Ingeborg Bachmann Alle Tage Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern fortgesetzt. Das Unerhörte ist alltäglich geworden. Der Held bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache ist in die Feuerzonen gerückt. Die Uniform des Tages ist die Geduld, die Auszeichnung der armselige Stern der Hoffnung über dem Herzen. Er wird verliehen, wenn nichts mehr geschieht, wenn das Trommelfeuer verstummt, wenn der Feind unsichtbar geworden ist und der Schatten ewiger Rüstung den Himmel bedeckt. Er wird verliehen für die Flucht von den Fahnen, für die Tapferkeit vor dem Freund, für den Verrat unwürdiger Geheimnisse und die Nichtachtung jeglichen Befehls. Herbstmanöver Ich sage nicht: das war gestern. Mit wertlosem Sommergeld in den Taschen liegen wir wieder auf der Spreu des Hohns, im Herbstmanöver der Zeit. Und der Fluchtweg nach Süden kommt uns nicht, wie den Vögeln, zustatten. Vorüber, am Abend, ziehen Fischkutter und Gondeln, und manchmal trifft mich ein Splitter traumsatten Marmors, wo ich verwundbar bin, durch Schönheit, im Aug. In den Zeitungen lese ich viel von der Kälte und ihren Folgen, von Törichten und Toten, von Vertriebenen, Mördern und Myriaden von Eisschollen, aber wenig, was mir behagt. Warum auch? Vor dem Bettler, der mittags kommt, schlag ich die Tür zu, denn es ist Frieden und man kann sich den Anblick ersparen, aber nicht im Regen das freudlose Sterben der Blätter. Laßt uns eine Reise tun! Laßt uns unter Zypressen oder auch unter Palmen oder in den Orangenhainen zu verbilligten Preisen Sonnenuntergänge sehen, die nicht ihresgleichen haben! Laßt uns die unbeantworteten Briefe an das Gestern vergessen! Die Zeit tut Wunder. Kommt sie uns aber unrecht, mit dem Pochen der Schuld: wir sind nicht zu Hause. Im Keller des Herzens, schlaflos, find ich mich wieder auf der Spreu des Hohns, im Herbstmanöver der Zeit. Früher Mittag Still grünt die Linde im eröffneten Sommer, weit aus den Städten gerückt, flirrt der mattglänzende Tagmond. Schon ist Mittag, schon regt sich im Brunnen der Strahl, schon hebt sich unter den Scherben des Märchenvogels geschundener Flügel, und die vom Steinwurf entstellte Hand sinkt uns erwachende Korn. Wo Deutschlands Himmel die Erde schwärzt, sucht sein enthaupteter Engel ein Grab für den Haß und reicht dir die Schüssel des Herzens. Eine Handvoll Schmerz verliert sich über den Hügel. Sieben Jahre später fällt es dir wieder ein, am Brunnen vor dem Tore, blick nicht zu tief hinein, die Augen gehen dir über. Siben Jahre später, in einem Totenhaus, trinken die Henker von gestern den goldenen Becher aus. Die Augen täten dir sinken. Schon ist Mittag in der Asche krümmt sich das Eisen, auf den Dorn ist die Fahne gehißt, und auf den Felsen uralten Traums bleibt fortan der Adler geschmiedet. Nur die Hoffnung kauert erblindet im Licht. Lös ihr Fessel. führ sie die Halde herab, leg ihr die Hand auf das Aug, daß sie kein Schatten sersengt! Wo Deutschlands Erde den Himmel schwärzt, sucht die Wolke nach Worten und füllt den Krater mit Schweigen, eh sie der Sommer im schütteren Regen vernimmt. Das Unsägliche geht, leise gesagt, übers Land: schon ist Mittag. Holz und Späne Von den Hornissen will ich schweigen, denn sie sind leicht zu erkennen. Auch die laufenden Revolutionen sind nicht gefährlich. Der Tod im Gefolge des Lärms ist beschlossen von jeher. Doch vor den Eintagsfliegen und den Frauen nimm dich in acht, vor den Sonntagsjägern, den Kosmetikern, den Unentschiedenen, Wohlmeinenden, von keiner Verachtung getroffnen. Aus den Wäldern trugen wir Reisig und Stämme, und die Sonne ging uns lange nicht auf. Berauscht vom Papier am Fließband, erkenn ich die Zweige nicht wieder, noch das Moos, in dunkleren Tinten gegoren, noch das Wort, in die Rinden geschnitten, wahr und vermessen. Blätterverschleiß, Spruchbänder, schwarze Plakate . . . Bei Tag und bei Nacht bebt, unter diesen und jenen Sternen, die Maschine des Glaubens. Aber ins Holz, solang es noch grün ist, und mit der Galle, solang sie noch bitter ist, bin ich zu schreiben gewillt, was im Anfang war! Seht zu, daß ihr wachbleibt! Der Spur der Späne, die flogen, folgt der Hornisschwarm, und am Brunnen sträubt sich der Lockung, die uns einst schwächte, das Haar. Paul Celan Ich hörte sagen Ich hörte sagen, es sei im Wasser ein Stein und ein Kreis und über dem Wasser ein Wort, das den Kreis um den Stein legt. Ich sah meine Pappel hinabgehn zum Wasser, ich sah, wie ihr Arm hinuntergriff in die Tiefe, ich sah ihre Wurzeln gen Himmel um Nach flehn. Ich eilt ihr nicht nach, ich las nur vom Boden auf jene Krume, die deines Auges Gestalt hat und Adel, ich nahm dir die Kette der Sprüche vom Hals und säumte mit ihr den Tisch, wo die Krume nun lag. Und sah meine Pappel nicht mehr. Leuchten Schweigenen Leibes Liegst du im Sand neben mir, Übersternte. ............... Brach sich ein Strahl herüber zu mir? Oder war es der Stab, den man brach über uns, der so leuchtet? Mit Äxten spielend Sieben Stunden der Nacht, sieben Jahre des Wachens: mit Äxten spielend, liegst du im Schatten aufgerichteter Leichen - o Bäume, die du nicht fällst! -, zu Häupten den Prunk des Verschwiegnen, den Bettel der Worte zu Füssen, liegst du und spielst mit den Äxten – und endlich blinkst du wie sie. Sprich auch du Sprich auch du, sprich als letzter, sag deinen Spruch. Sprich – Doch scheide das Nein nicht vom Ja. Gib deinem Spruch auch den Sinn: gib ihm den Schatten. Gib ihm Schatten genug, gib ihm so viel, als du um dich verteilt weißt zwischen Mittnacht und Mittag und Mittnacht. Blicke umher: sieh, wie's lebendig wird rings – Beim Tode! Lebendig! Wahr spricht, wer Schatten spricht. Nun aber schrumpft der Ort, wo du stehst: Wohin jetzt, Schattenentblößter, wohin? Steige. Taste empor. Dünner wirst du, unkenntlicher, feiner! Feiner: ein Faden, an dem er herabwill, der Stern: um unten zu schwimmen, unten, wo er sich schimmern sieht: in der Dünung wandernder Worte.