idee, nicht? Mann: Aber ja. Er hebt sein Weinglas, prostet milde lächelnd seiner Frau zu, sie erwidert die Geste, sie trinken. Sein Mobiltelefon klingelt. Frau: Nein, bitte nicht. Tödliche Sünden ann: Mutter. (Zieht sein Telefon hervor.) Hallo? - Ja, ich dachte es mir. Frohe ■ Weihnachten, Mutter, gesund bleiben. - Danke. Mutter. Hat der Bote das Paket ; gebracht? - Na, das freut mich, na, das freut mich- - Nein, wir haben nichts von ihr gehört, leider nein. - Um die brauchst du dir keine Sorgen zu machen, die ist l^nicht allein, die feiert mit dem Abschaum. JÜrau: (legt die Hände ab Schalltrichter vor den Mund) Das Essen wird kalt, Hans! £Iann: Ja, wir haben wieder arme Leute eingeladen, Flüchdinge, irgendwas muß ^ man Ja tun, nicht? - Mutter, ich bitte dich, fang nicht schon wieder damit an, „jedes Jahr dasselbe, was kann ich dafür, wenn Doris und du euch nicht - lU: Geht das wieder los? Leg auf! iIann: Mutter! — Mutter! - Mutter, ich muß jetzt auflegen, wir sind beim Essen. s' — Ja, ich schau morgen bei dir vorbei, versprochen. - Ja, wünsch ich dir auch, gute Nacht, Mutter. (Steckt das Telefon ein.) Jedes Jahr dasselbe. 'rau: Ich halt sie nicht aus! Ich halt sie nicht aus! in: (zu den Gästen) Na, schmeckt's? Gäste reagieren nicht T- *Mann: (lauter) Na, schmeckt's? 2 schaut auf und lächelt schüchtern, Kind reagiert nicht. Frau: Die verstehen dich nicht. ;;!Mann: Die verstehen kein Deutsch? Frau: Na, das Kind vielleicht ein wenig Ich hab nur mit dem Kind gesprochen. Die •'^ Frau sagt nichts. „Mann; Ich hab dich doch gebeten, diesmal welche zu bringen, die Deutsch können, j;- Wie soll man sich denn unterhalten? J^Fraü: Du, die sind mir zugelaufen. ^Mann: Wie bitte? -Frau: An der letzten Raststätte, vor der Stadt. Sie rannten mir fast ins Auto. ;Mann: (unliebsam überrascht) An der Raststätte? Frau: Ja. Wieso? Mann: Ich dachte, du holst sie direkt von diesem Schlepper. Fbau: Es ergab sich so. Ist doch egal, oder? mann: He, Junge! Kind schaut auf. Mann: Verstehst du Deutsch? KiND: (Akzent) Guten Tag, polirisch Asyl, Wohnung, Arbeit, hau ab, du Arschloch. Mann: Das ist alles, was du kannst? Kind: I speak Engitih, Sir. Tödliche Sünden 44 45 Tödliche Sünden Mann: Du sprichst Englisch? Kind: Get the fuck out of here! Drop your goddamn gun! Eucking terrorists! Mann: Na, Mahlzeit. Wo hast du denn das gelernt? Kind: American movies, Sir. Fucking good movies, Sir. Mann: Wie seid ihr denn reingekommen? Kind versteht nicht. Mann: In unser Land. Wie hereingekommen? Wie über die Grenze? Kind: Truck. Container. Mann: Wieviel habt ihr bezahlt? (Macht Geste.) Wieviel Geld? Kind: Seven thousand Deutschmark, Sir. Frau: Die Preise sind gestiegen. Kind: Thirteen days in truck, Sir. No water, dog food. (Salutiert.) Yes, Sir. Mann: Wo sind denn die anderen? Vater, Geschwister. Kind: Don't know. Sir. Cops, lot of cops. Sir. Get the fuck out of here. Blow your fucking head away. Run, run, we all run, Sir. Mann: (zu Frau 1) Hat jemand gesehen, daß sie bei dir eingestiegen sind? Frau: Nein. War ja schon stockdunkel. Mann: Die werden von der Polizei gesucht, Doris. Das war nicht sehr klug. Frau: Josefund Maria wurden auch von der Polizei gesucht, Hans. Von den Schergen des König Herodes. Mann: (zu den Gästen) Früher hat sie aus jedem Urlaub einen räudigen Hund mitgebracht. (iJichelt seine Frau an, hebt wie der Engel die Hände:) Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen. Sie schickt ihm Liebelnd einen Kuß. Frau: (zu den beiden) Wir werden das in Ordnung bringen. Wir werden euch helfen. (Zu Frau 2:) Helfen, Frau. Asyl, politisches Asyl. Frau 2 lächelt dankbar. Kind: Thanks, dianks a million! Good lady, fucking good lady! Mann: Sag ihm, er soll sein dreckiges Maul halten, sonst lang ich ihm eine. Frau: Hans! Er weiß doch nicht, was er sagt. Mann: Muß ich mir das am Weihnachtsabend anhören? So eine Sprache? Genau wie unsere Tochrcr. Die hat auch diesen Spruch drauf. Frau: Junge! Hör mir zu! Kind: Yes, Ma'm. What can I do for you, Ma'm? Frau: Dein Englisch ist nicht gerade vom Feinsten, Junge. Spar dir dieses „fucking", ja? Wir hören das nicht so gerne. Kind: I speak English. Frau: Du sollst das lassen, hast du mich verstanden? Kind: Shut up, bastard. Mann: Jetzt hast du's kapiert. .Kind: Got it. Frau: So, und nun laßt uns das Glas erheben! Frau I und Mann heben ihre Gläser in Richtung der Gäste, Frau 2 schaut sie an. hebt auch il)r Glas, Kind wischt sich die Hände am Tischtuch ab, hebt fordernd sein leeres ■ Glas, Mann schenkt ihm unwillig ein. Frau: Frohe Weihnachten. Mann: Frohe Weihnachten. |Kind: Merry Christinas, fucking Merry Christmas! 'T.Mann explodiert fast schon wieder, Frau sagt schnell etwas. ("Frau: Kennt ihr dieses Fest? Kennt ihr Weihnachten? IJCtND: Yes, Mam, sure, Ma'm! We no Muslims, no fucking Muslims. We believe! We believe in god! Orthodox Catholics! Jesus Christ Superstar! Fucking good man! Krau: Ach, Katholiken seid ihr? Das ist schön, das freut uns. Nicht, Hans? Ein schö-Rjr. nes Zusammentreffen. >; Kind: Muslims! Get the fuck out of here! No job, no school, no dogs allowed. Ordio-I dox Catholics. ILm steht wütend auf Frau 2 gibt dem Kind plötzlich eine schallende Ohrfeige, Kind ü.föllt vom Stuhl. »Mann: Na, das hat gesessen. Danke. Frau. (Setzt sich wieder.) mKind steht auf. setzt sich wieder und ißt weiter, als wäre nichts geschehen. W,Man>! schenkt sich nach, schaut die Flasche an, hält sie ärgerlich in Richtung Frau. W Mann: Weißt du, was die kostet? £ Frau: Na, ich bitte dich - Weihnachten! HtfANN: Glaubst du, die kennen den Unterschied? Krau: Ich kenn den Unterschied. «Mann: Ach, hör auf. Es gibt nur einen Unterschied - Kopfweh oder nicht Kopf-eh. SKini): (hebt sein Glas hoch) Fucking good wine, Sir. Thanks a million, Sir. Mann wird schon wieder zornig, Frau 1 deutet Kind, es soll den Mund halten. B^ann: (nach einer Weile) Die schauen aber sehr südländisch aus. Mj: (schaut zu den beiden) Findest du? *: (leise) Hoffentlich sind das nicht Zigeuner. Tödliche Sünden 46 K 47 Tödliche Sünden Frau: Das sind doch keine Zigeuner. Mann: Na hoffendich. Die sind nicht ungefährlich, das weißt du. Frau: Du hast immer Vorurteile, immer Vorurteile! Ich liebe Zigeunermusik! Mann: Na, wer nicht? Das hat doch damit nichts zu tun. Sie klauen aus Prinzip und sind schnell mit dem Messer zur Hand. Das Telefon des Mannes klingelt, er holt es hervor. Mann: Jař - Warum rufst du an, ich hab dir doch verboten anzurufen! - Wie bitte? (Er reicht zornig seiner Frau das Telefon.) Frau: Hier ist Mama. - Das ist jetzt zu spät, Kind, du hättest dich früher besinnen müssen. - Ich verzeih dir ja, ich verzeih dir ja, Kind, aber du kennst ja Papa, wenn der einmal - Mann: (ist aufgestanden, reißt ihr das Telefon aus der Hand) Papa verzeiht nicht, hast du mich verstanden, Papa verzeiht nicht, du hast keinen Papa mehr! - Kalt ist dir, | kalt ist dir? Such dir einen Freier, dann hast du's schön warm, du Hure! Frau: (steht auf) Das reicht! Hörst du? Frau 2 hört zu essen auf starrt peinlich berührt vor sich hin, Kind reißt sich mit der Hand ein Stück vom Truthahn herunter, ißt ungerührt weiter. Mann: Hab ich dich geschickt, hab ich dich geschickt? Du bist freiwillig auf die Straße gegangen! - Du kommst nicht von der Droge runter, du kommst nicht runter! - Nein, ich geb nichts mehr auf deine Versprechungen! - Ich hab dir die | Klinik bezahlt, die Therapeuten, Tausende hab ich ausgegeben für dich, Tausende! Und bestohlen hast du mich, bestohlen, deinen eigenen Vater! Krepier da draußen, krepier, es ist mir egal! Frau: (reißt ihm das Telefon aus der Hand) Wo bist du, ich komm zu dir! Hallo! J Hallo! Tochter hat aufgelegt. Mann nimmt ihr das Telefon weg, schaltet es aus, steckt es ein, Frau setzt sich weinend nieder. Frau: Oh, Gott, oh, mein Gott, mein armes Kind, mein armes Kind! Am Weihnachtsabend da draußen, ganz allein! Mann; (setzt sich) Recht geschieht ihr! Frau: Kinder verschwinden von der Straße! Sie verschwinden einfach! Werden verkauft, irgendwohin! Mann: Wer nicht hören will, muß fühlen. Frau: Ich hasse dich! Ich hasse dich! Mann: Sie hat mir die Kreditkarte geklaut! Meine eigene Tochter klaut mir meine Kreditkarte! Sie existiert nicht mehr für mich. Hast du mich verstanden? Frau läuft weinend hinaus. Mann schenkt sich nach, trinkt, starrt vor sich hin. Kindholt Marlboro hervor, zündet sich eine an, Frau 2 nimmt die Schachtel, zündet sich auch eine Zigarette an. Mann blickt auf, sieht die beiden rauchen. S; Mann: Wir sind ein Nichtraucherhaushalt. i^KiND: Fucking good cigarettes, Sir, fei' WKind wirft die Schachtel zum Mann hinüber, der schaut darauf, nimmt sie in die Hand, %schaut sie an, ärgert sich, daß die Gäste so eine teure Marke rauchen, beugt steh zur Seite ptnd wirft einen Blick zur Tür, oh seine Frau nicht kommt, nimmt sich auch eine Zigarette, zündet sie mit Zündhölzern an, die am Tisch liegen. in: Wir haben keine Aschenbecher. Benützt den Teller. Haben sie ohnehin schon getan. Mann steht auf, zieht sich seine facke aus, hängt sie über $e Stuhllehne, setzt sich wieder. ■m: Wohlstandsverwahrlosung nennen sie das. Frechheit. Ich hab sie nicht vet-; wahrlosen lassen. Ich hab sie korrekt erzogen. Immer kurz gehalten, damit sie den ; Wert des Geldes schätzen lernt. Ein gutes Beispiel gegeben. Mein Leben besteht "twix aus Arbeit. Ich arbeite doppelt soviel wie meine Mitarbeiter. Na stellt euch Pfvor: Da hat sich doch einer meiner Angestellten in mein Büro geschlichen und ^hat von meinem Apparat aus Telefonsex betrieben. Stundenlang. Stundenlang. ;Ich hab geglaubt, ich fall vom Stuhl, wie ich die Telefonrechnung gesehen hab. IVor den Feiertagen noch gekündigt, das Schwein. Was ich an Weihnachtsgeldern ^wieder blechen mußte, ungeheuer, ungeheuer. Sie fressen mich auf. Wirklich. Ich Pgeh ins Ausland, mit der Produktion, ich geh ins Ausland. (Schaut die beiden an.) \it seid Zigeuner, oder? t antworten nicht, schauen ihn nur an. jnn: Wirtschaftsflüchtlinge, jedenfalls. Wirtschaftsflüchdinge. Warum bleibt ihr ffiicht zu Hause und baut dort die Wirtschaft auf, ihr faulen Schweine? Mir das iSeld aus der Tasche ziehen wollt ihr. Auf meine Kosten auf der faulen Haut lie-i. Sozialhilfe. Ich bezahle eure Sozialhilfe! Wenn nicht Weihnachtsabend wäre, I ich euch einen Tritt in den Hintern geben. Meine Frau mit ihrem Sozialtick, r Sie will ihre Organe spenden, wenn sie stirbt, müßt ihr euch vorstellen. Augen, rlerz, Lunge, Nieren, Leber, Gelenkspfannen, Blase, Darm, alles. Also ich geb i meine Innereien nicht her. Ich will als ganzer Kerl unter die Erde. - Die weiß ; auch nicht, was Arbeit ist, genau wie ihr. Blöde Kuh. Wirft mein Geld beim enster raus, tut ihre Fetzen, die sie dann einmal anzieht. Aber was glaubt ihr, was lieh das kostet, wenn ich mich scheiden lasse? (Ruft:) Doris! Jetzt komm schon! 1 mich nicht mit denen allein da sitzen! Was ist das für ein Weihnachtsabend, rCrdammt noch mal? Bring die Nachspeise mit, damit wir die Sache zu Ende brin-n! (Zu den Gästen. )To\\c Nachspeise, ihr werdet staunen. Für euch ist uns nichts ijfr teuer. (Trinkt vom Wein.) Singt mir was. Los, macht schon, singt. r ihn an, dann steht Kind auf und beginnt zu singen. 'singt ohne Akzent) Es ist ein Schnitter, der heißt Tod. Hat Gwalt vom gro-Gott. Heut wetzt er das Messer, es schneidt schon viel besser, bald wird er chneiden, wir müssens erleiden. Hut dich, schöns Blümelein. (Setzt sich.) Lfcking good song, oder? 4: Ich will ein Zigeunerlied hören, was soll das? Tödliche Sünden 48 Tödliche Sünden Kind: Ich kenn keine Zigeunerlieder. Mann: (ruft) Doris! Komm endlich! Ich verzeih dir! (Zu den Gästen:) Die zwei Pakete da sind für euch. Weihnachtskekse. Selbstgebacken. Von Doris. Das kann sie. Die blöde Kuh. Kommt teurer, als wenn man sie im Geschäft kauft. Mann will vom Glas trinken, es ist leer, Kind steht auf, kommt zu ihm, nimmt die Weinflasche, schenkt ihm nach, stellt die Flasche ab, bleibt schräg hinter ihm stehen. Mann trinkt vom Wein. Mann: Was ist, setz dich, du machst mich nervös. Kind hat wieder sein Schnappmesser in der Hand, sticht es dem Mann durch den Rücken ins Herz, Mann sackt zusammen, ßlk mit dem Gesicht in den Teller. Kind steckt das Messer ein, trinkt das Weinglas des Mannes aus, wischt seine fettigen Hände am Hemd des Mannes ab, durchsucht Mann, findet die GeUbörse, öffnet sie, man sieht eine Menge Kreditkarten und ein dickes Geldbündel, Kind steckt die Börse ein, nimmt dem Mann auch die Uhr und das Telefon weg. Frau 2 trinkt ihren Wein aus, wischt sich mit dem Tischtuch den Mund ab, macht die Zigarette am Tisch aus, steht auf, leert die Speisereste von den Tellern auf den Tisch, gibt die Teller in ihren Beutel, sammelt das Besteck ein, wirft es ebenfitlU in ihren Beutel, spuckt aufden Tisch und geht hinaus. Kind folgt ihr. Nach einer Weile kommen die beiden rückwärts gehend wieder zurück. Frau 1 folge ihnen, die automatische Schrotflinte auf sie angelegt. Sie wirft einen Blick auf Mann, deutet ihnen, sie sollen sich setzen, sie tun es. Frau geht zu Mann, zieht seinen Kopf an den Haaren hoch, schaut ihm ins Gesicht, läßt seinen Kopf wieder fallen, setzt sich auf ihren Platz, schaut die beiden an, schnuppert in die Luft. Frau: Wurde hier geraucht? (Sieht Zigarettenstummel am Tisch, hebt ihn mit spitzen Fingern hoch, wirft ihn gegen Frau 2, trinkt von ihrem Weinglas, die Flinte immer auf die beiden gerichtet. Sie schmeckt den Wein nach.) Dieses Gesöff ist auch sein Geld nicht wert. (Sie schüttet den Wein zu ihrem Mann hinüber, stellt das Glas ab, schaut die Gäste an.) Wir laden zu Weihnachten immer Gäste ein. Fremde. Die Organe kommen in eine Kühlbox. Und dann geschwind ins Hospital. Das ist unsere gute Tat. Frau 2 und Kind starren sie an. Kind: (begreift nach einer Weile) Oh, fuck! Blackout. NEID Ein Wurm des Herzens ist der Neid, und er verzehrt die ihn gebärende Mutter. o. Lichtfelder mit großen Fensteröfthungen definieren den Raum. Zwei Schreibtische \f Computern. Ein Blumenstock mit einer blühenden Blume. Frau 2 kommt schnell fein, schaut sich um, geht zu einem der Schreibtische, schaltet den PC ein, holt SchlüS' fhervor, entriegelt damit die Schubladen, öffnet die unterste Lade, höh ein Kuvert aus ■ Handtasche, legt es hinein, zieht eine andere Lade auf, schaut hinein, holt eine tomatische Schrotflinte hervor, lächelt, legt sie wieder hinein, sperrt die Schubladen ' ab, setzt sich, gibt das Paßwort ein, holt eine Diskette aus ihrer Handtasche, stecht i den Schlitz, tippt in die Tasten, nimmt die Diskette wieder heraus und gibt sie in ^Handtasche, schaltet den PC wieder aus, geht hinaus. Mann kommt nach einer Weile iler und Kaugummi kauend herein, zieht den uns bekannten langen Mantel aus, %p ihn auf, setzt sich an den anderen Tisch, schaltet PC ein, gibt Paßwort ein, löscht is, holt Schlüssel hervor, entriegelt damit die Schubladen, öffnet eine Lade, blättert Disketten, liest die Beschriftung, nimmt eine, schiebt sie in den Schlitz, löscht die , gibt sie zurück, sperrt die Schubladen wieder ab, schaltet den PC wieder aus, fflfi den Sessel an die richtige Stelle, wischt über den Tisch, nimmt den Kaugummi aus iMund, klatscht ihn auf die Sitzfläche des Sessels, drückt ihn fest, geht zur Blume, b einen Spray hervor, sprüht die Blume an, sie verwelkt rapide. Mann beobachtet das Wfjenugtuung, setzt sich an den eigenen Schreibtisch, schaltet den PC ein, schließt die Ahden auf, nimmt Unterlagen aus der obersten Lade, schaut auf die Uhr, holt sein pilteiefon und einen Zettel hervor, schaut auf den Zettel, wählt, wartet. WM; Morgen. Hier spricht der Liebhaber Ihrer Frau. - Nein, das ist kein Witz. Tii treffen uns Jeden Donnerstag nachmittag; da hat sie Zeitausgleich, wegen der beistunden. Manchmal sehen wir uns auch am Dienstag Abend, damit sie ein irßchen was erlebt, Kino, Theater, Restaurant und so. Zu Ihnen sagt sie, sie muß Hm Dienstag Abend arbeiten, nicht wahr? - Ich erzähl Ihnen das, weil mich das liuder betrügt, mit einem anderen. Was zu weit geht, geht zu weit, nicht? - Nein, Ifneinen Namen sag ich Ihnen nicht, sonst kommen Sie nur auf dumme Gedan-. Meine Frau hat mich auch betrogen, jahrelang. Als ich ihr endlich drairfkam, ■ ich so blöd, ihren Liebhaber zu verprügeln. Hat mich einiges gekostet, kann lieh Ihnen sagen. Vergessen Sie das liebet. - Was heißt, sie hat alles. Eine Frau hat |iüe alles. Eine Frau ist immer unzufrieden. Die Ehe ist ein Schwachsinn. Ja, ist so. - Ich geb Ihnen einen guten Rat. Nehmen Sie sich auch eine Freun-a. Es gibt nichts Schöneres, als eine Frau nur einmal, höchstens zweimal in der JJbche zu treffen. Da knistert es, da knistert die erotische Spannung, auf beiden gleiten. - Ach, Sie haben eine Freundin? Na, dann wissen Sie ja Bescheid. Tschau Tödliche Sünden 51 Tödliche Sünden dann, Alter, halt die Ohren steif. Übrigens, da hat so ein Rentner eine Penisman-schette erfunden, vielleicht probierst du das mal, von deiner Frau hör ich, du hast Probleme, ihn hochzu- (Gesprächspartner hat aufgelegt.) Hallo, Hallo! Mann grinst, steckt das Telefon ein, beginnt am PC zu arbeiten. Frau 1 als Oiefin kommt mit Unterlagen herein, geht zum anderen Schreibtisch. Mann: (haut munter in die Tasten) Morgen, Chef. Chefin: Morgen, Hans. Wo ist sie denn? Mann: Weiß ich nicht. Noch nicht da. Chefin: Machen Sie mir das schnell? Mann: Natürlich, Chef. Chefin: (Up ihm die Unterlagen hin) Sie soll zu mir kommen. Mann: Okay. Chefin geht wieder. Mann schaut die Unterlagen an, bearbeitet sie. Frau 2 kommt hektisch herein, hängt ihre Handtasche auf, zieht ihren Mantel aus, bangt ihn auf. Frau: Es hat mir schon wieder jemand einen Reifen aufgestochen! Kannst du dir das vorstellen? Mann: Du solltest dir eine andere Wbhngegend aussuchen. Frau: Werd ich auch tun. verlaß dich drauf. Sie setzt sich an ihren Schreibtisch, schaltet den PC ein, schließt die Schubladen auf, holt Unterlagen aus einer Lade, will zu arbeiten beginnen, erstarrt vor Entsetzen. Frau: Das gibt's doch nicht. Mann: Was denn? Frau: Es ist weg. Es ist weg. Ich habs abgespeichert. Wirklich. Hundertprozentig. (Sie sucht hektisch Diskette heraus, schiebt sie hinein, will auf den Bildschirm laden, die Diskette ist leer. Sie bricht zusammen.) Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott! Die Arbeit eines Monats! Die Arbeit eines Monats! Ich kann mich umbringen, ich kann mich umbringen. Ihr Mobiltelefon lautet in der Handtasche, sie geht hin, holt es heraus Frau: Ja? - Was ist los? - Was ist los? - Laß mich in Ruhe, ich hab andere Sorgen! (Sie drückt auf Taste, setzt sich, legt das Telefon hin, zündet sieh Zigarette an.) Ich kann mich umbringen. Mann: Hasí du's nicht ausgedruckt? Frau: Nur die erste Fassung. Ist bei der Chefin im Papierkorb gelandet. Mann: Ach ja, apropos, sie will dich sehen. Frau schaut ihn erschreckt an, macht die Zigarette aus, richtet sich die Haare, steht auf, merkt, daß etwas an ihr klebt, greift danach, hat Kaugummireste in der Hand Frau: (schreit auf) Ich dreh durch, ich dreh wirklich durch! Das passiert jetzt zum \ dritten Mai! ^'Mann; Bei mir war auch einer. |f Frau: Wer tut sowas? II Mann: Die Putze wahrscheinlich. Oder einer vom Wachdienst. SlFrau: (versucht die Reste zu entfernen) Schweinerei! kMann steht auf, holt ein Taschenmesser hervor, klappt es auf kratzt ihr den Kaugummi jFrau: Danke, Hans. Gott im Himmel, der Tag fängt ja wieder gut an. dann kratzt auch vom Sessel Kaugummireste, sie geht hinaus. Mann holt sein Telefon fundZettel wieder hervor, wählt, wartet. : Hans ist da. - Läuft nicht schlecht, danke. - Du, ich hab dir doch meine ; Kollegin gebracht, die Doris, du erinnerst dich. - Das gelbe Cabrio, genau. - Hör f zu, mir ist das sehr peinlich, aber schließlich hab ich dir die Frau gebracht, also, ^ ich meine, ich fühl mich einfach verantwortlich, dir gegenüber. - Na, sie wird's £ nicht schaffen. - Die Kreditraten wird sie nicht schaffen, sie verliert ihren Job. - Die Bürgschaft ihres Mannes wird dir nicht helfen. Er ist arbeitslos. Schon i; Seit einem halben Jahr. - Würd ich auch sagen, bevor der Wertverlust zu groß I ist. Sie paßt ohnehin nicht drauf auf, er schaut schon aus wie eine Mülltonne. II - Wie? - Eine Hypothek auf dem Haus? Na, Mahlzeit. - Ja, das ist klüger, auf jeden Fall. - Nichts zu danken. Aber das war vertraulich, ja. - Gern geschehen, : Tschau. steckt das Telefon ein, arbeitet weiter. Das Mobiltelefan der Frau läutet. Frau kommt tön herein, nimmt ihr Telefon. rau: Ja? - Sag, was willst du, ich hab jetzt wirklich ... - Okay, ich hör dir zu. ' (Sie setzt sich.) - Was? - Donnerstag nachmittag? Warum fragst du mich das? Ich arbeite! Ich arbeite! - Was? - Was tu ich? - Sag, bist du bescheuert, oder was? - Ja, ; von mir aus, laß dich scheiden, Idiot! (Drückt auf Taste, legt das Telefon hin.) Er hat es bemerkt. N: Das ist aber nicht sehr angenehm. .ü: Wem sagst du das? Ich geh lieber ein paar Tage nicht heim. Er ist ohnehin geladen. sieht die verdorrte Blume, geht hin, schaut sie an, bricht weinend nieder. Mann geht ihr, hebtsiehoch, umarmtsie. iU: Alles kommt zusammen, alles kommt zusammen. : Was hat sie gesagt? : Fertig gemacht hat sie mich. Wenn ich noch einmal zu spät komme, bin ich 'draußen. n: Hast du ihr von deinem gelöschten Projekt erzählt? : Bin ich blöd? Ich werde die Nächte durcharbeiten. Was bleibt mir anderes übrig? tödliche Sünden 52 53 Todliche Sünden Mann: Na, du kriegst das schon wieder hin. Ich helf dir. Frau: Wirklich.? Du hilfst mir? Mann: Aber ja. Frau: Du bist so lieb. Mann: Na, ich kann dich doch nicht im Stich lassen. Frau: Ich brauch jene einen Kaffee. Für dich Tee? Mann: Bitte, ja. Frau geht hinaus, Mann arbeitet munter weiter. Chefin kommt herein. Chefin: Wo ist sie? Mann: Kaffee holen. Chefin: Kaffee holen. Natürlich. Jetzt reiche's mit dann. Die glaubt, sie kann sich alles erlauben. Mann: Also ich finde Ihr Kostüm schick. Chefin: Wieso, was geht Sie mein Kostüm an? Mann: Na, sie findet es lächerlich. Chefin: Wer? Mann: Meine Kollegin. Zu breite Schultern, sagt sie. Längst out. Ich finde das überhaupt nicht. Ich finde, es unterstreicht Ihre Position, Ihre Persönlichkeit. Chefin: Sie findet mein Kostüm lächerlich? Frau kommt mit zwei Bechern herein. Chefin: Wo ist das Projekt? Frau: War schon fertig, ehrlich. Aber leider ist mir was mit dem Computer passiert. Chefin starrt sie an. Frau: Ende der Woche. Versprochen. Chefin: Ende der Woche können Sie gehen. Sie sind gefeuert. Frau: Ich bin gefeuert? Chefin: Ja, sicher, Sie sind gefeuert. Fristlos. Frau: Ich habe diese Firma mit aufgebaut! Bitte das nicht zu vergessen, ja? Vor einem Monat versprechen Sie mir die Abteilung und jetzt bin ich gefeuert? Chefin: Was Sie sich in diesem Monat alles geieistet haben, das ist geradezu unglaublich. Es reicht einfach. Frau: (weinerlich) Ich hab eine Pechsträhne, eine Pechsträhne. Alles geht mir schief, ich weiß auch nicht, warum. Chefin: Sie sind gekündigt, Schluß. Und Sie übernehmen die Abteilung, Hans. Chefin geht hinaus, Frau setzt sich erledigt hin, stellt die Becher ab. Mann: Das tue mir sehr leid für dich. Er geht zu ihr, legt ihr tröstend die Hand auf die Schulter, sie nimmt sie, weint hinein, er i schneidet ihr höhnische Grimassen. I.'Frau: (heulend) Ich hab mir doch schon das passende Auto gekauft! Und ein Kostüm ffi . mit Nadelstreif. So eins, wie's die Chefin hat. Cool Wöol! $Er nimmt mit der anderen Hand seinen Tee, trinkt davon. w: Tut mir wahnsinnig leid. Wirklich. |£ir klopft dir aufinunternd auf die Schuber, setzt sich wieder an seinen Schreibtisch, arbeitet Reiter, trinkt zwischendurch von seinem Tee. Frau holt ihr Schminkzeug hervor, restauriert h, zündet sich dann eine Zigarette an, hob eine Zeitung aus ihrer Handtasche, beginnt i lesen, trinkt von ihrem Kaffee. Mann bemerkt das etwas erstaunt, arbeitet munter weiter, 'rinnt ein Liedchen zu pfeifen, und zwar „Es ist ein Schnitter, der heißt Tod", aber auf htte, verjazzte Weise, besinnt sich dann, schaut zu Frau, hört auf, trinkt wieder vom Tee, fschmeckt etwas eigenartig, er trinkt ihn aus, wirft den Becher in den Papierkorb. Plötzlich rimtt sich auf seinem Bildschirm alles zu zersetzen. Er starrt fassungslos darauf. in: Ich werd wahnsinnig. j: Was denn? W Ich hab einen Virus. j: Nein! •jn: Oh, Gott! (Fahrt sich an den Bauch.) Oh, Gott! ' krümmt sich vor Bauchschmerzen, rennt hinaus. Frau geht zu seinem Papierkorb, holt m Becher lyervor, zerknüllt ihn, wickelt ihn in ein Papiertaschentuch, gibt ihn in ihre fdndtasche, setzt sich wieder, nimmt ihr MobÜtelefbn, wählt, wartet. Au: Hallo, hier ist die Geliebte Ihres Mannes. - Die Geliebte Ihres Mannes, hören j§; Sie schlecht? Ich will Ihnen nur sagen, Sie können Ihn zurück haben, diesen Ver-m sager. Kauten Sie ihm eine Penismanschette, tschau. (Wählt erneut, wartet.) Poli-P:; zei? Hier Fairyland Digitalis. Ein Verrückter mit einem Gewehr. Sie legt ihr Telefon hin, liest weiter in der Zeitung. Mann kommt zurück, hält sich den auch. in: Ich hab einen Virus! jJRAu: Soli ich dir was aus der Apotheke holen? ■jn: Am Computer! Am Computer! t steht auf, geht zu ihm, schaut auf den Bildschirm. AU; Das schaut aber nicht gut aus. tinn starrt entsetzt auf den Bildschirm, tippt in die Tasten, schlagt plötzlich mit der P«i«f auf die Tastatur, nimmt sie, schmettert sie zu Boden, trampelt darauf herum, setzt t heulend hin. IpjtAu: Ich glaube, das schafft sie nicht. Nein, das schafft sie nicht. Sie wird dich auch rausschmeißen. in: Oh mein Gott, was soll ich tun? Tödliche Sünden 54 55 tödliche Sünden Frau: Du hast es leichter als ich. Sie ist eine Frau. Und sie hat was übrig für dich. Mann: Hat sie das? Wirklich? Frau: Hast du es nicht bemerkt? Mit welchen Blicken sie dich bedenkt? Mann: Nein. Keine Spur. Frau: Du hast Frauenblickc noch nie einschätzen können. Weißt du, warum sie mich rausschmeißt? Weil sie eifersüchtig ist auf mich. Mann: Nein, wirklich? Frau: Aber klar. Mann: Was soll ich tun? Frau: Die Initiative ergreifen. Mann fühlt plötzlich, daß etwas in ihm passiert, bekommt merkwürdige Zuckungen, steht auf. Mann: Was ist mit mir? Was ist mit mir? (Iuiuscht in sich.) Oh! Oh! Ich fühl mich gut! Ich fühl mich echt gut! Warum fühl ich mich auf einmal so gut? Frau: Weil du der Mann bist, der Frauen gefallt. Mann: Na, das kommt mir auch so vor! Du, das kommt mir wirklich so vor! Ich könnte die Welt zerreißen, so verdammt gut fühl ich mich! Frau: Ich schick sie dir, Hans. Mach sie fertig, gibs ihr. Mann: Sie soll mich fertig machen, sie soll's mir geben! Heute vertrag ich was! Frau geht hinaus, Mann atmet tief durch, streckt sich, geht breitbeinig und federnden Schrittes hemm, greift sich an den Schritt wie weiland Michael Jackson. Mann: (singt beschwingt und tanzt dazu) Was heut noch grün und frisch dasteht, wird morgen weggemäht: die edel Narzissel, die englische Schlüssel, die schön Hyazinthen, die türkische Binden. Hut dich schöns Blüinelein! Chefin kommt herein. Chefin: Ich möchte mir Ihren Schreibtisch ansehen. Mann: Ich steh genauso auf dich, echt, du. Chefin starrt ihn fassungslos an. Mann: Dein Stockei, dein Stockei, ah, was hab ich mir nicht alles vorgestellt, mit deinem Stockei, in meinen Phantasien! Chefin: Sind Sie wahnsinnig geworden? Mann: Ja, ja, ja, du machst mich wahnsinnig! Diese Kühle, diese Distanziertheit, darauf steh ich, du Schnalle, aber total. Die strengen Haare, streng gestrafft, das strenge Kostüm ... Erfährt ihr über Rücken und Hintern, sie gibt ihm eine Ohrfeige. Mann: Ja! Ohrfeigen Sie mich! Ohrfeigen Sie mich! Lassen Sie mich Ihr Sklave sein, strenge Dame! Wissen Sie, was ich am liebsten hab, Chefin? In Frischhaltefolie eingewickelt zu werden. Frischhaltefolie. Von oben bis unten. Besonders unten, daß es schön quetscht. Sie starrt ihn sprachlos an, geht zu seinem Schreibtisch, reißt die Schubladen auf. Mann: Was suchen Sie denn, strenge Dame? Sie sollen doch einen anderen Laden aufmachen, war mir viel lieber. Er nähert sich ihr unangenehm, sie stößt ihn zurück, findet die Flinte, holt sie hervor. Chefin: Was soll denn das, bitte? Mann: Das ist mein Schießgewehr, gestrenge Herrin. (Reißt sein Hemd auf.) Richten Sie mich, wenn es Ihnen beliebt! Chefin legt konsterniert die Flinte wieder in die Schublade, sucht weiter, findet das Kuvert, macht es auf, holt den Inhalt hervor. Es sind Fotos. Sie schaut sie an, erstarrt. Mann: Ich hol uns schnell Frischhaltefolie aus dem Supermarkt, Chefin, soll ich? Chefin: Sie Schwein! Diese Fotos bekommt die Polizei! Mann: Ist es was Geiles, darf ich sehen? Ergebt zu ihr, schaut auf die Fotos. Mann: Na, nicht schlecht. Na, nicht schlecht. Wo haben Sie denn die her? Chefin: Aus Ihrem Schreibtisch, Sie Schwein. Sie sind entlassen, verschwinden Sie! Mann: Jawohl, endassen Sie mich, vernichten Sie mich, gestrenge Herrin! Chefin: (schreit:) Raus! Raus! Mann: Ja, schrei nur, schrei nur, du Fotze, ich mag das. Sie tritt ihm in den Unterleib, er sackt stöhnend zusammen, sie geht mit den Fotos hinaus. Mann: (sich den Unterleib haltend) Sie steht auf mich, keine Frage. (Steht wieder auf heiter:) Trotzdem, bei aller geilen Unterordnung: Kündigung geht zu weit, Kündigung geht zu weit, gestrenge Herrin, die Spielregeln bestimmr der Sklave. Weiß sie nicht, weiß sie nicht, die Fotze, muß ich ihr beibringen. (Atmet durch, streckt sich) Ich hab eine Kraft, sagenhaft! (Er holt seinen langen Mantel, schlüpft hinein.) Wo nehm ich nur diese Kraft her, diesen Elan? (Er holt aus seinem Schreibtisch die Flinte, lädt sie durch; fröhlich:) Ich komme, meine Dame! Er gebt federnden Schrittes hinaus, nach einer Weile knallt ein Flintenschuß, dann ist es wieder still. Frau kommt hereingelaufen, stellt sich atemlos neben die Türöffnung, wartet ein wenig. Mann kommt nicht, sie atmet auf, setzt sich an ihren Schreibtisch, zündet sich eine Zigarette an, trinkt vom Kaffee, nimmt wieder die Zeitung. Plötzlich von draußen die Tonkulisse aus einem amerikanischen Action-Film. Polizeisirenen ertönen, Reifen quietschen, dramatische Filmmusik schwillt an, Polizistenstimmen sind zu hören, die schreien: „Put the gun down! Hands Up! Put your hands up! Drop your gun! I blowyour fucking head away! Drop your goddamn gun! Drop it!" Ein Flintenschuß knallt, darauf folgen zahlreiche Schüsse aus mehreren Schnellfeuergewehren, dann wird es ganz still. Frau hat gar nicht darauf reagiert. Blackout. Tödliche Sünden 56 57 Tödliche Sünden UNMÄSSIGKEIT Der sich des Kinnladens bemächtigt, vernichtet die Feinde und zerreißt mit Leichtigkeit seine Fesseln. 1. BILD Speisezimmer. Abend Mann und Frau 1 am Tisch. Drei Gedecke, die Speisen befinden sich bereits auf den Tellern. Sie warten. Der Tisch samt Personen istaufderFernsehfldche zu sehen. Mann: Nimmst du bitte deine Beruhigungstablette? Frau: Hab ich schon. Mann: Na, dann beruhige dich bitte. Frau: Ich bin ruhig. Mann: Du bist nicht ruhig. Frau: Ich bin ruhig. Mann: Du zitterst, ich seh es doch. Frau: Ich kann nicht anders. Mann: (schaut auf die Uhr; nach einer Weile) Wir fangen jetzt an. Mann beginnt zu essen, langsam, aber nicht ohne Appetit. Frau starrt vor sich hin. Mann: Wurdest du bitte essen? Frau reagiert nicht. Mann: Würdest du bitte essen, Doris? Frau: Ich kann nicht. Mann: Wieso kannst du nicht? Solidarität odet was? Fängst du jetzt auch damit an? Frau: Entschuldige, Hans, ich kann einfach nicht. Mann: Ich muß also allein essen? Frau antwortet nicht. Mann: Na, das macht Spaß, na, das macht Spaß, herzlichen Dank, sehr nett. Die einzige Stunde des Tages, wo die Familie zusammen ist. Die einzige Stunde des Tages, wo wir eine Familie sind, wo man sieht, daß wir eine Familie sind. Danke, sehr lieb. Frau beginnt in ihrem Essen zu stochern, nimmt einen kleinen Bissen. Er sieht es. '^Mann: Zwing dich nicht. Zwing dich nur nicht. Frau stochert weiter. Mann: Du sollst es lassen, hab ich gesagt. Ich verzichte darauf. läßt es. IMann: Und? ,u: Drei Granny Smith. n: Drei Granny Smith? «au: Ja. n: Wieviele Kalorien sind das? rau: Keine. n: Erzähl mir nichts, erzähl mir nichts. (Nach einer Weile.) Hat sie das p gekocht? $Au: Ja. n: Sie kocht gut. Einwandfrei. Etwas fett vielleicht. Aber gut. (Nach einer Weile:) wird vorbeigehen. Pubertäckrise. Sie war immer schon etwas überspannt. äGenau wie du. au tierhält das Weinen. N: Wenn sie einen Freund finden würde, dann war das sicher gleich vorbei. Aber So, wie die aussieht, na. ich jedenfalls hätt ihr höchstens Geld gegeben füt eine Wurstsemmel. (Schaut sie an.) Ich kann dir wirklich einen Vorwurf nicht ersparen, Doris. Du hast sie angeregt. Gemeinsam mit dir hat sie ihre erste Diät gemacht. Gemeinsam mit dir. u will etwas sagen. n: (laßt sie nicht zu Wort kommen) Du hast sie nicht aufgefordert, ich weiß. Aber du hast dich darüber gefreut, du hast zugestimmt, gemeinsam habt iht das durchgezogen. Und es war nicht notwendig bei ihr, du weißt es. Bei dir schon, bei dir chon, absolut, bei Gott, ja, aber nicht bei ihr, sie war schon dünn, schön schlank, ■ein hübsches, schlankes, junges Mädchen. Du hast dann aufgehört, sie hat nichi l^ftufgehöit. Und du hast es nicht gemerkt. Eine Mutter muß sowas merken. Sollte. Sollte. Eine aufmerksame, eine fürsorgliche Mutter sollte. Ich hab es bemetkt, ich ab es bemerkt. I^au: (hat zu weinen begonnen) Ich hab es doch auch bemerkt! Ich wollte es dir nicht . Ich wollte dich nicht belasten. Es fing so harmlos an. Ich dachte, ich schaffe schon mit iht. : Was war da los, sags mir, wie kommt das? ,u: Ich weiß es nicht. Auch die Ärzie wissen es nicht. fuNN: Na, irgendwas muß ja schiefgelaufen sein. ,tj: Ja, bestimmt. 'tödliche Sünden 58 59 Tödliche Sünden Mann: Ich war draußen, auf der Jagd. Kohle für euch einholen. Ich kann nicht wissen, was los war. Ist es etwas zwischen euch? Frau: (beleidigt) Du machst es dir einfach. Wie immer. Wie immer putzt du dich an mir ab. Sie sieht auf geht hinaus. Mann: Sehr nett, danke. Tolle Familie. (Ißt weiter.) Blackout. 2. BILD Speisezimmer. Abend Mann und Frau am gedeckten Tisch. Sie warten. Der Tisch samt Personen ist auf der Fernsehflache zu sehen. Mann schaut auf seine Uhr. Kind kommt herein. Wie alle Magersüchtigen in ihrem Stadium wirkt sie apathisch, hat ein ausdrucksloses Gesicht mir den Falten einer alten Frau, dunkle Ringe unter dm Augen, dünne, strähnige Haare, insgesamt ungepflegt. Sie bewegt sich marionettenhaft und ist dick angezogen, weil sie ständig friert und weil sie auch die Magersucht verbergen will. Ihr Auftritt ist der einer scheinbar Mächligen. Sie setzt sich hin, schaut die beiden mit einem fragenden, leicht arroganten Blick an. Mann: Guten Abend, Vater. Kind: Guten Abend, lieber Vater. Mann: Schön, daß du uns ausnahmsweise wieder einmal beehrst. Kind: Keine Ursache. Mann: Mahlzeit. Kind: Mahlzeit. Mann und Frau beginnen zu essen. Letztere stochert nur herum. Mann ißt mit gutem Appetit. Kind ißt nicht. Mann: (zum Kind) Würdest du bitte essen? Kind: Ich kann nicht, Vater. Mann: Was war's heute? Drei Granny Smith? Kind: Ich war sehr brav, ich war sehr schlimm. F.in Granny Smith, ein Diät-Joghun, zuckerfrei, weniger als ein Gramm Fett, 55 Kalorien; 30 Gramm Cornllakes, rrok-ken, 2.5 Gramm Fett, 150 Kalorien; 205 Kalorien, insgesamt. Mann: Na, dann kannst du ja noch was vertragen. Kind: Kann ich leider nicht. Mann: Warum nicht? i Kind: Ich darf nicht. Mann: Wer verbietet es dir? Frau: Können wir diese fruchtlose Diskussion bleibenlassen? Mann: (ignoriertsie) Wer verbietet es dir? Sag mir das! Kind: Meine Freundin. Mann: Ach, was? Deine Freundin? Schulfreundin, oder was? Hat sie dasselbe? Kind: Ich weiß nicht, ob sie dasselbe hat. Ja, sie ist dünn. Aber stählern. Sie ist stark und mächtig. Mann: Was erzählst du da? Wer ist sie? Die knöpf ich mir vor. Hab mir immer schon gedacht, da steckt irgendjemand dahinter. Sag schon, wer ist sie? p Kind: Sie trägt schwarze, schimmernde Kleidung, ganz eng. Und hohe Absätze. Ihre Bauchkuhle ist ganz wunderbar. Ich liebe ihre Bauchkuhlc. So möchte ich auch sein. (Weintauf.) Ich hab einen Blähbauch! Ich hab einen Blähbauch! (Aggressivzur Mutter.) Wo sind meine Abführmittel? Gib mir sofort meine Abführmittel! Mann: Sag, was redest du da? Bist du jetzt vollkommen verrückt? , Frau: (umarmt das Kind) Danke, daß du es uns erzählst, danke, Kind. : Kind: Gib mir meine Abführmittel. Frau: Du bekommst sie, gleich. Sag mir, wer ist sie? Kind: Sie steht hinter mir. Frau wirft unwillkürlich einen Blick hinter das Kind. Kind: Sie steht hinter mir, geht hinter mir, sitzt in der Schule hinter mir, immer ist sie da. Sic ist eine Queen, Fairy Queen, Queen of the Nighr, und sie kommt von weit her. Sie beschützt mich. Frau: Sie beschützt dich nicht, sie bringt dich um. Kind: (weint auf) Ja, das tut sie. Ich halte es manchmal nicht mehr ans. Sie bestraft mich für jeden Bissen. Furchtbar, furchtbar. Mann: Also gut, ich bin jetzt einverstanden. Psychiatrie. Ich seh auch keinen anderen Weg mehr. Kind: Papa, hab mich lieb, bitte, hab mich lieb. Mann: Ich habe Angst vor dir, weiß du das? Ist es normal, wenn ein Vater Angst vor ;| seiner Tochter hat? Kind: Hab mich lieb, Papa. Mann: Ich hab dich lieb. Aber du bringst uns um. Kind: Mama hat mir gesagt, wie ich ein Baby war, da hattest du mich lieb. Mann: Ich hab dich lieb. Aber du bringst uns alle um. Wie ist das möglich, bitte? Wir sind doch eine normale Familie. Eine Bildcrbuchfamilic. Harmonie war immer mein höchstes Ziel. Und auch das von Mama. Da kann man ihr wirklich keinen Vorwurf machen. Todliche Sünden 60 61 Todliche Sünden Frau: Oh, mein Gott. (Sie rennt hinaus.) Mann: Was ist denn jetzt los? Kind: (wischt sich die Tränen ab) Sie schaut, ob die Katze im Gefrierschrank ist. Mann: Wie bitte? Kind antwortet nicht. Mann: Die Katze ist im Gefrierschrank? Kind: „Nein, das ist nicht die Katze, das sind l^unmkoteletts. Nein, das ist nicht die Katze, das sind Erdbeeren. Nein, das ist nicht die Katze, das ist die Gemüsesuppe." So macht sie das. Jeden Tag zwanzigmal. Mann: (starrt sie an; dann) Wir sind keine normale Familie. Ich habe eine verrückte Frau und eine verrückte Tochter. Na, danke, sehr nett. Kind: Ich kann nicht anders, Papa, ich kann nicht anders. Mann: Du willst also verhungern? Kind: Nein, ich will nur dünn sein. Ich gefall mir so, ich gefall mir. Ich liebe meine knochigen Knie, meine Beckenknochen, die wie Schaufeln wegstehen, meine wunderbare Bauchkuhle. Frau kommt wieder herein, setzt sich. Kind: (weiter) Ich hab so eine schöne Bauchkuhle, wenn alles draußen ist, so eine schöne Bauchkuhle. Ich will nur schön sein, Papa. Mann: Aber du bist doch nicht schön! Du schaust aus wie ein KZ-Häftling! Ein Gesicht wie eine alte Frau! Dein Anblick macht mich krank! Krank! Kind: Ich bin schön. Und bald werd ich noch schöner sein. Vollkommen. So schön und vollkommen wie meine Queen. Frau: Schaut deine Queen aus wie ein Biafra-Kind? Du schaust jedenfalls aus wie ein Biafra-Kind. Vergiß deine wunderbare Bauchkuhle, die wirst du nie mehr haben. Du hast einen Wasserbauch, einen Hungerbauch, und der geht nicht mehr weg. Das hat dir der Arzt doch ganz deudich gesagt, nicht? Kind weint. Mann: Es ist unglaublich, es ist unglaublich! In was für einer Zeit leben wir, bitte, in der unsere Kinder solche Krankheiten haben, solch wahnwitzige Krankheiten! Das ist doch ein Frevel, Kind, ein Frevel! (Wird rasend.) Schau dir die Hungerbäuche an, im Fernsehen, du Mistvieh, mit dem vollen Kühlschrank vor der Nase! (Steht auf.) Du ißt jetzt dein Essen auf, hast du mich verstanden? Du ißt jetzt! Oder ich stopf es dir rein! Kind: Bitte nicht, Vater. Mann: Ich bin nicht mehr dein Vater, wenn du nicht aufhörst damit! Deine Mutter ißt ja auch schon nicht mehr! Du richtest deine Mutter auch zugrunde! Und mir vergeht ebenfalls der Appetit! Ich muß essen! Ich muß essen! Irgendwer muß ja die Familie ernähren! p Kind: Ja, du mußt essen. Ich muß nicht essen. Und mache trotzdem meine Arbeit. Hab ich schlechte Noten in der Schule? Hab ich das? Koche ich nicht jeden Abend? g Mann: Du sollst essen und nicht kochen. Die Mutter hat zu kochen! Was sind denn das für Zustände? |Frau: Ich will ja kochen, Hans, wirklich. Ich koche gern, das weißt du. Zwanzig I Jahre hab ich gekocht. Dreimal am Tag. Sie läßt mich nicht. Sie hat mich aus der Küche vertrieben, regelrecht vertrieben. I Mann: (drohend) Wirst du jetzt essen, bitte? gKind beginnt langsam zu essen, das heißt, es nimmt einen Bissen, kaut endlos daran, Wsebiebt ihn von einer Backe zur anderen. Mann setzt sich wieder, ißt auch weiter. |Mann: So weit hast du mich gebracht. Wir haben nie gestritten. Nie wurde gestrit-h ;ten bei uns. Wir gehörten nicht zu den Familien, in denen gestritten wird. Und jetzt brüll ich herum, sinnlos. Das verzeih ich dir nie. Kau nicht endlos an einem |i Bissen herum. Ich stopf's dir rein, ich schwor's dir. 'Jnd nimmt noch einen Bissen. |RAu: Du bist sowas von blöd, das ist unglaublich. nn starrt sie an. ^rau: Wie konnte ich nur so einen dummen Mann heiraten? Und mich aufopfern. ^Meinen Beruf aufgeben und mich aufopfern. Du dankst es mir nicht, und die ^.Kinder auch nicht. "ijMänn ist absolut fassungslos. «d: Papa ist nicht blöd. Er ist nur verzweifelt. in: (zu Frau) Warum willst du mich fertigmachen? ■j: Ich will dich nicht fertigmachen. Ist ja meine Schuld. Ich bin blöd, entschul-fj^djge. nicht du. Du verhältst dich nur dieser Krankheit gegenüber blöd, das meinte ^ich. Wenn du sie zwingst, geht sie nachher sofort brechen. Also, was soll's? hn: Was geht sie? ^u: Brechen. Sie steckt sich den Finger in den Mund. Ich hab die Spuren gefun-len, am Klo. nn schaut Kind fassungslos an. y. Ja, verachte mich nur. Verachte mich. Es ist abscheulich, ich weiß. Aber |f Ich fühle mich nachher so befreit, so rein. Rein will ich sein. Ganz rein. Nicht ''beschmutzt, von Nahrung, wie ihr alle. tonn starrt sie an, schnauft auf, ißt weiter. ann: (nach einerWeile) Nach zwanzig Jahren kommt sie mir mit dem Vorwurf, daß ^">j'e inren Bemf aufgeben mußte. Nach zwanzig Jahren. Unglaublich. Frau: Meine Schuld, vergiß es. Ich hätte mich ja wehren können. Tödliche Sünden 62 63 Tödliche Sünden Mann: Aber sicher. Erinnere dich, bitte. Was hab ich zu dir gesagt, nach drei Jahren Ehe? Was hab ich dir gesagt? Frau: Daß du jedeizeit mit mir tauschst, wenn ich genausoviel Geld verdienen kann wie du. Mann: Ich wäre gern Hausmann geworden, liebend gern. Glaubst du, dieser Konkurrenzkampf da draußen ist lustig? Glaubst du, dieser Scheiß-Job macht Spaß? Und immerhin, du wolltest ja einiges haben, in den letzten zwanzig Jahren, nicht. Und die Kinder auch, und nicht wenig. Frau: Findest du, daß du es weit gebracht hast? Betuflich? Wenn du dir deine Kollegen von damals anschaust? Wo die heute sind. Mann: Du bist nicht zufrieden mit mir? Immer noch nicht? Frau: Ich mein ja nur. Mann: So weit wie ich wärst du jedenfalls nicht gekommen. Aber garantiert nicht. Frau; So? Und warum nicht? War ich zuwenig qualifiziert? Hatte ich zuwenig Tatkraft, Ehrgeiz? Mann: Würd ich nicht sagen. Tatkraft und Ehrgeiz hast du wahrlich mehr als ich. Aber du hättest den psychischen Druck nicht ausgehalten. Weil du ein labiler Mensch bist. Untuhig. Überspannt. Ein Phantast. Krankhaft eifersüchtig auf alles, was andere haben und können. Wie deine Tochter. Kind: Kann ich jetzt gehen? Mann: Nein, du kannst noch nicht gehen. Heute verbringen wir ein Stündlein zusammen. Im trauten Familienkreis. Kind: Könnt ihr dann bitte aufhören streiten? Mann: Ich streite nicht. Ich habe nie gestritten. Frau lacht auf. Mann: Ja, lach nut. Irgendwann wird dir das Lachen vergehen. Du spielst auf meine paar Wutanfalle an, nicht? Sei froh, daß sie glimpflich ausgegangen sind. In anderen Familien gehen sie oft nicht so glimpflich aus. Kannst du dich erinnern, aus welchem Anlaß ich meine wenigen Wutanfalle hatte? Frau: Na, wenn in der Firma etwas nicht geklappt hat. Wenn du eine von deinem Chef aufs Dach gekriegt hast. Wenn deine Freundin dich untet Dtuck gesetzt hat, dich scheiden zu lassen. Mann: Wenn mir deine Stichelei zuviel wurde. Wenn ich deine Stichelei nicht mehr ertrug. Du hast nämlich eine An zu sticheln, die selbst einen Gemütsmenschen wie mich, einen harmoniesüchtigen Familienvater wie mich zur Weißglut bringen muß. Frau lächelt geringschätzig und bitter, stochert in ihrem Essen, Mann ißt weiter. Mann: Kommt sie mir nach zwanzig Jahren mit sowas. Da soll man nicht in Wut geraten. Frau: Kannst du es bitte jetzt gut sein lassen? I Mann: Nur noch ein Kind zu Hause, bißchen putzen, nicht einmal kochen, weil das Kind kocht. Was brichst du dit ab? Frau: Ich will raus, raus, verstehst du das nicht? Unter Menschen! Mann: Also, ich kann dir versichern, Doris, du versäumst absolut nichts da draußen. t Frau: (zu Kind) Mach es nie wie ich. Mach es nie wie ich. Kind: Keine Sorge, Mama. Nie möchte ich so werden wie du. Das beleidigt Frau wieder, sie starrt vor sich hin, den Tränen nahe. I Mann: Warum mußt du jetzt deine Mutter beleidigen? Sag mir das. I Kind: Ich will sie nicht beleidigen. Ich will nur nicht werden wie sie. t Frau: Du hast ja recht. Ein vertanes Leben. (Lacht auf.) Was war das für ein Leben? Dein Putzlappen und für die Kinder Chauffeur. Eure Haare im Bad. Eure Haare im Bad. Ich halte das nicht mehr aus. Es graust mich. Es graust mich wirklich. % Kind: (sachlich) Geh einfach. I Frau: Nein, das ist jetzt zu spät. ?> Kind: Es ist nie zu spät. Frau: Sei nicht so altklug. Es ist auch nie zu spät, seine Krankheit zu bekämpfen. Könnte ich auch sagen, odet? f. Kind senkt den Kopf I^Mann: (zu Kind) Du tarn meinet Frau, mich zu verlassen? Ja? Tust du das? Mein Kind I ■■ rät meiner Frau, mich zu verlassen? Etwas ungewöhnlich, findest du nicht? IClNDrJa, vielleicht. J'Mann: Ihr könnt ja beide gehen, beide. Ich weine euch keine Träne nach. Ich nicht. '■(, Ihr macht mich ja nur fertig. Hab ich das notwendig? Ii $ie annoorten nicht. Eine Weile Schweigen. I; Frau: Dein Vater macht natürlich mich verantwortlich, für deine Krankheit. Findest du das auch? !.Kind: Nein, Mutter. 1 Frau: Aber ich fühle mich schuldig. I Kind: (ohne sie anzuschauen) Mußt du nicht, Mutter. I Frau: Ich hab mich doch um dich gekümmert. Mehr als um deinen Bruder. Mehr. Der hat gelitten darunter, weiß du das? Ich hab dir alles abgenommen. Mit dir gelernt, in die Schule gerannt, dich überall hingebracht, zu all deinen Aktivitäten - Kind wiU etwas sagen. I, Frau: Die du nicht immer von vorneherein wolltest, ich weiß, aber Bildung und '- körperliche Ertüchtigung muß sein, sagt der Vater, es hat dir dann ja auch Spaß gemacht ... Alles hab ich dir vom Hals gehalten, vom Hals geschafft, alles für Tödliche Sünden 64 65 Todliche Sünden dich getan, was in meiner Macht stand. Und jetzt? Das. Das. Warum tust du mir das an? Kind: (in das Essen schauend) Es tut mir leid, Mutter. Eine Weile Schweigen. Mann: (zu Frau) Du hast eine neue Marotte, höre ich. Du schaust zwanzigmal am Tag im Gefiierschrank nach, ob die Katze dort ist. Frau schaut zu Kind, dieses starrt peinlich berührt in seinen Teller. Mann: Ihr braucht beide psychiatrische Behandlung. Ohne Zweifel. Frau: Was ist mit dir? Mann: Was soll sein mit mir? Frau: Du bist so normal? Mann: Ich bin normal. Oder gibt's da etwas? Frau: Deine Unnahbarkeit ist dein Wahnsinn, Hans, deine Kälte. Dein starres Leben ist dein Wahnsinn. Deine Normalität ist dein Wahnsinn. Mann: (lacht auf) Dann bin ich also schuld, daß unser Kind diese Krankheit hat? ja, bin ich das? Frau: Hab ich das gesagt? Mann: Na, irgendwer muß ja die Schuld sein, oder? Kind: Macht euch nicht fertig. Bitte macht euch nicht fertig. Ihr habt keine Schuld. Niemand von euch. Nur ich bin schuld, ich allein. Ich bestrafe mich ja dafür, ich bestrafe mich, jeden Tag, jede Stunde. Ich bin eine Null, ein Nichts, ein Niemand. Und ein Nichts braucht auch nichts zu essen. Schaut, meine Haare fallen mir aus, die Haut schuppt sich, wie bei einer Schlange, aber es kommt keine schöne, glänzende, neue Haut zum Vorschein, sondern wieder die alte, graue, häßliche. Ich bin so schwach, ich bin so schwach, nur die Queen treibt mich noch, nur sie hält mich noch. Aber nicht mehr lange. Bald lieg ich am Boden und ihr seid mich los. Dann könnt ihr euch wieder mögen. Frau: (weint) Aber das stimmt doch nicht, das summt doch nicht. Wir mögen uns doch, wir mögen uns alle drei. Gib mir die Hand, Hans, bitte. Bitte. Hans reicht ihr seine Hand, sie drückt sie, streckt ihre Hand nach Kind aus. Frau: Komm, komm! Kind gibt ihr die Hand. Frau: Papa! Mann streckt die Hand nach dem Kind aus, es gibt ihm seine Hand Frau: Wir mögen uns doch, Hans, oder? Es kann doch nicht alles nichts gewesen sein! Mann: Ja, natürlich, natürlich, wir mögen uns. Ich mag euch. Ich hab ja nur euch. Ich hab niemanden sonst. Frau: (nach kurzer Pause) Na, das find ich jetzt wieder etwas übertrieben. %. Sie läßt seine Hand los. Mann schaut sie an. p Frau: Bist du dir sicher, daß du niemanden sonst hast? W Mann: Wieso? Frau: Na, in gewisser Beziehung ist ja nichts mehr los mit uns, oder? Ich nehme an, du wirst wieder eine gefunden haben. Wie, ist mir schleierhaft. Jedenfalls finde ich die Kondome in deiner Aktentasche eine Zumutung. |;Mann: (starrt sie an; dann) Du interessierst mich nicht mehr, ehrlich gesagt. Schon 1^ lange nicht mehr. Eigentlich seit unserer Hochzeit nicht mehr. Und dir ist im §•"; Grunde auch nur das Geld wichtig, das ich nach Hause bringe. |«M K>nd zieht seine Hände zurück und stößt einen furchtbaren Schrei aus. Die Eltern I' erschrecken. I^Kind: (nach einer Weile leise) Wenn ich allein wäre, würde ich mich mit dem Nacht-%t; hemd auf die Straße setzen und mir die Beine zerschneiden. Würde den Leuten , zuschauen, den dicken, fetten, wie sie an mir vorbeigehen. Wenn ich allein wäre, I i,, würde ich alles Geld von euch wegwerfen und würde verhungern. •ekout. &. BILD ^Speisezimmer. Nacht. Die Personen auf der Fernsehfläche. Frau sitzt am leeren Tisch, Mdt ein verschlossenes Briefkuvert in der Hand, schaut darauf. Nach einer Weile kommt •ehetzt der Mann herein. Die Lichtschranken fließen in der Türöffnung zusammen. bManN: Ist sie da? pRAu: Nein. Ich hab einen Brief gefunden, in ihrem Zimmer. (Liest vom Umschlag:) An meine Eltern, vor der Wiederkunft. Mann nimmt ihr den Brief aus der Hand, schaut darauf, gibt ihn ihr wieder zurück, [setzt sich. 'rau: Soll ich ihn aufmachen? 'Mann: Nein. Frau: Warum nicht? in: Sie wird schon auftauchen. Sie will uns nur Angst machen. Wie immer. Wer weiß, was da alles drinsteht. Will ich gar nicht wissen. |Frau: Warst du bei der Polizei? n: Ja. Sie halten die Augen offen. Sagen sie. !rau: Sie ist tot. Tödliche Sünden 66 67 Todliche Sünden Mann: Die ist nicht tot. Viel zu feig. War sie immer schon. Und wehleidig. Frau: Magst du sie gar nicht mehr? Mann: Nein, so mag ich sie nicht mehr. So nicht. Ich hab das nicht verdient. Wirklich nicht. Uns in Angst und Schrecken versetzen, ja, das kann sie. Und ich sag dir was. Die haben sie aufgehetzt. Frau: Wer? Mann: Wer schon? (Steht auf.) Die in der Klinik. Die Psychologenschweine. Ihre Therapeutin. Hat sie gegen die Eltern aufgestachelt. Sie wissen nicht, woher es kommt, und machen die Eltern veraniwordich. So einfach geht das. Ich will sie eigentlich nicht mehr sehen. Sie hat uns verraten. Sie hat unsere Familie verraten. Unsere Familiengeheimnisse. Das war der letzte Hort, die Familie, der letzte Zufluchtsort. Jetzt wird auch da umgegraben, gnadenlos, und alles in den Dreck gezerrt, alles, was bisher einen Wert hatte - Ordnung, Pflichterfüllung, Harmonie, Zusammenhalt. Die Keimzelle des Staates als Brutstätte der Geisteskrankheit. Soweit sind wir. Na, das macht Spaß, herzlichen Dank, sehr nett. Frau: Reg dich nicht auf, sie geben ja ohnehin mir die Schuld. Die Muteer-Tochter-Beziehung ist schuld. Die Mutier ist wieder schuld, die Frau, wie immer, wie seit jeher. Mann beginnt plötzlich zu weinen, will sich zurückhalten, kann es nicht, er bricht auf die Knie nieder. Mann: Mea culpa! Mea culpa! Mea culpa! Frau: Komm, hör auf. Mann: Ich spüre das, ich bin schuld! Wirklich! Ich hab sie so schlecht behandelt! Ich hab sie so schlecht behandelt! Oh, Gott, wenn sie jetzt tot ist! Frau: Wenn sie tot ist, geht es ihr besser. Mann: Wie kannst du sowas sagen? Frau: Wir hätten uns alle drei umbringen sollen. Gleichzeitig. Dann wären wir alle erlöst. Heim, nach Hause. Ach, ich sag dir, ich hab so eine Sehnsucht, von da wegzukommen. Mann: (verzweifelt) Wohin nach Hause, wohin? Frau: Zu denen da draußen, die uns liebevoll und mit Schmerz betrachten. Wie wir uns abstrappeln, wie wir uns sinnlos abstrappeln, wir armen Kinder. Sie schaut auf das Kuvert, macht es dann ruhig auf, zieht das Blatt heraus, liest es. Mann: (steht auf) Was schreibi sie? Was schreibt sie? Frau: Daß alles gut wird. Daß sie kommt. Mann nimmt ihr den Brief weg, liest ihn. Frau: (froh) Sie wird kommen. Sie wird kommen. Mann: Sie ist tot. Sie ist lange schon tot. Das ist der Brief einer Toten. Frau: Sie wird kommen. Oh mein Kind, mein wunderbares Kind. Plötzlich kommt ein gewaltiges Geräusch auf— oh Dolby Surround! -, das sich langsam nähert. Es ist das Geräusch von Antriebsaggregaten eines Raumschiffes. Mann und Frau schauen nach oben. Die Lichtschranken beginnen zu zittern, zu tanzen, zu verschwimmen, das Fernsehbild ebenfalls, das Tosen wird immer lauter, erhebende Filmmusik setzt ein, von oben nähern sich strahlende Scheinwerfer, die das Speisezimmer unerträglich hell erleuchten. Dann stehen die Scheinwerfer still und eine Treppe wird von oben heruntergefahren. Beine tauchen auf Es sind die Beine der Queen, in schwarzes Latex gekleidet, [' hochhackige Stiefrl an den Füßen. Und sie steigt herunter. Es ist das Kind, nun verwan-'f. delt in die Queen. Es trägt den langen, schwarzen Gummimantel, darunter die hautenge, p schwarze Kleidung. Sein Gesicht ist streng und schon und weiß. Das Kind ist da. Und I lächelt seine Eltern an, die erstarrt sind. Frau löst sich als erste und geht aufdas Kind zu, g will es umarmen. Aber das Kind hebt nur lächelnd die Hand hoch, und Frau hält sofort I inne. Kind schaut lächelnd zu Mann, dreht sich um, steigt die Treppe wieder hinauf, |i blendet sich um, sendet den Eltern einen auffordernden Blick. Frau steigt hinter dem %■ Kind hinauf Die Beine des Kindes verschwinden schon, da geht auch Mann zur Treppe jf- undfolgt ihnen. Plötzlich steht Frau 2 als Moderatorin da, deutet auf die Emponteigen-|, den. p Moderatorin: Hans und Doris! I) Die Musik geht in die um bekannte Auftritts- und Abgangsmusik über. Applausinschrift |- blinkt, aber verzerrt, flackernd und verschwommen. Applaus. Mann und Frau ver-IL schwinden nach oben. Applaus hält an. I Moderatorin: Das wahre Leben! Nur bei uns! Bei Fairyland Digitalis! Bei uns wird alles gut! Das war's für heute! Tschüß, macht's gut, schönen Abend noch! Blackout. jíĚNDE Tödliche Sünden 68 URAUFFÜHRUNG Auftragwerk für das Tiroler Landestheater Innsbruck Premiere am 25. Februar 1999 Regie Ausstauung Mann Frau 1 Frau 2 Kind Torsten Schilling iielfried I . ucklici Günter Lieder Eleonore Bürchet Claudia Stanislau Alcxa Wilzek Die Buchfassung des Stücks ist 1999 im Haymon Verlag erschienen. Die Uraufführung von Tödliche Sünden am Tiroler Landestheater Innsbruck leitete Torsten Schilling mit Günter Lieder ah Mann. Eleonore Bürcher als Frau 1 und Claudia Stanislau ah Frau 2 sowie Alexa Wilzek ah Kind.