-Ar HVVrc ERSTER AKT DRAMATIS PERSONAE hannele gottwald .... — . Lehrer Schwester Martha Diakonissin tulpe hedwig pleschke I hanke seidel.......... berger......... schmidt........ doktor wachler Armenhäusler ' Waldarbeiter Amtsvorsteher Amtsdiener Es erscheinen dem Hannele im Fiebertraum: Der Maurer Mattern, ihr Vater. Eine Frauengestalt, ihre verstorbei . Mutter. Drei lichte Engel. Ein großer schwarzer Enge. Die Diakonissin. Der Dorfschneider. Gottwald und seine Schulkinder. Die Armenhäusler Pleschke, Hanke ur,J ; andere. Seidel. Vier weißgekleidete Jünglinge. Ein Frem- i der. Viele kleine und große lichte Engel. Leidtragende, Frauen usw. * KM *'*: Eis Zimmer im Armenbause eines Gebirgsdorfes: Kahle Wände, eine ^ Tut in der Mitte, ein kleines gucklochartiges Fenster links. Vor dem •\. • •in wackliger Tisch mit Bank. Rechts eine Bettstelle mit Stroh-'"' smJi. An der Hinterwand ein Ofen mit Bank und eine zweite Bettstelle, ^ /Unfalls mit einem Strohsack und einigen Lumpen darüber. — Es ist eine stürm::!.! Dezembernacht. Am Tisch, beim Scheine eines Talglichtes, sus tivevi Gesangbuch singend, sitzt Tulpe, ein altes, verlumptes Bettelweib. '■ .ingt: Ach bleib mit deiner Gnade bei uns, Herr Jesu Christ, daß uns hinfort nicht... Hein ig, genannt Hete, eine liederliche Frauensperson von etwa dreißig Jibrtn, mit Ponylocken, tritt ein. Sie hat ein dickes Tuch um den Kopf m:d ein Bündel unterm Arm; sonst ist sie leicht und ärmlich gekleidet. HETF, in die Hände blasend, ohne das Bündel unterm Arm wegzulegen: Ei Jesses, Jesses! is das a Wetter! Sie läßt das Bündel auf den Tisch gleiten, bläst sich fortgesetzt in die hohlen Hände und tritt abwechselnd mit einem ihrer zerrissenen Schuhe auf den andern: Aso toll haben mersch schonn viele Jahre nich gehabt. TULPE: Was bringst'n mit ? HETE fletscht die Zähne und wimmert im Schmerz, nimmt Platz auf der Ofenbank und müht sich, die Schuhe auszuziehen: O jemersch, jemersch, meine Zehen! Das brennt -wie Feuer. TCLPE hat das Bündel aufgeknotet; ein Brot, ein Päckchen Zichorie, ein Tütchen Kjffee, einige Paar Strümpfe usw. liegen offen: Da wird woll 1er mich ooch a bissei -was abfalPn. HETE, die, mit dem Ausziehen der Schuhe beschäftigt, nicht auf Tulpe 'geachtet bat, stürzt nun wie ein Geier über die Gegenstände und rafft ,«> zusammen: Tulpe! — Den einen Fuß nackt, den andern noch im Schub, humpelt sie mit den Sachen nach dem Bett an der Hinterwani^ Ich wer 'ne Meile loofen, gelt ? Und wer m'r die Knochen ■'■ im Leibe erfrieren, damit Ihr und kennt's Euch sacken, gelt? tulpe: Oh, halt deine Gusche, alte Schalaster! An dem bissei Gelumpe vergreif ich mich nich - sie steht auf, klappt ■ i das Buch %u un^ wischt es sorgfältig an ihren Kleidern ab —, was i du dir da hast zusammengebettelt. ■ hete, die Sachen unter den Strohsack packend: Wer hat ock im | Leben mehr gefochten, ich oder Ihr ? Ihr habt doch im I Leben nischt andersch getan, aso alt wie Ihr seid: das! weeß doch a jedes. tulpe: Du hast noch ganz andre Dinge getrieben. Der Herr I Paster hat dir die Meenung gesagt. Wie ich a jung Mädel I war wie du; ich hab freilich andersch uf mich gehalten».1 hete: Dad'rner habt Ihr ooch im Zuchthause gesessen. • tulpe: Und du kannst neinkommen, wenn de sonst willst! Ich brauch bloß amal a Schandarm zu treffen. Dem wer ich amal a Talglicht uffstecken. Mach du dich bloß mausig, Mädel, ich sag dirsch! hete: Da schickt a Schandarm ock gleich mit zu mir, da wer ich'n gleich was mit erzählen. 1 tulpe: Erzähl du meinswegen, was du willst. 1 hete: Wer hat denn a Paleto gestohlen? Hä? Vom Gastwirt Richter sein'n kleenen Jungen? Tulpe tut, als ob sie nach Bete spuckte. Tulpe! verpucht! - nu gerade r:-!-. tulpe: Vor mir! ich will von dir nischt Geschenkt". u hete: Ja, weil Ihr nischt krigt. Pleschke und Hanke sind von dem Sturm, welcher mit einem wütendem Stoß soeben wider das Haus fuhr, förmlich in den Flur hineir.gtn'orft« > worden. Pleschke, ein alter, kröpf halsiger, halb kindischer Kerl in Lumpen, bricht darüber in lautes Lachen aus. Hanke, ein junget Liedrian und Nichtstuer, flucht. Beide schütteln, durch die c'Tent TSr sichtbar, auf den Steinen des Flurs den Schnee von ihren Mützen und Kleidern, feder trägt ein Bündel. %: IJLESCHKE: O Hagel! o Hagel I das schmeißt ja wie Teifel'; i die alte Kaluppe von Armenhaus, die wird's woll amal '.'bei Gelegenheit, ja ... bei Gelegenheit, ja, zusammen- IJ reißen. I/eie besinnt sich angesichts der beiden, holt die Sachen wie-*$ j derum unter dem Strohsack hervor und läuft an den Männer/s vorüber <^-» 4 biiwis und eine Treppe hinauf. f ÜltESCHKE, hinter Heien dreinsprechend: Was lauf/t'n du... \kufstfn du fort? Mir tun der nischt ... tun der nischt. j Geltj;Hanke? Gelt? / STOLPE, °m Ofen mit einem Kartoffeltopf beschäftigt: Das Frau-volk is nich gescheit im Koppe. Die denkt, mir wern 'r \ 'ne Sache wegnehmen. jleschke, eintretend: O Jes, Jes! Ihr Leute! Nu da... da _ i heert's auf. Gu'nabend... Gu'näbend ja. Teifel, Teifel! A Wetter is draußen ... a Wetter is draußen I Der Länge *• " i"lang, ja....■ der Länge lang, ja —<:bin ich hingeschlagen — $ *: aso lang wie ich bin. Er ist xiit geknickten Beinen bis %um ä. * Tische gehinkt. Hier legt er sein Bündel und wendet den wackligen ]p Kopf mit den weißen Haaren und triefigen Augen %u Tulpe herum. jir • \ Dabei schnappt er noch ifnmer vor Anstrengung nach Luft, hustet und JR "^ßtaebt Bewegungen, um sich %it erwärmen. Indessen ist Hanke auch wFtyiv Zimmer gelangt. Einen Bettelsack hat er neben die Tür gestellt |jr und sogleich begonnen, vor Frost bebend, trocknes Reisig in den Ofen 6 ; V-topfen. / 5 ,4dlpe: Wo kommst'n her ? \. .'bLESCHKE: Ich ? Ich ? Wo ich herkomme ? Gar - gar von ? "f weit her. 's Oberdorf hab ich ... hab ich abgeloofen. ■^X'LPE: Bringsre «was mit? ..JSPtESCHKE: Ja, ja, scheene Sachen. Scheene Sachen hab ich. *3[ Beim Kanter kricht ich ... kricht ich 'n Finfer, ja, und oben beim Gastwirt... oben beim Gastwirt kricht ich... kricht ich 'n Topp voll, ja flippe /rieht ich. 'n Topp voll... Topp voll ■*"^tl?2: Ich wern glei ufisetzen. Gib amal her. Sie ?iebt * b Top/aus dem Bündel, set^t ihn auf den Tisch und wühlt weiter. $ f * / 165 den KB 9 "33 ™ esLi pleschke: A Ende Wurscht, ja, is ooch... ooch dabei. Der Fleescher ... der Seipelt-Fleescher hat mhsch... hat' mirsch gegeben. * tulpe: Wieviel bringst'n Geld mitte ? / '.) pleschke: Drei Beehrnen, ja... drei Beehmen sind's,,gloob ich. tulpe: Na gib ock her. Ich wer dersch uffheben. hete, wieder eintretend: Ihr seid scheen tumm, daß Ihr alles weggebt. Sie gebt Ofen. , tulpe: Bekimmer du dich um deine Sachen» ■■ hanke: A is doch der Breitgam. hete: O jemersch, jemersch! hanke: Da muß a doch ooch d'r Braut was mitbringen. Das liegt halt eemal so in a Verhältnissen. pleschke: Du kannst zum Narren haben... kannst zum ' Narren haben, wen de willst, ja. /. wen de willst, ja. An'fl S alten Mann... an'n alten Mann; den laß du zufriede. hete, die Sprechweise des alten pleschke nachäffend: Der alte < Pleschke ... der alte Pleschke ... der kann bald f*ar nich^ ... gar nich mehr labern. Der wird bald... wird bald gar gar gar gar gar kee Wort.".. Wort mehr raus ... rausbringen, ja. / pleschke, mit seinem Sßcken auf sie zugehend: Jetzt zieh aber | Leine... zieh aber/. Leine! hete: Vor wem denn, hä? pleschke: Jetzt zieh aber... Leine! tulpe: Immer gib 'r a Ding. pleschke: Je|zt zieh aber... Leine! Hanke: Laßt'ihr die Tummheet! t tulpe: Ihr gebt Ruhe! Hete benutzt hinter dem Rücken Hankts den Moßient, in welchem er, sie verteidigend, mit Pleschke %u tun bat, um ihn aus dem Bettelsack blitzschnell etwas herauszugreifen und da-mitfortzurennen. Tulpe, die es bemerkt hat, schüttelt sich vor Lachen. hanke: Da gibt's nischt zu lachen. ^ulpe, immer lachend: Nu da! nu da! da soll eens nich lachen. / . ' 166 pleschke: O Jeses, Jeses! sieh ock dernach! Tulpe : Sieh d'r ock deine Sachen an! Kann sein, se sein was -iwiiger geworn. hanke wendet sich, merkt, daß er gefoppt ist: Luder 1! — Er stürzt Hete nach. Wenn ich dich kriege! Man hört Trampeln, eine Treppe hinauf, fagen, unterdrücktes Schreien. pleschke: A Teifelsmädell A Teifelsmäde Tonarten.yafpe will sieb ebenfalls ausschütten voi bort mttndie Haustür heftig gehen. Das Lachen bei jffas is das.2 „ „.„............................ hannele: Lieber Gott, mir tut es so bitter weh. Gottwald : Wo tut dir's denn weh ? hannele: Ich hab solche Furcht. berger: Wer tut dir denn was? Wer? Nur raus mit der: Sprache! Ich versteh keine Silbe, liebes Kind. Das kann. mir nichts helfen. Hör mal auf mich, Mädel! Hat dich dein Stiefvater schlecht behandelt? Geschlagen, mein ich. Eingesperrt ? Aus demHause geworfen, so was, wie ? , — Du lieber Gott, ja... seidel: Das Mädchen ist schweigsam. Das soll schonn ■ schlimm kommen, eh die ein Wort sagt. Die is, möcht man sprechen, stumm wie ein Lamm. berger: Ich möchte nur was Bestimmtes wissen. Vielleicht kann ich doch den Kerl nun mal fassen. GÖTTWÄLd: Sie hat unsinnige Angst vor dem Menschen. seidel : Das is doch nischtNeues mehr mit dem Kerle. Das weeß, mecht ma sprechen ... das weeß doch a jed's... Da kenn Se doch fragen, wen Se wollen. Mich wundert bloß, daß das Mädel noch lebt. Man sollte denken, 's war gar nicht meeglich. berger: Was hat er denn mit ihr angestellt? Seidel : Nu halt aso allerhand, mecht man sprechen. Um neune abends jagt'r se naus -und wenn's so a Wetter war wie heute, da sollt se an Fimfbeehmer mit nach Hause bringen. —Na, was denn sonste, halt zum Versaufen. Wo soll Ihn das Mädel an Fimfbeehmer hernehmen? Da blieb se halt halbe Nächte im Freien. Denn wenn se kam und brachte keen Geld ... de Leute sind Ihn zusammen-geloofen, so hat se geschrien, geprillt, mecht man sprechen. Gottwald : An der Mutter hatte sie noch 'n Rückhalt. berger: Ich werde den Kerl jedenfalls gleich einstecken. Er steht ja schon längst auf der Säuferliste. Nu komm mal, Mädel, sieh mich mal an! hannele, flehentlich: Ach bitte, bitte, bitte, bitte! Seidel: Aus der wern Se woll aso leichte nischt rauskrie-- gen. GOTTWALD, mild: Hannele! Hannele: Ja. GOttwald: Kennst du mich? hannele: Ja. Gottwald: Wer bin ich denn? hannele : Der - Herr Lehrer - Gottwald. GOTTWALD: Schön. Na siehst du. Ich mein es doch immer gut mit dir. Nu kannst du mir auch mal gleich erzäh-lca... Du warst doch unten am Schmiedeteich. Weshalb bist du denn nicht zu Hause geblieben? Nu? Warum nicht? hannele: Ich fürchte mich so. berger: Wir werden uns ganz beiseite stellen. Sag's nur dem I lerrn Schullehrer ganz allein! hannele, scheu und geheimnisvoll: Es hat gerufen. GorrwALD: Wer hat gerufen ? hannele : Der liebe Herr Jesus. ipOTTWALD: Wo hat dich der liebe Herr Jesus gerufen? ■hannele: Im Wasser. gottwald: Wo ? 'hannele: Nu unten - im Wasser. .berger xieht sich, seinen Entschluß ändernd, den Überrock an: Hier muß vor allen Dingen der Doktor her. Ich denke, er wird ■ noch im Schwerte sitzen. ...fjjjj -Jll i -i - , 4. :.,J| -■ - . 4 172 173 (iE lift gottwald: Ich hatte auch gleich zu den Schwestern geschickt. Das Kind muß unbedingt Pflege erhalten. \berger: Ich gehe und sage dem Doktor Bescheid. z« x Schmidt: Sie bringen mir mal den Wachtmeister ran. Ich \ 'warte im Schwert. Gutnacht, Herr Gottwald. Wir wollen ; den Kerl gleich heute noch aufheben. Ab mit Schmidt. Hannele schläft ein. ( seidel, nach einer Pause: A wird sich hitten und wird den 1 einsperren. gottwald: Warum denn nicht ? ' seidel: Delr weeß schonn,.warum. Wer hat denn das Kind in die Welt gesetzt ? gottwald: Ach, Seidel, das ist ja bloßes Gerede. Seidel: Na wissen Se: der Mann hat Ihn gelebt. gottwald: Was Ilgen die Leute nicht alles zusammen! Da kann man doch liich mal die Hälfte glauben. - Wenn nur der Doktor bald kommen wollte! seidel,/«'«.- Ich gloohe, das Mädel steht nich mehr uff. Doktor Wachler tritt eiti%ein etwa vierunddreißigjähriger, ernster ij. Mann. ' \ | doktor wachler : Güt'nabend. gottwald: Gut'nabend. \ seidel, beim Pelzausziehen behilßieh: Gu'nabend, Herr Dok- terl \ doktor wachler wärmt am Ofen seinhHände: Noch ein Licht 1 möcht ich haben. Im Hinterzimmer '»>ird ein Leierkasten gedreht. Die scheinen da drüben verrüdä^zu sein. seidel, schon an der geöffneten Tür des Hitüer\immers: Ihr sollt -~ euch a bissel'ruhig verhalten! Der Lärm schweigt, Seidel vtr-',-' schwindet im Hinterszimmer. % doktor wachler: Herr Gottwald ? nicht .wahr ? gottwald: Ich heiße Gottwald. \ doktor wachler: Sie bat sich ertränken wollen, hör ic... gottwald: Sie hat sich wohl keinen Rat mehr gewußt. Kleine Pause. \ doktor wachler, ans Bett tretend, beobachtend: Sie spricht wohl im Schlaf? ■■■hannele: Millionen Sternchen. Doktor Wachler und Gottwald beobachten. Mondschein fällt durchs Fenster und beleuchtet die Gruppe. Was ziehst du an meinen Knochen? Au, au! Es tut mir in der Seele weh. doktor wachler lockert ihr vorsichtig das Hemd am Halse: Der ganze Leib scheint mit Striemen bedeckt. " seidel: So lag Ihn die Mutter ooch im Sarge. . . doktor wachler: Erbärmlich! Erbärmlich! hannele, mit verändertem, störrischem Ton: Ich mag nicht. Ich mag nicht. Ich geh nicht zu Hause. Ich muß — zu der •9; flfc >' Frau Holle - in den Brunnen gehn. Laß mich doch, Va-* 4L ■ ter. Pfui, wie das stinkt! Du hast wieder Branntwein ge-. trunken. Horch, wie der Wald rauscht! Heute morgen hat ein Windbaum auf den Bergen gelegen. Wenn nur kein Feuer ausbricht! — Wenn der Schneider keinen Stein in der Tasche und kein Bügeleisen in der Hand hat, fegt ihn der Sturm über alle Berge. Horch! es stürmt! Die Diakonissin, Schwester Martha, kommt. &ottwald: Guten Abend, Schwester! schwester martha nickt. Coitrvald tritt rj«r Diakonissin, die alles !j«r Pflege bereit macht, und spricht mit ihr im Hintergrund. hannele: Wo ist meine Mutter? Im Himmel? Ach! ach, so weit! - Sie schlägt die Augen auf, blickt fremd um sich, fährt mit der Hand über die Augen und spricht kaum hörbar: Wo — bin ich - denn ? '■ tor wachler, über sie gebeugt: Bei guten Menschen. H \s nele : Mich dürstet. doktor wachler: Wasser! Seidel, der ein ^weites Licht gebracht bat,geht, Wasser z« holen. Hast du irgendwo Schmerzen? handele schüttelt den Kopf. doktor wachler. Nicht? Na sieh mal an: da ist es ja gar nicht so schlimm mit uns. hannele: Sind Sie der Doktor ? it 174 175 mm doktor wachler: Gewiß. hannele : Da bin ich - wohl krank ? doktor wachler: Ein bißchen,, nicht sehr. hannele: Wollen Sie mich gesund machen ? doktor wachler, schnell untersuchend: Tut es hier'weh? Da? Schmerzt es hier ? Hier ? Hier ? Du brauchst mich gar nicht so ängstlich ansehn, ich tu dir nicht weh. Wie ist es hier ? Hast du Schmerzen hier ? gottwald tritt wieder ans Bett: Antworte dem Herrn Dok-, tor, Hannele! s hannele, mit inniger, bittender, in Tränen gitternder Stimme: Ach, lieber Herr Gottwald. gottwald: Jetzt paß nur auf, was der Doktor sagt, und . ■ antworte schön! ■ hannele schüttelt den Kopf. " gottwald: Warum denn nicht ? hannele: Weil... weil... ich möchte so gern zu Muttern. gottwald streicht ergriffen'über ihr Haar: Na laß das nur gut'' sein. Kleine Pause. Der Doktor richtet sich auf, holt Atem und ist einen Monier.! lang ^ nachdenklich. Die Schwester Martha hat das zweite Licht vom Tisch ■ genommen und leuchtet damit. doktor wachler winkt Schwester Martha: Ach bitte, Schwester I Er tritt mit ihr an den Tisch und gibt ihr mit leiser Stimmt Verhaltungsmaßregeln. Göttwald nimmt nun seinen Hut und siebt • abwartend, Blicke bald auf Hannele, bald auf den Doktor und Mi" Diakonissin werfend. Doktor Wachler, das leise'Gespräch'mit dir • Schwester abschließend: Ich werde wohl noch mal wijder-kommen. Die Medikamente schicke ich übrigens. Zu Gottwald: Er soll arretiert sein, im Gasthaus zum Schwert. . Schwester martha: So hat man mir wenigstens eben gesagt. . doktor wachler %ieht seinen Pelz ^er- Zu Seidel: Sie kommea • wohl mit zur Apotheke! Der Doktorj Gottwald und Seidel grüßen die Schwester Martha im Abgehen leise. gottwald, angelegentlich: Wie denken Sie über den Zustand, Herr Doktor ? Alle drei ab. Die Diakonissin ist nun bei Hannele allein. Sie gießt Milch in ein Töpfchen. Währenddessen öffnet *• Hmnele die Augen und beobachtet sie. hannele: Kommst du vom Herr Jesus ? Schwester martha: Was sagtest du ? ■ hannele: Ob du vom Herr Jesus kommst? = :LTä wester Martha: Kennst du mich denn nicht mehr, Hannele ? Ich bin doch die Schwester Martha, nicht wahr ? Du warst doch bei uns, weißt du nicht mehr ? Wir haben miteinander gebetet und schöne Lieder gesungen. Nicht wahr ? hannele nickt freudig: Ach, schöne Lieder! • schwester martha: Nun will ich dich pflegen in Gottes Namen, bis du wieder gesund wirst. hannele: Ich mag nicht gesund werden. schwester martha, mit einem Milchtöpfchen bei ihr: Der Doktor sagt, du sollst etwas Milch nehmen, damit du wieder 2uKräften kommst. hannele weigert sich: Ich mag nicht gesund werden. schicester Martha : Du magst nicht gesund werden ? Nun, überleg dir's nur erst ein Weilchen I Komm, komm, ich will dir die Haare aufbinden. Sie tut es. hannele weint leise: Ich will nicht gesund werden. schwester martha: Warum denn nur nicht? hannele: Ich möchte so gern... ich möchte so gern in den Himmel kommen. schwester martha: Das steht nicht in unsrer Macht, gutes Kind. Da müssen wir warten, bis Gott uns abruft. Aber wenn du deine Sünden bereust... jM' .-. hannele, eifrig: Ach, Schwester! ich bereue so sehr. Schwester Martha: Und an den Herrn Jesus Christus glaubst... 176 177 hannele: Ich glaube an meinen Heiland so fest. schwester martha: Dann kannst du getrost und ruhig zuwarten. Ich rück dir jetzt deine Kissen zurecht, und du schläfst ein. hannele: Ich kann nicht schlafen. schwester martha: Versuch es nur! hannele: Schwester Martha 1 schwester martha: Nun ? hannele: Schwester Martha! gibt es Sünden... gibt esi Sünden, die nicht vergeben werden? schwester Martha: Jetzt schlafe nur, Hannele! Reg dich nicht auf! hannele: Ach, sagen Sie mir's, bitte, bitte recht schön! schwester Martha: Es gibt solche Sünden. Allerdings.' Die Sünden wider den Heiligen Geist. hannele: Wenn ich nun eine begangen habe... schwester martha: Ach wo 1 Das sind nur ganz schlimme Menschen. Wie Judas, der den Herrn Jesus verriet. :f hannele: Es kann doch aber... es kann doch sein. schwester Martha: Du mußt jetzt schlafen. ' hannele: Ich angst mich so. Schwester Martha : Das brauchst du durchaus nicht. ^ hannele: Wenn ich so eine Sünde begangen habe. ' schwester martha: Du hast keine solche Sünde begangen. < hannele klammert sieb an die Schwester und Starrtins Dunkle: Ach, Schwester, Schwester! p Schwester Martha: Sei du gan2 ruhig! hannele: Schwester! schwester martha: Was denn? hannele : Er wird gleich reinkommen. Hörst du nicht ? schwester martha: Ich höre gar nichts. hannele: Es ist seine Stimme. Draußen. Horch! schwester martha: Wen meinst du denn nur ? hannele: Der Vater, der Vater - dort steht er. Hartha: Wo denn? * hannele: SierVdoch! schwester martha: Wo ? hannele: Unten am Bjstt. schwester martha: Hier hängt ein Mantel und hier ein Hut. Wir wollen das garstige Zeug mal wegnehmen und rüber zum Vater Pleschke tragen. Ich bringe mir gleich etwas Wasser mit und mache dir einen kalten Umschlag. ' Willst du ein Augenbückchen allein bleiben ? Aber ganz, ganz ruhig und stille liegen! . hannele: Ach, bin ich dumm. Es war bloß ein Mantel, gelt ? und ein Hut i ? \ Schwester Martha: Aber ganz, ganz s':1' ' gleich wieder. Sie geht, muß aber umkehren, stockfinster ist. Ich stelle das Licht hier her S», .Vorf einmal liebevoll mit dem Finger drohend. nüiia^lL»««^^^'^--'......~ ' *' - Es ist fast ganz dunkel. Sogleich erscheint am Fußende von Hanneies Bett die Gestalt des Maurers Mattem.'Ein versoffenes, wüstes Gesicht, rote, struppige Haare, worauf eine abgetragene Militärmütze : he Schild sitzt. Sein Maurerhandwerkszeug trägt er in der Linken. Er bat einen Riemen u?n die rechte Hand geschlungen und verharrt die ganz' Zeit über in einer Spannung, wie wenn er im nächsten Augenblick auf Hannele losschlagen wollte. Von der Erscheinung geht ein fahles Licht aus, welches den Umkreis um Hanneies Bett erhellt. hannele bedeckt erschrocken ihre Augen mit den Händen, stöhnt, •;" ' windet sich und stößt leise wimmernde Laute aus. ■ die erscheinung; heisere, in höchster Wut gepreßte Stimme: Wo bleibst du ? Wo bist du gewesen, Mädel? Was hast du gemacht ? Ich wer dich lehren. Ich wer dirsch beweisen, paß amal uff. Was hast du zu a Leuten gesagt? Hab ich dich geschlagen und schlecht behandelt? Hä? Is das wahr ? Du bist ni mei Kind. Mach, daß du uffstehst! Du gehst mich nischt an. Ich kennte dich uff die Gasse SPS-. - schmeißen... Steh uff und mach Feuer i Wird's bald werden? Aus Gnade und Barmherzigkeit bist du im Hause. 4> I 178 179 [£5 HS» SSHB " SS ._i MB tHMPl mmm_SE Und als sie nun verlobet warn, da gingen sie zusammen in ein schneeweißes Federbett in einer dunklen Kammer. - Er hat einen schönen Backenbart. - Verzückt: Auf seinem Kopfe wächst blühender Klee! - Horch! er ruft mich. Hörst du nicht? schwester martha: Schlaf, Hannele, schlaf, es ruft nie-1 mand. hannele: Das war der Herr Jesus. - Horch! horch! jetzt, ruft er mich'wieder. Hannele! - ganz laut, Hannele!' ganz, ganz deutlich. Komm, geh mit mir 1 Schwester martha: Wenn Gott mich abruft, werd ich; bereit sein. 1 hannele, nun wieder vom Mond beschienen, reckt den Kopf, wie wenn \ sie säße Gerüche einsöge: Spürst du nichts, Schwester ? schwester martha: Hannele, nein. j hannele: Den Fliederduft ? In immer gesteigerter, seliger Ek-. stase: So hör doch! So hör doch! Was das bloß ist? Es wird wie aus weiter Ferne eine süße Stimme hörbar. Sind das die . Engel ? Hörst du denn nicht ? schwester Martha : Gewiß, ich hör's, aber weißt du was, du mußt dich nun still auf die Seite legen und ruhig schlafen bis morgen früh. hannele: Kannst du das auch singen? Schwester martha; Was denn, Kindchen ? hannele : Schlaf, Kindchen, schlaf! Schwester Martha: Willst du es gern hören? hannele legt sich zurück und streichelt die Hand der Schwester: 5i Mutterchen, sing mir's! Mutterchen, sing mir's! schwester martha löscht das Licht aus, beugt sich über das Bett und spricht mit leichter Andeutung der Melodie, während die ferne Musik "'} forttönt: Schlaf, Kindchen, schlaf! f Im Garten geht ein Schaf... (—W. ^SSSm nun siigt sie, und es wird ganz dunkel: im Garten geht ein Lämmelein auf dem grünen Dämmelein. Schlaf, Kindchen, schlaf! Ein Dämmerlicht erfüllt nun das ärmliche Gemach. Auf der Bett-kznic, nach vorn gebeugt, sich mit den bloßen, mageren Armen stützend, sitzt eine blasse, geisterhafte Frauengestalt. Sie ist barfuß; das weiße Haar hängt offen und lang an den Schläfen herab und fällt bis auf die Bettdecke. Das Gesicht ist abgehärmt, ausgemergelt; die in tiefe Höhlen gesunkenen Augen scheinen, obgleich fest geschlossen, auf das schlafende Hannele gerichtet. Ihre Stimme ist wie die einer Schlaf wachenden, monoton. Bevor sie ein Wort hervorbringt, bewegt sie, gleichsam vorbereitend, die Lippen. Mit einiger Anstrengung scheint sie die Laute aus der Tiefe ihrer Brust hervorzuholen. Vor der Zeit gealtert, hohlwangig, abgemagert und aufs dürftigste gekleidet. Frauengestalt : Hannele I hannele, ebenfalls mit geschlossenen Augen: Mutterchen, liebes Mutterchen, bist du's ? frauengestalt: Ja, ich habe die Füße unseres lieben Heilands mit meinen Tränen gewaschen und mit meinem Haupthaar getrocknet. hannele: Bringst du mir gute Botschaft? frauengestalt:. Ja. hannele: Kommst du von weit her? fraulngestalt: Hunderttausend Meilen weit durch die Nacht. hannele: Mutter, wie siehst du aus? Frauengestalt : Wie die Kinder der Welt. hannele: In deinem Gaumen wachsen Maiglöckchen. Deine Stimme tönt. frauengestalt: Es ist kein reiner Klang. HANN'Li.e: Mutter, liebe Mutter, wie glänzest du doch in deiner Schöne. FiiAUi-.ngestalt: Die Engel im Himmel sind viel hundertmal schöner. hannele: Warum bist du nicht auch so schön? frauengestalt: Ich litt Pein um dich. hannele: Mutterchen, bleibe bei mir! frauengestalt erhebt sich: Ich muß fort. hannele: Ist es schön, wo du bist? frauengestalt: Weite, weite Auem bewahrt vor dem Winde, geborgen vor Sturm und Hagelwettern in Gottes Hut. hanneleRuhst du aus, wenn du müde bist ? frauengestalt: Ja. hannele: Hast du Speise zu essen, wenn's dich hungert? frauengestalt: Ich stille meinen Hunger mit Frücr.rcn und Fleisch. Mich dürstet, und ich trinke goldnen Wein. Sie weicht zurück. hannele: Gehst du fort, Mutter ? frauengestalt: Gott ruft. , hannele: Ruft Gott laut ? Frauen Gestalt : Gott ruft laut nach mir. hannele: Das ganze Herz ist mir verbrannt, Mutter! frauengestalt: Gott wird es mit Rosen und Lilien küh- .' len. hannele: Wird Gott mich erlösen? frauengestalt: Kennst du die Blume, die ich in der Hand hab? hannele: Himmelsschlüssel. frauengestalt legt sie in Hanneies Hand: Du sollst sie behal-1 ten, als Gottes Pfand, lebe wohl I hannele: Mutterchen, bleibe bei mir! frauengestalt weicht zurück: Uber ein kleines wirst du mich nicht sehen, und aber über ein kleines, so wirst du mich sehn. hannele: Ich fürchte mich. frauengestalt weicht weiter Wie dem weißen Schnee- i| staub auf den Bergen vom Winde geschieht, so wird Gott deine Quäler verfolgen. hannele: Geh nicht fort! frauengestalt: Des Himmels Kinder sind wie die blauen Blitze der Nacht. - Schlafe! Es wird nun wiederum allmählich dunkel. Dabei hört man von lieblichen Knabenstimmen gesungen die zweite Strophe des Liedes „Schlaf, Kindchen, schlaf": f;v. Schlaf, Kindchen, feste, 1 " ;<,: es kommen fremde Gäste... Jetzt erfüllt mit einem Schlage ein goldgrüner Schein das Gemach. Min siebt drei lichte Engelsgestalten, schöne geflügelte fünglinge mit Rosenkränzen auf den Köpfen, welche den Schluß des Liedes von Notenblättern, die zu beiden Seiten herunterhängen, absingen. Weder die Diakonissin noch die Frauengestalt ist zu sehen. Die Gäste, die jetzt kommen sein, das sind die lieben Engelein, "o Schlaf, Kindchen, schlaf! hannele öffnet die Augen, starrt verzückt die Engelsgestalten an und sag erstaunt: Engel? Mit wachsendem Erstaunen, hervorbrechendet Freude, aber noch nicht zweifelsfrei: Engel I! Im Jubelüber-sebwang: Engel!!! Kleine Pause. Die Engel sprechen nun, nacheinander, folgendes zur Musik: ' erster engel: Auf jenen Hügeln die Sonne, sie hat dir ihr Gold nicht geg das wehende Grün in den Tälern, es hat sich für dich nicht gebreitet. zweiter engel: Das goldene Brot auf den Äckern, dir wollt es den Hunger nicht stillen; die Milch der weidenden Rinder, dir schäumte sie nicht in den Krug. 185 unterwürfig, dabei aber recht eindringlich: Ich , bin ein Arzt, du kannst mich vielleicht brauchen. TiBATTTfraj: Ich bin nich krank, ich brauche keenenDokter. ce3 fremde, mit vo.r innerer Bewegung zitternder Stimme: Mattern-Maurer, besinne dich! Du brauchst mir kein Wasser zu * ■ Teichen* und ich will dich doch heilen. Du brauchst mir kein Brot zu essen zu geben, und ich will dich dennoch gesund machen, so wahr mir Gott helfe. MATTERN: Mach, daß du fortkommstI Geh deiner Wege! Ich habe gesundeKnochen im Leibe. Ich brauche keenen . Do».;er! Haste verstanden? ■ 3)er fremde: Maurer Mattern, besinne dich! - Ich will dir - die l'üße waschen. Ich will dir Wein zu trinken geben. ,. Du sollst süßes Brot essen. Setze deinen Fuß auf meinen ' * Scheitel, und ich will dich dennoch heil und gesund .. .■ en, so wahr mir Gott helfe. 'mattern : Nu will ich bloß sehn, ob du woll gehn wirscht. Und wenn de nich naus find'st, da sag ich aso viel... * DER i-rtEMDE, ernst ermahnend: Mattern-Maurer, weißt du, . was Ju im Hause hast? mattern: Alles, was reingeheert. Alles, was reingeheert. Du geheerscht nich rein. Sieh, daß du weiterkommst! DER Fi?EMDE, einfach: Deine Tochter ist krank. * mattern.: Zu der ihrer Krankheet braucht's keenenDok- - ter, Der ihre Krankheet is nischt wie Faulheet. Die wer s,-^ ich ihr schonn alleene austreiben. sT^TDER FREMDE, feierlich: Mattern-Maurer, ich komme zu dir a!s Bote. mattern: Von wem werscht du ock als Bote kommen? der fremde: Ich komme vom Vater, und ich gehe zum Vater. Wo hast du sein Kind? . mattern : Was wer ich wissen, wo die sich rumtreibt. Was . gehn mich dem seine Kinder anl A hat sich ja sonst nich drum belämmert. iS9 -4 der fremde, fest: Du hast eine Leiche in deinem Hause. mattern gewahrt das daliegende Hannele, tritt steif und stumm an den Sarg und blickt hinein, dabei murmelnd: Wo hast du die scheenenKleider her? Wer hat dir den gläsernen Sarg, gekooft ? i Die Leidtragenden flüstern heftig und geheimnisvoll. Man hört mehr- . mals, voller Erbitterung ausgesprochen, das Wort: „Mörder!"' ; mattern, leise, bebend: Ich hab dich doch nie nich schlecht • behandelt. Ich hab dich gekleedet. Ich hab dich genährt. ' ■ Frech %u dem Fremden hinüber: Was willst du von mir ? Was s geht mich das an ? der fremde: Mattern-Maurer, hast du mir etwas zu sa- , gen ? Unter den Leidtragenden wird das Geflüster heftiger, immer wütender und'öfter schallt es: „Mörder!"„Mörder!"—Hast du dir gar nichts vorzuwerfen ? Hast du sie niemals nachts aus dem Schlafe gerissen? Ist sie niemals unter deinen Fäusten wie tot zusammengesunken ?-mattern, entsetzt, außer sich: Da, schlag mich tot! Hier, gleich uff der Stelle! - Mich soll gleich a Blitz vom Himmel treffen, wenn ich dadran schuld bin. Schwacher bläulicher Blitz undfernes Donnerrollen. alle durcheinander: 's kommt a Gewitter. Jetzt mitten im Winter! ? A hat sich vers chworen! Der Kindesmörder hat ,' sich verschworen I der fremde, eindringlich, gütig: Hast du mir noch nichts zu . sagen, Mattern? mattern, in erbärmlicher Angst: Wer sein Kind liebhat, züchtigt es. Dem Mädel hier hab ich nur Gutes getan. Ich hab se gehalten wie mei Kind. Ich kann se bestrafen, wenn se . nich gutt tut. die frauen fahren auf ihn ein: Mörder! Mörder! MörderI . Mörder! mattern: Die hat mich belogen und betrogen. Die hat mich bestohlen Tag für Tag. der fremde: Sprichst du die Wahrheit? ■ m - hattern: Gott soll mich strafen... In diesem Augenblick zeigt sich in Hanneies gefalteten Händen eine HimmelssMüsselblume, welche eine gelblich-grüne Glut ausstrahlt. Der 'Maurer Mattern starrt wie von Sinnen, am ganzen Leibe z?t-■ ternd, auf die Erscheinung. der fremde: Mattern-Maurer, du lügst. üle, in höchster Aufregung durcheinanderredend: Ein Wunder I Ein Wunder! pleschke: Das Mädel... das Mädel is eine Heilige; a hat sich um Leib und Seele ... Seele geschworen. . mattekn, brüllt: Ich häng mich u — uff! Hält sich mit beiden Häidtn die Schläfen. Ab. DER FREMDE schreitet bis an Hanneies Sarg vor und spricht z" de» Anwesenden gewendet; vor der nun mit aller Hoheit dastehenden und . ruhenden Gestalf weichen sie alle ehrfürchtig zurück: Fürchtet euch«nicht! — Er beugt sich und erfaßt wie prüfend Hanneies Hand; voll Sanftmut spricht er: Das Mägdlein ist nicht gestorben. Es schläft. Mit tiefster Innerlichkeit und überzeugter Kraft: Johanna Mattern, stehe auf!!! Hin helles Goldgrün erfüllt den Raum. Hannele öffnet die Augen, richte! sich auf an der Hand des Fremden, ohne aber zu wagen, ihm ins Gesicht zu sehen. Sie steigt aus dem Sarge und sinkt sogleich vor dem Erwecker auf die Knie. Alle Anwesenden packt ein Grauen. Sie fliehen. Der Fremde und Hannele bleiben allein. Der graue Mantel ist von seiner Schulter geglitten, und er steht da in einem weißgoldenen " Gewände. der fremde, weich, innig: Hannele! HANNELE, entzückt in sich, den Kopf so tief beugend, als nur immer möglich: Da ist er. der fremde : Wer hin ich ? ^'fcANNELE: Du. ■•■ der fremde: Nenn meinen Namen! ^hannele haucht ehrfurchtzitternd: Heilig, heilig! der fremde : Ich weiß alle deine Leiden und Schmerzen. hannele: Du lieber, lieber... der fremde: Erhebe dichl hannele : Dein Kleid ist makellos. Ich bin Toll Schmach. der fremde legt seine Rechte auf Hanneles Scheitel: So nehm ich i alle Niedrigkeit von dir. Er berührt ihre Augen, nachdrm er mit \ sanfter Gewalt ihr Gesicht heraufgebogen: So beschenke ich deine I Augen mit ewigem Licht. Fasset in euch Sonnen uEü< wieder Sonnen! Fasset in euch den ewigen Tag vornMoi- \ genrot bis zum Abendrot, vom Abendrot bis Zum Mor-: genrot! Fasset in euch, was da leuchtet: blaues Meer, blauen Himmel und grüne Fluren in Ewigkeit. Erlrrükrt ihr Ohr. So beschenk ich dein Ohr, zu hören allen jube'r aller Millionen Engel in den Millionen Himmeln Gottes, 'f Er berührt ihren Mund. So löse ich deine stammelnde ZungeL und lege deine Seele'darauf und meine Seele und die Seele . Gottes des Allerhöchsten. hannele, am ganzen Körper bebend, versucht sich aufzurichten. Witi unter einer ungeheuren Wonnelast vermag sie es nicht. Von riejent' Schluchzen und Weinen erschüttert, birgt sie den Kopf an des Fremden Brust. „ der fremde: Mit diesen Tränen wasche ich deine Seele' von Staub und Qual der Welt. Ich will deinen Fuß übe:, die Sterne Gottes erhöhen. Zu sanfter Musik, mit der Hand über Hanneles Scheitel Straetens,'"'; spricht nun der Fremde das Folgende. Indem er sprich, teucbn >, Engelsgestalten in der Tür auf, große, kleine, Knaben, Mädchen,"* stehen schüchtern, wagen sich herein, schwingen Weihraucbfjtssr md schmücken das Gemach mit Teppichen und Blumen. der fremde: f'" Die Seligkeit ist eine wunderschöne Stadt, '"' wo Friede und Freude kein Ende mehr hat. Harfen, erst leise, zuletzt laut und voll. Ihre Häuser sind Marmel, ihre Dächer sind Golc. roter Wein in den silbernen Brünnlein rollt; auf den weißen, weißen Straßen sind Blumen gestreut, ?■ von den Türmen klingt ewiges Hochzeitsgeläut. Maigrün sind die Zinnen, vom Frühlicht beglänzt, von Faltern umtaumelt, mit Rosen bekränzt. Zwölf milchweiße Schwäne umkreisen sie weit und bauschen ihr klingendes Federkleid; kühn fahren sie hoch durch die blühende Luft, ■ durch erzklangdurchzitterten Himmelsduft. Sie kreisen in feierlich ewigem Zug, ' ""ihre Schwingen ertönen gleich Harfen im Flug, sie blicken auf Zion, auf Gärten und Meer, grüne Flore ziehen sie hinter sich her. Dort unten wandeln sie Hand in Hand, die:festlichen Menschen, durchs himmlische Land. Das weite, weite Meer füllt rot roter Wein, sie tauchen mit strahlenden Leibern hinein. Sie tauchen hinein in den Schaum und den Glanz, . . der klare Purpur verschüttet sie ganz, und steigen sie jauchzend hervor aus der Flut, so sind sie gewaschen durch Jesu Blut. Dir Fremde wendet sich nun an die Engel, welche ihre Arbeit vollendet haben. Mit scheuer Freude und Glückseligkeit treten sie herzu und bilden um Hannele und den Fremden einen Halbkreis. Mit feinen Linnen kommt, ihr Himmelskinder! Lieblinge, Turteltauben, kommt herzu, hüllt ein den schwachen, ausgezehrten Leib, den Frost geschüttelt, Fieberglut gedörrt, sanft, daß sein krankes Fleisch derDruck nicht schmerze; und weich hinschwebend, ohne Flügelschlag, tragt sie, der Wiesen saft'ge Halme streifend, 'durch linden Mondenschimmer liebreich hin... .durch Duft und Blumendampf des Paradieses, bis Tempelkühle wonnig sie umschließt! -Kleine Pause. . Dort mir cht, indes sie ruht auf seidnem Bette, , V." im weißen Marmorbade Bergbachs Wasser 203 ip ■ mm ■4"' ■r ... i und Purpurwein und Milch der Antilope, in reiner Flut ihr Siechtum abzuspülen 1 Brecht aus den Büschen volle Blütenzweige: Jasmin und Flieder, schwer vom Tau der Nacht, und ihrer klaren Tropfen feuchte Bürde laßt frisch und duftig auf sie niederregnen 1 Nehmt weiche Seide drauf, um Glied für Glied, wie Lilienblätter, schonend abzutrocknen I Labt sie mit Wein, kredenzt in goldener Schale, in den ihr reifer Früchte Fleisch gepreßt! — Erdbeeren, die noch warm vom Sonnenfeuer, Himbeeren, voll von süßem Blut gesogen, die samtne Pfirsich, goldene Ananas, Orangen, gelb und blank, bringt ihr getragen auf weiten Schüsseln spiegelnden Metalls! Ihr Gaumen schwelge, und ihr Herz umfange des neuen Morgens Pracht und Überfalle. Ihr Aug' entzücke sich am Stolz der Hallen. - Laßt feuerfarbne Falter über ihr am malachitnen Grün des Estrichs schaukeln! Auf ausgespanntem Atlas schreite sie durch Hyazinthen, Tulpen ... ihr zur Seite laßt grüner Palmen breite Fächer zittern und alles spiegeln sich im Glanz der Wände! Auf Felder roten Mohns führt ihren armen Blick,-wo Himmelskinder goldne Bälle werfen im frühen Strahl des neugebornen Lichts, und liebliche Musik schlingt ihr ums Herz! die engel singen im Chor: Wir tragen dich hin, verschwiegen und weich, eia popeia ins himmlische Reich. Eia popeia ins himmlische Reich. Über dem Engelsgesang verdunkelt sich die Szene. Aus dem Dunks! heraus hört man schwächer und schwächer, ferner und ferner singen. Es wird nun wieder licht, und man hat den Blick in das Armenbans- Zimmer, wo alles so ist, wie es ivar, ehe die erste Erscheinung auf-tauchte. Hannele liegt wieder im Bett; ein armes, krankes Kind. Sektor Wachler hat sich mit dem Stethoskop über sie gebeugt, die Diakonissin, welche ihm das Licht hält, beobachtet ihn ängstlich. Nun erst schweigt der Gesang gänzlich. ;150KTORWACHLER, sich aufrichtend, sagt: Sie haben recht! SCHWESTER MARTHA fragt: Tot ? DES DOKTOR nickt trübe: Tot. MZK-RK Brno »261A003935* ✓7 /■ 132.-156. Tausend August 1990 Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, Oktober 1986 Copyright © 1983 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Alle Rechte vorbehalten Umschlaggestaltung Barbara Hanke Satz Garamond Monotype-Lasercomp durch LibroSatz, Kriftel Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany 880-ISBN3 49915812 4 Die Idavierlehrerin Erika Kohut stürzt wie ein Wirbelsturm in die Wohnung, die sie mit ihrer Mutter teilt. Die Mutter nennt Erika gern ihren kleinen Wirbelwind, denn das Kind bewegt sich manchmal extrem geschwind. Es trachtet danach, der Mutter zu entkommen. Erika geht auf das Ende der Dreißig zu. Die Mutter könnte, was ihr Alter betrifft, leicht Erikas Großmutter sein. Nach vielen harten Ehejahren erst kam Erika damals auf die Welt. Sofort gab der Vater den Stab an seine Tochter weiter und trat ab. Erika trat auf, der Vater ab. Heute ist Erika flink durch Not geworden. Einem Schwärm herbstlicher Blätter gleich, schießt sie durch die Wohnungstür und bemüht sich, in ihr Zimmer zu gelangen, ohne gesehen zu werden. Doch da steht schon die Mama groß davor und stellt Erika. Zur Rede und an die Wand, Inquisitor und Erschießungskommando in einer Person, in Staat und Familie einstimmig als Mutter anerkannt. Die Mutter forscht, weshalb Erika erst jetzt, so spät, nach Hause finde? Der letzte Schüler ist bereits vor drei Stunden heimgegangen, von Erika mit Hohn überhäuft. Du glaubst wohl, ich erfahre nicht, wo du gewesen bist, Erika. Ein Kind steht seiner Mutter unaufgefordert Antwort, die ihm jedoch nicht geglaubt wird, weil das Kind gern lügt. Die Mutter wartet noch, aber nur so lange, bis sie eins zwei drei gezählt hat. Schon bei zwei meldet sich die Tochter mit einer von der Wahrheit stark abweichenden Antwort. Die notenerfüllte Aktentasche wird ihr nun entrissen, und gleich schaut der Mutter die bittere Antwort auf alle Fragen daraus entgegen. Vier Bände Beethovensonaten teilen sich indigniert den kargen Raum mit einem neuen Kleid, dem man ansieht, daß es eben erst gekauft worden ist. Die Mutter wütet sogleich gegen das Gewand. Im Geschäft, vorhin noch, hat das Kleid, durchbohrt von seinem Haken, so verlockend ausgesehen, bunt und geschmeidig, jetzt liegt es als schlaffer Lappen da und wird von den 261A003935 Blicken der Mutter durchbohrt. Das Kleidergeld war für die Sparkasse bestimmt! Jetzt ist es vorzeitig verbraucht. Man hätte dieses Kleid jederzeit in Gestalt eines Eintrags ins Sparbuch der Bausparkassen derösterr. Sparkassen vor Augen haben können, scheute man den Weg zum Wäschekasten nicht, wo das Sparbuch hinter einem Stapel Leintücher hervorlugt. Heute hat es aber einen Ausflug gemacht, eine Abhebung wurde getätigt, das Resultat sieht man jetzt: jedesmal müßte Erika dieses Kleid anziehen, wenn man wissen will, wo das schöne Geld verblieben ist. Es schreit die Mutter: Du hast dir damit späteren Lohn verscherzt! Später hätten wir eine neue Wohnung gehabt, doch da du nicht warten konntest, hast du jetzt nur einen Fetzen, der bald unmodern sein wird. Die Mutter will alles später. Nichts will sie sofort. Doch das Kind will sie immer, und sie will immer wissen, wo man das Kind notfalls erreichen kann, wenn der Mama ein Herzinfarkt droht. Die Mutter will in der Zeit sparen, um später genießen zu können. Und da kauft Erika sich ausgerechnet ein Kleid!, beinahe noch vergänglicher als ein Tupfer Mayonnaise auf einem Fischbrötchen. Dieses Kleid wird nicht schon nächstes Jahr, sondern bereits nächsten Monat außerhalb jeglicher Mode stehen. Geld kommt nie aus der Mode. Es wird eine gemeinsame große Eigentumswohnung angespart. Die Mietwohnung, in der sie jetzt noch hocken, ist bereits so angejahrt, daß man sie nur noch wegwerfen kann. Sie werden sich vorher gemeinsam die Einbauschränke und sogar die Lage der Trennwände aussuchen können, denn es ist ein ganz neues Bausystem, das auf ihre neue Wohnung angewandt wird. Alles wird genau nach persönlichen Angaben ausgeführt werden. Wer zahlt, bestimmt. Die Mutter, die nur eine winzige Rente hat, bestimmt, was Erika bezahlt. In dieser nagelneuen Wohnung, gebaut nach der Methode der Zukunft, wird jeder ein eigenes Reich bekommen, Erika hier, die Mutter dort, beide Reiche säuberlich voneinander getrennt. Doch ein gemeinsames Wohn- ---Zimmer wird es geben, wo man sich trifft. Wenn man will. Doch Mutter und Kind wollen naturgemäß immer, weil sie zusammengehören. Schon hier, in diesem Schweinestall, der langsam verfallt, hat Erika ein eigenes Reich, wo sie schaltet und verwaltet wird. Es ist nur ein provisorisches Reich, denn die Mutter hat jederzeit freien Zutritt. Die Tür von Erikas Zimmer hat kein Schloß, und kein Kind hat Geheimnisse. Erikas Lebensraum besteht aus ihrem eigenen kleinen Zimmer, wo sie machen kann, was sie will. Keiner hindert sie, denn dieses Zimmer ist ganz ihr Eigentum. Das Reich der Mutter ist alles übrige in dieser Wohnung, denn die Hausfrau, die sich um alles kümmert, wirtschaftet überall herum, während Erika die Früchte der von der Mutter geleisteten Hausfrauenarbeit genießt. Im Haushalt hat Erika nie schuften müssen, weil er die Hände des Pianisten mittels Putzmittel vernichtet. Was der Mutter manchmal, in einer ihrer seltenen Verschnaufpausen, Sorgen bereitet, ist ihr vielgestaltiger Besitz. Denn man kann nicht immer wissen, wo genau sich alles befindet. Wo ist dieser quirüge Besitz jetzt schon wieder? In welchen Räumen fegt er allein oder zu zwein herum? Erika, dieses Quecksilber, dieses schlüpfrige Ding, kurvt vielleicht in diesem Augenblick irgendwo herum und betreibt Unsinn. Doch jeden Tag aufs neue findet sich die Tochter auf die Sekunde pünktlich dort ein, wo sie hingehört: zuhause. Unruhe packt oft die Mutter, denn jeder Besitzer lernt als erstes, und er lernt unter Schmerzen: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist dennoch angebracht. Das Hauptproblem der Mama besteht darin, ihr Besitztum möglichst unbeweglich an einem Ort zu fixieren, damit es nicht davonläuft. Diesem Zweck dient der Fernsehapparat, der schöne Bilder, schöne Weisen, vorfabriziert und verpackt, ins Haus liefert. Um seinetwillen ist Erika fast immer da, und wenn sie einmal fort ist, weiß man genau, wo sie herumschwirrt. Manchmal geht Erika abends in ein Konzert, doch sie tut es immer seltener. Entweder sitzt sie vor dem Klavier und drischt auf ihre längst endgültig begrabene Pianistinnenkarriere ein, oder sie schwebt als böser Geist über irgendeiner Probe mit ihren Schülern. Dort kann man sie dann notfalls anrufen. Oder Erika sitzt zu ihrem Vergnügen, zum Musizieren und Jubilieren, beim Kammermusizieren mit Kollegen, welche gleichge- 6 7 sinnt sind. Dort kann man sie auch anrufen. Erika kämpft gegen mütterliche Bande und ersucht wiederholt, nicht angerufen zu werden, was die Mutter übertreten kann, denn sie allein bestimmt die Gebote. Die Mutter bestimmt auch die Nachfrage nach ihrer Tochter, was damit endet, daß immer weniger Leute die Tochter sehen oder sprechen wollen. Erikas Beruf ist gleich Erikas Liebhaberei: die Himmelsmacht Musik. Die Musik füllt Erikas Zeit voll aus. Keine andere Zeit hat darin Platz. Nichts macht so viel Freude wie eine musikalische Höchstdarbietung, von Spitzenkräften erzeugt. Wenn Erika einmal im Monat in einem Cafe sitzt, weiß die Mutter in welchem und kann dort anrufen. Von diesem Recht macht sie freizügig Gebrauch. Ein hausgemachtes Gerüst von Sicherheiten und Gewöhnungen. Die Zeit um Erika herum wird langsam gipsern. Sie bröckelt sofort, schlägt die Mutter einmal mit der Faust gröber hinein. Erika sitzt in solchen Fällen mit den gipsernen orthopädischen Kragenresten der Zeit um ihren dünnen Hals herum zum Gespött der anderen da und muß zugeben: ich muß jetzt nach Hause. Nach Hause. Erika ist fast immer auf dem Heimweg, wenn man sie im Freien antrifft. Die Mutter erklärt, eigentlich ist mir die Erika schon recht so wie sie ist. Mehr wird wohl nicht draus. Sie hätte zwar, und leicht auch noch bei ihren Fähigkeiten, wäre sie nur allein mir, der Mutter anvertraut geblieben, eine überregionale Pianistin werden können! Doch Erika geriet, wider Willen der Mutter, manchmal unter fremde Einflüsse; eingebildete männliche Liebe drohte mit Ablenkung vom Studium, Äußerlichkeiten wie Schminke und Kleidung reckten die häßlichen Häupter; und die Karriere endet, bevor sie sich noch richtig anläßt. Aber etwas Sicheres hat man sicher: das Lehramt für Klavier am Konservatorium der Stadt Wien. Und sie hat nicht einmal für Lehr- und Wanderjahre in eine der Zweigstellen, eine Bezirks-Musikschule müssen, wo schon viele ihr junges Leben ausgehaucht haben, staubgrau, buckelig — flüchtiger, rasch vergehender Schwärm vom Herrn Direktor. Nur diese Eitelkeit. Die verflixte Eitelkeit. Erikas < Eitelkeit macht der Mutter zu schaffen und bohrt ihr Dornen ins Auge. Diese Eitelkeit ist das einzige, auf das zu verzichten Erika jetzt langsam lernen müßte. Besser jetzt als später, denn im Alter, das vor der Tür steht, ist Eitelkeit eine besondre Last. Und das Alter allein ist doch schon Last genug. Diese Erika! Waren die Häupter der Musikgeschichte etwa eitel? Sie waren es nicht. Das einzige, was Erika noch aufgeben muß, ist die Eitelkeit. Notfalls wird Erika zu diesem Zweck von der Mutter ganz glattgehobelt, damit nichts Überflüssiges an ihr haften kann. So versucht die Mama heute ihrer Tochter das neue Kleid aus den zusammengekrampften Fingern zu winden, doch diese Finger sind zu gut trainiert. Loslassen, sagt die Mutter, gib es her! Für deine Gier nach Äußerlichkeiten mußt du bestraft werden. Bisher hat dich das Leben durch Nichtbeachtung gestraft, und nun straft dich deine Mutter, indem sie dich ebenfalls nicht beachtet, obwohl du dich behängst und bemalst wie ein Clown. Hergeben das Kleid! Erika stürzt plötzlich zu ihrem Kleiderschrank. Sie wird von einem finstren Argwohn ergriffen, der sich schon einige Male bestätigt hat. Heute zum Beispiel fehlt wieder etwas, das dunkelgraue Herbst-Complet nämlich. Was ist geschehen? In der Sekunde, da Erika merkt, es fehlt etwas, weiß sie auch schon die dafür Verantwortliche zu benennen. Es ist die einzige Person, die dafür in Frage kommt. Du Luder, du Luder, brüllt Erika wütend die ihr übergeordnete Instanz an und verkrallt sich in ihrer Mutter dunkelblond gefärbten Haaren, die an den Wurzeln grau nachstoßen. Auch ein Friseur ist teuer und wird am besten nicht aufgesucht. Erika färbt der Mutter jeden Monat die Haare mit Pinsel und Polycolor. Erika rupft jetzt an den von ihr selbst verschönten Haaren. Sie reißt wütend daran. Die Mutter heult. Als Erika zu reißen aufhört, hat sie die Hände voller Haarbüschel, die sie stumm und erstaunt betrachtet. Die Chemie hat diese Haare ohnehin in ihrem Widerstand gebrochen, aber auch die Natur hatte an ihnen nie ein Meisterwerk vollbracht. Erika weiß nicht gleich, wohin mit diesen Haaren. Endlich geht sie in 8 9 die Küche und wirft die dunkelblonden, oft fehlfarbigen Büschel in den Mistkübel. Die Mutter steht mit reduziertem Kopfhaar greinend im Wohnzimmer, in dem ihre Erika oft Privatkonzerte gibt, in denen sie die Allerbeste ist, weil in diesem Wohnzimmer außer ihr nie jemand Klavier spielt. Das neue Kleid hält die Mutter immer noch in der zitternden Hand. Wenn sie es verkaufen will, muß sie das bald tun, denn solche kohlkopfgroßen Mohnblumen trägt man nur ein Jahr und nie wieder. Der Kopf tut der Mutter dort weh, wo ihr die Haare jetzt fehlen. Die Tochter kehrt zurück und weint bereits vor Aufregung. Sie beschimpft die Mutter als gemeine Kanaille, wobei sie hofft, daß die Mutter sich gleich mit ihr versöhnen wird. Mit einem liebevollen Kuß. Die Mutter schwört, die Hand soll Erika abfallen, weil sie die Mama geschlagen und gerupft hat. Erika schluchzt immer lauter, denn es tut ihr jetzt schon leid, wo die Mutti sich bis auf die Knochen und Haare aufopfert. Alles,, was Erika gegen die Mutter unternimmt, tut ihr sehr schnell leid, weil sie ihre Mutti liebhat, die sie schon seit frühester Kindheit kennt. Schließlich lenkt Erika, wie erwartet, ein, wobei sie bitterlich heult. Gern, nur allzu gern, gibt die Mutti nach, sie kann ihrer Tochter eben nicht ernsthaft böse sein. Jetzt koche ich uns erst einmal einen Kaffee, den wir gemeinsam trinken werden. Bei der Jause tut Erika die Mutter noch mehr leid, und die letzten Reste ihrer Wut lösen sich im Guglhupf auf. Sie untersucht die Löcher im Haar der Mutter. Sie weiß aber nichts dazu zu sagen, genau wie sie auch nicht gewußt hat, was sie mit den Büscheln anfangen sollte. Sie weint wieder ein bißchen zur Nachsorge, weil die Mutter schon alt ist und einmal enden wird. Und weil ihre, Erikas Jugend auch schon vorbei ist. Überhaupt weil immer etwas vergeht und selten etwas nachkommt. Die Mutter beschreibt jetzt ihrem Kind, weswegen ein hübsches Mädel sich nicht aufzuputzen braucht. Das Kind bestätigt es ihr. Diese vielen vielen Kleider, die Erika im Kasten hängen hat und wozu? Sie zieht sie niemals an. Diese Kleider hängen unnütz und nur zur Zierde des Kastens da. Das Kaufen kann die Mutter 10 nicht immer verhindern, doch über das Tragen der Kleider ist sie unumschränkte Herrscherin. Die Mutter bestimmt darüber, wie Erika aus dem Haus geht. So gehst du mir nicht aus dem Haus, bestimmt die Mutter, welche befürchtet, daß Erika fremde Häuser mit fremden Männern darin betritt. Auch Erika selber ist zu dem Entschluß gekommen, ihre Kleider nie anzuziehen. Mutterpflicht ist es, bei Entschlüssen nachzuhelfen und falschen Entscheidungen vorzubeugen. Dann muß man später keine Wunden mühsam kleben, denn der Verletzung hat man nicht Vorschub geleistet. Die Mutter fügt Erika lieber persönlich ihre Verletzungen zu und überwacht sodann den Heilungsvorgang. Das Gespräch ufert aus und schreitet zu dem Punkt, da Säure über jene verspritzt wird, die Erika links und rechts vorkommen oder vorzukommen drohen. Das wäre nicht nötig, man darf sie eben nicht lassen wie sie wollen! Du läßt es auch noch zu! Dabei könntest du gut als Bremserin fungieren, aber dazu bist du zu ungeschickt, Erika. Wenn die Lehrerin es entschlossen verhindert, kommt, zumindest aus ihrer Klasse, keine Jüngere hervor und macht unerwünschte und außerfahrplanmäßige Karriere als Pianistin. Du selbst hast es nicht geschafft, warum sollen es jetzt andere an deiner Stelle und auch noch aus deinem pianistischen Stall erreichen? Erika nimmt, immer noch aufschnupfend, das arme Kleid in ihre Arme und hängt es unerfreut und stumm zu den anderen Kleidern, Hosenanzügen, Röcken, Mänteln, Kostümen in den Schrank. Sie zieht sie alle nie an. Sie sollen nur hier auf sie warten, bis sie am Abend nach Hause kommt. Dann werden sie ausgebreitet, vor den Körper drapiert und betrachtet. Denn: ihr gehören sie! Die Mutter kann sie ihr zwar wegnehmen und verkaufen, aber sie kann sie nicht selber anziehen, denn die Mutter ist leider zu dick für diese schmalen Hülsen. Die Sachen passen ihr nicht. Es ist alles ganz ihres. Ihres. Es gehört Erika. Das Kleid ahnt noch nicht, daß es soeben jählings seine Karriere unterbrochen hat. Es wird unbenutzt abgeführt und niemals ausgeführt. Erika will es nur besitzen und anschauen. Von fern 11 anschauen. Nicht einmal probieren möchte sie einmal, es genügt, dieses Gedicht aus Stoff und Farben vorne hinzuhalten und anmutig zu bewegen. Als fahre ein Frühlings wind hinein. Erika hat das Kleid vorhin in der Boutique probiert, und jetzt wird sie es nie mehr anziehen. Schon kann sich Erika an den kurzen flüchtigen Reiz, den das Kleid im Geschäft auf sie ausübte, nicht mehr erinnern. Jetzt hat sie eine Kleiderleiche mehr, die aber immerhin ihr Eigentum ist. In der Nacht, wenn alles schläft und nur Erika einsam wacht, während der traute Teil dieses durch Leibesbande anein-andergeketteten Paares, die Frau Mama, in himmlischer Ruhe von neuen Foltermethoden träumt, öffnet sie manchmal, sehr selten, die Kastentür und streicht über die Zeugen ihrer geheimen Wünsche. Sie sind gar nicht so geheim, diese Wünsche, sie schreien laut hinaus, wieviel sie einmal gekostet haben und wofür jetzt das Ganze? Die Farben schreien die zweite und dritte Stimme mit. Wo kann man so etwas tragen, ohne von der Polizei entfernt zu werden? Normalerweise hat Erika immer nur Rock und Pulli oder, im Sommer, Bluse an. Manchmal schrickt die Mutter aus dem Schlaf empor und weiß instinktiv: sie schaut sich wieder ihre Kleider an, die eitle Kröte. Die Mutter ist dessen sicher, denn zu seinem Privatvergnügen quietscht der Schrank nicht mit seinen Türen. Der Jammer ist, daß diese Kleiderkäufe die Frist ins Uferlose verlängern, bis man endlich die neue Wohnung beziehen kann, und stets ist Erika dabei in Gefahr, daß Liebesbande sie umschlingen; auf einmal hätte man ein männliches Kuckucksei im eigenen Nest. Morgen, beim Frühstück, erhält Erika bestimmt eine strenge Abmahnung für Leichtsinn. Die Mutter hätte gestern an den Haarwunden direkt sterben können, am Schock. Erika wird eine Zahlungsfrist erhalten, soll sie eben ihre Privatstunden ausbauen. Nur ein Brautkleid fehlt zum Glück in der trüben Kollektion. Die Mutter wünscht nicht, Brautmutter zu werden. Sie will eine Normalmutter bleiben, mit diesem Status bescheidet sie sich. Aber heute ist heute. Jetzt wird endgültig geschlafen! So ver- langt es die Mutter vom Ehebett her, doch Erika rotiert immer noch vor dem Spiegel. Mütterliche Befehle treffen sie wie Hacken in den Rücken. Rasch befühlt sie jetzt noch ein flottes Nachmittagskleid mit Blumen, diesmal am Saum. Diese Blumen haben noch nie frische Luft geatmet, und auch Wasser kennen sie nicht. Das Kleid stammt aus einem, wie Erika versichert, erstklassigen Modehaus in der Innenstadt. Qualität und Verarbeitung sind für die Ewigkeit, die Paßform hängt von Erikas Körper ab. Nicht zu viele Süßigkeiten oder Teigwaren! Erika hat gleich beim ersten Anblick des Kleides die Vision gehabt: das kann ich jahrelang tragen, ohne daß es auch nur ein Haarbreit von der Mode abweicht. Das Kleid hält sich jahrelang auf dem Pfad der Mode! Dieses Argument wird an die Mutter vergeudet. Es wird überhaupt nie altmodisch werden. Die Mutter soll streng ihr Gewissen erforschen, ob sie ein ähnlich geschnittenes Kleid nicht in ihrer Jugend selbst getragen habe, Mutti? Diese bestreitet es aus Prinzip. Erika leitet trotzdem den Schluß ab, daß sich diese Anschaffung rentiert hat; aus dem Grund, daß das Kleid nie veraltet, wird Erika das Kleid noch in zwanzig Jahren genauso tragen wie heute. Die Moden wechseln schnell. Das Kleid bleibt ungetragen, wenn auch bestens in Schuß. Doch keiner kommt und verlangt es zu sehen. Seine beste Zeit ist nutzlos vorbeigegangen und kommt nicht mehr zurück, und wenn, dann erst in zwanzig Jahren wieder. Manche Schüler setzen sich gegen ihre Klavierlehrerin Erika entschieden zur Wehr, doch ihre Eltern zwingen zur Kunstausübung. Und daher kann das Fräulein Professor Kohut ebenfalls die Zwinge anwenden. Die meisten Klavierhämmerer allerdings sind brav und an der Kunst interessiert, die sie erlernen sollen. Sie kümmern sich sogar um diese Kunst, wenn sie von Fremden ausgeführt wird, ob im Musikverein oder im Konzerthaus. Sie vergleichen, wägen, messen, zählen. Es kommen viele Ausländer zu Erika, jedes Jahr werden es mehr. Wien, Stadt der Musik! Nur was sich bisher bewährt hat, wird sich in dieser Stadt auch hinkünftig bewähren. Die Knöpfe platzen ihr vom weißen fet- 12 13 I ten Bauch der Kultur, die, wie jede Wasserleiche, die man nicht herausfischt, jedes Jahr noch aufgeblähter wird. Der Schrank nimmt das neue Kleid in sich auf. Eins mehr! Die Mutter sieht nicht gern, wenn Erika aus dem Hause geht. Dieses Kleid ist zu auffallend, es paßt nicht zum Kind. Die Mutter sagt, irgendwo muß man eine Grenze ziehen, sie weiß nicht, was sie jetzt damit gemeint hat. Bis hierher und nicht weiter, das hat die Mutter damit gemeint. Die Mutter rechnet Erika vor, sie, Erika, sei nicht eine von vielen, sondern einzig und allein. Diese Rechnung geht bei der Mutter immer auf. Erika sagt heute schon von sich, sie sei eine Individualistin. Sie gibt an, daß sie sich nichts und niemandem unterordnen kann. Sie ordnet sich auch nur schwer ein. Etwas wie Erika gibt es nur ein einziges Mal und dann nicht noch einmal. Wenn etwas besonders unverwechselbar ist, dann nennt man es Erika. Was sie verabscheut, ist Gleichmacherei in jeder Form, auch beispielsweise in der Schulreform, die auf Eigenschaften keine Rücksicht nimmt. Erika läßt sich nicht mit anderen zusammenfassen, und seien sie noch so gleichgesinnt mit ihr. Sie würde sofort hervorstechen. Sie ist eben sie. Sie ist so wie sie ist, und daran kann sie nichts ändern. Die Mutter wittert schlechte Einflüsse dort, wo sie sie nicht sehen kann, und will Erika vor allem davor bewahren, daß ein Mann sie zu etwas anderem umformt. Denn: Erika ist ein Einzelwesen, allerdings voller Widersprüche. Diese Widersprüche in Erika zwingen sie auch, gegen Vermassung entschieden aufzutreten. Erika ist eine stark ausgeprägte Einzelpersönüchkeit und steht der breiten Masse ihrer Schüler ganz allein gegenüber, eine gegen alle, und sie dreht am Steuerrad des Kunstschiffchens. Nie könnte eine Zusammenfassung ihr gerecht werden. Wenn ein Schüler nach ihrem Ziel fragt, so nennt sie die Humanität, in diesem Sinn faßt sie den Inhalt des Heiligenstädter Testaments von Beethoven für die Schüler zusammen, sich neben den Heros der Tonkunst mit aufs Postament zwängend. Aus allgemein künstlerischen und individuell menschlichen Erwägungen heraus extrahiert Erika die Wurzel: nie könnte sie 14 ■ie erreicht. Nichts, was vorher nicht da ■.war, ist jetzt da, und nichts, was vorher nicht da war, ist zwischen angekommen. Zühai.se sj*ahlt ein milder Vorwurf von Seiten der Mutter auf 57 mmm ■II mm mm, Mühe Prostituierte beim Eingehen und Lö hältnisse betrachten lassen. In Erikas Tasch -i mit Extrawurst als Proviant. Ihr Lieblingse .; der Mutter als ungesund verworfen. Eine für den Notfall, eine Schreckschußpisoafi i Notfall (klein wie ein Fingerglied!), ein Tet i für den Durst nach der Extrawurst, viele lJa; für Notfälle, wenig Geld, aber .auf alle Fä'!:f-keinen Ausweis, nicht einmal für den Notfi S eher. Vom Vater vererbt, der in hirnklarer 2'cit Berge auch nachts ausspähte. Die Muttei >d Kind sei zu einem privaten Kammermusikspi prunkt laut vor Erika damit, daß sie die T n kl gehen läßt, damit sie ein Privatleben stattfinuei der Mutter nicht andauernd vorwirft, daß e Fängen läßt In einer Stunde spätestens wird ersten M»äl bei der Hausmusikkollegin anr st eine ausgetüftelte Ausrede vorbringen. Die K< ein^Liebesromanze und hält sich für einge aG Cef Erdboden ist schwarz. Der Himmel ■ bl heller von ihm ab, gerade noch hell genug. da Boden und wo Himmel ist. Am Horizont d za von Bäumen. Erika läßt eine Vorsicht wa, ica. leise und federleicht. Sie macht sich weich . ad macht sich fast unsichtbar. Sie geht beinah in ganz Auge und Ohr. Ihr verlängertes Auge ittc vermeidet die Stege, wo die andren Wand« gel Punkte, wo die andren Wandrer sich ver -.ug zweit. Sie hat ja doch nichts begangen, daß scheuen sollte. Sie späht unter Zuhilfenahrr. des Paaren aus, vor denen andere Menschen zurü<6 den. Sie kann das Gelände unter ihren Schuhi-arr legt jetzt den Blindgang ein. Sie richtet sich inz wie sie es von Berufs wegen gewohnt ist. S : kn ein, dann wieder stolpert sie fast, doch sie reb vorwärts gerichteter Weise voran. Sie geh: nd 140 ie Taftfi r den a ck Schi r Aiit'ts MESüCgcn sica ins Profil ihrer Sportsohlen und glätten ■ ..-^r auf dem Wiesenboden voran, acht. Es wächst jetzt, einem großen Lager-:schrei eines sich liebenden Paares vor Erika :esensohle hervor. Endlich Heimat für die io nah, daß sie den Feldstecher nicht einmal eile, Nachtglas. Wie der Heimat Haus fickt lern schönsten Wiesengrunde heraus und in in ein. Ausländisch jauchzend schraubt sich ''rau. Die Frau läutet nicht, sondern gibt fast tte Anweisungen und Kommandos, die der eise nicht versteht, denn er jubelt auf türkisch er anderen seltenen Sprache, und richtet sich 'äuenschfeien. Die Frau glockt tief unten in ^sprungbereiter Hund, daß der Kunde das Der Türke aber harft und säuselt wie der c lauter. Er gibt ziehende, lang anhaltende ;h, welche Erika einen guten Orientierungs-damit sie sich noch näher heranschleichen hon sehr nah ist. Dasselbe Gebüsch, das dem ;e: Unterkunft gewährt, tarnt auch Erika zur e oder türkenähnliche Ausländer scheint sich , was er macht. Die Frau, so hört man, freut i ihr findet es gebremster statt. Die Frau weist ) er hin soll. Es ist nicht feststellbar, ob er anen eigenen inneren Befehlen Folge leisten, ht ausbleiben, daß er dann und wann mit den Parttietin kollidiert. Erika ist Zeuge, wie das iu sägt hü, der Mann hott. Die Frau scheint gern, daß der Mann ihr nicht den Vortritt läßt, a würde. Sagt sie: langsamer, macht er: schnell 0;. Vielleicht ist das keine Professionelle, son-setrunkene Standardfrau, die abgeschleppt i bekommt sie am Ende gar nichts für ihre ixt sich zusammen. Sie macht es sich bequem, mit Nagelschuhen einhertrappte, hätten die 141 beiden sie nicht abzuhören vermocht. So kui 'riircitttiL eine, dann der andere oder beide gemeins.:rr;. So ein jt$ Erika nicht immer bei ihrer Schausuche. Dil. Fnj j zu dem Mann, er soll ein Momenterl waltet). Enka'J feststellen, ob der Mann ihr darin beipflichit:. Ersaht™ verhältnismäßig ruhig klingenden Satz in si-.intr Spao Frau schimpft ihn an, daß kein Mensch das versti_ht. verstehn? Warten! Nix warten, bekommt l-.rika dast, mit. Er fährt in die Frau hinein, als müßte er in Rtkft„ Paar Schuhe besohlen oder eine Autok;.rossiT;c Ast schweißen. Die Frau wird von den Stößer, jedesmal.bl Grundmauern erschüttert. Sie spuckt jetzt, schi., Anlaß angemessen, Geifer: Langsamer!! \irhr «ij* Sie hat sich demnach schon aufs Bitten vetlegr. nauso Null. Der Türke hat eine unglaubliche Enerrifcssj irrsinniger Eile. Er wählt jetzt sogar noen eine hr»$i Setzung in seinem inneren Getriebe, um i:; der /.tue, eventuell auch in der Geldeinheit möglicher vuL- Sri_ ren zu können. Die Frau resigniert, daß am u -i.. /nujflj nem guten Ende kommen wird, und sciun.is.i ... u, endlich fertig ist oder ob er bis übermorgen bnw_ Mann stößt atemlose Fanfaren in türkischer Sprach^ die aus der Tiefe seines Inneren kommen, lir feuert den Seiten los. Sprache und Empfindung :-cHcir.?t ihm einander anzunähern. Er sägt auf deutsch: Yr?.J T* Frau versucht es noch ein letztes Mal mit: iani-.-via» rechnet in ihrem Versteck zwei und zwei 2u.\.in:nr.<.a . scheidet, keine Praterhure, denn eine solch«, würili- 4s eher anfeuern als einbremsen. Sie müßte ja moiihchÜ Kunden in möglichst rascher Zeitabfolge satr.rr ' .ml satz zum Mann, der umgekehrt empfindet, wiii er dt liehst lange etwas davon haben. Viellekru wirci eri überhaupt nicht mehr können, dann bleibt :nin n.chtsl innerung. - _ Beide Geschlechter wollen immer etwas gj undsat7licjj£ sätzliches. 142 r "ftttka ist nur ein Hauch, kaum weht ihre Atemluft die Augen hat sie groß geöffnet. Diese Augen j£tkj Wild mit der Nase wittert, es sind hochemp- ~ ,IMQ&«, sie drehn sich wendig wie Wetterfahnen. Das m&&)it sie nicht ausgeschlossen ist. Einmal ist sie hier llgjduin wieder dort. Sie hat es in ihrer eigenen Hand, yamöchteund wo nicht. Sie will nicht teilnehmen, pKgsS& nicht ohne sie stattfinden. Bei der Musik ist sie J^jjttsfuhrende dabei, dann wieder als Zuschauerin und Em .'So vergeht ihre Zeit. Erika springt in sie ein und b^jfcbei einem altmodischen Straßenbahnwaggon, der pneumatischen Türen hat. Bei den modernen Wag-Pfimnenbleiben, wer einmal eingestiegen ist. Bis zur ittge!: eine Unzahl von Beschlägen. Er schwitzt dabei ,__J ßhic die Frau eisern umklammert, damit sie nicht ____jtÄwpeiche lt sie ganz ein, als wollte er sie als Beute es-pRrirtt*ij sprich; nicht mehr, sondern stöhnt jetzt auch, der ffer- ft rs hat sie angesteckt. Sie winselt im Falsett eine rijdntoser hmzelwörter. Sie pfeift wie ein Murmeltier auf Ael^'ittcacung eines Feinds. Sie verankert die Hände tief jV.ri.-g Gegenübers, damit dieses ihr nicht entwischt. M^u-ntrht >o leicht abgeschüttelt werden kann und auch Jaftogpch,!?die Pflicht getan, mit einer Zuneigung oder einem fÜbnii fT'r'T"1" wird. Der Mann werkt im Akkord. Er {SgtQ Limit hoch. Es ist nach langer Zeit die erste Ge-tfiir ihn mit einer Eingeborenen, und er füllt die Gele-j&ir-.t hckti scher Aktivität. Über dem Paar graust es den ffl[jp:eh. Der Nachthimmel scheint unter dem Wind noch juu eein. Der Türke kann es offenkundig nicht mehr so JESc^halten, wie es ihm vorgeschwebt ist. Er kehlt etwas jiwSV.fft'or, das nicht einmal mehr Türkisch zu sein scheint. £»fift feuert i'in in der Zielgeraden mit hopp an. Sw7uschauer:n arbeitet es zerstörerisch. Es zuckt ihr in den .:L.den aktiven Dienst stellen zu lassen, doch wenn IF^Üir verbietet, wird sie davon wieder Abstand nehmen. 143 lange Urlaub im Ausland, hält er ihr den Köder vor, den er sogleich wegzieht: Allein! Daß du jung bist, kann man von dir nicht gerade behaupten, Erika, nicht wahr. Ist er jung, ist sie alt. Ist er Mann, ist sie Frau. Walter Klemmer tritt Erika, die am r Boden liegt, launisch gegen die Rippen. Er tut es gerade so dosiert, daß nichts zerbricht. Wenigstens über seinen Körper herrschte er stets. Walter Klemmer tritt über die Schwelle Brika in die Freiheit hinaus. Sie hat es persönlich herausgefordert, indem sie über ihn und seine Begierde zu herrschen wünschte. Das hat sie nun davon. Er hat ein düsteres Gefühl und eine Vorahnung in bezug1 auf diese Frau. Die Frau mißbilligt jetzt laut seinen Haß, aber nur, weil sie körperlich dafunter leiden muß. Sie schreit hell auf und beginnt ungeordnet zu bitten. Diesen Aufschrei hört die Mutter und schließt, sich ihm in dumpfer Wut an. Es kann sein, daß der Mann ihr an der Tochter nichts mehr zu beherrschen übrig läßt. Aniriialische Angst, daß dem Kind etwas geschieht, beseelt die Mutter außerdem. Sie hat den Antrieb, gegen die Tür zu treten und zu drohen, doch diese Tür gibt weniger nach als anno dazumals der kindliche Wille. Die Mutter äußert Befürchtungen, die man, kraft Tür, nicht deutlich versteht. Die Mutter kreischt Übles hinsichtlich gewaltsamen Eindringens. Sie hält der Tochter die prophezeiten Folgen der männlichen Liebe vor Augen, doch die Tochter hon es nicht. Die Tochter weint ....-jetzt ungezügelt und wird in den Bauch getreten. Diese Handlungsweise Klemmers wälzt sich lustvoll in allgemeiner weiblicher Mißbilligung. Klemmer freut sich, diese Mißbilligung unbeachtet zu lassen. Der Mann will auslöschen, was Krika je gewesen ist, und es gelingt nicht. Erika erinnert ihn dauernd, was sie ihm einst war. Ich flehe dich an, fleht sie. Die Mutter äußert hintertürig die Befürchtung, daß ihr Kind sich aus/Furcht vor dem Mann kleinmacht und di -.: Dazu Beschädigung des Leibes. Die Mutter fürchtet um ihre ältliche Lefbesschote. Sie fleht Gott und dessen Sohn an. Da Verlust efidgültig wäre, bangt die Mutter, daß sie ihrer Tochter verlustig gehen könnte. Lange Jahre der mühevollen Dressur, wie fortgeblasen wären sie. Neue Kunststücke mit dem Mann träten an ihre Stelle. Die Mutter wird T" ' ' erst wieder heraus darf und jemand etwas von Revanche! und behördliche! über einen Liebesabgrund hinweg. X schriftlichen Bitten diesem Mann, gibi sein Versagen, gibt er an. So lange j Öffentlichkeit herum und dachte, dadu Doch einmal" öffentlichem Leben ausge schwindend gering. Und bald,ist,es zu : Erika liegt auf dem Boden, unter ihr der verrutschte Vorzimmerläufer. Sie sagt schone mich. Nur für diesen Brief allein hat sie es als Strafe nicht verdient. Klemmer ist entfesselt, Erika ist nicht gefesselt. Der Mann schlägt leichthin und fragt ätzend, na wo ist er jetzt, dein Brief. Das hast du nun davon. Er prahlt, daß Fesselung nicht nötig war, wie sie jetzt sieht. Er fragt bei ihr an, ob der Brief jetzt helfen könne? Das ist alles, was du davon hast! Klemmer erläutert der Frau unter Leichtschlägen, daß sie es so und nicht anders gewollt habe. Erika bringt weinend dagegen vor, daß sie es so nicht gewollt habe, sondern anders. Dann mußt du dich das nächste Mal eben präziser ausdrücken, schlägt der Mann vor und auf sie ein. Er beweist der Frau unter Tritten die einfache Gleichung ich bin ich. Und ich schäme mich dessen nicht. Ich stehe dazu. Er bedroht die Frau, daß sie ihn so nehmen muß wie ich eben bin. Wie ich bin so bin ich. Erika hat das Nasenbein angesplittert und eine Rippe von dem Tritt. Sie verbirgt ihr Gesicht in den Händen, wobei Klemmer sagt, er gibt ihr recht. Dieses Gesicht ist nicht so besonders, nicht wahr. Es gibt schönere, sagt der Spezialist und wartet, daß die Frau vorbringt, es gebe ebenso auch häßlichere. Ihr Nachthemd ist verrutscht, und Klemmer erwägt eine Vergewaltigung. Doch als Mißachtung weiblichen Geschlechtsreizes sagt er, zuerst muß ich einmal ein Glas Wasser trinken. Er bedeutet Erika, daß sie jetzt weniger Reiz für ihn habe als ein hohler Baumstamm, in dem der Bienenschwarm noch haust, für den Bären. Erika ist ihm nie durch Schönheit ins Auge gestochen, sondern durch Musikleistung. Und nun kann sie genausogut ein paar Minuten 272 273 warten. Ich habe das Problem auf meine Weise gelöst, bescheidet sich der Technikstudent. Die Mutter flucht. Erika denkt an Flucht. Sie ist im Denken geübt, nicht aber im Handeln. Durch fugendichte Abgeschlossenheit hat sie keinen Preis errungen. In der Küche läuft lange Wasser, der Mann liebt es kalt. Er ist sich im klaren darüber, daß seine Handlung Folgen haben kann; Als Mann nimmt er sie auf sich. Das Wasser hat einen Beigeschmack von Unbehagen. Auch sie wird die Folgen tragen müssen, denkt er schon mit größerer Freude. Mit dem Klavierunterricht ist es für ihn sicher zu Ende, dafür fängt es mit dem Sport erst richtig an. Niemand von den Anwesenden ist irgend etwas besonders angenehm. Trotzdem muß es getan werden. Keiner lenkt versöhnlich ein. Klemmer horcht darauf, ob che Frau teilweise Schuld auf sich nimmt. Du bist zu einem kleinen Teil auch selber schuld, mußt du zugeben, gibt Klemmer vor der Frau zu. Man kann nicht jemand aufs äußerste reizen und dann auf dem Eis tanzen. Wenn es einem zu wohl wird, kann man schließlich nicht das Gatter öffnen. Klemmer tritt wütig in die Tür eines Zauberschranks mit unbekanntem Inhalt, der jäh aufspringt und unerwartet einen Mistkübel mit eingelegter Plastiktüte vorzuweisen hat. Durch die Druckwelle hopsen oben zahlreiche Abfälle heraus und verteilen sich auf dem Küchenboden. Hauptsächlich Knochen. In einer Pfanne verbranntes Fleisch. Unwillkürlich wird von Klemmer darüber hingelacht. Draußen schmerzt dieses Lachen die Frau. Sie macht einen Vorschlag, daß wir über alles reden können, bitte. Schon gibt sie sich öffentlich einen Teil Schuld. Solange er hier ist: Hoffnung. Nur nicht fortgehen bitte. Sie will aufstehen, kann es aber nicht und fällt zurück. Die Mutter schreit hinter ihrer Barrikade, die sie nicht aufgebaut hat, nach der Tochter: wie geht es dir? Die Tochter antwortet ihr, danke, es geht. Es wird alles erledigt. Die Tochter fleht den Mann an, die Mami herauszulassen. Sie kriecht unter Mamarufen zur Tür, und die Mutter ruft hinter der Tür Erikas Namen verstärkt hervor. Im selben Atemzug äußert die Mutter einen Fluch, wie es so ihre Art ist. Klemmer ist vom kalten Wasser gestärkt worden. Er ist vom kalten Wasser etwas abgekühlt worden. - Erika hat die Muttertür fast erreicht, wird jedoch vom Schüler zurückgeworfen. Sie bittet erneut, nicht auf Kopf oder Hände. I Klemmer berichtet ihr, daß er jetzt nicht auf die Straße kann in r dem Zustand; er erschreckte dort nur dreist die meisten. Durch ihre Schuld ist er in solch einen Zustand geraten, sei ein bißchen lieb zu mir, Erika. Bitte. Er rast jetzt hochtourig über die Frau hinweg. Er schleckt ihr total das Gesicht ab und erbittet sich Liebe. Wer verschenkt diese größzügiger und zu geringfügige-; ren Bedingungen als eine liebende Frau? Unter Liebesbitten knöpft er sich auf, indem er den Reißverschluß hinunterzieht. ! Mit der Bitte um Liebe und Verstehen dringt er in die Frau kurz entschlossen ein. Er verlangt jetzt energisch sein Recht auf Zuneigung, das jeder hat, auch der Schlimmste. Klemmer, der Schlimme, bohrt in der Frau herum. Er wartet auf das Stöhnen i der Lust bei ihr. Erika verspürt nichts. Es kommt nichts. Es tut I sich nichts. Entweder ist es zu spät oder noch zu früh dafür. Die I Frau bringt öffentlich vor, daß sie das Opfer einer Betrügerei zu 4 sein scheint, weil sie nichts spürt. Diese Liebe ist im Kern I Vernichtung. Sie hofft sehr, Klemmer wünscht, daß sie ihn liebt. I Klemmer beschlägt leicht Erikas Gesicht, um ein Stöhnen her-I vorzuzaubern. Ihm ist es im Kern egal, weshalb sie stöhnt. Erika [wünscht sich Begierde, doch sie begehrt nichts und empfindet nichts. Sie bittet deshalb den Mann, rasch aufzuhören! Dadurch, I daß er sie jetzt wieder heftiger schlägt, mit der flachen Hand, I unter ermüdenden Liebesbitten, wird es zu einer einzigen Ge-1 walttour. Eine extreme Bergbesteigung. Die Frau gibt sich nicht mit frohem Willen, doch der Mann Klemmer, erwünscht es sich von ihr aus freien Stücken. Er hat es nicht nötig, eine Frau zu zwingen. Er schreit sie an, sie solle ihn freudig aufnehmen! Er ' sieht das unbewegte Gesicht, dem seine Anwesenheit keinen Stempel als den des Schmerzes aufdrückt. Soll das heißen, daß } ich genausogut gehen könnte, fragt Klemmer unter Schlägen. Klemmer erbringt für diese Frau seine persönliche Bestleistung, ' damit seine Gier endlich beseitigt wird. Ein für allemal, wie er ihr androht. Erika wimmert aufhören, denn es tut weh. Rein aus 274 275 Trägheit oder Faulheit kann sich Klemmer nicht aus der Frau herauslösen, bevor er fertig ist. Er bittet: liebe mich, er schleckt an ihr und schlägt abwechselnd. Er bewegt sich zornrot und legt Kopf an Kopf. Die Mutter wünscht Beendigung. Sie schlägt im Maschinengewehrtakt gegen die Tür. Sie läßt ein Schnellfeuer los, ungeachtet der Nachbarn. Klemmer erhöht sein Tempo, seine Geschwindigkeit ist mittlerweile recht hoch. Er schießt nicht über das Ziel hinaus, sondern genau ins Ziel hinein. Der sportliche Meister hat es vollbracht. Noch im selben Atemzug säubert er sich auch schon flink mit einem Tempotaschentuch, welches er als feuchten Knäuel auf den Boden neben Erika hinwirft. Er ersucht, niemandem etwas davon zu erzählen. Zu ihrem eigenen Besten. Er entschuldigt sich für sein. Benehmen. Er erklärt sein Benehmen damit, daß es ihn überkommen habe. So gehts einem. Er verspricht Erika vage etwas, die am Boden liegenbleibt. Ich habe es jetzt leider eilig, fordert der Mann auf seine Weise Verzeihung. Ich muß jetzt leider gehen, entbietet der Mann auf seine Weise der Frau Liebe und Verehrung. Hätte er jetzt eine einzelne rote Rose, schenkte er sie Erika glatt. Er grüßt sie mit dem Verlegenheitswort also servus und sucht auf dem Vorzimmertischerl nach dem Schlüsselbund mit dem Haustorschlüssel. Es tut nicht gut: zwei Frauen so alleine miteinander, gibt er Erika zum Abschluß eine Lebenshilfe. Er zieht an ihren Zügeln. Sie soll den Generationsunterschied doch vorurteilslos bedenken! Klemmer schlägt Erika vor, öfter unter Leute zu gehen, wenn nicht mit ihm, dann allein. Er bietet sich als Begleiter für Veranstaltungen an, von denen er weiß: nie wird er mit Erika dort hingehen. Er gesteht, also das wärs. Ob sie so etwas noch einmal mit einem Mann probieren werde, fragt er interessehalber die Frau. Er gibt sich selbst die einzig logische Antwort darauf: danke nein. Er malt, um mit Goethe zu sprechen, den Teufel an die Wand, daß man Geister, die man rief, nicht los wird, und lacht darüber. Er muß lachen: siehst du, so er-gehts einem. Er rät: aufpassen! Sie soll jetzt eine Platte auflegen, um sich zu beruhigen. Nicht auf französisch empfiehlt er sich, denn er hat sich jetzt zum wiederholten Male laut verabschiedet. 1 Er fragt, ob ihr nichts fehle, und beantwortet sich selbst die Frage * mit: es wird schon! Bis du heiratest, ist alles wieder gut, blickt 1 Klemmer kraft Volksweisheit in die Zukunft. Ungeküßt muß er auch diesmal nach Hause gehen, doch dafür hat er geküßt. Er '« geht nicht ohne Lohn. Seinen Lohn hat er eingetrieben. Und ~ auch die Frau hat die gebührende Belohnung erhalten. Wer nicht will, der hat schon, reagiert Klemmer auf Erika, nachdem diese I körperlich nicht auf ihn reagiert hat. Er springt die Treppe hin-\ unter, sperrt sich das Tor auf, wirft den Schlüsselbund wieder i hinein, und zwar auf den Boden. Die Mieter werden schutzlos in f einem unabgesperrten Haus zurückgelassen, während Klemmer \ seiner Wege zieht. Er nimmt sich noch im Gehen vor, Passanten, j soweit es sie noch zu sehen gibt, frech oder arrogant ins Gesicht I zu bücken. Er wird heute abend eine lebende Provokation dar-I stellen und Schiffe hinter sich verbrennen. Er turnt auf dem Bar-j ren der Gewißheit, daß diese beiden Frauen über das Geschehene I kein Wort verlieren werden, in ihrem eigenen Interesse. Nur kurz I erwägt er etwaige Folgekosten, Zinssätze. Es kommen keine Au-I tos mehr, und wenn doch, so hilft ein jugendlicher Reflex, und ; man springt rasch entschlossen zur Seite. Jung und schnell, nimmt Klemmer es aber auch mit jedem auf! Er sagt: heute nacht , könnte ich Bäume ausreißen! Er ist darüber beruhigt, daß es ihm jetzt viel besser geht als vorhin. Er pißt kräftig gegen einen Baum. Er läßt ganz bewußt nur positive Gedanken sein Hirn passieren, das ist das ganze Geheimnis seines Erfolgs. Sein Gehirn ist nämlich ein Einweg-Gehirn! Einmal gebrauchen, und dann lö-I sehen. Klemmer will keine schweren Gewichte mehr mit sich * herumschleppen, nimmt er sich als Vorsatz vor. Er geht jetzt als Herausforderung mitten auf der Straße. Der neue Tag trifft Erika alleine an, doch von der Fürsorge der Mutter verklebt, verpflastert. Diesen Tag hätte Erika gut mit dem Mann gemeinsam beginnen können. Man- 276 277 Ii-** BT t-ir • ■ m gelhaft vorbereitet tritt die Frau dem Tag gegenüber. Niemand wendet sich an ein öffentüches Organ, um Walter Klemmer zu arretieren. Schön ist dagegen das Wetter. Die Mutter schweigt in ungewohnter Weise. Sie tut hier und dort einen gutgemeinten Einwurf, verfehlt aber den Korb, den sie, der Tochter wegen, zu hoch gehängt hat. Jahrelang wurde der Korb immer ein Stück höher gehängt. Jetzt sieht man ihn kaum noch. Die Mutter läßt verlauten, die Tochter solle mehr unter Menschen gehen, um neue Gesichter und Tapeten kennenzulernen! Im Alter der Tochter ist es dafür höchste Zeit. Die Mutter hält ihrem schweigenden Kind rechnerisch vor, immer mit mir alter Frau zusammen ist nicht gut, du junger Übermut. Bei der Menschenunkenntnis Erikas, die sie erst kürzlich unter Beweis stellte, trifft diese vielleicht zum zweiten Mal in einem Jahr den Falschen. Die Mutter spricht darüber, was für Erika gut ist. Daß Erika es auch einsieht, ist der erste Schritt zur Selbsterkenntnis. Daß es noch andere Männer gibt, vertröstet die Mutter ängstlich auf ein nebuloses Später. Nicht unfreundlich schweigt Erika. Die Mutter befürchtet, daß Erika jetzt nachdenkt, und gibt dieser Befürchtung Ausdruck. Wer nicht spricht, könnte gut denken. Die Mutter fordert auf, Gedanken öffentlich preiszugeben und nicht in sich hineinzufressen. Was man denkt, muß man der Mutter gegenüber auch aussprechen, damit diese informiert ist. Die Mutter ängstigt sich vor einer Stille. Ist die Tochter rachsüchtig? Wird sie eine unverschämte Rede wagen? Es geht die Sonne auf, unter ihr Staubwüsten. Rot wäscht es über die Fassaden. Bäume haben sich mit Grün überzogen. Sie entschließen sich, zum Schmuck zu gereichen. Blumen setzen Knospen, um das Ihre dazuzutun. Leute gehen darin herum. Die Rede quillt ihnen aus den Mündern. Vieles tut Erika weh, und sie bewegt sich aus Vorsicht nicht jäh. Ihre Verbände sind nicht immer körpergerecht, aber dafür üebevoll angebracht worden. Der Morgen könnte Erika anregen, einen Grund dafür zu suchen, wozu sie sich all die Jahre von allem abgeschlossen hat. Um eines Tages groß 278 hervorzutreten aus den Mauern und alle zu übertreffen! Warum nicht jetzt. Heute. Erika zieht ein altes Kleid aus der verflossenen kurzen Mode an, das Kleid ist nicht so kurz wie andere Kleider damals. Das Kleid ist zu eng und geht im Rücken nicht ganz zu. Es ist vollständig veraltet. Auch der Mutter gefällt das Kleid nicht, es ist ihr zu kurz und zu eng. Die Tochter steht an allen Ecken und Enden vor. Straßen wird Erika betreten, um alle zu verblüffen, dazu wird ihre Anwesenheit allein ausreichen. Erikas Ministerium des Äußeren trägt ein veraltetes Kleid, nach dem sich mancher spöttisch umdreht. Die Mutter macht zur Ablenkung einen Ausflugsvorschlag, aber in diesem Aufzug gehst du mir nicht. Die Tochter hört es nicht. Davon ermutigt, holt die Mutter Wanderkarten hervor. Aus alten staubigen Fächern, in denen noch der Vater wühlte, mit dem Finger sich Pfade zusammenstellend, Ziele suchend, Jausenstationen aufspürend. In der Küche steckt die Tochter ungesehen ein scharfes Messer in die Handtasche. Es sieht und schmeckt sonst immer nur tote Tiere. Die Tochter weiß noch nicht, ob sie einen Mord begehen wird oder sich dem Mann lieber küssend zu Füßen werfen. Später wird sie die Entscheidung treffen, ob sie ihn sticht. Oder ob sie ihn leidenschaftlich und ernstgemeint anfleht. Sie hört der Mutter nicht zu, die anschaulich Wege beschreibt. Die Tochter wartet auf den Mann, der kommen soll, um sie anzuflehen. Sie setzt sich still an das Fenster und rechnet Fortgehen und Bleiben gegeneinander auf. Für das Bleiben wird vorerst gestimmt. Morgen gehe ich vielleicht, entscheidet sie. Sie schaut auf die Straße hinunter, gleich darauf geht sie fort. Jetzt beginnt bald die Morgenvorlesung an der technischen Universität, Fachrichtung Klemmer. Sie hat das einmal von ihm erfragt. Liebe ist ihr Wegweiser dorthin. Sehnsucht ihre unwissende Beraterin. Schon geht Erika Kohut fort und hat die Mutter hinter sich zurückgelassen, die Erikas Gründe erforscht. Die Zeit ist der Mutter seit langem wohlvertraut als extrem bösartige fleisch- fressende Pflanze, doch ist es nicht ungewohnt früh, sich ihr auszusetzen? Das Kind beginnt den Tag im allgemeinen später, daher setzt auch die Erosion des Tages später ein. Ihr warmes Messer in ihrer Tasche umklammert Erika und geht durch Straßen zu Fuß in Richtung-ihres Ziels. Sie bietet einen ungewohnten Anblick, wie dazu gemacht, Menschen zu fliehen. Die Leute scheuen sich nicht zu starren. Sie machen im Umdrehen Bemerkungen. Sie schämen sich nicht ihrer Meinung über die Frau, sie sprechen sie aus. In ihrem unentschlossenen Halbminikleid wächst Erika zu voller Höhe empor, mit Jugend in scharfen Wetfkampf tretend. Allerorten deutlich sichtbare Jugend verlacht die Frau Lehrerin offen. Die Jugend lacht über Erika bezüglich deren Äußerlichkeit. Erika lacht über die Jugend bezüglich deren Innerlichkeit ohne rechte Inhalte. Ein Männerauge signalisiert Erika, sie sollte nicht ein so kurzes Kleid tragen. So schöne Beine hat sie nun auch wieder nicht! Lachend schreitet die Frau herum, das Kleid paßt nicht zu ihren Beinen und die Beine passen nicht zum Kleid, wie auch der Moderatgeber sagen würde. Erika erhebt sich aus sich heraus und über andere. Sie hat eine Bangigkeit, ob sie mit diesem Mann fertig wird. Jugend spottet auch in der Innenstadt. Erika höhnt lauthals zurück. Was die Jugend kann, kann Erika besser. Sie macht es schon länger. Erika geht über freie Plätze vor Museen. Tauben fliegen auf. Vor dieser Entschlossenheit! Touristen gaffen zuerst auf die Kaiserin Maria Theresia, dann auf Erika, dann wieder auf die Kaiserin. Flügel knattern. Öffnungszeiten sind angeschlagen. Die Straßenbahnen auf dem Ring gehen auf Ampeln los. Sonne flimmert durch Staub. Hinter dem Gitter des Burggartens beginnen junge Mütter ihren Tagesmarsch. Die ersten Verbote werden auf Kieswege hinabgeschleudert. Von ihrer Höhe hinab tropfen die Mütter ihren Geifer. Anschwellendes Geheul, die Wunderwaffe, antwortet darauf. Allerorten verständigen sich jetzt zwei oder mehrere. Kollegen finden sich zusammen, Freunde geraten in Streit. Autofahrer rinnen ener- gisch über die Opernkreuzung, weil die Fußgänger ihnen aus den Augen gegangen sind und sich nur mehr im Untergrund aufhalten, wo sie Schaden, den sie anrichten, selber verantworten müssen. Sie finden dort keine Sündenböcke: die Autofahrer. Geschäfte werden betreten, nachdem sie yon außen ausführlich begutachtet wurden. Einige schlendern bereits ohne Ziel. Die Bürobauten am Ring schlucken Person um Person, welche sich mit Export und Import befaßt. In der Konditorei A'ida sehen Mütter der geschlechtlichen Betätigung ihrer Töchter ins Auge, die ihnen gefährlich verfrüht erscheint vom Beginn an. Sie preisen den Einsatz ihrer Söhne in Schule und Sport. Die Verirrung eines leibhaftigen Messers umgreift Erika Kohut in ihrer Handtasche. Geht ein Messer auf die Reise oder wird sich Erika auf den Canossagang zu männlicher Verzeihung machen? Sie.weiß es noch nicht und wird es erst an Ort und Stelle entscheiden. Noch ist das Messer Favorit. Tanzen soll es! Die Frau steuert die Secession an und hebt frei das Haupt zur Blätterkuppel. Darunter zeigt ein stadtbekannter Künstler heute etwas, nach dem die Kunst nicht mehr sein kann, was sie vorher war. Von hier aus ist die Technik, der Gegenpol zur Kunst, schon ferne sichtbar. Erika muß nur noch die Kreuzung unterqueren und durch den Resselpark. Fallweise weht Wind. Stimmen jugendlicher Wißbegier häufen sich hier schon. Blicke streifen Erika, die sich ihnen stellt. Endlich streifen auch mich einmal Blicke, frohlockt Erika. Solchen Blicken ist sie Jahre um Jahre aus dem Weg gegangen, indem sie einhäusig blieb. Doch was lange währt, wird endlich doch scharf hervorstechen. Nicht unbewaffnet setzt sich Erika den Blicken aus, braves Messer du. Jemand lacht. Nicht jeder lacht so laut. Die meisten lachen nicht. Sie lachen nicht, weil sie außer sich selbst nichts anderes sehen. Sie bemerken Erika nicht. Gruppen junger Leute gerinnen aus dem fließenden Strom heraus. Sie bilden Stoßtrupps und die Nachhut. Engagierte junge Menschen machen entschlossen Erfahrungen. Sie sprechen andauernd darüber. Die einen wollen Erfahrungen mit sich 280 4 5 281 I machen, die anderen lieber Erfahrungen mit anderen, je nach Wunsch. Vor der Fassade der technischen Hochschule auf Säulen die metallischen Männerköpfe berühmter Naturwissenschaftler dieses Instituts, die Bomben und Stauwerke erfanden. Krötenartig hockt die riesige Karlskirche inmitten einer öden Wüstenei, in der ihr immerhin keine Autoabgase mehr drohen. Wasser sprudelt selbstsicher geschwätzig herum. Man geht rein auf Stein, außer im Resselpark, der eine grüneOase vorstellen soll. Auch mit der U-Bahn kann man fahren, wenn man nur will. Erika Kohut entdeckt Walter Klemmer inmitten einer Gruppe von gleichgesinnten Studenten in verschiedenen Stadien des Wissens, die miteinander laut herumlachen. Aber nicht über Erika, die sie gar nicht wahrnehmen. Es wird lautstark demonstriert, daß Walter Klemmer heute nicht blaugemacht hat. Er hat sich von dieser Nacht nicht länger ausruhen müssen als von anderen Nächten. Erika zählt drei Jungen und ein Mädchen, das ebenfalls etwas Technisches zu studieren scheint und damit eine technische Novität bildet. Das Mädchen wird von Walter Klemmer fröhlich umschultert. Es lacht laut auf und birgt seinen blonden Kopf kurz an Klemmers Hals, welcher seinerseits einen blonden Kopf zu tragen hat. Das Mädchen kann vor lauter Lachen nicht stehen, wie es mittels Körpersprache aussagt. Das Mädchen muß sich auf Klemmer stützen. Die anderen pflichten ihm bei. Auch Walter Klemmer lacht voll auf und schüttelt Haar. Sonne umfängt ihn. Licht umspielt ihn. Laut lacht Klemmer weiter, und die anderen stimmen vollhalsig zu. Was ist denn gar so komisch, fragt ein später Hinzugekommener und muß sofort hell mitlachen. Er wird angesteckt. Es wird ihm etwas in prustenden Stößen geschildert, und nun weiß er erst, worüber er lacht. Er übertrifft die andern noch, weil er eine Zeitspanne an Lachen nachzuholen hat. Erika Kohut steht da und sieht. Sie schaut zu. Es ist heller Tag, und Erika schaut zu. Als die Gruppe genügend gelacht hat, wendet sie sich dem Gebäude der technischen Universität zu, um es zu betreten. Dazwischen müssen sie immer 282 wieder herzlich auflachen. Sie unterbrechen sich selbst durch Lachen. Fenster blitzen im Licht. Ihre Flügel öffnen sich dieser Frau nicht. Sie öffnen sich nicht jedem. Kein guter Mensch, obwohl nach ihm gerufen wird. Viele wollen gerne helfen, doch sie tun es nicht. Die Frau dreht den Hals sehr weit zur Seite und bleckt das Gebiß wie ein krankes Pferd. Keiner legt eine Hand an sie, keiner nimmt etwas von ihr ab. Schwächlich blickt sie über die Schulter zurück. Das Messer soll ihr ins Herz fahren und sich dort drehen! Der Rest der dazu nötigen Kraft versagt, ihre Blicke fallen auf nichts, und ohne einen Aufschwung des Zorns, der Wut, der Leidenschaft sticht Erika Kohut sich in eine Stelle an ihrer Schulter, die sofort Blut hervorschießen läßt. Harmlos ist diese Wunde, nur Schmutz, Eiter dürfen nicht hineingeraten. Die Welt steht, unverwundet, nicht still. Die jungen Leute sind gewiß für lange im Gebäude verschwunden. Ein Haus grenzt an das andere. Das Messer wird in die Tasche zurückgelegt. An Erikas Schulter klafft ein Riß, widerstandslos hat sich zartes Gewebe geteilt. Der Stahl ist hineingefahren, und Erika geht davon. Sie fährt nicht. Sie legt sich eine Hand an die Wunde. Niemand geht ihr nach. Viele kommen ihr entgegen und teilen sich an ihr, Wasser an einem tauben Schiffsrumpf. Keiner der schrecklichen und jede Sekunde erwarteten Schmerzen trifft ein. Eine Autoscheibe lodert auf. Erikas Rücken, an dem der Reißverschluß ein Stück offensteht, wird gewärmt. Der Rücken wird von der immer kräftiger werdenden Sonne leicht angewärmt. Erika geht und geht. Ihr Rücken wärmt sich durch Sonne auf. Blut sickert aus ihr heraus. Menschen bücken von der Schulter zum Gesicht empor. Einige wenden sich sogar um. Es sind nicht alle. Erika weiß die Richtung, in die sie gehen muß. Sie geht nach Hause. Sie geht und beschleunigt langsam ihren Schritt. 283 1 1