Hermann Broch Hofmannsthal und seine Zeit (1947/48) 3. Ethische Kunst Mit aller Notwendigkeit ist die Absolut-Satire dort erstmalig voll in Erscheinung getreten, wo das Maximum des europäischen Wert-Vakuums erreicht worden ist, also in Österreich. In Wien war Karl Kraus aufgewachsen, ein Altersgenosse Hofmannsthals, und in Wien, oder richtiger gegen Wien, hat er fünfunddreißig Jahre hindurch mit rastloser Angriffslust sein satirisches Werk vollbracht; man hat ihm darum vielfach für einen Lokalsatiriker gehalten, aber was er geschaffen hat, war die allgemeingültige Absolut-Satire, war das prophetische Bild der Welt-Apokalypse, enthüllt an den österreichischen „Mißständen“. Denn selbst wenn man diese spezifisch österreichische Korruption hätte gutheißen wollen(...)es waren Mittel, welche zwar eine österreichische Färbung hatten, in Wahrheit jedoch Symptome der Epoche waren und infolgedessen nicht nur das Ende Österreichs, sondern darüber hinaus das der ganzen Epoche anzeigten: es ging nicht mehr um die Brüchigkeit Österreichs, es ging um die Weltbrüchigkeit... Kraus nahm es an sich, das Unheilsgeflecht Masche um Masche, Geringfügigkeit um Geringfügigkeit, Lächerlichkeit um Lächerlichkeit aufzulösen und das Böse darin nachzuweisen. Er erkannte, daß der Kitsch weit über das Gebiet der Kunst und des Kunstgewerbes hinausreichte, daß des Kitsches Verlogenheit und Bösheit in allen Lebensgebieten vorhanden ist, in den sozialen Konvenüs wie in den Berufsstrukturen, in der Justiz wie in den sogenannten politischen Überzeugungen – der Kitsch, eine allverseuchende Phraseologie Infektion, ihr Herd aber die Tagespresse, da sie all dieses Un-leben spiegelt und es zugleich stets auf neu mit ihren Phrasen nährt. Also in der Tagespresse sichtbar, ja mit ihr identisch, müssen in ihr des Bösheits-Geflechtes Geringfügigkeiten satirisch gepacht und „zum Sprechen gebracht“ werden, und just das wurde die – niemals noch vorher geübte – Methode des Krausschen Vernichtungs-Hohnes, wurde seine Absolut-Satire... Karl Kraus Die letzten Tage der Menschheit (1915/21) 1. Akt 1. Szene Ein Wiener (hält von einer Bank eine Ansprache): – denn wir mußten die Manen des ermordeten Thronfolgers befolgen, da hats keine Spompanadeln geben – darum, Mitbürger, sage ich auch – wie ein Mann wollen wir uns mit fliehenden Fahnen an das Vaterland anschließen in dera großen Zeit! Sind wir doch umgerungen von lauter Feinden! Mir führn einen heilinger Verteilungskrieg führn mir! Also bitte – schaun Sie auf unsere Braven, die was dem Feind jetzt ihnere Stirne bieten, ungeachtet, schaun S' wie s' da draußen stehn vor dem Feind, weil sie das Vaterland rufen tut, und dementsprechend trotzen s' der Unbildung jeglicher Witterung – draußen stehn s', da schaun S' Ihner s' an! Und darum sage ich auch – es ist die Pflicht eines jedermann, der ein Mitbürger sein will, stantape Schulter an Schulter sein Scherflein beizutrageen. Dementsprechend!-Da heißt es, sich ein Beispiel nehmen, jawoohl! Und darum sage ich auch – ein jeder von euch soll zusammenstehn wie ein Mann! Daß sie 's nur hören die Feind, es ist ein heilinger Verteilungskrieg was mir führn! Wiar ein Phönix stema da, den s' nicht durchbrechen wern, dementsprechend – mir san mir und Österreich wird auferstehn wie ein Phallanx ausm Weltbrand sag ich! Die Sache für die wir ausgezogen wurden, ist eine gerechte, da gibts keine Würschteln, und darum sage ich auch, Serbien – muß sterbien! Stimmen aus der Menge: Bravo! So ist es! – Serbien muß sterbien! – Ob's da wüll oder net! – Hoch! – A jeder muß sterbien! Einer aus der Menge: Und a jeder Ruß – Ein Anderer (brüllend): – ein Genuß! Ein Dritter: An Stuß! (Gelächter.) Ein Vierter: An Schuß! Alle: So is! An Schuß! Bravo! Der Zweite: Und a jeder Franzos? Der Dritte: A Roß! (Gelächter.) Der Vierte: An Stoß! Alle: Bravo! An Stoß! So is! Der Dritte: Und a jeder Tritt – na, jeder Britt!? Der Vierte: An Tritt! Alle. Sehr guat! An Britt für jeden Tritt! Bravo! Ein Bettelbub: Gott strafe England! Stimmen: Er strafe es! Nieda mit England! Ein Mädchen: Der Poldl hat mir das Beuschl von an Serben versprochen! Ich hab das hineingeben in die Reichspost! Eine Stimme: Hoch Reichspost! Unser christliches Tagblaad! Ein anderes Mädchen: Bitte, ich habs auch hineingeben, mir will der Ferdl die Nierndln von an Russn mitbringen! Die Menge: Her darmit! Ein Wachmann: Bitte links, bitte links. Ein Intellektueller (zu seiner Freundin): Hier könnte man, wenn noch Zeit wär, sich in die Volksseele vertiefen, wieviel Uhr is? Heut steht im Leitartikel, daß eine Lust is zu leben. Glänzend wie er sagt, der Glanz antiker Größe durchleuchtet unsere Zeit. Die Freundin: Jetzt is halber. Die Mama hat gesagt, wenn ich später wie halber zuhaus komm, krieg ichs. Der Intellektuelle: Aber geh bleib. Schau dir bittich das Volk an, wie es gärt. Paß auf auf den Aufschwung! Die Freundin: Wo? Der Intellektuelle: Ich mein' seelisch, wie sie sich geläutert haben die Leut, im Leitartikel steht doch, lauter Helden sind. Wer hätte das für möglich gehalten, wie sich die Zeiten geändert haben und wir mit ihnen. (Ein Fiaker hält vor einem Hause.) Der Fahrgast: Was bekommen Sie? Der Fiaker: Euer Gnaden wissen eh. Der Fahrgast: Ich weiß es nicht. Was bekommen Sie? Der Fiaker: No was halt die Tax is. Der Fahrgast – Was ist die Tax? Der Fiaker: No was S' halt den andern gebn. Der Fahrgast: Können Sie wechseln? (Reicht ihm ein Zehnkronenstück in Gold.) Der Fiaker: Wechseln, wos? Dös nimm i net als a ganzer, dös könnt franzeisches Göld sein! Ein Hausmeister (nähert sich): Wos? A Franzos? Ahdaschaurija. Am End gar ein Spion, dem wer mrs zagn! Von woher kummt er denn? Der Fiaker: Von der Ostbahn! Der Hausmeister: Aha, aus Petersburg! Die Menge (die sich um den Wagen gesammelt bat): A Spion! A Spion! (Der Fahrgast ist im Durchhaus verschwunden.) Der Fiaker (nachrufend): A so a notiger Beitel vardächtiga! Die Menge: Loßts'n gehn! Mochts kane Reprassalien, dös ghört si nett! Mir san net aso! Ein Amerikaner vom Roten Kreuz (zu einem andern): Look at the people how enthusiastic they are! Die Menge: zwa Engländer! Reden S' deutsch! Gott strafe England! Hauts es! Mir san in Wean! (Die Amerikaner flüchten in ein Durchhaus.) Loßts es gehn! Mir san net aso! Ein Türke (zu einem andern): Regardez l'enthousiasme de tout le monde! Die Menge: Zwa Franzosen! Reden S' deutsch! Hauts es! Mir san in Wean! (Die Tärken flüchten in das Durchhaus.) Loßts es gehn! Mir san net aso! Dös war ja türkisch! Sechts denn net, die ham ja an Fez! Dös san Bundesgenossen! Holts es ein und singts den Prinz Eugen! (Zwei Chinesen treten schweigend auf.) Die Menge: Japaner san do! Japaner san a no in Wean! Aufhängen sollt ma die Bagasch bei ihnare Zöpf! Einer: Loßts es gehn! Dös san ja Kineser! Zweiter: Bist selber a Kineser! Der Erste: 'leicht du! Dritter: Alle Kineser san Japaner! Vierter: San Sö vielleicht a Japaner? Dritter: Na. Vierter: Na olstern, aber a Kineser san S' do! (Gelächter.) Fünfter: Oba oba oba wos treibts denn, habts denn net in der Zeitung g'Iesen, schauts her, da stehts (er zieht ein Zeitungsblatt hervor) »Derartige Ausschreitungen des Patriatismus können in keener Weisee geduldeet werden und sind überdies geeigneet, den Fremdenverkehr zu schädigeen«. Wo soll sich denn da nacher ein Fremdenverkehr entwickeln, wo denn, no olstern! Sechster: Bravo! Recht hot er! Der Fremdenverkehr, wann mr eahm hebn wolln, das is schwer, das is net aso – Siebenter: Halts Maul! Krieg is Krieg und wann einer amerikanisch daherredt oder türkisch oder so – Achter: So is. Jetzt is Krieg und da gibts keine Würschtel! (Eine Dame mit leichtem Anflug von Schnurrbart ist aufgetreten.) Die Menge: Ah do schauts her! Das kennt ma schon, ein verkleideter Spion! Varhaften! Einspirn stantape! Ein Besonnener: Aber meine Herren – bedenken Sie – sie hätte sich doch rasieren lassen! Einer aus der Menge: Wer? Der Besonnene: Wenn sie ein Spion wäre. Ein Zweiter aus der Menge: Drauf hat er vergessen! So hat er sich gfangt! Rufe: Wer? – Er! – No sie! Ein Dritter: Das is eben die List von denen Spionen! Ein Vierter: Damit mrs net mirkt, daß Spionen san, lassen s' ihnern Bart stehn! Ein Fünfter: Redts net so dalkert daher, das is ein weiblicher Spion und damit mrs net mirkt, hat s' an Bart aufpappt! Ein sechster: Das is ein weiblicher Spion, was sich für ein Mannsbild ausgeben tut! Ein Siebenter: Nein, das is ein Mannsbild, was sich für ein weiblichen Spion ausgeben tut! Die Menge: Jedenfalls ein Vardächtiger, der auf die Wachstubn ghört! Packts eahm! (Die Dame wird von einem Wachmann abgeführt. Man hört die »Wacht am Rhein« singen.) 19. Szene Kriegsfürsorgeamt. Hugo v. Hofmannsthal (blickt in eine Zeitung): Ah, ein offener Brief an mich? – Das is lieb vom Bahr, daß er in dieser grauslichen Zeit nicht auf mich vergessen hat! (Er liest vor.) »Gruß an Hofmannsthal. Ich weiß nur, daß Sie in Waffen sind, lieber Hugo, doch niemand kann mir sagen, wo. So will ich Ihnen durch die Zeitung schreiben. Vielleicht weht's der liebe Wind an Ihr Wachtfeuer und grüßt Sie schön von mit –« (Er bricht die Vorlesung ab.) Ein Zyniker: No – lies nur weiter! Schön schreibt er der Bahr! Hofmannsthal (zerknüllt die Zeitung): Der Bahr is doch grauslich – Der Zyniker: Was hast denn? (Nimmt die Zeitung und liest bruchstückweise vor) »Jeder Deutsche, daheim oder im Feld, trägt jetzt die Uniform. Das ist das ungeheure Glück dieses Augenblicks. Mög es uns Gott erhalten! – Es ist der alte Weg, den schon das Nibelungenlied ging, und Minnesang und Meistersang, unsere Mystik und unser deutsches Barock, Klopstock und Herder, Goethe und Schiller, Kant und Fichte, Bach, Beethoven, Wagner. – Glückauf, lieber Leutnant –« Hofmannsthal: Hör auf! Der Zyniker (liest): »Ich weiß, Sie sind froh. Sie fühlen das Glück, dabei zu sein. Es gibt kein größeres.« Hofmannsthal: Du, wenn du jetzt nicht aufhörst – Der Zyniker (liest): »Und das wollen wir uns jetzt merken für alle Zeit: es gilt, dabei zu sein. Und wollen dafür sorgen, daß wir hinfort immer etwas haben sollen, wobei man sein kann. Dann wären wir am Ziel des deutschen Wegs, und Minnesang und Meistersang, Herr Walter von der Vogelweide und Hans Sachs, Eckhart und Tauler, Mystik und Barock, Klopstock und Herder, Goethe und Schiller, Kant und Fichte, Beethoven und Wagner wären dann erfüllt. –« Wie hängen denn die mit dir zusammen? Ah, er meint vielleicht, daß sie enthoben sind. »Und das hat unserem armen Geschlecht der große Gott beschert!« Gott sei Dank! – (liest) »Nun müßt ihr aber doch bald in Warschau sein!« Hofmannsthal: Aufhören!! Der Zyniker: »Da gehen Sie nur gleich auf unser Konsulat und fragen nach, ob der österreichisch-ungarische Generalkonsul noch dort ist: Leopold Andrian.« (Er bekommt einen Lachkrampf.) Hofmannsthal: Was lachst denn? Der Zyniker: Der is wahrscheinlich nach Kriegsausbruch in Warschau geblieben, um den einziehenden Truppen das Paßvisum auszustellen – das is ja im Krieg unerläßlich – sonst können s' nicht nach Rußland! (liest) »Und wenn ihr so vergnügt beisammen seid, und während draußen die Trommeln schlagen, der Poldi durchs Zimmer stapft und mit seiner heißen dunklen Stimme Baudelaire deklamiert, vergeßt mich nicht, ich denk an euch! Es geht euch ja so gut – » Hofmannsthal: Hör auf! Der Zyniker: »– und es muß einem ja da doch auch schrecklich viel einfallen, nicht? –« Was dem alles einfallt! Hofmannsthal: Laß mich in Ruh! Der Zyniker: Du kommst doch sowieso bald nach Warschau? Auf Propaganda, mein' ich oder so. Wirst wieder deinen Hindenburg-Vortrag halten? Hofmannsthal: Ich sag dir, laß mich in Ruh – Der Zyniker: Du, eine Kälten hats heut wieder – ich muß doch läuten, daß er das Wachtfeuer nachlegen kommt. Hofmannsthal: Also das is eine Gemeinheit – du – pflanz wen andern, laß mich arbeiten! (Der Poldi tritt ein.) Der Poldi (heiße, dunkle Stimme): Gu'n Tog, du Hugerl weißt nix vom Bohr? (Hofmannsthal hält sich die Ohren zu.) Der Zyniker: Habe die Ehre, Herr Baron, Sie kommen wie gerufen. Der Poldi: Du Hugerl is wohr daß der Bohr in dem Johr noch nicht do wor oder is er gor eingrückt? Der Zyniker: Was, der auch? Hofmannsthal: Du der Mensch is zu grauslich – komm, gehn wir da hinein – Der Poldi: Du Hugerl, der Baudelaire is ganz gscheidt, ich trog dir ein poor Sochen vor. Hofmannsthal: Und ich zeig dir meinen Prinz Eugen! Der Poldi: Wunderbor! (Verwandlung.) Prinz Eugen der edle Ritter (Volkslied) (1719) Prinz Eugen der edle Ritter, wollt dem Kaiser wied'rum kriegen Stadt und Festung Belgerad! Er ließ schlagen eine Brukken, daß man kunt hinüberrucken mit der Armee vor die Stadt. Als die Brucken nun war geschlagen, daß man kunnt mit Stuck und Wagen Frei passir'n den Donaufluß, Bei Semlin schlug man das Lager, Alle Türken zu verjagen, Ihn'n zum Spott und zum Verdruß. Karl Kraus Hugo v. Hofmannsthal Daß du in Warschau eingezogen, das hat dir der Bahr nur vorgelogen. Denn als du dann nach Warschau gekommen, war Warschau längst von anderen genommen. Um Warschaus Widerstand wieder zu brechen, beschlossest du Schulter an Schulter zu sprechen. Und als dann erschien, was du Warschau gesagt, hat sich Warschau über den Druck beklagt. Derselbe Schwarzgelblicher Haltung blutlosen Trophä´n galt, als es galt, seine tapfere Wahl. Es schlug eine Brucken zum Prinz Eugen der edle Ritter von Hofmannsthal. 2. Akt 4. Szene Standort des Hauptquartiers. Eine Straße. Ein Journalist und ein alter General treten auf. Der Journalist: Sind Exellenz vielleicht in der Lage, mir einige Andeutungen über die momentane Situation zu machen? Der General (nach einigem Nachdenken): Wir gedenken – in Liebe – unserer Lieben – in der Heimat – die uns – mit Liebesgaben – bedenken – und unserer – in Treue – gedenken. Der Journalist: Aufrichtigen Dank, Exellenz, ich werde nicht verfehlen, diese bedeutsame Äußerung eines unserer glorreichen Heerführer sofort – (Beide ab.) (Ein anderer Journalist und ein anderer alter General treten auf.) Der Journalist: Sind Exellenz vielleicht in der Lage, mir über den Verlauf der jetzigen Begebenheit Authentisches, soweit es irn Rahmen der gebotenen Rücksichten möglich ist, für das Blatt zur Verfügung zu stellen? Der General: I waß nix – i hob nur g'hört – daß jetzt – die Preißen kummen – die Preißen – nacher – alstern nacher – gehts uns wieder – schlecht – diese – diese – verflixten Preißen – Der Journalist: Intressant. Wissen Exellenz vielleicht etwas über das uns besonders am Herzen liegende Schicksal der dritten reitenden Artilleriebrigade? Der General: Die – ritte – dreitende – rati – tatita – ti – titeriti – Der Journalist: Vielen Dank, Exellenz, ich werde nicht verfehlen, diese hochbedeutsame Kundgebung eines unserer siegreichen Feldherrn – (Beide ab.) (Verwandlung.) 13. Szene Florianigasse. Hofrat i. P. Dlauhobetzky v. Dlauhobetz und Hofrat i. P. Tibetanzl treten auf. Dlauhobetzky v. Dlauhobetz: Bin neugierig, ob morgen in der Mittagszeitung – du, das is mein Lieblingsblatt – ob morgen also mein Gedicht erscheint, gestern hab ich ihr's eingschickt. Willst es hören? Wart – (Zieht ein Papier hervor.) Tibetanzl: Hast wieder ein Gedicht gemacht? Worauf denn? Dlauhobetzky v. Dlauhobetz: Wirst gleich merken, worauf. Wanderers Schlachtlied. Das is nämlich statt Wanderers Nachtlied, verstehst – Über allen Gipfeln ist Ruh, Über allen Wipfeln spürest du Kaum einen Hauch – Tibetanzl: Aber du – das is klassisch – das is ja von mir! Dlauhobetzky v. Dlauhobetz: Was? Von dir? Das ist klassisch, das is von Goethe! Aber paß auf, wirst gleich den Unterschied merken. Jetzt muß ich noch einmal anfangen. Also über allen Gipfeln ist Ruh. Über allen Wipfeln spürest du Kaum einen Hauch. Der Hindenburg schlafet im Walde, Warte nur balde Fällt Warschau auch. Ist das nicht klassisch, alles paßt ganz genau, ich hab nur statt Vöglein Hindenburg gesetzt und dann also natürlich den Schluß auf Warschau. Wenn's erscheint, laß ich mir das nicht nehmen, ich schick's dem Hindenburg, ich bin ein spezieller Verehrer von ihm. Tibetanzl: Du, das is klassisch. Gestern hab ich nämlich ganz dasselbe Gedicht gemacht. Ich habs der Muskete einschicken wollen, aber – Dlauhobetzky v. Dlauhobetz: Du hast dasselbe Gedicht gemacht? Gehst denn nicht – Tibetanzl: Ich hab aber viel mehr wie du verändert. Es heißt: Beim Bäcken. Über allen Kipfeln ist Ruh, Beim Weißbäcken spürest du Kaum einen Rauch. Dlauhobetzky v. Dlauhobetz: Das is ja ganz anders, das is mehr gspassig! Tibetanzl: Die Bäcker schlafen im Walde Warte nur balde Hast nix im Bauch. Dlauhobetzky v. Dlauhobetz: Du, das is förmlich Gedankenübertragung! Tibetanzl: Ja, aber jetzt hab ich mich umsonst geplagt. Jetzt muß ich warten, ob deins erscheint. Wenn deins erscheint, kann ich meins nicht der Muskete schicken. Sonst glaubt man am End, ich hab dich paradiert! (Beide ab.) (Verwandlung.) 4. Akt 32.Szene Kragujevac, Militärgericht. Der Oberleutnant-Auditor (hinausrufend): Solln sich aufhängen! (zum Schriftführer) Sind die drei Todesurteile ins Reine geschrieben? Die über die drei Burschen aus Karlova mein ich, die Gewehre gehabt haben. Der Schriftführer: Jawohl, aber (zögernd) da – möchte ich auf einen Umstand aufmerksam machen, da – hab ich die Entdeckung gemacht – daß sie erst achtzehn Jahre alt sind – Der Oberleutnant-Auditor: Nun und? Was wollen Sie damit sagen? Der Schriftführer: Ja – da dürfen sie aber – nach dem Militärstrafgesetz nicht hingerichtet werden – da muß das Urteil – auf schweren Kerker abgeändert werden – Der Oberleutnant-Auditor: Geben S' her! (Er liest.) Hm. Da wern wir nicht das Urteil, sondern das Alter abändern. Es sind sowieso stattliche Burschen (Er taucht die Feder ein.) Da schreiben wir halt statt achtzehn einundzwanzig. (Er schreibt.) So, jetzt kann man sie ruhig aufhängen. (Verwandlung.) V. Akt 55. Szene Die Raben: Immer waren unsre Nahrung die hier, die um Ehre starben. Aber eure Herzenspaarung macht, daß Raben nimmer darben. Wir, die wir uns nie bewarben, Nahrung haben wir erworben. Ihr nicht, wir nicht dürfen darben, euch und uns sind sie verdorben. Ihr und wir vom Siege schnarren, wenn die Opfer sich vermehren, weil im Reiche rings die Narren eurem, unsrem Ruf nicht wehren. Waren Generale Raben, schnarrts von Phrasen dort im Saale. Draußen sind sie unbegraben, da sind Raben Generale! Dürft getrost die Schlacht verlieren, wir und ihr in keinem Falle müssen uns vor uns genieren, Kriegsgewinner sind wir alle! Ja wir sind noch sehr lebendig, wir sind beide noch die Alten, und wir freuen uns unbändig, diese Kriegszeit durchzuhalten. Während ihr zum Fraß vereinigt, brauchen wir nicht zu entbehren. Hunger hat uns nie gepeinigt, seit wir folgen euren Heeren. Hunger würd' uns nimmer munden, und wir stürben an der Schande, und wir sind euch sehr verbunden, daß wir nicht im Hinterlande. Dort ist wahre Not, die Greise und die Kinder dort verderben, weil hier auf die andre Weise uns zum Trost die Männer sterben. Eure Schlachtbank läßt nie darben ihre angestellten Kunden. Raben haben, seit sie starben, immer Nahrung noch gefunden. (Die Erscheinung verschwindet.) Karl Kraus An den Schnittlauch O gutes Grün, wie sprichst du mich zärtlich an, Wie heilig schweigst du von dem Geheimnisse. Du letzter Schmuck der armen Mutter, Die ihren Schoß mit der Söhne Blut färbt. Daß du zugleich bist und daß mit dir zugleich Der Wille lebt, an dem eine Menschheit stirbt – Ach, irdisch Unmaß! und dir wird nicht Fahler die Farbe, du grüne Hoffnung. O letztes Leben und wie das Leben auch Verkannt, du Anbot wahrster Bescheidenheit, Du selbstgenügsam stille Pflanze, Die nur wie Schnittlauch schmeckt und duftet. Nach etwas suchend, welches kein andres ist, Im Kreis des Lebens, das im Ersatz sich lebt, Bloß deine gute Gabe sah ich, Chemischem Zauber unerreichbar. Daß gleichwohl, grüne Freundschaft, du eßbar seist, Wenn auf dem Teller treu du dich hingestreut – Es rührt noch von dem alten Hunger. Stets hat der Mensch von der Seele gegessen.