Essenz des mondänen Dramas zusammen, wenn er im zweiUB Akt sagt: "Durchs Reden kommt ja alles auf der Welt zustnn de."49 Durchs Reden und nicht durchs Handeln, könnte man nun hinzufügen: denn die sprachliche Substanz von Hofmannslhnli und Wildes Drama ist die Konversation der "leisure dass", dir den handlungsorientierten Dialog traditioneller Dramen ersetzt« Diese Tatsache und die sprachlich bedingte Krise der Subi jektivität, die die Schwierigkeit entstehen läßt, "das Individuuni als Sinnzusammenhang im Sozialen zu konstituieren", von clor Friedbert Aspetsberger spricht50, verbinden typologisch WildJ und Hofmannsthals Dramen. Was sie trennt, ist Hofmannsthali Sprachkritik und seine kritisch-reflexive Einstellung zum mondfli nen Soziolekt, die in Bühls Gestalt ihren prägnantesten Ausdruck findet. Sie war bereits in Hofmannsthals ethischer Kritik an Wildes Asthetizismus vorgezeichnet. 3. Hasek und Kafka: Ambivalenz, Kritik und Krise i Nur scheinbar sind die beiden Hauptthemen dieses Kapitels ein« ander fremd: denn die Beziehung zwischen der sprachlicheil Ambivalenz und der Krise des individuellen Subjekts, die im Mittelpunkt dieses Abschnitts steht, ist - wie sich gezeigt hat -eines der Grundprobleme des mondänen Dramas, das in der Gestalt des Grafen Bühl besonders konkret zum Ausdruck kommt: "(...) O mein Gott, warum muß ein und derselbe Mensch so charmant sein und zugleich so monströs eitel und selbstsüchtig und herzlos!"51 - fragt Antoinette Hechingen Hans Karl Bühl. Ihre Einschätzung ist jedoch recht einseitig, denn im letzten Akt wird deutlich, daß der Graf nicht nur eitel, selbstsüchtig und herzlos, sondern seit langem in Helene Altenwyl verliebt ist... ] Bühls antinomischer Charakter ist für die gesamte gesellschafl« liehe und sprachliche Situation der österreichisch-ungarischen Monarchie um die Jahrhundertwende kennzeichnend. In ihr vermischen sich Askese und Ausschweifung, Tragik und Komik, Heroismus und Dekadenz zu einem widersprüchlichen kulturellen f liinzen, das, wie Robert Pynsent in Decadence and Innovation UPlgt, die Stabilität des Ichs in Frage stellt.52 Sie wird auch in licii Romanen Kafkas und Hašeks problematisch, in denen die Verknüpfung der Gegensätze ohne Synthese immer wieder die I liiheit des sprechenden und handelnden Subjekts sprengt. Die Irxte der beiden Autoren ergänzen und erhellen einander in der Ambivalenz des Gesamtzusammenhangs: Denn während Kafka -vor allem in seinen Romanen Der Prozeß (1925) und Das Schloß |l'>26) - die tragischen Aspekte der altösterreichischen Welt liri vortreten läßt, deckt der Satiriker Jaroslav Hašek (1883-1923) In seinem Roman Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk |l';2()-23), der von K. Vaněk vollendet (5. u. 6. Teil) und von llircht als Komödie (Schweyk im Zweiten Weltkrieg, 1944) weiter-geschrieben wurde, ihre komischen und grotesken Seiten auf. Kafka und Hašek reagieren auf eine soziale und sprachliche '.iination, deren tragikomische Konstellation erst im Vergleich Ihrer Schriften zum Ausdruck kommt. Es handelt sich um einen /iij'Jeich typologischen und kontrastiven Vergleich (also um eine lusonderc Variante der typologischen Analogie), wenn man von dor Annahme ausgeht, daß der deutschsprachige Autor Kafka und der tschechische Satiriker Hašek, der an die politische Satire Karel I lavlíček Borovskýs (1821-1856) anknüpfte, einander nicht lasen. Ihre Helden - Josef K. und Josef Schwejk - sind einander schein-liar fremd und würden einander, falls es auf der Straße einer likliven Stadt zu einer unverhofften Begegnung käme, mit Gleichgültigkeit betrachten. Dies behauptet zumindest Karel Kosík, der als erster im Jahre 1963 Kafkas Werk mit dem Hašeks verglich und in den einleitenden Bemerkungen eine Begegnung ihrer 49 50 51 H. von Hofmannsthal, Der Schwierige, op.cil., S. 403. F. Aspetsberger, "Hofmannsthal und D'Annunzio. Formen des späten Historismus", in: ders., Der Historismus und die Folgen. Studien zur Literatur in unsere, Jahrhundert, Frankfurt, Athenäum, 1987, S. 94. H. von Hofmannsthal, Der Schwierige, op.cit., S. 394. 114 Siehe: R. Pynsent (Hrsg.), Decadence and Innovation. Austro-Hungarian Life and Art at the Turn of the Century, London, Weidenfeld and Nicolson, 1989, S. 143: '"Das Ich ist unrettbar'. From Schnilzler and Hofmannsthal through to Kafka and Musil, this is indeed the central theme of Austrian literature (...)." 115 Helden inszenierte.53 Doch Kosík weist im Verlauf seines Kommentars überzeuge nach, daß es zahlreiche Überschneidungen zwischen den Weltfll Kafkas und Hašeks gibt, zumal sich die Protagonisten beid Autoren mit dem anonymen Mechanismus, dem anonymen S; stem der Juristen und Bürokraten, auseinandersetzen, von dei Kosík sagt, es sei der eigentliche Gegenspieler Schwejks.54 schlägt auch eine Kurzcharakteristik dieses Systems vor, wenn hinzufügt: "Es ist ein System, in dem die Maske und das Mas, ren sowie die Demaskierung zu den grundsätzlichen zwischei menschlichen Beziehungen gehören."*5 Liest man diese These Kosfks im Zusammenhang mit Bachti Theorie des Karnevals, der Maske und der Ambivalenz (s. Kap, II), dann kann man einen strukturellen Vergleich von Kafkas um Hašeks Texten ins Auge fassen, in dem die karnevalistisch Ambivalenz zur treibenden Kraft wird, wobei Tragik und Komik einander dialektisch ergänzen. Dadurch erscheinen die Aktanten - vor allem die Institutionen und die Beamten - als zugleicl tragische und komische, erhabene und lächerliche, übermächtigi und schwächliche Gestalten, die Josef K. rational beherrsche! möchte und die Josef Schwejk listig manipuliert. Es ist wohl kein Zufall, daß schon Bachtin Spuren des Karno« valslachens in Hašeks Roman fand: "Elemente dieses Lachens finden sich auch im Braven Soldaten Schwejk, nur sind sie dorl mit dem Nihilismus des Deserteurs vermischt, der Rabelais' Gelächter fremd ist."56 Doch Schwejk ist nicht nur Nihilist, sondern auch Rebell. Das läßt vor allem die Episode erkennen, in der er Leutnant Dubs Putzfleck Kunert gegen dessen Herrn verteidigt: '"In diesem Fall', sagte Schwejk ruhig, 'werden wir zum Rapport gehen. Ein österreichischer Soldat muß sich nur in gewiss© Fällen ohrfeigen lassen. Aber dein Herr hat alle Grenzen über' Í 53 54 55 56 Siehe: K. Kosík, "Hašek a Kafka neboli groteskní svět", in: Literární noviny Nr, 3, 1963, nachgedruckt in: Proměny 19, Nr. 1, 1982; siehe auch: M. Kundera, DU Kunst des Romans, München, Hanser, 1987, S. 58. K. Kosík, "Hašek a Kafka", op.cit., S. 21. Ibid., S. 22. M.M. Bachtin, Literaturno-kritičeskie staťi, Moskva, Chudožestvennaja Literatura, 1986, S. 514. Ncliiitten.'" ('"V tomto případě', řekl klidně Švejk, 'půjdeme k niportu. Rakouskej voják musí se dát fackovat jenom v určitejch pupadech. Ale von ten tvůj pán překročil všechny meze'.")57 Insofern vereinfacht auch W.F. Haug, wenn er ausschließlich Schwejks "subversives Einverständnis" thematisiert, seine Revolte |uloch, die vor allem in Hašeks Frühschriften zum Ausdruck kommt, vernachlässigt.58 Auch auf intertextueller Ebene ergänzen Hašek und Kafka tinander: Während Kafka, seine Erzähler und Helden auf den lachsprachlichen Soziolekt der Verwaltung und der Justiz reagie-icn und versuchen, mit Hilfe dieses kollektiven Sprachgebrauchs, der Kafkas Schreibweise nachhaltig geprägt hat59, die Welt transparent und beherrschbar zu machen, setzen sich Hašek und Schwejk vor allem mit ideologischen Sprachen auseinander. In der Uomansatire werden die Diskurse moralischer, religiöser und politischer Ideologien karnevalistisch relativiert und ihres monologischen Ernstes beraubt. Gemeinsam ist Kafkas und Hašeks Texten - ähnlich wie den mondänen Dramen Wildes und Hofmannsthals - die fehlende Eindeutigkeit, die nicht nur die zivilen und militärischen Beamten kennzeichnet, sondern auch die Institutionen: etwa das Gericht in Kafkas Prozeß-Roman oder die zahlreichen Militärgerichte, die immer von neuem Josef Schwejk verurteilen, ohne jemals einen (lesinnungswandel bei ihm zu bewirken. Ein solcher Wandel ist schon deshalb schwer herbeizuführen, weil die Beamten bei Hašek ihre Tätigkeit kaum ernst nehmen und hinter einer strengen Maske alle möglichen unseriösen Eigenschaften verbergen, die der Ge-i ichtsordnung oder der militärischen Disziplin abträglich sind. So heißt es beispielsweise im Zusammenhang mit einem Untersu- 57 J. Hašek, Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk, Köln-Berlin, Kiepenheuer und Witsch, 1956, S. 353/Osudy dobrého vojáka Švejka za světové války, Praha, Československý Spisovatel, 1987, Bd. 3/4, S. 188. '7 F. Kafka, Der Prozeß, op.cit., S. 160. sind, das sie der eindeutigen Definition, die die Grundlage eine» jeden diskursiven Aktantenmodells bildet, entzieht. An der Unmöglichkeit einer solchen Definition scheitert auch der Diskunt eines Oberleutnant Lukasch, der vergeblich versucht, seinen Diener Schwejk eindeutig zu bestimmen: "Schwejk, Rindvieh, halten Sie's Maul! Entweder sind Sie ein raffinierter Nichtsnutz, oder Sie sind ein Kamel und ein ungeschickter Idiot. Aber ich sage Ihnen, mit mir spielen Sie nicht!" ("Švejku, dobytku, himl-laudon, držte hubu! Buď jste takový rafinovaný ničema, nebo jste takový velbloud a blboun nejapný. Jste samý příklad, ale povídám vám, se mnou si nehrajte.")68 Und doch spielt Schwejk: nicht nur mit seinem Oberleutnant, sondern mit allen seinen Vorgesetzten, mit den Gcrichtsärzten ebenso wie mit den Richtern und Offizieren. Es gelingt nieman-dem, ihn zu demaskieren, ihn als raffinierten Schurken oder nix harmlosen Trottel zu entlarven und erzählerisch zu erfassen; er i.sl eben beides zugleich - unentwirrbar. Ähnliches ließe sich nun von den Schloß- und Gerichtsbeani ten in Kafkas Romanen sagen: Auch sie sind undefinierbar. Dii Schloßbehörde und das Gericht erscheinen als zugleich moralisch und unmoralisch, ernst und komisch, erhaben und grotesk, unbestechlich und korrupt etc. Daher scheitern alle Versuche K. 's im ScWo/J-Roman und Josef K.'s im Prozeß-Roman, die Beamten, das Gericht und die Schloßverwaltung eindeutig zu bestimmen, Vielleicht ist dies der Grund, weshalb der höchste Beamte oder einer der höchsten Beamten in Das Schloß "Klamm" heißt. Karel Kosík mag recht haben, wenn er bemerkt, daß dieser Name da« tschechische Wort "klam" (Täuschung) konnotiert, das Kafka, dor Tschechisch konnte, gekannt haben dürfte.69 Tatsächlich erscheint der Schloßbeamte Klamm in Kafka» Roman als unfaßbarer Proteus, dessen wahres Wesen - und dien ist das eigentliche Paradoxon - noch veränderlicher ist als das Go» rücht von ihm: "Aber über Klamm sprechen wir manchmal, ich habe Klamm noch nicht gesehen (...), aber natürlich ist sein 68 J. Hašek, Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk, op.cit., S. lASIOsudy dobré* ho vojáka Švejka, op.cit., Bd. 1/2, S. 244. 69 Siehe: K. Kosík, "Hašek a Kafka", op.cit., S. 24. Aussehen im Dorf bekannt, einzelne haben ihn gesehen, alle von Ihm gehört, und es hat sich aus dem Augenschein, aus Gerüchten lind auch manchen fälschenden Nebenansichten ein Bild Klamms Umgebildet, das wohl in den Grundzügen stimmt. Aber nur in den i Imndzügen. Sonst ist es veränderlich und vielleicht nicht einmal «i veränderlich wie Klamms wirkliches Aussehen."70 Einige leiten weiter werden Klamms Identität und Identifizierbarkeit in I rnge gestellt: "Mit Klamm spricht er, aber ist es Klamm? Ist es Rieht eher jemand, der Klamm ein wenig ähnlich ist?"71 An dienet Täuschung, die als Maske mit der Ambivalenz verknüpft ist, >n heitern alle Versuche des Subjekts, die vieldeutige Wirklichkeit nilional zu beherrschen und erzählbar zu machen. Allerdings wird die Subjektproblematik bei Kafka und Hasek von zwei verschiedenen — jedoch komplementären - Gesichtspunkten aus dargestellt: Während sich in Kafkas Romanen der Angeklagte und der Landvermesser verzweifelt bemühen, die Mehrdeutigkeit aufzulösen und sich als rationale Subjekte zu leehlfcrtigen und zu behaupten, erfüllt der Protagonist von Haseks Roman eine ganz andere Funktion: Im Gegensatz zu Josef K. will PI nicht die widersprüchliche Wirklichkeit beherrschen oder ntional erklären, sondern macht sich deren Paradoxien und Antinomien zunutze, um sich den autoritär-monologischen Definitionen des Beamtenapparats subversiv zu entziehen. Bei Hasek sind i'. die Behörden, die ideologischen Instanzen, die vergeblich vei suchen, die Ambivalenz des braven Soldaten aufzulösen und Ihm seine Masken vom Gesicht zu reißen. Wie bei Kafka vertu i)',cn sich jedoch hinter der Maske nur weitere Masken, niemals |U wahre Gesicht, und Schwejk erscheint auch am Ende des Romans als der raffinierte Dummkopf mit dem naiven Gesichts-iiusiliuck. Auch von ihm ließe sich sagen, was Jacques Derrida von i imgen Protagonisten Kafkas und von dem "Gesetz" sagt, nämlich il.iH sie kein Wesen haben: "Es (das Gesetz) entzieht sich dem Wesen des Seins, das die Präsenz wäre. Seine 'Wahrheit' ist die Nicht-Wahrheit, von der Heidegger sagt, daß sie die Wahrheit der 'O P. Kafka, Das Schloß, op.cit., S. 150/151. 'I Ibid., S. 155. 120 121 Wahrheit ist."72 Kurzum: in den von der extremen Ambivalenz geprägten Diskursen der Jahrhundertwende erscheint die metaphy« sische Suche nach einer eindeutig bestimmbaren Wahrheit als eini Naivität, an der nur manichäisch denkende Ideologen festhaltei können. Hašeks und Kafkas Werke sind insofern komplementär, als ii beiden vergeblich versucht wird, eine maskierte Wirklichkell transparent zu machen. Während aber in Kafkas Romanen dci Held auszieht, um den Schleier zu lüften und die Wirklichkeit zi erkennen, sind es bei Hašek die Behörden und Beamten, die siel stets von neuem bemühen, den (Anti-)Helden eindeutig zu definieren. Dabei bedienen sie sich — ähnlich wie der Rationalist Josef K. — verschiedener Erklärungsschemata, die zumeist ideologischen Charakter haben, d.h. eine dualistische Struktur aufweisen, in der ein Held einem Widersacher opponiert. Gleich zu Beginn von Hašeks Roman unternimmt der Geheim« polizist Bretschncider alles, um seine Umgebung zu ideologisieren und Schwejk im Rahmen eines dualistischen Aktantenmodells (Greimas) zu einem verantwortlichen und strafbaren Subjekt zu machen: "BreLschneider sagte ihm jedoch, er habe sich einer Reihe strafbarer Handlungen schuldig gemacht, unter denen auch das Verbrechen des Hochverrats eine Rolle spiele."(Bretschneider mu však řekl, že se skutečně dopustil několika trestných činů, mezi kterými hraje roli i zločin velezrady.")73 Zugleich wird der Wirt Palivec verhaftet, weil er in seinem eigenen Lokal Zum Kelch wahrheitsgemäß behauptet hatte, "daß die Fliegen auf unseren Kaiser (d.h. auf ein Bild von ihm, das in der Gastwirtschaft gehangen hatte, P.V.Z.) geschissen haben." ("... že sraly mouchy na císaře pána.")74 Der ideologische Diskurs, den Bretschneider und andere Ziviloder Militärbeamte bei Hašek sprechen, kann als monologisches und manichäisches Schema keine Zweideutigkeiten, keine grotes- 72 J. Derrida, "Préjugés", in: Spiegel und Gleichnis. Festschrift ßr Jacob Taubes (Hrsg. N.W. Bolz, W. Hübner), Würzburg, Königshausen und Neumann, 1983, S. 356. 73 J. Hašek, Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk, op.cit., S. 18/Osudy dobrého vojáka Švejka, op.cit., Bd. 1/2, S. 24. 74 Ibid., S. 19/S. 25. 122 kin Einfälle, keine karnevalistischen Szenen dulden: Die Vorstellung, daß Fliegen auf das Bildnis Seiner Majestät scheißen könnten, ist verboten, darf nicht zum Gesprächsthema werden, Ibcnsowenig wie Schwejks marktgängiges Argument, daß nicht lohn, sondern zwölf Trauerfahnen auf Konopischt, wo der ermordete Erzherzog Ferdinand gewohnt hatte, hängen sollten: "Damit's llne runde Zahl gibt. Aufs Dutzend rechnet sich's besser, und im I )iitzend kommt auch alles billiger (...)." ("Aby to šlo do počtu, do luctu, to se dá lepší počítat a na tucty to vždycky přijde la-i nicjc ...".)75 Die offizielle Ideologie wehrt sich nicht nur gegen die Ambivalenz und alle mit ihr liierten karnevalistischen Gedanken, sondern auch gegen die Marktgesetze, die widersprüchliche Werte (etwa Trauer und Geld) miteinander verknüpfen und dadurch zur Wertindifferenz tendieren. Während Hašeks Roman komisch und grotesk ist, weil der I leid die herrschenden Ideologien der Behörden durch karnevali-Nlische und respektlose Assoziationen unterläuft, sind Kafkas Romane tragisch, weil ihre Protagonisten die rationalistische Ideologie, zu der sich auch die Beamten pro forma bekennen, einst nehmen und deshalb nach Eindeutigkeit, Klarheit und Wahrheit streben. Ein solches Streben ist tragisch, wenn es scheitert, während Schwejks Versuche, den ideologischen Monolog karne-valistisch zu zersetzen, beim Leser komisch wirken: vor allem dort, wo Schwejk den ideologischen Diskurs parodiert, ad absurdum führt. Parodiert wird dieser Diskurs zugleich von Hašeks Erzähler, der an zahlreichen Stellen so stark übertreibt, daß der ideologische lirnst lächerlich wirkt - oder aber er vermischt die feierliche Rhetorik der Machthaber mit grotesken Elementen und diskreditiert die Ideologie: "Und dann folgte noch die Predigt, dieser großartige Jux. Feldkurat Otto Katz war ein reizender Mensch. Seine Predigten waren ungewöhnlich fesselnd, spaßig, erquickend in der Langeweile des Garnisonsarrestes. Er verstand es, so schön von der unendlichen Gnade Gottes zu faseln und, wenn er schon sehr betrunken war, neue Gebete und eine neue Messe zu ersinnen, seinen eigenen Ritus, etwas noch nie Dagewesenes." ("Potom 75 Ibid., S. 16/S. 18. 123 ještě to kázání, ta zábava a legrace. Polní kurát Otto Katz byl přece jen roztomilý člověk. Jeho kázání byla neobyčejně poutavá, legrační, osvěžující tu nudu garnizónu. Uměl tak krásně žvanit o neskonalé milosti boží, sílit zpustlé vězně a muže zneuctěné. Uměl tak krásně vynadat z kazatelny i od oltáře. Uměl tak báječně řvát u oltáře své 'Ite missa esť, celé bohoslužby provést originelním způsobem a přeházet celý pořádek mše svaté, vymys- I lit si, když už byl hodně opilý, úplně nové modlitby a novou mši svatou, svůj ritus, něco, co zde ještě nebylo.")76 So wird diel Messe zu einem avantgardistischen Happening. Im Gegensatz dazu ist Kafkas Erzähler - ähnlich wie sein 1 Held - Rationalist und Tragiker; auch er reagiert, um es mit Theodor Adorno und Karin Keller zu sagen, "im Geiste der Aufklärung auf deren Rückschlag in Mythologie."77 Er möchte Ord- i nung ins Chaos bringen und bemüht sich trotz Ambivalenz, Wi- I dersprüchlichkeit und Unentscheidbarkeit, die Kohärenz der Er-1 zählung zu wahren: Im Prozeß-Roman läßt er Josef K. vergeblich nach dem verborgenen Sinn der Parabel fahnden, die der Geistliche im Dom erzählt; im ScWo/?-Roman wird die Beantwortung der Frage, ob K. jemals von der Schloßbehörde akzeptiert wird, endlos verschoben: "'So bleibt dann das Ergebnis', sagte K, 'daß alles sehr unklar und unlösbar ist, bis auf den Hinauswurf'. 'Wer wollte wagen, Sie hinauszuwerfen, Herr Landvermesser?' sagte der Vorsteher."78 Kurzum: alles ist unklar, und eine endgültige Antwort bleibt aus; es bleiben nur die widersprüchlichen Mutmaßungen des Helden und die langen Exkurse des Erzählers. Solche Exkurse spielen auch in Hašeks Roman eine wichtige Rolle; sie dienen jedoch nicht dem Aufklärungs- und Wahrheitsprinzip, dem Kafkas Erzähler huldigt, sondern gehorchen der destruktiven Absicht der Satire, die von Beamten und Behörden verteidigte Ordnung zu stören, die Kommunikation als Mittel der Handlung unbrauchbar zu machen. Schwejk beantwortet die j 70 77 78 Ibid., S. 75/S. 104. Th.W. Adorno, "Aufzeichnungen zu Kafka", in: ders., Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft, Frankfurt, Suhrkamp, 1955, 1976, S. 337. Siehe auch K. Keller, Gesellschaft in mythischem Bann. Studien zum Roman "Das Schloß" und anderen Werken Franz Kafkas, Wiesbaden, Athenaion, 1977, S. 85-110. F. Kafka, Das Schloß, op.cit., S. 64. 124 fragen seiner Vorgesetzten mit endlosen Anekdoten, die ins Abseits führen und die Vorgesetzten an der Beherrschbarkeit der Welt verzweifeln lassen. Während eines Verhörs notiert der Schriftführer sogar die Adresse eines fiktiven oder wirklichen Herrn Boschetech, der in Schwejks Anekdote vorkommt: "Der Schriftführer verstand nichts von Schwejks Erzählung und war der Meinung, daß der Angeklagte die Adresse seines Mitschuldigen iingab; deshalb fragte er nochmals: 'Ist das genau Prag Nr. 16, Josef Boschetech?' (...) Der Major trat zum Schriftführer und llüsterte ihm etwas zu, worauf dieser in den Akten die Adresse des neuen vermeintlichen Verschwörers strich." ("Zapisovatel, který více česky nerozuměl, pochopil, že obžalovaný udává iidresu svého spoluviníka, a proto se ještě jednou otázal: "Ist das Henau, Prag, No. 16, Josef Božetěch?' (...) Major přistoupil k zapisovateli a šeptal si s ním, ten potom ve spisech přeškrtával adresu nového domělého spiklence Božetěcha.")79 In einer Hinsicht sind die Erklärungen Schwejks den Erklärungen der Beamten in Kafkas Werk vergleichbar: Sie tragen nicht zur Klärung der 1 ,age bei, sondern steigern nur die Verwirrung. In beiden Fällen wird der lineare Erzählerdiskurs in Frage gestellt, der in den Romanen des 18. und 19. Jahrhunderts psychische Zustände der Protagonisten, Handlungen und Ereignisse kausal miteinander verknüpfte. Sowohl der fragmentarische Proze/3-Roman als auch I lašeks Schwejk setzen sich aus locker aneinandergereihten Episoden zusammen, für die nichts weniger gilt als die von Tzvetan Todorov im Zusammenhang mit dem psychologischen Roman formulierte These: "Le trait de caractěre est la cause de l'action." ("Der Charakterzug ist Ursache der Handlung.")80 Nicht nur die kausale Struktur zerfällt im modernen Roman, auch die tragikomische Dyade, die Cervantes ins Leben rief, scheint sich in der Moderne aufzulösen: Zwar erscheint in Hašeks Roman Sancho Pansa in der Tradition der Offiziersdiener, und Schwejk wird indirekt mit diesem pikaresken Helden der spani- J. Hašek, Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk, op.cit., S. 406-401/Osudy dobrého vojáka Švejka, op.cit., Bd. 2/3, S. 285-286. T. Todorov, "La Lecture comme construction", in: Poétique Nr. 24, 1975, S. 421. 125 sehen Literatur verglichen81, es fehlt jedoch die tragische Gestalt des Don Quijote, die nicht mit dem völlig unritterlich wirkenden Oberleutnant Lukasch zu vergleichen ist. Don Quijote kämpft bei Kafka bis an sein tragisches Ende gegen eine anonyme Bürokratie, während Haseks Schwejk es als zeitgemäßer Sancho Pansa versteht, sich dem Zugriff herrschender Ideologien zu entziehen. Jeder von ihnen geht seinen eigenen Weg; beide aber führen dem Leser das Scheitern der Subjektivität vor Augen: der eine, weil er die opake Wirklichkeit nicht zu erhellen, nicht rational zu bewältigen vermag, der andere, weil er sich mit der Ambivalenz identifiziert und alle Versuche zunichte macht, ihn als sprechendes und handelndes Subjekt ideologisch zu definieren. Während Ambivalenz bei Kafka ein wesentlicher Aspekt der Kulturkrise (der Krise der Werte und der Subjektivität) ist, ist sie bei Hasek ein Instrument der Kritik und der Satire. Auch deshalb ergänzen die beiden Romanwerke einander: Sie zeigen, daß Kritik und Krise nicht zu trennen sind. Unzertrennlich sind sie übrigens auch in Kafkas Text miteinander verwachsen, wo die Ambivalenz der Figuren, Aussagen und Handlungen nicht nur als das Symptom einer unüberwindlichen Krise zu deuten ist, sondern auch als kritisches Instrument, das Josef K.'s rationalistisches Streben nach Eindeutigkeit ironisch relativiert. Man denke etwa an K.'s Versuche, die vieldeutige Parabel Vor dem Gesetz auf eine Bedeutung festzulegen, und an die Kritik des Geistlichen, die K.'s naive Hermeneutik in Frage stellt: "Die Schrift ist unveränderlich und die Meinungen sind oft nur ein Ausdruck der Verzweiflung darüber."82 An dieser Verzweiflung hat auch Josef K. teil, dessen Worte und Taten vom Erzähler ironisch kommentiert werden. Kritik und Krise hängen auch deshalb eng zusammen, weil Kritik immer dann laut wird, wenn ein Wertsystem sich in der Krise befindet und die Subjektivität seiner Akteure in Frage gestellt wird. Zu diesen Akteuren gehören sowohl bei Kafka als auch bei Hasek die Beamten, die die zusammenbrechende Welt- i Ordnung deshalb nicht retten können, weil sie selbst an der hier skizzierten karnevalistischen Ambivalenz teilhaben. Ihre Subjektivität wird durch die Krise des Wertsystems, in dem sie sich konstituiert, ausgehöhlt und fällt der Kritik, der Satire zum Opfer. So heißt es beispielsweise in Hašeks Vorarbeiten zum Schwejk-Itoman vom Gefängniswärter Reinelt, dieser habe die Gewohnheit gehabt, "den Gefangenen Bier und Zigaretten zu schicken, und zwar für ihr eigenes Geld und in folgendem Verhältnis: Geld für zwei Liter - ein Liter für den Gefangenen, ein Liter für Reinelt." ("... Vězňům posílal pivo a cigarety, a to za jejich peníze, a to asi v tom poměru: Peníze na dva litry - litr pro arestanta, litr pro Reinelta.")83 Zu ähnlichen vertrauensbildenden Maßnahmen kommt es auch in Kafkas fVoze/J-Roman, wo die Angeklagten versuchen, die Beamten auf alle möglichen Arten zu bestechen; und Kafkas Beamte sind bestechlich oder scheinen zumindest bestechlich zu sein. Vielleicht trügt aber der Schein: denn in einer vieldeutigen Welt kann man sich auch nicht ohne weiteres auf den Erfolg eines Bestechungsversuchs verlassen; in einer solchen Welt herrscht Willkür. Von den Gerichtsbeamten heißt es im Prozeß: "Dann aber einmal, überraschenderweise ohne besonderen Grund, lassen sie sich durch einen kleinen Scherz, den man nur deshalb wagt, weil alles aussichtslos scheint, zum Lachen bringen und sind versöhnt. Es sei eben gleichzeitig schwer und leicht, sich mit ihnen zu verhalten, Grundsätze dafür gibt es kaum."84 Ähnlich reagieren die Beamten bei Hašek: ganz unerwartet sprechen sie den Angeklagten frei oder überhäufen ihn gar mit Lob wie der hohe Offizier, den Schwejk während eines Latrinenbesuchs vorschriftsmäßig grüßt. In einer Zeit des Umbruchs, in der das Wertsystem einer Kultur durch Krieg, Nationalitätenkonflikte, sprachliche Antagonismen (Tschechisch-Deutsch), rivalisierende Ideologien und wachsende Kommerzialisierung immer häufiger in Frage gestellt wird, gelten die alten Grundsätze nicht mehr, und der Zufall ist 82 Siehe: J. Hašek, Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk, op.cit., S. 109/Osudy dobrého vojáka Švejka, op.cit., Bd. 1/2, S. 192. F. Kafka, Der Prozeß, op.cit., S. 158. in J. Hašek, Švejk před Švejkem. Neznámé osudy dobrého vojáka Švejka, Praha, Práce, 1983, S. 265. BI ľ. Kafka, Der Prozeß, op.cit., S. 90. 126 127 König. In einer solchen Zeit erscheinen die Subjekte bei Kafka und Hašek als Opfer eines anonymen, von Zufall und Willkür beherrschten Mechanismus. Anonym ist dieser Mechanismus deshalb, weil er von keinem obersten Wert zusammengehalten wird. Kafkas Schloß ist möglicherweise leer; jedenfalls ist es ebenso undefinierbar wie das Gesetz im Praze/3-Roman; und diese Leerstelle zeugt vom Tode Gottes (Nietzsche), den Hašek im grotesken und karnevalistischen Kontext seines Romans kommentiert, wenn er feststellt, daß die von den Gefangenen des Garnisonsgefängnisses begehrten Zigarettenkippen die Stelle Gottes eingenommen haben: "Der Gottesdienst und die Predigten waren eine hübsche Unterbrechung der Langeweile des Garnisonsarrestes. Es ging nicht darum, Gott nahe zu kommen, sondern um die Hoffnung, auf den Gängen und auf dem Weg über den Hof einen Zigaretten- oder Zigarrenstummel zu finden. Gott wurde vollkommen von einem kleinen Stummel verdrängt, der sich hoffnungslos in einen Spucknapf oder irgendwo auf dem Boden in den Staub verirrt hatte." ("Služby boží a kázání byly pěkným vytržením z nudy garnizónu. Nejednalo se o to, že jsou blíže bohu, ale že po cestě je naděje najiti na chodbách a cestou přez dvůr kousek odhozené cigarety nebo doutníku. Boha úplně zastrčil do ústraní malý špaček válející se beznadějně v plivátku nebo někde na zemi v prachu.")85 Angesichts dieser karnevalistischen "Umkehrung aller Werte" ist es nicht verwunderlich, daß sowohl in der Welt Kafkas als auch in der Hašeks Absurdität und Willkür herrschen: "Er pflegte das Anklagematcrial zu verlieren und war gezwungen, neues zu ersinnen." ("Ztrácel obžalovací materiál a byl nucen vymýšlet si nový.")86 Dieser Satz aus Hašeks Roman könnte auch in Kafkas Der Prozeß stehen, wo Gerichtsbeamte ohne erkennbaren Grund ihre Ansichten ändern und wo gesagt wird: "Das Verfahren ist nämlich im allgemeinen nicht nur vor der Öffentlichkeit geheim, sondern auch vor dem Angeklagten."87 Kopflos ist das von beiden Autoren beschriebene System, 85 J. Hašek, Die Abenteuer des braven Soldaten Sehwejk, op.cit., S. 75/Osudy dobrého vojáka Švejka, op.cit., Bd. 1/2, S. 104. 86 Ibid., S. 79/S. 112. 87 F. Kafka, Der Prozeß, op.cit., S. 86. kopflos und unverantwortlich sind die in ihren Romanen agierenden Beamten. Ihre Orientierungslosigkeit ist zugleich die der beiden Helden Josef K. und Josef Sehwejk, von denen der eine Versucht, den anonymen Apparat zu beherrschen, während der lindere sich ihm mit Erfolg entzieht. Sein Erfolg zeugt - ebenso wie das Scheitern des Aufklärers K. - vom Zusammenbruch des herrschenden Wertsystems und vom Triumph der Ambivalenz. Deren Bedeutung in den Dramen Wildes und Hofmannsthals läßt vermuten, daß sie ein sozio-linguistisches Phänomen der europäischen Jahrhundertwende ist und verschiedene gesellschaftliche und sprachliche Situationen kennzeichnet. Insofern wurden in diesem Kapitel nicht nur die Dramen Wildes und Hofmanns-llials sowie die Romane Kafkas und Haseks typologisch aufeinander bezogen, sondern es wurden auch indirekt zwei literarische (iattungen miteinander verglichen, die mit der Atrophie der dramatischen Handlung und der narrativen Syntax auf die Krisen der Jahrhundertwende reagieren. 128 129