Antisemitismus im Deutschen Reich Der Politiker Wilhelm Marr (1819-1904)[1] prägte den Begriff Antisemitismus und gründete 1880 die Antisemitenliga. Schon 1862 in der Schmähschrift »Der Judenspiegel« argumentiert er rassenideologisch und leitet soziale und ethnische Mängel des Judentums aus dessen Geschichte und Tradition ab. 1893 brach er jedoch mit den Antisemiten, deren von ihm als »Geschäftsantisemitismus« bezeichnete Methoden er ablehnte. Der geltungssüchtige Marr vollzog eine wechselvolle ideologische Entwicklung: Anfangs liberaler Demokrat, unter Weitlings Einfluß Kommunist, dann Anarchist wandelte er sich schließlich zum Antisemiten. Eugen Dühring: Die Judenfrage als Rassen- Sitten- und Kulturfrage. 1886 Er beschrieb die „Judenfrage“ – ähnlich wie vor ihm Wilhelm Marr, aber anders als dieser mit wissenschaftlichem Anspruch – als Ausdruck eines Rasse-Gegensatzes zwischen Judentum und Deutschtum. Die traditionellen Angriffe kirchlicher Theologen wie August Rohling auf den Talmud hielt er für nebensächlich und berief sich auf einen „natürlichen Instinct“ der christianisierten Bevölkerung: Das „niedere Volk und der gewöhnliche Bürgerstand“ hätten die Eigenart des Judentums trotz religiöser Irreführung durch „Priesterleitung und unzulängliche Religionsaufklärung“ immer gespürt. Dies sei aus der Geschichte nachweisbar: So habe das Volk getaufte Juden dennoch immer als Juden, nicht als Christen betrachtet. Dührings Schrift über die Judenfrage beeinflusste spätere Antisemiten wie Theodor Fritsch, Houston Stewart Chamberlain und Georg von Schönerer. So berief sich etwa Theodor Fritsch in seinem „Antisemiten-Katechismus“ von 1887 ausdrücklich auf Dühring. Dührings Schriften wurden seit 1924 vom dazu gegründeten „Dühringbund“ neu aufgelegt, nochmals seit 1930. Friedrich Nietzsche verachtete Dühring. In seinem Traktat „Zur Genealogie der Moral“ von 1887 schrieb er im Zusammenhang mit seiner Bewertung der asketischen Ideale:[11] Ich erinnere Leser, die Ohren haben, nochmals an jenen Berliner Rache-Apostel Eugen Dühring, der im heutigen Deutschland den unanständigsten und widerlichsten Gebrauch vom moralischen Bumbum macht: Dühring, das erste Moral-Großmaul, das es jetzt gibt, selbst noch unter seinesgleichen, den Antisemiten. Ein weiterer Antisemit war Hofprediger Adolf Stöcker, Begründer der der Christlich-sozialen Partei (1878), Verfasser von Das moderne Judentum in Deutschland, Berlin 1880, 1880 gründete er die "Berliner Bewegung" als Zusammenschluß antisemitischer Gruppierungen. Da Stoeckers Versuch, die Arbeiterschaft für die Christlich-Sozialen zu gewinnen, gescheitert ist, wendet er sich nun erfolgreicher mit antisemitischer Propaganda an den kleinbürgerlichen Mittelstand. Er findet auch unter Studenten Zuspruch. Er gerät immer stärker in Widerspruch zur Politik des Reichskanzlers Fürst Otto von Bismarck. Stoecker hat jedoch starken Einfluß auf Prinz Wilhelm, den späteren Kaiser Wilhlem II., und versucht, den Prinzen gegen Bismarck einzunehmen. Golo Mann, dessen Mutter einer reichen jüdischen Faamilie entstammte (S. 466), fasst die Stimmung im Deutschen Kaiserreich folgendermaßen zusammen: War nicht jetzt der Jude der typische Vertreter des liberalen Wirtschaftssystems? War er nicht der reiche Bankier – Mendelssohn, Bleichröder – nicht sogar der linksliberale Abgeordnete im Parlament – Lasker, Bamberger? War er nicht der Wucherer auf dem Lande, der Viehhändler und Beleiher, in dessen Netzten die Bauern sich verfingen? Und nicht auf der anderen Seite, der gottlose Agitator, der die Leute zum falschen Sozialismus verhetzte, um Macht für seinesgleichen zu gewinnen? Bismarck hielt nichts von der Bewegung Hofprediger Stoeckers und war sehr ärgerlich, als der Prinz Wilhelm sich mit ihr einließ. So waren die bedeutendsten Antisemiten zugleich Kritiker Bismarcks; z. B. der Orientalist und politische Schriftsteller Paul de Lagarde. Lagarde hielt den Liberalismus für undeutsch und warf Bismarck vor, er habe Liberalismus und Despotismus zu einer Masse geknetet. Eduard Lasker (1829- 1884) 1858 Assesssor am Stadtgericht in Berlin, ein Berliner Abgeordneter der Fortschrittspartei. Seit 1866 Führer der nationalliberalen Partei. Da er in wichtigen Fragen, wie der Wirtschafts- und Steuerreform, dem Soziallistengesetz, nicht mehr mit der Mehrheit der Nationalliberalen übereinstimmte, schied er im März 1880 aus ihrer Parlamentsfraktion aus Ludwig Bamberger (1823 – 1899) Als Freischärler der Pfälzischen Erhebung ins Ausland geflüchtet. Erst 1866 kehrte er nach Mainz zurück. Abgeordneter der nationalliberalen Partei, Verfechter des Freihandels. 1881 schied er aus der nationalliberalen Partei aus und begründete die Fraktion der Sezessionisten. 1884 - 1893 in Gemeinschaft mit der Fortschrittspartei. Er bekämpfte Bismarcks Kolonialpläne. ________________________________ [1] Der Sieg des Judentums über das Germanentum, Bern 1879, 11. Aufl.