Fiir meinen GroiSvater Frantisek Stehlik
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Dana
Pfeiferova
Angesichts des Ibdes
Die Todesbilder in der neueren
osterreiciiischen Prosa:
Bachmann, Bernhard, Winkler,
Jelinel<, Handl<e, Ransmayr
Praesens Verlag
Literaturwissenschaft | Sprafhwissenschaft | Musikwissenscljaft | Kulturwissenschaft
Wien
Irakterisiert sich als Knochensammler, der liber das Dorfleben im
;emeinen berichtet, wobei sich sein Interesse auf die Todesfalle konitriert.
Obwohl der Tod der zwei jungen Selbstmorder wieder auf;riffen
wird, verzichtet der Autor bei seiner Darstellung sowohl auf
1 Kalbstrick als auch auf die blasphemischen Todesbilder. Durch
i
se reduzierte Stilisierung, die schon in Domra ausprobiert wurde,
ken die geschilderten Todesfalle naturalistischer.
xachtet man dieses Prosawerk im Dialog mit seinem Vorganger,
st es sich als eine Darstellung der Todesrituale auf dem katholischen
Lande - von der Leichenschmiickung liber die Leichenwache
bis zum Begrabnis - verstehen. Bei der Inszenierung des Erzahlers als
Knochensammler, „der Schicht u m Schicht seine Toten bestattet"^'**',
fallt nicht nur die Selbstironie des Autors, sondern auch dessen schon
offer deklarierte Affinitat zur Todesauffassung Elias Canettis auf:
Der Erzahler als Verwalter der Gebeine Verstorbener, als Betrachter
eines Haufens von Toten; Noch nie so deutlich wie in Wenn es soweit ist
hat Winkler die Nahe seiner Erzahler zu einem Typus offenbart, den Elias
Canetti in Masse und Macht beschreibt; den Typus des Uberlebenden.^''^
Im Zusammenhang mit der Trilogie Das wilde Kamten weist die „Pulsnitzer
Sterbechronik"^^° iiber die Reduktioh der (Todes-)Metaphorik
hinaus Ziige eines Negativs auf, denn der Vater wird nicht mehr damonisiert,
sondern mit einer gewissen Sympathie dargestellt, statt des
Christusbildes bildet ein HoUengleichnis den Mittelpunkt des Dorfes.
Hat Josef Winkler zu seiner Kritik an Katholizismus und Patriarchat
friiher eine Explosion von blasphemischen Todesbildern gebraucht,
geht er diesmal mit seinen Metaphern sparsam um. Auch eines der
Zentralbilder der Roman trilogie, das Dorfkruzifix als Sinnbild von
Macht und Unterdruckung, wird aufgegeben. Der Platz Gottes wird
dem Satan zugewiesen (vgl. W 148).
Die kritische Intention dieser Erzahlung andert sich dabei nicht, wird
sogar um eine politische Dimension erweitert, was wiederholt an Bernhards
literarischen Werdegang denken lasst. Winklers Szene mit drei
348 Franz Haas: Auch er war in Arkadien. Josef Winklers Streifzuge durch Itaiien. In: Kacianka, Beigeselit,
S. 57-70, hierS. 68.
349 Antonio Flan: Der Experte des Oberlebens in Ironie. In: Kacianka, Beigeseilt, S. 31-42, hier S. 39.
350 Ebd., S. 39.
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Greisen, die „nach der Graberbesprengung mit ihren vom Knochensud
ihrer verstorbenen Mitbiirger geschwarzten Augenliedern und den
haarigen Ohrschwarten des Teufels im Mund" ins Wirtshaus einkehren,
u m „wie seit Jahrzehnten jedes J a h r am Allerheiligentag nach der
Graberbesprengung vom Krieg zu erzahlen" (W 172), erinnert zugleich
an die Tater-Tischrunde in Bachmanns Erzahlung Unter Mordern und
Irren. Der Sprachduktus Winklers ist jedoch unverkennbar:
DER ZWEITE GREIS: O Jesu, wer sein Kreuz nicht tragt und dir nicht
nachfolgt, ist deiner nicht wert. Ich will dir also das Kreuz tragen helfen.
Ich will aufdeinem Kreuzeswege dein Gefdhrte und Genosse sein. Ich will
in deine blutigen Fujistapfen treten und dir nachfolgen. Hitler hatte doppelt
so viele Juden wegraumen soUen. (W 178)
Die Verbindung der drei alten Manner mit dem Tod wird durch das
Schliisselbild des Knochensudes hergestellt, das wiederum mit dem
Krieg doppelt in Verbindung gesetzt wird. Evoziert es zunachst vergangene
Schuld, verwandelt sich der Verdacht durch expliziten Antisemitismus
in die immerwahrende Bereitschaft zum Toten.^''^ Das
Gebet wird nicht mehr als Fundgrube religioser Todesbilder verwendet,
es hat nur noch eine Kontrastfunktion und fuhrt zur Blofistellung
des latenten Faschismus in den patriarchalen Schichten der osterreichischen
Dorfgemeinschaft.
5.3.2 JVatura morta (2001)
Ist in Wenn es so weit ist die veranderte Erzahlperspektive und reduzierte
Metaphorik bereits signifikant, so setzt sich der Poetikwandel
in Natura morta fort. Die Novelle unterscheidet sich von den anderen
Werken durch einen klar umrissenen Plot und ihre iiberraschend
351 Antonio Fian rijckt die drei Greise in die Nahe des Befehihaber-Typus' Canettis: „Der Experte des
Oberlebens ist, zugunsten seines Schreibens, grausam geworden, weniger um Iviitleid mit den
Toten ist es ihm zu tun als darum, den Expertenblick in all seiner Scharfe zu richten auf die
anderen, wirkiichen Uberlebenden, die dem Laien, der nur flijchtig hinzuschauen gewohnt ist, so
ailtagiich erscheinen, dass er die standige Gefahr, die von ihnen ausgeht, unterschatzt. [...] Es
ist ein Verdienst von Josef Winkiers grol^er, grausamer Literatur, aufmerksam geblieben zu sein
gegeniiber der ailtaglichen, verbaien Grausamkeit, hinter der sich, alizeit bereit auszubrechen,
die Sucht zu iiberieben verbirgt, der Wunsch, endlich Oder noch einmal und dann wieder und
wieder iebend hinwegzuschreiten uber einen Haufen von Toten." Ebd., S. 42
161
Einen kleinen, geflugelten Engelskopf hatte man dazugehangt. In seinen
gelblichen Handen - die Fingerspitzen waren blau, die Fingernagel leicht
gewolbt - steckte ein Strauii weifier Ginster, verziert mit einem blauen
Band. (NM 93)
Da in dieser Textstelle die Kameringer Angriffe gegen den ,Gott meiner
Kindheit' fehlen, tragt diese Darstellung zur Verklarung des Todes in
der Novelle bei. Indem die Geschichte mit dem Bild des verstorten und
trauernden Frocio endet, der in der Kirche irrend „Buena notte, anima
mia!" (NM 102) ruft, mutet sie romantisch an und stellt somit eine
radikale Wende in Winklers Umgang mit dem Tod dar.
5.3.3 Leichnam, seine Fatnilie belauemd (2003)
1 Ein Stiick, in dem alle Toten auftreten, die einem zugehoren.
Manche unter ihnen treffen sich wieder, andere lernen
sich erst kennen. Es gibt keine Trauer unter ihnen, ihr
Gliick aufzutreten ist so ungeheuer. (Was soil man ilber
das Gluck dessen sagen, der sie auftreten ld]it?P^
Bei diesem zuletzt veroffentlichen Prosawerk handelt es sich u m eine
Sammlung von Kurzgeschichten, die einerseits die bekannten Themen
noch einmal aufgreifen, andererseits als Autorenkommentare zu den
friiheren Werken konzipiert sind. Der Ich-Erzahler, in ,seinem Knochengerilst
hausend' (L 9), versetzt sich diesmal in den Tod selbst,
der sich wieder „dem Dorf der Kindheit naherf'-^^"* Zwei langere Ausnahmen
unter den 73 Prosaminiaturen bilden die Beschreibung eines
Einascherungsrituals u n d zweier Wasserbestattungen in Varanasi in
Julius Meinl oder Leichenschleifen in Benares, die sich wieder durch
„zahllose Detailwahrnehmungen" u n d „den Effekt der Gleichzeitigkeit"^^^
auszeichnet, und die Karntner Modellgeschichte Vita activa
der Familie Francula in Carinzia liber den „Sch6ndarm Pele" (L 132),
als dessen einzige Qualifizierung fur die Aufnahme in die dortige Polizei
seine Xenophobic und sein SpieiSbiirgertum impliziert werden. Die
satirische Erzahlung erinnert an die fast einhundert Jahre alten lite-
353 Canetti, Ober den Tod, S. 33.
354 Cornelia Niedermeier: und alle sarge stehn entdeckt. In: Der Standard, 14. 6. 2003, S. A 8.
355 Vogel, Josef Winklers Domra, S. 101.
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rarischen Abrechnungen Gustav Meyrinks mit den Pragern, nur dass
,Des Karntner Spiefeers Wunderhorn' auch noch die Potenz der Hauptfigur
thematisiert. Beide archaische Welten, die des osterreichischen
Heimatdorfes u n d jene der indischen Todeskultstatte, werden in der
Kurzgeschichte Kinder schaut! Wie man stirbt! gegeneinander ausgespielt.
Der Ich-Erzahler schlieSt fur sich den naturlichen Tod aus,
da seine Kindheit noch nicht tot ist. Er imaginiert sich am Ufer des
Ganges sitzend und „auf den angeschwemmten Leichnam des Kindes,
das ich war" so lange einschlagend, „bis ich mit der Spitze meines
Schienenbeinknochens endgiiltig meinen Kindskadaver zerfleischen
u n d den herumstreunenden Hunden am Einascherungsplatz zum
Frafi vorwerfen kann." (L 86) Dieser poetologische Text erklart unter
anderem das Wiederauftauchen vieler Kindergeschichten in diesem
Buch. Der Erzahlband wird mit Fragen aus einem fiktiven Interview
abgeschlossen, in denen noch mal die Leitmotive u n d asthetische Verfahren
der Winklerschen Literatur aufgegriffen und ironisiert werden.
Das Standardrepertoire des Erzahlbandes umfasst eine Todeschronik
der Familie bis zu den GroSeltern, in der eine Aufbahrungsszene als
Initiation in den Todeskult dargestellt wird. In der Kurzgeschichte Die
gute Haut erinnert sich der Ich-Erzahler, wie ihn seine Taufpatin mit
drei Jahren zu seiner toten GroiSmutter gebracht hat.
[Sie] deutete auf das aschfarbene, eingefallene Gesicht meiner Grofimutter
und flusterte: Schau, Seppl, schau! Bis zu diesem Augenblick kann
ich mich zuriickerinnern, mit diesem Augenblick setzt die Flut meiner
Erinnerungsbilder ein. (L 22)
Die Gewichtung der erzahlerischen Versatzstiicke ist, vor allem mit der
Karntner-Trilogie verglichen, jedoch anders. Die Autoritat des Vaters
wird nicht mehr anhand expressiver Bilder bekampft, er kommt n u r
noch als ,der Patriarch' vor. Jakob u n d Robert tauchen offer auf. In
Hautabschurflingen auf dem Kalbstrick, von Menschenhaut eignet sich
der Sohn des Ich-Erzahlers den in den friiheren Werken zur Reliquie
erklarten Kalbstrick an, „mit dem sich die beiden Jungen aufgehangt
haben" (L 109), u n d peitscht damit sein Schaukelpferd. Gerade liber
die Vaterschaft wird die Veranderung der Poetik erklart: Der eigene
Sohn habe den Blickwinkel des schreibenden Vaters mehr Richtung
Leben gelenkt.
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klassische Form: Der Protagonist namens Piccoletto, „der halbwiichsige
Sohn der Feigenverkauferin, der lange scliwarze, fast seine Wangen
beriihrende Wimpern hatte und ein silbernes Kruzifix urn. seinen Hals
trug" (NM 30), wird gleich am Anfang in die Handlung eingefuhrt und
mit einem omniprasenten Kamerablick des allwissenden Erzahlers bei
alien Stationen bis zu jener seines todlichen Ungliicks verfolgt. Seine
Aufbahrung bildet das Finale der asthetischen Schilderung. Die sich
anschlieiSende Begrabnisszene endet mit einem Bild des leeren Friedhofs,
die Erde fallt auf den Sarg. Das Ende der Novelle bildet jedoch die
Darstellung des durch diesen Tod verstorten Fischverkaufers, dessen
Liebe bis libers Grab reicht. Somit steht Winklers ,Tod in Rom' durch
das Bild der schonen Leiche mehr in der Tradition der klassischen
Oder romantischen (Italian-)Literatur als jener des 20. Jahrhunderts.
Trotz all der Vanitas-Bilder ist Natura morta weder so konsequent dekadent
wie Thomas Manns Venedig-Novelle noch so politisch ausgerichtet
wie Wolfgang Koeppens Aufarbeitung dieses Themas.
Verglichen mit seinen anderen Werken geht der Autor mit der Todesmetaphorik
nicht nur sparsam, sondern auch konsequent erzahlstrategisch
um. Die Handlungsorte beschranken sich auf den bereits aus
Friedhofder bitteren Orangen bekannten Fleischmarkt, auf dem wieder
marokkanische Strichjungen herumschlendern u n d sich bosnische
Kriegsfluchtlinge neu einfinden. Der Fleischmarkt auf dem Piazza Vittorio,
auf dem sich auch die Fischstande befinden und der an einen
Obst- und Gemusemarkt grenzt, wird wieder durch naturalistische
Schlachtbilder und Vanitas-StilUeben charakterisiert. An einem
Fischstand arbeitet der halbwiichsige Sohn der Feigenverkauferin, an
einem anderen sein alterer dicker Verehrer Frocio. Und eben die mythisierte
Grenziiberschreitung eines, der gerne in frische Feigen beiiSt,
in Richtung des Reiches des verfaulenden Fleisches ist dem sechzehnjahrigen
Fischverkaufer verhangnisvoU geworden. Folgende Textstelle
nimmt durch eine kontrastive Einbettung des schonen Jiinglings in
das makabre Umfeld die tragische Handlung vorweg.
Nachdem die Aufraumungsarbeiten auch bei den Fischstanden beendet
waren, tauchte Piccoletto mit seiner Vespa auf und fuhr mit seinem Gefahrt
- am Mopedschlussel hing ein kleiner, gelber Kunststoffschnuller
- zwischen den Verkaufsstanden hindurch, uber verfaulendes Obst und
Gemilse, iiber verdorbene Siidfruchte, ilber Hiihnerhalse und Huhner-
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herzen, gelbe Hahnenfufie, zerquetschte verfaulende Lungenflugel, lachend
wich er den herumliegenden Schafskopfen aus, denen die Haul
abgezogen worden war, kurvte an den gehornten schwarzen, blutigen
Ziegenkopfen vorbei und fuhr laut lachend iiber die Schwanze der Schafe,
an denen noch kotbeschmierte Haarbilschel hingen. (NM 25f.)
Die Ausweitung des Handlungsraums bis zum Vatikan, wo Piccolettos
Mutter Feigen verkauft, geschieht auch unter diesen Todeszeichen.
Auch im Vatikan macht man Geschafte mit dem Tod, die allerdings als
heilig verklart warden. Um dies wiederzugeben verzichtet der Erzahler
auf naturalistische Bilder und greift zur Ironie; als ob er bei seiner
imaginaren Kamerafuhrung den Ton eingeschaltet gelassen hatte:
„Ich will dich noch bei den toten Papsten knipsen, komm!" sagte eine
Deutsche zu ihrer Begleiterin, bevor sie die Papstegruft verlielSen und auf
den Heiligenkitschladen zugingen. (NM 41)
Der Junge verungluckt bei einem Wolkenbruch, als er fur Frocio Pizza
holt und von einem Feuerwehrwagen mitgeschleift wird. Die Szene,
in der ihn der alte Fischverkaufer zuriick zum Fleischmarkt tragt,
fallt durch ihre schockierenden Detailaufnahmen der Tierkadaver u n d
der gerade geschlachteten Tiere auf (vgl. NM 76ff.) u n d zeichnet sich
durch den bereits in Domra erarbeiteten Stil „der Gleichzeitigkeit u n d
Simultanitat"^^^ aus. Die Aufbahrungsszene erinnert wiederum durch
die Art der Inszenierung des schonen Todes eher an die KarntnerTrilogie.
Die Vorzeichen der Todesbilder sind wieder verkehrt. Waren
die lebhaften Szenen vom Fleisch- und Fischmarkt durchsetzt mit
ekelhaften Bildern des Verfalls, wird die Leiche des im offenen Sarg
liegenden Jiinglings als asthetisches Objekt dargestellt und in alter
Winklerscher Manier mit Christus verglichen.
Seine langen Wimpern berilhrten die mit Sommersprossen ilbersaten
Wangen. Niemand hatte die schwarzen stacheligen Chirurgenfaden an
seiner Stirnwunde entfernt, die er sich beim kreisenden Ventilator am
Fischstand zugezogen hatte, wie die Andeutung einer kleinen unvoUendeten
Dornenkrone hingen die Chirurgenfaden an seiner Stirn. Sprode
waren seine Lippen, ein wenig mit rosarotem Lippenstift aufgehellt. Um
seinen Hals trug er nun wieder ein goldenes Kettchen mit einem Kruzifix.
352 Vogel, Josef Winklers Dofnra, S. 101.
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