Lange Nacht der kurzen Texte, 2003 Franz Schamann (1876 - 1909) Er besuchte hier die Landesoberrealschule, die er nach drei Jahren verlassen musste (aus Französisch durchgefallen). Drei Jahre war er bei der Armee. Schon im Jahre 1899 verlässt Schamann Brünn, nachdem er hier seine Stelle in der Textilfabrik Strakosch verloren hat, bleibt aber seiner Vaterstadt und seiner mährischen Heimat thematisch im großen Teil seiner Werke treu. In Mähren spielen nicht nur Mährische Geschichten (1902), sondern auch viele Erzählungen des Bandes Aida (1909), der Roman Die Nachwehen (1910) und die Dramen Liebe (1901) und Liebesleut (1904-1905 entstanden). In Wien lebte er mit einem Mann, der ihn aushielt, den wachsenden Schuldenberg aber doch nicht letztendlich bezahlen wollte. Schamanns spätere Frau Ella arbeitet seit 1902 in Brün in einem Wäschegeschäft, und in Brünn findet auch die Trauung 1903 statt. In demselben Jahr 1903 erhält Schamann, wie Karel Krejčí anführt (Krejčí 1976, S.89), eine Unterstützung von 300,- fl von der Gemeinde Brünn. Schamann fühlte sich als Autor verkannt und kompensierte seine Komplexe darin, dass er das Leben eines Bohemiens führte. Paul Stefan äußerte sich sehr zurückhaltend, als er in seiner Erinnerung Das Grab in Wien schrieb: Ich hatte mit Franz Schamann von seinen Anfängen her (wir kamen aus der gleichen Stadt) manche schwere Stunde verlebt … * Ein anderer aus Brünn stammender Autor Oskar Bendiener (1870 – 1940) war Mitunterzeichner des Aufrufs im Literarischen Echo (15. 8. 1906), um Schamann Notlage zu lindern. Unterstützung fand Schamann bei Luwig Ficker, 1907 verbrachte er einen Kuraufenthalt in Innsbruck. Er starb 1909 an der Lues, die er sich in seinen Jugendjahre zugezogen hatte. Die Nachwehen Die Handlung spielt im Jahre 1888 und zeigt die Nachwehen Europas, nachdem das deutsche Reich geboren wurde. Die Perspektive im Roman wird durch die Gestalt Stengls bestimmt. Er hat am Mexiko-Abenteuer des liberalen Kaisers Maximilian in den Jahren (1865 - 67) teilgenommen und ist nach seiner Rückkehr von den Verhältnissen in der Monarchie tief enttäuscht. In dem ungesunden Milieu Brünns sterben an Tuberkulose seine Frau und später seine Tochter, er selbst scheidet dann freiwillig aus dem Leben. Das Exotische, die Jahre in Mexiko als Major des Mexikanischen Corps österreichischer Freiwilliger, empfindet Stengl als das Eigene, womit er sich identifiziert, die Brünner Verhältnisse sind ihm fremd geworden. Sein einziger Freund ist der Verwalter Jehla. Jehlas Sohn Felix ist ein Schwächling und Bewunderer Bismarcks, er fühlt sich grunddeutsch. Die Untermieter in Stengls Haus, die tschechische Arbeiterfamilie Watzula, deren Sohn als Anarchist hingerichtet wird, werden im Roman ohne Hass, aber auch ohne überschwengliche Sympathie geschildert. Als der junge Watzula bei Zusammenstößen der Streikenden mit der Polizei verletzt wird, holt Felix seinen Freund aus einer deutschen Studentenverbindung, einen Arzt, der Watzula geheim behandelt. Sonst sind die Tschechen hier durch etwas verdächtige Typen vertreten wie durch die Geliebte des Stadtrats Kulp Holoubkin oder den Friseur Nawratil, den Sohn eines katholischen Priesters und einer Putzwäscherin, durch einen Mann, der nach oben buckelt und nach unten tritt, oder durch einen entlassenen Amtsdiener im Magistrat, der den Stadtrat Kulp durch eine Hetzkampagne im Skandalblatt Wau-Wau unmöglich machen will. Natürlich für eine reiche Belohnung von den Tschechen. Als Ideal von Toleranz und Objektivität erscheint im Roman eine Randfigur, ein Bibliothekar des Franzens-Museums und Komenius-Kenner, der im Museum einen neutralen Boden im überall herrschenden Sprachkampf erhalten will. 73 *Jehla über die Sokolisten: Ihr jugendfrisches Gehaben passte dem Verwalter nicht. Der Abstammung nach war er wohl selber Tscheche, aber der Offizier in ihm und das Schwarzgelbtum des Staatsbeamten, der er nun war, hatte aus ihm ein in gewissser Beziehung nationalitäsloses Geschöpf gemacht, das weder deutsch noch slawisch war, dem jedoch in Felix kein Erbe geboren ward. Felix fühlte sich grunddeutsch, seine Mutter war ein Kind deutschböhmischer Eltern [...] er gehörte der studentischen Verbindung Moravia an und war ein Bewunderer Bismarckss, dessen Staatskunst, soweit sie bis jetzt zu übersehen war, ihm hell wir Baldurs Aug´ erschien. Komeniusbibliothek 139 (Der Bibliothekar) Auch empfand er es als Schmach, dass Berlin eine Komeniusgesellschaft hatte, während das eigene Vaterland dem bedeutendsten Manne, den es hervorgebracht, keine Stätte des Gedenknes zu errichten für nötig befunden, obwohl die Landtagsmajorität[Zdenek Ma1] seit langem in den Händen der Landsleut des Komensky, der Tschechen, war. 143 Der Brünner Kulp zeigt ein teutonisches Herz, weil es ihm gerade im Kampf gegen die überwiegend tschechische Arbeiterschaft in den Kram passt. Er zeigt seine Borniertheit, indem er mit dem Säbel das Schild Bibliotheca in lateinischer Schrift niederreißt, weil er meint, es sei tschechisch. in römischen Buchstaben Bibliotheca: Kulp: mir scheint´s, Sie glauben, dass die tschechische Amtsprache schon a gesetz is´, was Reisst es mit seinem Säbel herunter: 144 Bibliothekar: das ist doch eine lateinische Aufschrift, ich hab´s eigens darum anbringen lassen,um wenigstens hier einne neutralen Boden im Sprachenkampf zu schaffen Kupl: Die machen sich an Kaschper aus mir unfreiwillige Komik 192 Unwillkürlich drängte sich dem Betrachtenden wieder der Vergleich dieser Stadt mit einem monströsen, aber ebenmäßig gebauten Weibe auf, dessen Beine gegen Kaurschim hin lagen. Spielberg und Dom waren ihre geschwollen Brüste, der grüne Markt ihr Bauch, wo das Theater steht, wurde sie befruchtet; doch wo ist der Kopf? Der Kopf konnte unmöglich jenes finstere Kloster dort unten sein, - das wäre ein viel zu kleiner Kopf! Nein, die ebenmäßigen Linie zielten energisch nach jener Vorstadt hin, wo die Rudervereine ihre Klubhäuser hatten; jener frechlustigen Vorstadt, wo das Vergnügen wohnte und die Freude ihren Sitz hate. … das war das Glück dieser Stadt, dass sie leichten Sinnes war, sonst hätten sie die Schmerzen der Beiden Brustkrebsgeschwüre, Militarismus und Pfaffentum, um den Verstand gebracht; der Leichtsinn ließ sie darüber hinwegtänzeln. 248 Kulp wehrt sich gegen den Vorwurf, sie mit tschechischen Geliebten einzulassen: Geben S´ m´r Ruh mit de deutschen Mädeln … das sein lauter magere Krsipindln, ka einzige hat was vorn, ka einzige hat was hinten. Deutsche, kauft nur bei Deutschen, aber in der Liebe, Herr Jeneral, wer´ich sagen: Liebt´s nur die besten Böhminnen, denn sie sein grad gut g´nug als Blitzablieter von der Moral unserer Frauen und Jungfrauen zu brauchen. ________________________________ [Zdenek Ma1]