iI. Voraussetzungen und Grundfragen der Literaturwissenschaft i. Fiktionalität und Poetizität von LUTZ RÜHLING I . Einleitung 1.1 Vorläufige Begriffsbestimmung Was ist Literatur? Was unterscheidet einen literarischen Text von einem nicht-literarischen? Ist es wahr, daß die Dichter lügen, -wie ihnen Piaton einst vorwarf ? Fragen dieser Art sind es, auf -welche Theorien der Fiktionalität und der Poetizität eine Antwort zu geben versuchen; -wir befinden uns hier also im Bereich der literaturwissenschaftlichen >Grundlagenforschung<. Fiktionale Texte bilden eine bestimmte Klasse von Texten, die, wie sich jedenfalls vorläufig sagen läßt, von erfundenen Figuren, Gegenständen, Ereignissen handeln; und Fiktionalität ist genau jenes Merkmal, das diese Klasse von Texten von solchen unterscheidet, in denen keine erfundenen Figuren, Gegenstände, Ereignisse vorkommen (vgl. -> GRUNDLAGEN NARRATIVER TEXTE). Poetische oder literarische Texte hingegen (beide Begriffe seien im folgenden als gleich-wertig betrachtet) bilden genau die Klasse von Texten, die zum Bereich der Sprachkunst, der Literatur, gehören; und Poetizität oder Literarizität ist dann genau jenes Merkmal, das, wie sich ebenfalls vorläufig sagen läßt, künstlerische Texte von nicht-künstlerischen unterscheidet. Häufig wird davon ausgegangen, daß die Begriffe >Fiktionahtät< und >Poetizität< ko-extensional seien, daß also alle fiktionalen Texte zugleich auch literarisch seien und umgekehrt: daß alle literarischen Texte zugleich auch fiktional seien (so etwa ISER 1991, S. 18). Eine solche Auffassung ist jedoch unplausibel. Es gibt vielmehr fiktionale Texte, die eindeutig nicht literarisch sind, wie etwa bestimmte philosophische Lehrdialoge des 18. Jahrhunderts, die einzig und allein den Zweck besitzen, dem Leser den Zugang zu den dargestellten Gedanken so weit als möglich zu erleichtern. Zum anderen aber gibt es auch literarische Texte, die eindeutig nicht fiktional sind, da sie keine erfundenen Figuren, Gegenstände, Ereignisse enthalten, wie etwa Tagebuchaufzeichnungen von Dichtern, Briefe, oder auch 26 Voraussetzungen und Grundfragen der Literaturwissenschaft manche autobiographischen Werke. Daher gilt: Es gibt mcht-fiktionale Literatur, ebenso wie es auch nicht-literarische Fiktionen gibt. 1.2 Methodische Vorklärungen Fiktionalität und Poetizität verweisen jeweils auf Phänomene, die keineswegs ausschließlich auf die Literatur beschränkt sind. Darstellungen von erfundenen Figuren, Gegenständen, Ereignissen kommen auch in anderen Kunstgattungen vor, etwa im Film, auf der Bühne oder in der bildenden Kunst. Und Poetizität auf der anderen Seite ist nur die auf Texte bezogene Variante einer Eigenschaft, die man als >Ästhetizität< bezeichnen könnte, ein Merkmal, das Objekte der Kunst ganz allgemein von nicht zur Kunst gehörigen Gegenständen unterscheidet. Theorien der sprachlichen Fiktionalität und der Poetizität sind daher eigentlich nur Teilgebiet einer allgemeinen Fiktionalitätstheorie und einer allgemeinen Ästhetik. Daraus ergibt sich die Forderung, daß ihre Ergebnisse mit denen entsprechender Überlegungen zu den außerhteranschen Kunstgattungen jedenfalls nicht unverträglich sein sollten. Allerdings muß man einräumen, daß eine solche Forderung auf dem Gebiet der Fiktionalitätstheorien zur Zeit nur schwer zu erfüllen ist, da diese sich in der Vergangenheit nahezu ausschließlich sprachlichen Fiktionen gewidmet haben und es folglich vergleichbar elabonerte Theorien zu nichtsprachlichen Fiktionen bisher nicht gibt. Wie dies im Bereich der Grundlagenforschung nicht selten der Fall ist, besteht auf dem Gebiet der Fiktionalitäts- und Poetizitätstheorie ein Nebeneinander unterschiedlicher Disziplinen: von Literaturtheorie, Philosophie, Sprachwissenschaft und Semiotik, wobei die linguistische und semiotische Beschäftigung mit Fiktionalität und Poetizität zum ganz überwiegenden Teil allerdings innerhalb der Literaturtheorie stattfindet. Hingegen kommt es zwischen Literaturtheorie und Philosophie zu gewissen Kompetenzstreitigkeiten, genauer gesagt zwischen Literaturtheorie einerseits sowie philosophischer Ästhetik und analytischer Sprachphilosophie andererseits. Diese haben ihren Grund darin, daß die philosophische Ästhetik bereits seit etwa zweihundert Jahren eine eigenständige Disziplin bildet, während die philosophische Beschäftigung mit ästhetischen Fragen im allgemeinen gar auf eine über zweitausend] ähnge Tradition zurückblicken kann, und daß die analytische Sprachphilosophie sich bereits in ihren Anfängen vor etwa hundert Jahren und seitdem kontinuierlich immer wieder mit dem Problem der Fiktionalität auseinandergesetzt hat. Fiktionalität und Poetizität zj Will man diese Konkurrenz zwischen Literaturtheorie und Philosophie bewerten, so läßt sich vielleicht feststellen, daß die philosophischen Theorien zur Fiktionalität und Poetizität den literaturwissenschaftlichen häufig hinsichtlich ihres Reflexionsund Argumentationsniveaus sowie der gedanklichen Klarheit und Schärfe überlegen sind, andererseits aber die philosophischen Theorien gerade der Fiktionalität an einer Beschränkung auf lediglich einen einzigen Typus fiktionaler Texte kranken, nämlich auf realistische Erzähltexte vornehmlich des 19. Jahrhunderts. Für eine angemessene Theorie der Fiktionalität wäre daher eine Verbindung der Stärken beider Disziplinen wünschenswert, so daß die spezifisch philosophischen Kompetenzen durch spezifisch literaturwissenschaftliche ergänzt werden. Bedauerlicherweise gibt es trotz der langen Tradition bis auf den heutigen Tag weder eine allgemein anerkannte Theorie der Fiktionalität noch eine der Poetizität, so daß über beide Begriffe auch heute nicht anders zu schreiben möglich ist als wie »über ein noch ungelöstes Problem«, wie es Henning Boethius bereits in der ersten Ausgabe dieses Bandes mit Bezug auf die Ästhetik ausgedrückt hat. Dies bedeutet indes nicht, daß es gar keinen Fortschritt gäbe; durch die Diskussion sind vielmehr insbesondere die argumentatorischen Schwächen der unterschiedlichen Ansätze deutlich zutage getreten. Man kann daher sagen: Wir wissen vielleicht noch nicht genau, wie eine befriedigende Theorie der Fiktionalität und der Poetizität auszusehen hätte, aber wir wissen recht genau, welcher Art von Problemen sie zu begegnen und welche Schwierigkeiten sie zu vermeiden hat. Aus diesem Grund sollen im folgenden, beginnend mit Theorien der Fiktionalität, einige der wichtigsten philosophischen und literaturwissenschaftlichen Positionen zum Problem der Fiktionalität und Poetizität knapp skizziert und in aller Kürze kritisch kommentiert werden. Im Anschluß an die Diskussion soll dann jeweils auf Probleme und Fragen aufmerksam gemacht werden, die für die Zukunft noch zur Lösung anstehen. 2. Fiktionalität 2.1 Merkmale der Fiktionalität f Käte Hamburger hat in ihrem Werk »Die Logik der Dichtung«, das in Deutschland den Anfang der genuin literaturwissenschaftlichen 28 Voraussetzungen und Grundfragen der Literaturwissenschaft Beschäftigung mit dem Problem der Fiktionalität markiert, die These vertreten, fiktionale Texte seien an einer Reihe von »echten objektiven Symptomen« zu erkennen, deren wichtigstes das sogenannte »epische Präteritum« sei, durch welches »das Präteritum seine grammatische Funktion, das Vergangene zu bezeichnen«, verliere (HAMBURGER ^977, S. 61; -> GRUNDLAGEN NARRATIVER TEXTE). Als Beispiel dafür dient ihr ein Satz wie »Morgen war Weihnachten«, in dem das präteritale »war« in Widerspruch zur futurischen Zeitangabe (»morgen«) stehe. Sie erklärt dieses Phänomen damit, daß sich das Erzählte auf einen fiktiven Erzähler beziehe und nicht auf den realen Autor (ebd., S. 66). Doch diese Erklärung ist offensichtlich wenig einleuchtend, denn auch ein realer Ich-Erzähler könnte den Satz »Morgen war Weihnachten« verwenden, wenn er etwa in erlebter Rede die Gedanken wiedergibt, die ihm an einem 23.12. durch den Kopf gegangen sind. Überhaupt läßt sich dieser Einwand gegen nahezu alle Beispiele vorbringen, die Hamburger in diesem Zusammenhang anführt, da es sich stets um Fälle von erlebter Rede handelt. Einer anderen Theorie zufolge gibt ein fiktionaler Text seine Fiktionalität dadurch zu erkennen, daß er dem Leser vor Augen führt, »daß der Text auf einer abstrakten Schicht der Sachlage beruht oder daß nur wenige oder keine Teile der Sachlage des Textes wirklichen Erscheinungen der Lebenswelt entsprechen« (GUMBRECHT 1975, S. 41). Doch dies ist ebenfalls nicht notwendig, wie etwa das Beispiel Karl Mays zeigt, dessen Texte, obwohl fiktional, von vielen Lesern für wahr gehalten wurden, weil sie aufgrund der in einer exotischen Ferne angesiedelten Ereignisse der Romane gar keine Möglichkeit besaßen, festzustellen, »daß nur wenige oder keine Teile der Sachlage des Textes wirklichen Erscheinungen der Lebenswelt« entsprachen. Dieses Beispiel macht deutlich, daß es keine »echten objektiven Symptome« für Fiktionalität gibt: Fiktionalen Texten sieht man ihre Fiktionalität nicht notwendigerweise an, sondern sie können durchaus ununterscheidbar von Sachtexten sein. Gerade aus diesem Grund freilich sind sie häufig vom Autor durch Gattungsbezeichnungen auf dem Titelblatt, interne Inkohärenz und andere Signale bewußt als fiktional gekennzeichnet (WEINRICH 1975), um eine angemessene Rezeptionsweise sicherzustellen (-> PARATEXTE). Aus diesem Fehlen »echter objektiver Symptome« für Fiktionalität darf man freilich nicht den Schluß ziehen, eine Explikation von Fiktionalität sei prinzipiell unmöglich, wie dies etwa Harald WeinFiktionahtät und Poetizität 2 9 rieh getan hat (ebd., S. 525). Als zusätzlicher Beleg für diese Behauptung wird häufig der Umstand angeführt, daß es Texte gibt, die wir heute als fiktional betrachten, die früher jedoch als Sachtexte angesehen wurden, wie dies etwa bei der Wiedergabe von Mythen der Fall sein kann. Doch ein solcher Schluß ist voreilig: Daraus, daß sich die Kriterien dafür, ob ein Text fiktional ist oder nicht, im Laufe der Zeit ändern können, folgt noch nicht, es sei prinzipiell unmöglich, zu explizieren, was ein fiktionaler Text ist. 2.2 Fiktionalität und Fiktivität Zu Beginn einer Skizze von Fiktionalitätstheorien empfiehlt sich zunächst eine Differenzierung zwischen den umgangssprachlich oft synonym verwendeten Ausdrücken >Fiktionalität< als Substantiv zu >fiktional< und >Fiktivität< als Substantiv zu >fiktiv<. Das Prädikat >fiktional< bezeichnet im folgenden ausschließlich eine bestimmte Darstellungsweise, derart daß das Dargestellte nicht existiert. Das Prädikat >fiktiv< hingegen bezeichnet im folgenden ausschließlich eine, wie sich vorläufig sagen läßt, bestimmte Existenzweise von Gegenständen (im formalen Sinne), derart daß diese Gegenstände nicht existieren. Fiktive Gegenstände sind beispielsweise alle jene uns vertrauten Gestalten aus fiktionalen Texten wie etwa Don Quijote, Sherlock Holmes, Josef K., aber auch Gegenstände wie jenes Bartbecken, das Don Quijote fälschlicherweise für Mambrinos Helm hält. Fiktive Gegenstände werden nicht allein in fiktionalen Texten erwähnt: Der Weihnachtsmann, der »Wolpertinger« oder eine Person, die sich ein Kind im Rollenspiel ausdenkt, sind fiktive Gestalten, zu denen nie ein fiktionaler Text existiert hat, und in der Literaturwissenschaft ist es sogar der Normalfall, daß (etwa in der Sekundärliteratur) fiktive Gegenstände erwähnt werden, ohne daß diese Texte deshalb fiktional wären. Aus diesem Umstand ergibt sich die Folgerung, daß die Erwähnung fiktiver Gegenstände in einem Text noch kein hinreichendes Merkmal für dessen Fiktionalität darstellt. Hingegen ist häufig behauptet worden, die Erwähnung fiktiver Gegenstände sei notwendiges Merkmal für die Fiktionalität eines Textes. Doch dies ist zunächst einmal offensichtlich falsch, da es fiktionale Texte gibt, in denen keinerlei fiktive Gegenstände vorkommen, wie etwa Bertolt Brechts Erzählung »Der verwundete Sokrates«, die eine Episode aus Piatons »Symposion« nacherzählt. Die Anhänger einer solchen These nehmen daher häufig an, alle singulären Termini, die anscheinend historische Objekte bezeichnen (wie 30 Voraussetzungen und Grundfragen der Literaturwissenschaft etwa der Eigenname »Napoleon« in Tolstois »Krieg und Frieden«), bezögen sich in Wahrheit auf fiktive Objekte, die den historischen lediglich sehr ähnlich, aber nicht mit ihnen identisch seien (DOLEZEL 1989, S. 230); mit anderen Worten: in fiktionalen Texten könnten gar keine historischen Objekte vorkommen (HAMBURGER '1977, S. 93-95, STERN 1965/1966, S. io6f.). Eine solche Auffassung ist jedoch indirekt an bestimmte sprachphilosophische Thesen über die Natur von Eigennamen gebunden, um überhaupt den Anschein der Plausibilität erwecken zu können; Thesen, die sich bei näherem Hinsehen als äußerst fragwürdig herausstellen. Dazu nur ein Hinweis: Welchen Sinn sollte es für den Autor eines historischen Romans machen, sich eine Geschichte über eine fiktive Person auszudenken, die Napoleon heißt und dem historischen Napoleon extrem ähnlich sieht, statt über den historischen Napoleon selbst ? Diese Überlegungen machen deutlich, daß es sich bei Fiktionalität und Fiktivität um zwei logisch voneinander unabhängige Phänomene handelt. Dementsprechend sollen im folgenden die Problemfelder der Fiktionalität und der Fiktivität getrennt voneinander behandelt werden. 2.3 Theorien der Fiktionahtät 2.3.1 Die Grundfrage der Fiktionalitätstheorie Nahezu alle Fiktionahtätstheorien rekonstruieren den fiktionalen Text als eine bestimmte Art von Rede des Autors. Dies gilt auch für fiktive Gespräche wie philosophische Lehrdialoge, Dramen als >Lesetext< oder Ich-Romane. Ein fiktiver Dialog etwa wird als elliptisch in bezug auf die Inquit-Formeln aufgefaßt, also so, daß der Autor hier erzählt: »A sagt: >...<, dann sagt B: >...<, dann wieder A: >...<« und so weiter; und bei einem Ich-Roman wird angenommen, der Autor unterstelle, es gebe eine Person namens David Copperfield, die folgendes erzähle: »...«. Die Inquit-Formeln sowie die Unterstellung der Existenz einer erzählenden Person bilden dann gleichsam Äußerungen erster Stufe, die dem Autor direkt zugeschrieben werden, während die Dialogbeiträge der fiktiven Sprecher und die ganze Erzählung David Copperfields Äußerungen zweiter Stufe darstellen, die vom Autor innerhalb seiner Äußerungen erster Stufe lediglich zitiert werden. Auf diese Weise kommt man fast zwangsläufig zu dem Schluß, die Rede des Autors eines fiktionalen Textes besitze stets explizit oder implizit die Struktur einer Erzählung; da aber Erzählungen in Form von Behauptungssätzen abgefaßt werden, ergibt sich als Grundform jeden fiktionalen Textes ebenfalls Fiktionalität und Poetizität 31 der Behauptungssatz. Solche dem Autor direkt zuzuschreibende Äußerungen in Form von Behauptungsätzen sollen im folgenden der Kürze halber >fiktionale Äußerungen genannt werden. Da, wie wir gesehen haben, die Erwähnung fiktiver Gegenstände kein notwendiges Merkmal für die Fiktionalität eines Textes darstellt, liegt es nahe, sich auf die Frage zu konzentrieren, welchen illokutionären Sprechakt der Autor mit seinen expliziten oder präsupponierten fiktionalen Äußerungen vornimmt. Da nun aber mit Behauptungssätzen in der Regel Behauptungen vorgenommen werden, also ein Sprechakt, der dazu führt, daß den Sätzen das Prädikat >wahr< oder >falsch< zugesprochen werden kann, ergibt sich als zweite Grundfrage der Fiktionalitätstheorie, ob fiktionalen Äußerungen ein Wahrheitswert zugeschrieben werden kann und wenn ja, welcher. Entscheidend für das Verständnis von Fiktionalität sind dieser Auffassung zufolge also lediglich fiktionale Äußerungen; die Äußerungen höherer Stufe hingegen sind unproblematisch, da mit ihnen dieselben illokutionären Sprechakte ausgeführt -werden wie mit entsprechenden Äußerungen in nicht-fiktionalen Texten. 2.3.2 Fiktionale Äußerungen ah wahre oder falsche Äußerungen Der erste Typ von Fiktionalitätstheorie geht davon aus, daß mit fiktionalen Äußerungen ganz einfach jener Sprechakt ausgeführt wird, der normalerweise mit Behauptungssätzen vollzogen wird: der des Behauptens. Die älteste und zugleich wohl populärste Variante dieser Theorie, die bereits auf Piaton zurückgeht und unter anderem von David Hume wiederholt wurde, nimmt zudem an, diese Behauptungen seien im buchstäblichen Sinne falsch und die Dichter daher »hars by profession« (Hume). Doch diese Auffassung ist im höchsten Maße unplausibel. Zwar ist es richtig, daß die fiktionalen Äußerungen, wenn sie denn behauptet würden, falsch wären (GOODMAN 1983, S. 336); doch es wäre inadäquat, wenn ein Leser auf sie so reagieren würde wie auf eine falsche Behauptung im eigentlichen Wortsinne. Ein solcher Leser würde damit vielmehr lediglich dokumentieren, daß er die Erzählung nicht als eine fiktionale rezipiert. Natürlich kann ein Leser wissen, daß all das, was in der Geschichte erzählt "wird, sich niemals ereignet hat, und sie folglich falsch wäre, wenn sie behauptet würde; doch dies läßt es eher fraglich erscheinen, ob es sich bei fiktionalen Äußerungen tatsächlich um Behauptungen handelt. Eine weitere Theorie, die fiktionale Äußerungen als Behauptungen auffaßt, geht im Gegensatz zu der soeben skizzierten davon aus, 32 Voraussetzungen und Grundfragen der Literaturwissenschaft diese Behauptungen seien wahr. Diese Auffassung läßt sich auf die unter anderem von Saul A. Kripke im Anschluß an Gottfried Wilhelm Leibmz entwickelte Theorie der »möglichen Welten« als einer Semantik für die Modallogik zurückführen. Danach konstituiert ein fiktionaler Text eine oder mehrere mögliche Welten; und die fiktionalen Äußerungen des Textes sind nur -wahr in bezug auf diese möglichen Welten, nicht jedoch in bezug auf die -wirkliche Welt (MARTINEZ-BONATI 1973, S. 186). Eine derartige Theorie ist allerdings so lange unbefriedigend, solange sie nicht zu erklären vermag, auf welche Weise präzise ein fiktionaler Text solche möglichen Welten konstituiert. Dies aber kann sie schon deshalb nicht, weil der für die Explikation so wesentliche Ausdruck »mögliche Welt« lediglich eine Metapher darstellt (THÜRNAU 1994, S. 29), die in der Semantik der Modallogik ihre Berechtigung haben mag, sich für die Klärung des Fiktionalitätsbegriffs ohne weiterführende Überlegungen jedoch als -wenig hilfreich erweist. 2.3.3 Fiktionale Äußerungen als vorgebende Äußerungen Einwände wie diese lassen es fraglich erscheinen, ob man fiktionalen Äußerungen überhaupt die Prädikate >wahr< oder >falsch< zusprechen kann und ob es sich bei diesen folglich überhaupt um Behauptungen handelt. Auch dieser Zweifel ist nicht neu: »the poet [...] never affirmeth« heißt es in einem bereits 1595 erschienenen Essay des elisabethanischen Dichters Sir Philip Sidney zur Verteidigung der Literatur gegen Piatons Vorwurf der Dichterlüge. Er kommt ebenfalls in einigen eher beiläufigen Bemerkungen des Begründers der modernen Logik, Gottlob Frege, zu Problemen der »Dichtung« zum Ausdruck, auf die zwei der wichtigsten zeitgenössischen Typen von Fiktionalitätstheorien zurückgehen. So heißt es bei Frege: »Wie der Theaterdonner nur Scheindonner, das Theatergefecht nur Scheingefecht ist, so ist auch die Theaterbehauptung nur Scheinbehauptung. [...] Sie [d.h.: der Schauspieler und der Dichter] tun nur so als behaupteten sie.« (FREGE 1918/19193, S. 36) Dieser Gedanke, fiktionale Äußerungen seien »Scheinbehauptungen«, ist insbesondere durch den amerikanischen Philosophen John R. Searle zu einer genuinen Fiktionahtätstheorie ausgebaut worden. Searle zufolge gibt der Autor eines fiktionalen Textes vor (»pretend«), eine Reihe von illokutionären Akten zu vollziehen, woraus folge, daß das Kriterium dafür, ob ein Text fiktional sei oder nicht, notwendigerweise in den illokutionären Intentionen des Autors begründet liege (SEARLE 1975, S. 325). Die illokutionären Akte, die der Fiktionalität und Poetizität 33 Autor des Textes Searle zufolge zu vollziehen vorgibt, sind solche des Behauptens, Aussagens, Beschreibens, der Identifikation, der Erklärung und zahlreiche andere. Zu prätendieren, einen solchen Akt zu vollziehen, heißt dann nichts anderes als Behauptungssätze zu äußern, mit denen normalerweise ein derartiger illokutionärer Akt vollzogen wird, ohne aber diesen damit tatsächlich zu vollziehen. Dies ist deshalb möglich, weil es im Falle der Fiktionalität eine Reihe von Konventionen gibt, welche die »normalen Operationen suspendieren, die eine Verbindung zwischen den illokutionären Akten und der Welt herstellen« (ebd.). Für Searle bedeutet dies: Der Autor eines fiktionalen Textes tut nur so, als behaupte, beschreibe, erkläre er, und dies wird ihm ermöglicht durch eine pragmatische Lizenz, die im Falle der fiktionalen Äußerungen wirksam -wird. Gegen diese Theorie lassen sich vielfältige Einwände vorbringen. Zum einen ist durchaus strittig, ob es allein von den Intentionen des Autors abhängt, ob ein Text fiktional ist oder nicht; dagegen spricht jedenfalls der schon erwähnte Umstand, daß wir einige Texte, die ursprünglich als Sachtexte intendiert "waren, heute als fiktional betrachten können, obwohl wir wissen, daß wir sie damit gleichsam gegen den Strich lesen. Zum anderen aber kann man sich fragen, was mit dem »Vorgeben« eigentlich genauer gemeint ist. Searle selbst scheint hier wie Frege eher an eine Art Rollenspiel zu denken, wenn er den Dichter mit dem Schauspieler gleichsetzt. Doch die Annahme, der Autor spiele gleichsam einen Behauptenden, ist wenig überzeugend, zumal alle anderen Anzeichen des Rollenspiels, wie wir sie aus entsprechenden Situationen kennen, bei fiktionalen Äußerungen gänzlich fehlen; und geradezu widersinnig erscheint sie, wenn wir bedenken, daß im Standardfall der Rezeption fiktionaler Texte, bei der stillen Lektüre durch einen Leser, der Autor gar nicht als Person anwesend ist (weitere Einwände gegen Searle finden sich bei KLEMM 1984, S. 155-170, und MACCORMICK 1988, S. 38-77). 2.3.4 Fiktionale Äußerungen als nicht-behauptende Äußerungen Läßt man den Gedanken der »Scheinbehauptung« und des »Vorgebens« beiseite und konzentriert sich ausschließlich auf die Beschreibung, die Searle von diesem Vorgeben gibt, dann ist man schnell bei dem anderen auf Frege zurückgehenden Typ von Fiktionahtätstheorie. Searle hatte angenommen, mit fiktionalen Äußerungen würden Behauptungssätze geäußert, ohne daß mit ihnen beispielsweise der Sprechakt des Behauptens vorgenommen werde. Dieser Gedanke begegnet bei Frege wieder, -wenn er im Anschluß an die 34 Voraussetzungen und Grundfragen der Literaturwissenschaft bereits wiedergegebene Äußerung über die »Scheinbehauptungen« fortfährt: »Der Schauspieler in seiner Rolle behauptet, er lügt auch nicht, selbst wenn er etwas sagt, von dessen Falschheit er überzeugt ist. In der Dichtung haben wir den Fall, daß Gedanken ausgedrückt •werden, ohne daß sie trotz der Form des Behauptungssatzes -wirklich als •wahr hingestellt werden [...].« (FREGE 191871919a, S. 36) Da der »Gedanke« für Frege die Bedeutung (im Sinne von englisch »meaning«, bei Frege als »Sinn« bezeichnet) eines Behauptungssatzes ist, läßt sich seine These auch dahingehend verstehen, daß es sich bei fiktionalen Äußerungen um solche handelt, die zwar Bedeutung haben, aber nicht »mit behauptender Kraft« gesprochen -werden (FREGE 1969c, S. 252), also Sätze, die nichts weiter tun, als eine Proposition auszudrücken. Man hat mehrfach versucht, diese Äußerungen Freges durch eine nähere Bestimmung dessen, was es heißt, Behauptungssätze ohne »behauptende Kraft«, also nicht-behauptend zu äußern, zu einer systematischen Theorie der Fiktionalität auszubauen (GABRIEL 1975, S. 45; GALE 1971, S. 335f.). Alle diese Versuche, ebenso -wie die These Freges selbst, scheitern jedoch aus einem wesentlichen Grund: Eine Explikation fiktionaler Äußerungen als Äußerung von Behauptungssätzen, mit denen nichts behauptet -wird, ist defizitär. Illokutionäre Sprechakte stellen sinnvolle Handlungen dar, und um eine Handlung als sinnvoll aufzufassen, ist es notwendig, zu wissen, welcher Zweck mit ihr erreicht werden soll. Über einen solchen Zweck aber sagt dieser auf Frege zurückgehende Typ von Fiktionahtätstheorie nichts, und folglich wird überhaupt kein illokutionärer Sprechakt spezifiziert, der mit dieser Art nicht-behauptender Rede vollzogen würde. Fiktionale Äußerungen wären daher Rede ohne jegliche Illokution, Sprechhandlungen ohne Sinn und Zweck, also gar keine sinnvollen Handlungen und vielleicht nicht einmal Rede im eigentlichen Sinne des Wortes. Eine solche Theorie muß daher so lange unbefriedigend bleiben, wie es ihr nicht gelingt, fiktionale Äußerungen als Vollzug einer sinnvollen Sprechhandlung darzustellen. 2.3.5 Ausblick Das Defizit dieser Theorie ließe sich dadurch beheben, daß man einen anderen lllokutionären Sprechakt annimmt, der mit Behauptungssätzen vollzogen und unabhängig davon charakterisiert werden kann, ob die Rede zusätzlich behauptend ist oder nicht. Ein solcher Sprechakt ist beispielsweise der des Erzählens; und da die Fiktionalität und Poetizität 3 5 unter 2.3.1 skizzierte Grundannahme der Fiktionalitätstheorie von der Erzählstruktur eines jeden fiktionalen Textes ausgeht, könnte man fiktionale Äußerungen so im Sinne der zuletzt referierten Theorie zwanglos als erzählende Sätze beschreiben, mit denen nichts behauptet wird. Ein fiktionaler Text wäre dann nichts weiter als eine Erzählung ohne Wahrheitsanspruch. Eine solche Lösung beruht auf der Möglichkeit, Texte aufgrund von rein formalen Kriterien als Erzählungen zu identifizieren, ohne daß wir dazu wissen müssen, ob der Autor behauptet, seine Erzählung sei wahr, oder ob die Erzählung tatsächlich wahr ist. Man kann hier jedoch noch einen Schritt weitergehen, indem man diese Überlegungen auf andere Sprechakte als den des Erzählens ausdehnt; auf diese Weise könnte dann auch auf die Grundannahme verzichtet werden, alle fiktionalen Texte besäßen Erzählstruktur. Texte wie die bereits als Beispiel erwähnten philosophischen Lehrdialoge oder Dramen als >Lesetexte< lassen sich nämlich ebenfalls aufgrund rein formaler Kriterien unabhängig davon als Gespräch identifizieren, ob dieses je stattgefunden hat oder nicht, oder ob jemand behauptet, es habe stattgefunden. Ganz allgemein könnten fiktionale Texte dann als solche Texte charakterisiert werden, die 1. zu einem Typus von Sprechhandlung (in einem weiten Sinn) gehören, für die gilt, daß die Identifikation eines Textes als eben solche Sprechhandlung aufgrund rein formaler Kriterien möglich ist, und von denen 2. der Autor mit den ihm zugeschriebenen oder präsupponierten Äußerungen erster Stufe nicht behauptet, das in ihnen Dargestellte sei wahr. Eine derartige Theorie entspräche im übrigen auch unserer Intuition in bezug auf außersprachliche fiktionale Darstellungen und würde somit den eingangs aufgestellten Anforderungen an eine Fiktionalitätstheorie Genüge tun; denn es ist ja offensichtlich, daß ein Gemälde beispielsweise eine Schlacht darstellen kann, also rein formal als ein >SchIacht-Gemälde< identifiziert werden kann (GOODMAN 1968, S. 39), ohne daß damit zugleich auch behauptet würde, diese Schlacht habe wirklich stattgefunden. Freilich liegt hier zugleich auch em Problem. Wir sind bisher, wenn auch stillschweigend, davon ausgegangen, daß die fiktionalen Texte, mit denen wir es bei den hier skizzierten Theorien zu tun hatten, stets in irgendeinem Sinne >darstellende< Texte waren. Nun stellt sich jedoch die Frage: Können nicht-darstellende Texte auch fiktional sein? Wie ist es beispielsweise mit solchen Texten, die ausschließlich aus Zitaten bestehen, wie es etwa in der Agitprop-Lyrik der Fall ist, oder gar mit literarischen Ready-mades wie Peter Hand- }6 Voraussetzungen und Grundfragen der Literaturwissenschaft kes Gedicht »Die Aufstellung des i. FC Nürnberg vom 27.1.1968«: Daß es sich dabei um literarische Texte handelt, ist unbestritten (—» GATTUNGSFRAGEN) - doch auch um fiktionale? Vielleicht läßt sich eine solche Frage gar nicht beantworten ohne eine bewußte Entscheidung, also einen Akt der Willkür; dann aber ist es möglich, daß unsere bisherigen Überlegungen zur Fiktionahtät von Texten um ein weiteres, bislang noch unbekanntes Moment ergänzt werden müssen. 2.4 Theorien der Fiktivität Im Gegensatz zu dem der Fiktionahtät ist das Problem der Fiktivität fast ausschließlich aus philosophischer Perspektive untersucht worden. Zwei Typen von Auffassungen zu fiktiven Gegenständen lassen sich unterscheiden, die sich beide mit dem Problem befassen, ob diese existieren und worauf man sich mit einem Eigennamen wie >Sherlock Holmes< bezieht. 2.4.1 Fiktivität als »Subsistenz« Diese Theorie geht auf Überlegungen des österreichischen Philosophen Alexius Meinong (1853-1920) zurück. Meinong zufolge gibt es ein »Jenseits von Sein und Nichtsein«, eine Klasse von Gegenständen, die zwar in irgendeiner Weise »bestehen, in keinem Falle aber existieren« (MEINONG 1904, S. 486) und denen damit eine eigene Seinsweise der »Subsistenz« unabhängig von ihrer Existenz oder Nicht-Existenz zukommt. Obwohl die Argumente, die Meinong für die Annahme einer solchen Seinsweise anführt, vielfach kritisiert wurden, hat seine Theorie mit Bezug auf fiktive Gegenstände in den vergangenen zwei Jahrzehnten eine gewisse Renaissance erlebt. Die Rechtfertigung einer solchen Theorie wird darin gesehen, daß wir über fiktive Objekte wahre Aussagen machen können wie etwa »Sherlock Holmes raucht Pfeife« und eine solche Behauptung auf den ersten Blick mit der negativen Existenzaussage »Sherlock Holmes existiert nicht« unverträglich zu sein scheint (PARSONS 1980, S. 37). Vielmehr scheint es ein berechtigter Einwand zu sein, auf die Leugnung der Existenz von Sherlock Holmes zu antworten: »Er existiert im Roman.« (Ebd., S. 50) Dieser intuitiven Auffassung versucht Terence Parsons im Geiste Meinongs zu entsprechen, indem er zwei verschiedene Arten von Prädikaten einführt, »nukleare« und »extranukleare«: >Mensch< oder >grün< sind demzufolge nukleare Prädikate, >möglich<, >fiktiv< oder eben >existent< hingegen sind extranukleare Prädikate. Einer Fiktionalität und Poetizität 3 7 fiktiven literarischen Gestalt wie Sherlock Holmes kommt dann dieselbe Art nuklearer Prädikate zu wie existierenden Menschen, aber nicht dieselbe Art extranuklearer Prädikate, da Sherlock Holmes nicht existent ist. 2.4.2 Fiktivität als semantisches Problem Der häufigste Einwand gegen eine Meinongsche Theorie fiktiver Gegenstände lautet, daß sie zweifelhafte ontologische Annahmen mache, die für die Analyse wahrer oder falscher Aussagen über fiktive Gegenstände und die Erklärung der Fiktivität zudem überflüssig seien. Als Alternative wird eine Theorie entwickelt, derzufolge sich jede (mcht-fiktionale) Aussage über fiktive Gegenstände im Sinne der Kennzeichnungstheorie von Bertrand RUSSELL 1905 behandeln läßt, indem der auf das fiktive Objekt verweisende Eigenname ersetzt wird durch eine definite Kennzeichnung (GABRIEL 1975, S. 33ff.), die ihrerseits wieder durch eine Existenzaussage ersetzt werden kann. Aus der Aussage »Sherlock Holmes raucht Pfeife« wird dann etwa: »In den Romanen Conan Doyles gibt es die Beschreibung eines Detektivs, der Sherlock Holmes heißt und Pfeife raucht.« Mit dem singulären Terminus >Sherlock Holmes< bezieht man sich dann also nicht mehr auf eine fiktive Person, sondern darauf, was den Romanen Conan Doyles zufolge über Sherlock Holmes gesagt wird, also auf eine Sherlock-Holmes-Beschreibung als auf einen »komplexen prädikativen Ausdruck« (ebd., S. 38). 2.4.3 Fiktivität als Existenzweise Gegen diesen Typ von Theorie sind von den Anhängern der Auffassung von Fiktivität als einer bestimmten Existenzweise ihrerseits schwerwiegende Einwände geäußert worden, die insbesondere solche Aussagen betreffen, in denen fiktive und existierende Objekte zugleich erwähnt werden. Die Aussage »Sherlock Holmes ist berühmter als jeder existierende Detektiv« etwa läßt sich nicht mehr in der Weise analysieren, die GABRIEL (1991, S. 142-146) vorgeschlagen hat, nämlich als: »Die fiktionale Beschreibung des Detektivs Sherlock Holmes ist berühmter als jeder existierende Detektiv«; denn wir wollen ja nicht den Ruhm der Beschreibung, sondern den des Beschriebenen mit dem eines jeden existierenden Detektivs ver- gleichen. Um dieser Schwierigkeit zu begegnen, kann man nun annehmen, daß man sich auf den Gegenstand einer Beschreibung unabhängig davon beziehen kann, ob dieser existiert oder nicht; dieser Vor- 38 Voraussetzungen und Grundfragen der Literaturwissenschaft schlag weist gewisse Ähnlichkeiten mit dem unter 2.3.5 skizzierten zum Problem der Fiktionalität auf. Sherlock Holmes wäre demnach genau jene Gestalt, die in den entsprechenden Romanen Conan Doyles beschrieben wird, ein »reiner Referent oder ein grammatisches Objekt« (CRITTENDEN 1991, S. 97). Fiktive Gegenstände unterscheiden sich dann von existierenden dadurch, daß die »Bedingungen der Identifizierung«, die für sie gelten, von denen für existierende Gegenstände abweichen (CARL 1974, S. 205): Fiktive Gegenstände können nur mit Bezug auf einen bestimmten Kontext identifiziert werden, in dem sie beschrieben werden, etwa die Romane Conan Doyles. Dieser Kontext legt zugleich jenen Bereich fest, mit Hinblick auf welchen es sinnvoll ist zu sagen, daß fiktive Objekte existieren. Über fiktive Gegenstände sind daher zwei Typen von Existenzaussagen möglich: einmal eine >normale< wie »Sherlock Holmes existiert«, die falsch ist, zum anderen jedoch auch eine qualifizierte, die den Existenzbereich angibt, in dem die fiktiven Gegenstände vorkommen, wie »Sherlock Holmes existiert in den Romanen Conan Doyles«, die wahr ist. Die Frage nach der »Existenzweise« fiktiver Gegenstände läßt sich dann so beantworten: Fiktive Gegenstände existieren nicht, •wenn man >existieren< im normalen Sinne verwendet; sie existieren jedoch sehr wohl, wenn man damit auf bestimmte Redeweisen abstellt, die wir über solche »reinen Referenten« haben. Mit anderen Worten: Die Aussage »Es gibt fiktive Gegenstände« läßt sich analysieren als »Es gibt (eine bestimmte Art von) Beschreibungen von Gegenständen, die es nicht gibt«. Auf diese Weise scheinen sich sowohl die Schwierigkeiten der semantischen Analyse als auch die metaphysischen Implikationen einer Theorie vom Meinongschen Typ vermeiden zu lassen. 3. Poetitzität 3.1 Probleme der Explikation Poetizität ist notwendiges und hinreichendes Merkmal zur Unterscheidung literarischer Texte von nicht-literarischen, also genau jene Eigenschaft oder Klasse von Eigenschaften, die allen literarischen Texten zukommt und allen nicht-literarischen abgeht. Zu explizieren, was Poetizität ist, heißt explizieren, was Literatur ist. Eine Explikation besteht stets in der Angabe notwendiger und hinreichender Merkmale des zu explizierenden Begriffs. Darauf noch Fiktionalität und Poetizität 39 einmal ausdrücklich hinzuweisen, gibt es gerade bei Theorien über Literatur und Kunst jeden Anlaß, da hier auch andere Typen von Theorien begegnen, die keine notwendigen und hinreichenden Merkmale von Kunst und Literatur angeben - obwohl dies auf den ersten Blick keineswegs deutlich wird. So gehen einige Theoretiker beispielsweise unterschwellig von ihrem je eigenen Erleben des Ästhetischen an der Kunst aus, um dies dann theoretisch zu verallgemeinern. Paradigmatisch ist dies etwa in der »Ästhetischen Theorie« Theodor W. Adornos der Fall, wo Adorno unter anderem die Ansicht vertritt, Kunstwerke brächten eine Wirklichkeit zum Ausdruck, die noch nicht durch irgendwelche Verstandeskategorien oder gesellschaftliche Zwänge verstellt worden sei, so daß sich bei der Rezeption gelungener Kunstwerke ein »Glück jähen Entronnenseins« einstelle (ADORNO 1970, S. 30). Einer solchen These liegt ein bestimmtes affektives Weltverhältnis, eine bestimmte >Weltanschauung< zugrunde, so daß sie nur von solchen Personen geteilt werden kann, die ein ähnliches affektives Verhältnis zur Welt haben; andere Personen hingegen werden der These die Zustimmung versagen müssen, selbst wenn sie eine gewisse Sympathie für sie aufbringen sollten. Dies zeigt, daß eine auf einer subjektiven Weltanschauung basierende bloße Interpretation von Kunst nicht zur Grundlage einer allgemeinen Explikation werden kann. Damit ist freilich keine Geringschätzung dieser Art von Theorien verbunden, da in ihnen ja andere wesentliche Einsichten über Literatur und Kunst enthalten sein mögen, etwa solche über die psychologische, gesellschaftliche oder historische Funktion von Kunstwerken; nur: Diese Theorien können nicht erklären, was Kunst ist. Die Explikation des Begriffs der Literatur beziehungsweise der Kunst führt jedoch auch eine Schwierigkeit mit sich, die in diesem selbst begründet ist: Er kann nämlich entweder rein klassifikatonsch oder aber normativ-evaluativ verwendet werden (WEITZ 1956, S. 204). Klassif ikatorisch wird er gebraucht, wenn er zur Kennzeichnung des Status eines Textes als literarisch dienen soll, unabhängig von der Qualität des jeweiligen Textes; normativ-evaluativ hingegen wird er verwendet, wenn er Texte kennzeichnen soll, die diesen literarischen Status und darüber hinaus noch hohe Qualität besitzen. Im klassif ikatorischen Smne etwa wäre ein Roman von Hedwig Courths-Mahler als Literatur anzusehen, im normativ-evaluativen hingegen nicht notwendigerweise (-> LITERARISCHE WERTUNG; -* WERT, KANON UND ZENSUR). ES ist dann offensichtlich, daß eine Explikation des Begriffs der Literatur ebenso wie desjenigen der 40 Voraussetzungen und Grundfragen der Literaturwissenschaft Kunst sich gleichsam per definitionem stets nur auf die klassifikatorische Verwendungsweise des Begriffs beziehen kann. 3.2 Literaturspezifische Theorien der Poetizität Poetizität ist, wie wir eingangs sahen, das auf Texte bezogene Merkmal der Ästhetizität und Literatur somit nichts weiter als Kunst in einem bestimmten Medium, nämlich der Sprache. Daraus ergab sich für uns die Forderung, die Reflexion über Poetitzität einzubetten in eine allgemeine Kunsttheorie, die Ästhetik. Dennoch hat es in der Vergangenheit nicht an Versuchen gemangelt, eine Definition von Literatur zu geben, die unabhängig ist von einer Explikation des Kunstbegriffs. Zwei einflußreiche Typen solcher literaturspezifischer Theorien der Poetizität sollen im folgenden skizziert werden, ehe wir uns dann literaturübergreifenden Kunsttheorien zuwenden. 3.2.1 Regelpoetiken Der älteste Typ von Theorien zur Poetizität und der mit der bei weitem längsten Tradition sind die sogenannten Regelpoetiken (-> POETIK). In ihnen werden der klassifikatorische und der normativ-evaluatorische Literaturbegriff implizit miteinander vermischt. Regelpoetiken nennen zum einen Normen, denen jeder literarische Text genügen sollte, um als guter literarischer Text angesehen zu werden, und geben zum zweiten Anweisungen, wie diese Normen praktisch erfüllt 'werden können. Texte, die diesen Anweisungen nicht Folge leisten und damit den angegebenen Normen nicht genügen, können daher entweder nicht mehr als Literatur im klassifikatorischen Sinne aufgefaßt oder aber müssen im normativevaluatorischen Sinne als schlechte oder minderwertige Literatur aufgefaßt werden. Regelpoetiken können daher allenfalls, wenn überhaupt, als Explikation eines zu einer Zeit vorherrschenden Literaturbegriffs angesehen werden, nicht jedoch als Explikation des Begriffs von Literatur überhaupt. Bereits die älteste uns überlieferte Abhandlung über Literatur, die »Poetik« des Aristoteles, ist eine solche Regelpoetik. Schon im ersten Satz heißt es: »Wir wollen hier von der Dichtkunst als solcher sprechen, ihren Gattungen und deren verschiedenen Wirkungen, ferner davon, wie man die Erzählungen aufbauen muß, wenn die Dichtung schön werden soll [...].« (ARISTOTELES, S. 23) Im folgenden bestimmt Aristoteles die Kunst im allgemeinen als »Nachahmung«, »Mimesis«, »handelnder Menschen« (ebd., S. 24) und die Dichtkunst im besonderen als Nachahmung, die unter anderem Fiktionahtät und Poetizität 41 oder ausschließlich die Sprache verwendet. Wie sehr bei Aristoteles deskriptive und normative Sprache Hand in Hand gehen, ergibt sich aus seinen Ausführungen zur Tragödie: »Es kann [...] Furcht und Mitleid aus dem Bühnenbild entstehen oder auch aus dem Aufbau der Handlung selbst«, heißt es zunächst rem beschreibend; doch dann fährt er fort: »[...] dies ist ursprünglicher und zeigt den besseren Dichter.« (Ebd., S. 42) Für eine Explikation von Literatur sind Regelpoetiken nur von begrenztem Wert. Dies zeigt sich am deutlichsten dann, wenn neuartige Kunstwerke entstehen, die sich bewußt nicht mehr an die kanonisierten Normen halten wollen, wie dies insbesondere im Zeitraum vom Ende des 17. bis Mitte des 18. Jahrhunderts in der »Querelle des Anciens et des Modernes« der Fall ist (-» POETIK). Der Sieg der einen Partei (in diesem Falle der der »Modernen« über die »Alten«) nämlich läßt die Regelpoetiken der unterlegenen zwangsläufig entweder zum Ausdruck der bloß subjektiven Präferenz einer bestimmten Art von Literatur werden oder aber erweist diese als Definition von Literatur mit einem Schlage als inadäquat. 3.2.2 Abweichungspoetiken Ein anderer Typ von Poetizitätstheone versucht den Begriff der Literatur durch die Angabe bestimmter Bedingungen zu explizieren, denen ein literarischer Text im Gegensatz zu einem nicht-literarischen gerade nicht genügen muß. Diese Theorien fassen Literatur also als in gewisser Hinsicht von normaler Sprachverwendung abweichend auf und versuchen gerade diese Abweichung für eine Explikation fruchtbar zu machen. Solche Abweichungspoetiken wurden insbesondere im Russischen Formalismus und den an diesen anschließenden verschiedenen strukturahstischen Strömungen diskutiert und verdanken sich der intensiven Auseinandersetzung mit modernistischer Literatur und Kunst (-> FORMALISMUS UND STRUKTURALISMUS). Allerdings führt die Orientierung an modernistischer Literatur die formalistischen und strukturahstischen Abweichungspoetiken häufig in die Nähe von Weltanschauungstheorien. Ganz deutlich wird dies bereits bei Viktor Sklovskij, der »das Verfahren der Kunst« als das »Verfahren der >Verfremdung< der Dinge« bestimmt und als »Verfahren der erschwerten Form«, »das die Schwierigkeit und Länge der Wahrnehmung steigert, denn der Wahrnehmungsprozeß ist in der Kunst Selbstzweck und muß verlängert werden« (SKLOVSKIJ 1919, S. 15). Dies führt ihn schließlich zur Explikation der 42 Voraussetzungen und Grundfragen der Literaturwissenschaft »dichterischen Sprache« als einer »schwienge[n], erschwerte[n], gebremste[n] Sprache« (ebd., S. 33). Für Sklovskij ermöglicht Literatur aufgrund ihrer innovativen, traditionsbrechenden Verfahrensweisen eine »Entautomatisierung« der Wahrnehmung und somit eine Wahrnehmung der Dinge, wie sie wirklich sind, unverstellt durch tradierte Beschreibungs- und Darstellungskonventionen. Daß hinter dieser Explikation eine unhinterfragte weltanschauliche, metaphysische Grundannahme steht, wird deutlich, wenn man bedenkt, daß es keineswegs notwendig ist, daß alle Leser gerade auf diesen verfremdenden Aspekt eines literarischen Textes aufmerksam werden müssen, ja daß es Texte gibt, bei denen eine solche Betrachtungsweise für ein angemessenes Verständnis zweitrangig ist, wie etwa bei engagierter Literatur. Im Grunde nennt Sklovskij nur gewisse Eigenschaften an literarischen Texten, auf die man seiner Ansicht nach besonders achten sollte, und empfiehlt damit eine bestimmte Rezeptionsweise von Literatur (ohne freilich deren Vorzüge vor etwaigen anderen explizit zu machen), um diese dann zur einzig möglichen und damit dem >Wesen< der Literatur entsprechenden zu verabsolutieren. Ein entsprechender Einwand trifft auch den Explikationsversuch von Roman Jakobson, die vielleicht berühmteste der strukturalistischen Definitionen von Literatur. Für Jakobson ist die Poetik »-wesentlicher Bestandteil der Linguistik«, da sie es »mit Problemen der sprachlichen Struktur zu tun« habe (JAKOBSON i960, S. 100), und dies bedeutet für ihn insbesondere, daß eine Explikation von Literatur nur im Vokabular einer linguistischen Theorie vorgenommen werden kann. Für Jakobson besteht nun das Besondere der poetischen Sprachverwendung, das, was sie von der alltäglichen unterscheidet, darin, daß die »poetische Funktion« »das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination« überträgt (ebd.). Das heißt, daß die syntagmatische Reihung (»Kombination«) der Wörter im Text, die in nicht-literarischer Sprache durch das »Prinzip der Kontiguität« charakterisiert ist (also dadurch, daß die einzelnen Wörter einzig den syntaktischen und semantischen Sprachregeln gemäß kombiniert -werden dürfen), nun nach dem ansonsten allein die Auswahl (»Selektion«) aus dem entsprechenden Paradigma von semantisch austauschbaren Wörtern (»Äquivalenzklasse«) bestimmenden »Prinzip der Äquivalenz« vollzogen wird. Jakobson veranschaulicht dies am Beispiel »horrible Harry«, das für ihn einen Fall poetischer Sprachverwendung darstellt: Hier werden die Wörter >horrible< und >Harry< deshalb Fiktionalität und Poetizität 43 kombiniert, weil sie in bezug auf den Anfangsbuchstaben »äquivalent« sind, also -weil sie denselben Anfangsbuchstaben besitzen. Dies zeigt, daß Jakobson das Besondere der »poetischen Sprachverwendung« und damit auch der Literatur im allgemeinen darin sieht, daß im Text gewisse formale Bezüge hergestellt werden: etwa durch die Wiederholung einzelner Klänge, Wörter, Motive oder anderer Strukturelemente. Abgesehen davon, daß sich der scheinbar streng wissenschaftliche Anstrich seiner Ausführungen ausschließlich der extrem unpräzisen Verwendungsweise von Schlüsselbegriffen wie »Äquivalenz« oder »Prinzip der Äquivalenz« verdankt, bedeutet eine Bestimmung von Literatur, die allein auf deren formale Eigenschaften abstellt, wiederum die Bevorzugung einer bestimmten Rezeptionsweise zuungunsten möglicher anderer. Es gibt sicher Texte, bei denen die Beachtung solcher Strukturen für ein angemessenes Verständnis des Textes unerläßlich ist; doch auf der anderen Seite gibt es ebenso sicher auch Texte, bei denen derartige Strukturen nur eine untergeordnete Rolle spielen, ja bei denen die ausschließliche Beachtung der formalen Bezüge sogar ein angemessenes Verständnis verhindert. Zudem mögen in einem alltäglichen Text etwa Alliterationen vorkommen, ohne daß diese an sich schon eine poetische Funktion besäßen, einfach deshalb, weil sie zufällig oder gar unbemerkt von Sprecher und Zuhörer zustandegekommen sind. Dies zeigt, daß solche strukturellen »Isotopien« zwar prinzipiell charakteristische, also häufig vorkommende Merkmale von literarischen Texten sein mögen, daß sie aber weder notwendige noch hinreichende Eigenschaften von Literatur darstellen. Die am weitesten ausgearbeitete Abweichungspoetik stammt von dem deutschen Literaturwissenschaftler Harald Fricke, der sich ähnlich wie Jakobson auf die Charakterisierung einer auch in nichtliterarischen Texten vorkommenden poetischen Sprachverwendung beschränkt und die Frage »Was ist Literatur?« ausdrücklich ausklammert. Fricke zufolge ist eine Sprachverwendung genau dann poetisch, wenn sie erstens die Abweichung von einer sprachlichen Norm darstellt und zweitens diese Abweichung eine bestimmte Funktion besitzt (FRICKE 1982, S. 87). Die Funktion ist entweder eine »interne«, das heißt eine solche, die »Beziehungen nur zwischen Tatsachen innerhalb des betreffenden Textes« herstellt, oder eine »externe«, das heißt eine solche, die »Beziehungen zwischen Tatsachen im Text und Tatsachen außerhalb des Textes« herstellt (ebd., S. 91). Dies ist in jedem Fall eine Verbesserung gegenüber 44 Voraussetzungen und Grundfragen der Literaturwissenschaft Jakobsons Vorschlag, der überhaupt nur interne Funktionen berücksichtigt hatte, während Fricke durch den Begriff der externen Funktion auch solche Phänomene wie satirische Anspielungen oder politische Literatur in den Blick bekommt. Freilich steht auch diese Theorie sogleich wieder vor unübersteigbaren Schwierigkeiten. Zunächst einmal scheint Fricke häufig sprachliche Handlungen, die gar nicht unter bestimmte Normen fallen, als »Verletzung« einer sprachlichen Norm aufzufassen, was ungefähr so plausibel ist wie »die Charakterisierung eines Mordes mittels eines Tennisschlägers als Verstoß gegen die Regeln des Tennisspiels« (MARTINEZ/RÜHLING 1986, S. 389). Dies in Rechnung gestellt, bliebe von seiner Explikation aber nichts weiter übrig, als daß in poetischer Sprachverwendung Sprache anders verwendet wird als in nicht-poetischer, gerade weil sie hier eine andere Funktion besitzt. Mit anderen Worten: Poetische Sprachverwendung besitzt eine andere Funktion als nicht-poetische Sprachverwendung. In einer solchen Explikation hinge dann alles ausschließlich von der Charakterisierung eben dieser Funktion ab, und da zeigt sich schnell, daß Frickes Begriff der poetischen Funktion viel zu vage und inhaltsleer ist, um ein hinreichendes Merkmal von poetischer Sprachverwendung spezifizieren zu können (-> WERT, KANON UND ZENSUR; -> STILISTIK). 3.3 Anti-essentialistische Theorien 3.3.1 Ist eine Explikation von Literatur überhaupt möglich ? Alle der hier vorgestellten literaturwissenschaftlichen Theorien der Poetizität scheitern also daran, daß die von ihnen angegebenen Merkmale weder hinreichend noch notwendig für Poetizität noch überhaupt mit ausreichender Präzision charakterisiert sind. An dieser Stelle legt sich die Frage nahe, ob es überhaupt möglich ist, Literatur dadurch zu definieren, daß man eine Klasse von Merkmalen bestimmt, die allen literarischen Texten gemeinsam sind, ohne sich in unspezifischen Allerweltsformeln zu verlieren, oder ob man sich nicht vielmehr mit »Symptomen des Ästhetischen« begnügen muß, Merkmalen also, die zwar charakteristisch für Literatur, aber weder notwendig noch hinreichend sind (GOODMAN 1968, S. 253-256); von solchen »Symptomen« hätten die skizzierten Theorien dann immerhin einige angeführt. Ein starker Grund, sich gegen die Möglichkeit einer solchen essentialistischen Explikation von Literatur im besonderen und von Kunst im allgemeinen auszusprechen, hegt darin, daß diese anscheinend jederzeit von der Wirklichkeit überFiktionalität und Poetizität 45 holt werden kann, »so daß nach irgendeiner Revolution in der Kunstwelt die gutgemeinte Definition an den kühnen neuen Kunstwerken einfach abprallt« (DANTO 1981, S. 12). Dies hat seine Ursache unter anderem darin, daß die Schriftsteller und Künstler gerade des 20. Jahrhunderts sich dem Prinzip der Innovation verschrieben und einander zum Teil in dem Bestreben überboten haben, neuartige Kunstwerke zu produzieren, die alle bisherigen Bestimmungen von Kunst sprengen. »Art is the Definition of Art«, hat der amerikanische Concept-Künstler Joseph Kosuth einmal programmatisch verkündet: Das Ziel der Kunst solle gerade darin bestehen, mit jedem neuen Kunstwerk die bisherigen Definitionen des Begriffs >Kunstwerk< ad absurdum zu führen und so indirekt zu dessen jeweiliger Neubestimmung beizutragen. 3.3.2 Kunst als »Familienähnlichkeit« Angesichts dieses Umstandes ist es schwierig, sich vorzustellen, wie eine essentialistische Theorie von Kunst und Literatur überhaupt beschaffen sein sollte, und man hat daher versucht, anti-essentialistische Alternativen zu entwickeln. Diese Alternativen, die nahezu ausschließlich für den Bereich der Kunst, nicht aber für den der Literatur vorgeschlagen wurden, gehen davon aus, daß eine Explikation von Kunst und entsprechend von Literatur grundsätzlich nicht möglich ist. Statt dessen schlägt etwa der Philosoph Morris Weitz im Anschluß an den späten Wittgenstein eine Analyse des Begriffs der Kunst vor, derzufolge dessen Verwendung keine Gemeinsamkeit aller der mit ihm bezeichneten Gegenstände zugrundeliegt, sondern vielmehr »ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten, die einander übergreifen und kreuzen« (Wittgenstein, »Philosophische Untersuchungen«, § 66): Das Prädikat >Kunst< ist ein »offener Begriff«, das heißt ein solcher, dessen »Anwendungsbedingungen verbesserungsfähig und korrigierbar sind« (WEITZ 1956, S. 2oof.). Mit anderen Worten: Für die Bedeutung des Prädikats >Kunst< selbst ist es wesentlich, daß sie durch jedes neuartige Kunstwerk ein Stück weit neu definiert werden kann. Gegen diesen Vorschlag ist freilich einzuwenden, daß er nicht mehr Probleme löst, als er sogleich neue wieder aufwirft; denn zum einen ist die Annahme eines offenen Kunstbegriffs ebensowenig notwendig, um das Auftauchen immer neuer Arten von Kunstwerken zu erklären, wie dieses Auftauchen an sich schon eine Explikation von Kunst unmöglich macht, da nämlich »die Ausdehnung des Begriffs nicht unbedingt dessen Bedeutung tangieren muß« (LÜDE- 46 Voraussetzungen und Grundfragen der Literaturwissenschaft KING 1988, S. 77). Vielmehr könnte man sich auch hier wieder vorstellen, ähnlich wie bereits beim Begriff der Fiktionalität, daß sich im Laufe der Zeit einfach die Kriterien dafür gewandelt haben, wann für uns ein Gegenstand diesen Begriff erfüllt. Zum anderen aber läßt eine solche Theorie völlig ungeklärt, nach welchen Kriterien Entscheidungen darüber getroffen werden, ob ein neuer Fall als Kunstwerk zu bezeichnen ist oder nicht. Warum beispielsweise stellt die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968 einen literarischen Text dar, wenn sie in einem Gedichtband von Peter Handke abgedruckt wird, nicht hingegen, wenn sie am Vereinsbrett aushängt oder in der Tageszeitung bekannt gegeben wird ? Auf Fragen dieser Art weiß dieser Typ von Theorie offensichtlich keine Antwort. 3-3-3 Institutionelle Theorien der Kunst Gerade solche Fragen sind es jedoch, die für die zeitgenössische Ästhetik zum Kardinalproblem geworden sind: der Unterschied zwischen einem beliebigen Gegenstand und einem Kunstwerk. Dies hat damit zu tun, daß im 20. Jahrhundert, nach Marcel Duchamps Erfindung des Ready-mades und dem Aufkommen des Happenings in den späten fünfziger Jahren jeder beliebige Gegenstand, ja jede beliebige Handlung zum Kunstwerk werden kann. Dies gilt mutatis mutandis auch für die Literatur, wie sich an Peter Handkes Gedicht »Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1.1968« gezeigt hat, obwohl dort Ready-mades bei weitem nicht die gleiche überragende Rolle gespielt haben wie in der Kunst. Institutionelle Theorien der Kunst, die ursprünglich auf einen Aufsatz des amerikanischen Philosophen Arthur C. Danto zurückgehen (DANTO 1964), versuchen dort weiterzumachen, wo die Theorie vom offenen Begriff der Kunst aufhörte: Ihnen zufolge ist ein Kunstwerk ein von Menschen geschaffener Gegenstand, dem von einer Person (dem Künstler) der Status als Kunstwerk übertragen wurde (DICKIE 1969, S. 254). Ein Kunstwerk ist dann folglich das, was vom Künstler als solches definiert wurde und in einem entsprechenden institutionellen Rahmen (etwa einem Museum oder einer Ausstellung) als solches präsentiert wird. Ein Problem dieser Theorie besteht dann, daß sie nicht zu erklären vermag, warum es für die Übertragung des Kunststatus wesentlich zu sein scheint, wer diese vornimmt: Es macht einen Unterschied, ob eine beliebige Person Brillo-Schachteln ausstellt oder Fotoserien von Campbell's Suppendosen macht oder aber Fiktionalität und Poetizität 47 Andy Warhol - obwohl die handwerklichen Fähigkeiten dazu in der Tat jeder besitzt. (Für die Literatur hingegen scheint sich dieses Problem nicht zu ergeben, da hier tatsächlich jede beliebige Person die Aufstellung einer Fußballmannschaft zum literarischen Text deklarieren kann, indem er sie in seine eigene Gedichtsammlung aufnimmt - selbst -wenn diese nie veröffentlicht -werden sollte.) Ein noch schwerwiegenderer Einwand gegen diese Art von Theorie dürfte jedoch sein, daß sie nahezu tautologisch ist: Ihr zufolge ist etwas genau dann ein Kunstwerk, wenn jemand es als solches ausgibt. Jemandem, der nicht weiß, -was ein Kunstwerk ist, ist mit einer solchen >Erklärung< aber nicht geholfen, da ihm keinerlei inhaltliche Merkmale des Prädikats >Kunst< spezifiziert werden, die dieses von anderen Prädikaten unterscheiden. Der gleiche Einwand gilt im übrigen auch für die erste der hier skizzierten anti-essentialistischen Theorien: Indem sie jegliche Art von Explikation entweder vermeiden oder nur tautologische anbieten, lassen sie uns mit der Frage »Was ist Kunst, was ist Literatur?« allein. 3.4 Kunst als Zeichen Anti-essentialistische Theorien scheinen also einerseits zwar keine befriedigende Alternative zu den vorher dargestellten essentialistischen zu bieten; andererseits aber sind die Argumente gegen die Möglichkeit von essentialistischen Theorien nicht von der Hand zu weisen. In dieser aporetischen Situation kam der zusammen mit Nelson Goodman wohl bedeutendste und einflußreichste analytische Kunstphilosoph der Gegenwart, der bereits erwähnte Arthur C. Danto, 1981 mit einem erstaunlichen Vorschlag, der alle genannten Probleme mit einem Schlage zu erledigen scheint. Dantos Lösung sieht so aus, daß er zwar die Ansicht der Anti-Essentialisten teilt, eine Explikation von Kunst sei unmöglich, solange diese sich noch weiter so entwickele, wie sie es in ihrer bisherigen Geschichte getan habe, jedoch der Meinung ist, diese Entwicklung sei definitiv zu einem Ende gekommen. Daher bestehe jetzt zum ersten Mal überhaupt die Möglichkeit einer Explikation von Kunst (DANTO 1981, S. 12). Auf der Basis dieser Annahme expliziert Danto den Begriff der Kunst wie folgt: Ein Kunstwerk ist 1. die Darstellung eines bestimmten Themas (»Sujet«), das sich 2. dem Rezipienten in einem Akt der Interpretation erschließt, die optimalerweise die bisherige Kunstgeschichte in Rechnung stellt; und 3. das Thema wird dargeboten in einem bestimmten Stil, der charakteristisch ist für den 48 Voraussetzungen und Grundfragen der Literaturwissenschaft Künstler und seine Epoche. Mit den ersten beiden Punkten betont Danto den Zeichencharakter von Kunst: Sie ist stets »über« etwas (»about«) (ebd., S. 89), und das, worüber sie ist, ist ausschließlich durch Interpretation zugänglich, so daß er in Anspielung auf Berkeleys berühmtes Postulat »Esse est percipi« deklarieren kann, das esse des Kunstwerks sei sein interpretari (ebd., S. 193). Gerade dieses Interpretiert-werden-können unterscheidet denn auch einen Text wie Handkes bereits mehrfach erwähntes Gedicht »Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg vom 27.1. 1968« vom gleichlautenden Text in einer Tageszeitung oder als Ankündigung am Vereinsbrett. Mit >Interpretation< ist dabei freilich nicht das gemeint, was für gewöhnlich in den Geisteswissenschaften so genannt wird. Danto unterscheidet nämlich zwischen »Oberflächen-« und »Tiefeninterpretation«. Die Oberflächeninterpretation ist genau jene, welche das Konzept erläutert, das dem Künstler bei der Verfertigung seines Werkes vorschwebte; dieses kann aber nur mit Bezug auf die Autorität des Künstlers herausgefunden werden und erfordert daher ein bestimmtes Wissen seitens des Rezipienten; mit anderen Worten: Wir müssen wissen, welche Intentionen der Künstler mit seinem Kunstwerk verfolgt hat, aber wir müssen darüber hinaus auch den bisherigen Verlauf der Kunstgeschichte kennen. So muß man beispielsweise wissen, daß ein Großteil der Kunst des 20. Jahrhunderts keine Gefühle zum Ausdruck bringen wollte, sondern statt dessen die bisherige Auffassung von Kunst ironisch kommentieren oder eben die Grenzen der Kunst neu bestimmen wollte, um ein Gedicht wie das Handkes angemessen zu verstehen. Erst die für diese Art von Interpretation vorausgesetzte »richtige Art von Wissen gibt dem Werk seine Identität« (DANTO 1986, S. 66). Eine Tiefeninterpretation hingegen setzt eine solche korrekte Oberflächeninterpretation bereits voraus und strebt statt dessen nach einer Deutung, die sich nicht auf die Intentionen des Künstlers berufen muß. Eine solche Interpretation ist für eine angemessene Rezeption eines Textes oder Gegenstandes qua Kunstwerk Danto zufolge nicht notwendig; ja er lehnt sie sogar ab. Da es aber genau diese Tiefeninterpretation ist, die er als typisch hermeneutisch ansieht, verurteilt er jede Art von Hermeneutik (ebd., S. 60) und stimmt dem berühmten Schlachtruf Susan Sontags zu, demzufolge »statt einer Hermeneutik« »eine Erotik der Kunst« notwendig sei (-> HERMENEUTIK). Der Stil als drittes Explikationsmerkmal von Kunst spezifiziert die besondere Weise, in der Kunstwerke, im Gegensatz zu anderen Arten von Darstellungen wie insbesondere wissenschaftlichen, ihr Fiktionalität und Poetizität 49 Thema darstellen (-> STILISTIK). Danto expliziert den Stil als eine Art metaphorischer Darstellung, und das Kunstwerk wird so für ihn zu einer Art Gesamtmetapher. »Das Kunstwerk verstehen« heißt dann, »die Metapher erfassen, die immer da ist« (DANTO 1981, S. 262). Wieder auf Handkes Gedicht bezogen, würde dies bedeuten: Dieses stellt metaphorisch dar (nämlich durch den Fakt, daß es eine Mannschaftsaufstellung ist, die in einen Gedichtband aufgenommen wurde), 1. daß auch eine Mannschaftsaufstellung ein Gedicht sein kann, 2. daß jeder beliebige Gegenstand ein Kunstwerk sein kann, wenn es vom Künstler dazu erklärt wird, 3. daß das Gedicht zum Teil durchaus sogar traditionellen Definitionen von Lyrik entspricht, da es in einer Art >Versform< verfaßt ist, und Ähnliches mehr. Ein Kunstwerk wie Handkes textuelles Ready-made bringt also »die Strukturen der Kunst zum Bewußtsein«, wie Danto in bezug auf ein anderes Ready-made sagt (ebd., S. 315). Die Pointe dieser metaphorischen Darstellung aber im Gegensatz zur buchstäblichen besteht darin, daß der Leser des Textes diese »Strukturen der Kunst« anhand von diesem selbst erkennen muß, wenn er das Gedicht verstehen will - was wiederum ein entsprechendes Wissen vom Stand der Kunstgeschichte und von den Intentionen des Autors notwendig voraussetzt. Überspitzt ausgedrückt: Der Leser muß die Ansichten Handkes über die Kunst selbst einen Augenblick lang haben, um das Gedicht zu verstehen, auch wenn er sie nicht zu teilen braucht. Genau hier liegt denn auch die eigentliche Pointe von Dantos Ausführungen: Das Kunstwerk »veräußerlicht eine Weise, die Welt zu sehen« (ebd.); es macht diese Weltsicht für den Rezipienten gleichsam erlebbar, während sie sonst, in diskursiver Sprache, nur beschreibbar ist. J.J Ausblick Dantos Unterscheidung zwischen Oberflächen- und Tiefeninterpretation sowie die Verurteilung letzterer zusammen mit dem sie betreibenden Berufsstand ist sachlich sicher kaum haltbar. Die Ansicht, daß das Urteil eines Autors über seine Werke nicht in jedem Fall das letzte Wort sein muß, ist schließlich keine Idiosynkrasie hermeneutischen Denkens, sondern findet ihren Grund darin, daß Autoren sich bezüglich ihrer Absichten irren können: August Strindberg beispielsweise war der Meinung, sein Roman »Am offenen Meer« handele von einem Mann, der, obwohl seiner Umwelt intellektuell weit überlegen, an deren Engstirnigkeit zugrundegeht; ein sorgfältiger Leser hingegen wird unweigerlich zum Ergebnis 50 Voraussetzungen und Grundfragen der Literaturwissenschaft kommen, daß der Roman von einem Mann handelt, der, obwohl möglicherweise seiner Umwelt intellektuell überlegen, an seiner eigenen Überheblichkeit und Überspanntheit zugrundegeht. Dies Beispiel macht auch deutlich, daß die Identifizierung des Sujets in der Literatur keineswegs immer so einfach ist, wie Danto glaubt und wie es in der bildenden Kunst vielleicht tatsächlich der Fall ist (-> HERMENEUTISCHE MODELLE; -> FORMEN >TEXTIMMANENTER< ANALYSE). Doch abgesehen von solchen, eher die Details betreffenden Kritikpunkten läßt sich gegen diese Theorie auch noch ein schwerwiegenderer Einwand vorbringen. So ist nämlich Dantos Perspektive auf Kunst ohne Zweifel die eines Kenners und Liebhabers: Der Rezipient des von ihm definierten Kunstwerks ist jemand, der das Sujet eines jeden Textes, gegebenenfalls unter Heranziehung von erforderlicher Hintergrundinformation, identifizieren und literarhistorisch richtig einordnen kann. Diese Charakterisierung legt die Frage nahe, ob nicht auch hier wieder nur eine bestimmte Rezeptionsweise von Kunst verabsolutiert und zum Maß aller Dinge erklärt wird, ja ob hier nicht sogar ein normativ-evaluativer Kunstbegriff unterschwellig dem klassifikatorischen in die Quere kommt. Was etwa ist das Sujet eines mittelmäßigen Kriminalromans von Edgar Wallace ? Die Suche nach dem Täter, würde Danto vermutlich antworten. Doch inwiefern wird dieses Sujet in metaphorischer Weise dargeboten? Vielleicht würde Danto sagen: allein dadurch, daß überhaupt eine Geschichte erzählt wird. Doch eine solche Antwort ist unbefriedigend, da dann sofort wieder der Unterschied zwischen einer literarischen Geschichte und einem f iktionalen philosophischen Lehrstück - etwa der knappen narrativen Ausschmückung unseres mehrfach als Beispiel angeführten Lehrdialogs - verwischt würde, das ja auch ein Sujet besitzt, nämlich daß der eine Gesprächspartner dem anderen Erkenntnisse vermittelt. Diese Schwierigkeit könnte man vermeiden, indem man Danto dahingehend interpretiert, daß die veräußerlichte »Weise, die Welt zu sehen«, eine »existentielle« sein müsse, »eine Vergegenwärtigung von Bedürfnis- und Wertperspektiven« (KOPPE 1991, S. 99). Dann aber -wäre erst recht nicht mehr verständlich, warum Produkte der Massenkultur wie Wallaces »Hexer« zur Literatur gehören. Natürlich könnte man an dieser Stelle stehenbleiben und einfach behaupten, solche Werke würden gar nicht als zur Klasse der Kunstwerke im klassifikatorischen Sinne gehörig betrachtet; es handele sich bei ihnen vielmehr um zwar fiktionale, aber keineswegs literarische Fiktionalität und Poetizität 51 Texte. Doch dies scheint, gerade auch nach den entsprechenden Perspektivverschiebungen der letzten drei Jahrzehnte in den Kulturwissenschaften,, empirisch falsch zu sein. Diese Überlegungen können als Hinweis darauf verstanden werden, daß es heutzutage eher Werke der bis vor kurzem noch so genannten >Trivialkunst< zu sein scheinen, die eine Provokation für die Explikation des Begriffs der Kunst beziehungsweise Literatur darstellen, und nicht mehr so sehr die einer ästhetischen Avantgarde. Im Zeichen der »Postmoderne« sind diese Werke freilich längst in den Blick gerückt, und der Unterschied zwischen >hoher< und >mediiger< Kunst ist inzwischen obsolet geworden (—> LITERARISCHE WERTUNG). In der Debatte jedoch um die Frage danach, was Kunst, was Literatur ist, hat diese Grenzverwischung bisher offensichtlich noch nicht die Aufmerksamkeit gefunden, die notwendig wäre, damit nicht wieder einmal, wie in der Geschichte der Ästhetik und Literaturtheorie so oft, bestimmte Kunstwerke von vornherein, wenn auch unterschwellig, aus der Klasse der zu definierenden Gegenstände ausgeschlossen bleiben. In jedem Fall aber scheint mir die Theorie vom Kunstwerk als Zeichen diejenige Kunst- und Literaturtheorie zu sein, die von den hier vorgestellten bei der zukünftigen Bearbeitung des »noch ungelösten Problems« (Boethius) am meisten Aufmerksamkeit verdient.