Geschichte und Kabbala Leo Perutz lässt das jüdische Prag wiederauferstehen Von Thomas Köster Unter der steinernen Brücke von Prag steht ein Rosenstrauch. Nachts, wenn seine Blüten sich an den Rosmarin schmiegen, träumt Kaiser Rudolf II. im Hradschin von Esther, der jungen Frau des Juden Meisl. Erst als der legendäre Rabbi Loew den Rosmarin ausgräbt und in die Moldau wirft, ist der Ehebruchsfluch von beiden genommen und die Stadt von der Pest befreit. "In dieser Nacht starb in ihrem Haus auf dem Brunnenplatz die schöne Esther", heißt es in Nachts unter der steinernen Brücke (1953), dem wundervollen, zur Zeit des Holocaust im israelischen Exil verfassten Hauptwerk des Pragerdeutschen Leo Perutz (1882-1957): "In dieser Nacht fuhr auf seiner Burg zu Prag der Kaiser des Römischen Reiches, Rudolf II., mit einem Schrei aus seinem Traum". Im Roman ist die Karlsbrücke jenes steinerne Monument, unter dem sich die Schicksale kreuzen. Eigentlicher Held des Buchs und seiner labyrinthischen, kunstvoll verzahnten Struktur aber ist das untergegangene jüdische Prag des 16. und 17. Jahrhunderts mit seinen Winkeln und Gassen, überlieferten Sagen, kabbalistischen Erzählungen und merkwürdigen Gestalten. Ziel ist, dessen ebenso farbenfrohe wie tragische Geschichte lebendig werden zu lassen und derart gegen das Vergessen anzuschreiben -- so, wie der Ich-Erzähler es an Hand des einzig erhaltenen Gemäldes des Malers Brabanzio sinnfällig macht: "Es stellt einen Mann dar, der ihn einer Hafenkneipe sitzt, und zwei alte häßliche Weiber drängen sich an ihn heran, um ihn zu umarmen, und die eine ist, denk' ich mir, die Pestilenz, und die andere, grau wie ein Leichentuch, ist die Vergessenheit". Zwischen den Weltkriegen zählte Perutz zu den meistgelesenen Autoren deutscher Sprache: 1949 erinnerte sich niemand mehr an ihn. "Die Zeitungen, die Kritik, die Verleger und die Literaturgeschichte registrieren mich als nicht mehr vorhanden", hielt Perutz resignierend fest -- um dann mit verhaltener Ironie hinzuzufügen: "Um so sicherer ist meine Auferstehung in 40 Jahren". Jetzt ist es an der Zeit, sich diesen Meister historisch-phantastischen Erzählens endgültig wieder ins Gedächtnis zu rufen. Nachts unter der steinernen Brücke ist genau das richtige Buch hierzu. Leo Perutz: Nachts unter der steinernen Brücke Zsolnay Vlg., Wien 2000 -- 320 Seiten Hardcover -- € 19,90 Quelle: http://www.cpw-online.de/rezensionen/perutz.htm (1.12.2010)