Arthur Schnitzler 1862 in Wien – 1931 ebenfalls in Wien Welchen familiären Hintergrund hatte Arthur Schnitzler und wie hat sich seine Herkunft auf seine literarische Sozialisierung ausgewirkt? Arthur Schnitzler entstammte der Familie des Kehlkopfspezialisten Johann Schnitzler. Johann Schnitzler, ursprünglich ein Kind aus einer jüdischen Handwerkerfamilie, über die Arthur Schnitzler in seiner Autobiographie schrieb: Mein Großvater, Tischler wie angeblich auch seine nächsten Vorfahren, befand sich mit den Seinen zeitlebens in beschränkten, ja dürftigen Verhältnissen, und am Schluß eines Briefes, den mein Vater wenige Tage nach meiner Geburt an ihn gerichtet hatte, war der Wunsch zu lesen, daß »der Enkel dem Großvater das Glück bringen möge, das ihm bisher so unbarmherzig den Rücken gekehrt habe«. Er soll des Lesens und des Schreibens unkundig, in seinem Handwerk aber beinahe ein Künstler gewesen sein. Arthur Schnitzlers Mutter Louise, geb. Markbreiter, war die Tochter eines praktischen Arztes. In seiner Fragment gebliebenen Autobiographie (postum u. d. T. Jugend in Wien. Hg. Therese Nickl u. Heinrich Schnitzler. Wien/Mchn./Zürich 1968) beschreibt Schnitzler, wie ihm durch die Wohnung seiner Großeltern mütterlicherseits im Gebäude des Carltheaters die allerfrühesten Eindrücke aus der Theaterwelt vermittelt wurden. Arthur Schnitzler erzählt auch von der Spielleidenschaft seines Großvaters: Stets in Geldverlegenheiten, oder wenigstens auf der Suche nach neuen Spieleinsätzen, scheute er auch nicht davor zurück, sich die eben nötigen Summen auf minder gewöhnlichem Wege zu verschaffen; so entlieh er zum Beispiel von dem Gatten seiner ältesten Tochter sofort nach der Hochzeit die eben erst bezahlte Mitgift zur Begleichung einer dringenden Schuld und fand niemals wieder Gelegenheit, die verhältnismäßig geringe Summe – es handelte sich um sechstausend Gulden – zurückzuerstatten. Schon hoch in den Siebzig und von schwankender Gesundheit pflegte er allwinterlich nach Monte Carlo zu fahren; und regelmäßig war man genötigt, ihm das Geld zur Rückreise – und zwar meistens öfter als einmal – nachzusenden, da er seine gesamte Barschaft immer wieder am Roulettetisch verloren hatte. Daheim spielte er mit Gattin, Töchtern und anderen Verwandten verschiedene Hazardspiele zu niedrigen Sätzen, am liebsten »Angehen«, später auch Poker, und versuchte dabei in ganz kindischer Weise, durch Zurückbehalten und Verstecken von Karten unter der Tischplatte, auf den Knien, im Rockärmel, sein Glück zu verbessern, was man dem alten Mann um so nachsichtiger hingehen ließ, als eine Erkrankung des Handgelenkes ihm besonders geschickte Heimlichkeiten gar nicht erlaubte und er, wenn der lächerliche Betrug nicht geglückt war, zornig aufzustehen und nach wenigen Minuten, als wäre nichts geschehen, sich wieder an den Spieltisch zu setzen pflegte. Arthur Schnitzler besuchte 1871-1879 das Akademische Gymnasium u. entschied sich dann für das Medizinstudium (Promotion 1885). 1885-1888 war er Assistent u. Sekundararzt im Wiener Allgemeinen Krankenhaus (u. a. bei Theodor Meynert, einem Lehrer Sigmund Freuds), 1888 - 1893 Assistent des Vaters an der Poliklinik. Nach dem Tod des Vaters 1893 unterhielt er eine Privatpraxis, die mit zunehmender literarischer Tätigkeit immer mehr eingeschränkt wurde. Allerdings: »Wer je Mediziner war, kann nie aufhören, es zu sein. Denn Medizin ist eine Weltanschauung« (zitiert nach Olga Schnitzler: Spiegelbild der Freundschaft. Salzb. 1962, S. 53). Als Redakteur der medizinischen Wochenschrift seines Vaters, »Internationale Klinische Rundschau«, verfaßte S. eine Vielzahl von Beiträgen, in der Hauptsache Rezensionen u. Kongreßberichte (Die medizinischen Schriften. Hg. Horst Thomé. Wien/Darmst. 1988). Welche Stücke haben den jungen Schnitzler berühmt gemacht? Seit 1886 publizierte er regelmäßig Gedichte, Prosaskizzen u. Aphorismen in literar. Zeitschriften (»Deutsche Wochenschrift«, »An der schönen blauen Donau«, »Moderne Dichtung«). 1892 (vordatiert auf 1893) erschien in Berlin Schnitzlers Einakterreihe Anatol mit einem Prolog Hofmannsthals, dessen letzte Verse lauten: Eine Laube statt der Bühne, Sommersonne statt der Lampen, Also spielen wir Theater, Spielen unsre eignen Stücke, Frühgereift und zart und traurig. Die Komödie unsrer Seele, Unsres Fühlens heut und Gestern, Böser Dinge hübsche Formel. Glatte Worte, bunte Bilder. Halbes, heimliches Empfinden, Agonien, Episoden . . . Manche hören zu, nicht alle . . . Manche träumen, manche lachen. Manche essen Eis . . . und manche Sprechen sehr galante Dinge . . . . . . Nelken wiegen sich im Winde, Hochgestielte weiße Nelken, Wie ein Schwarm von weißen Faltern, Und ein Bologneserhündchen Bellt verwundert einen Pfau an. Im Anatolzyklus waren sowohl Schwankelemente nach französischen Mustern verarbeitet (Abschiedssouper, Anatols Hochzeitsmorgen) als auch Schnitzlers intensive Erfahrungen mit Hypnose und Suggestion (Die Frage an das Schicksal). In dem bereits in der Weihnachtsausgabe 1891 der »Frankfurter Zeitung« erstmals abgedruckten Dialog Weihnachtseinkäufe ist die Charakterisierung Anatols als eines »leichtsinnigen Melancholikers« deutlich: GABRIELE. Gewiß will ich es! ... Wie lernten Sie sie kennen ...? ANATOL. Gott – wie man eben jemand kennen lernt! – Auf der Straße – beim Tanz – in einem Omnibus – unter einem Regenschirm – GABRIELE. Aber – Sie wissen ja – der spezielle Fall interessiert mich. Wir wollen ja dem speziellen Fall etwas kaufen! ANATOL. Dort in der ... »kleinen Welt« gibt's ja keine speziellen Fälle – eigentlich auch in der großen nicht ... Ihr seid ja alle so typisch! GABRIELE. Mein Herr! Nun fangen Sie an – ANATOL. Es ist ja nichts Beleidigendes – durchaus nicht! – Ich bin ja auch ein Typus! GABRIELE. Und was für einer denn? ANATOL. ... Leichtsinniger Melancholiker! GABRIELE. ... Und ... und ich? ANATOL. Sie? – ganz einfach: Mondaine! GABRIELE. So ...! ... Und sie!? ANATOL. Sie ...? Sie ..., das süße Mädl! GABRIELE. Süß? Gleich »süß«? – Und ich – die »Mondaine« schlechtweg – ANATOL. Böse Mondaine – wenn Sie durchaus wollen ... GABRIELE. Also ... erzählen Sie mir endlich von dem ... süßen Mädl! ANATOL. Sie ist nicht faszinierend schön – sie ist nicht besonders elegant – und sie ist durchaus nicht geistreich ... GABRIELE. Ich will ja nicht wissen, was sie nicht ist – ANATOL. Aber sie hat die weiche Anmut eines Frühlingsabends ... und die Grazie einer verzauberten Prinzessin ... und den Geist eines Mädchens, das zu lieben weiß! GABRIELE. Diese Art von Geist soll ja sehr verbreitet sein ... in Ihrer kleinen Welt! – ANATOL. Sie können sich da nicht hineindenken! ... Man hat Ihnen zu viel verschwiegen, als Sie junges Mädchen waren – und hat Ihnen zu viel gesagt, seit Sie junge Frau sind! ... Darunter leidet die Naivität Ihrer Betrachtungen – Karl Kraus (Die demolierte Literatur) spottet über Schnitzlers erstes Stück am Hofburgtheater, Schnitzler habe das Vorstadtmädel burgtheaterfähig gemacht. Welches Stück meint er? 1895 wurde am Hofburgtheater Wien Schnitzlers Schauspiel Liebelei uraufgeführt, das einerseits die Tradition des bürgerlichen Trauerspiels fortführte, andererseits aber damit Skandal erregte, daß erstmals eine leidenschaftliche Liebesgeschichte zwischen einem »süßen Mädel« aus der Wiener Vorstadt u. einem wohlhabenden jungen Herrn auf die Bühne gebracht wurde. Schon der Titel (eine abwertende Bezeichung für eine kurze, unverbindliche Liebesbeziehung), der auf den krassen Gegensatz zwischen der Auffassung dieser Beziehung zwischen Fritz und Christine, einem Anatoltyp aus der Oberschicht und der Tochter einesViolinspielers am Josefstädter Theater, die aus einem kleinbürgerlichen Vorort satmmt. Sie sehnt sich nach einer ewigen Liebe, er kennt nur „Augenblicke“, „die einen Duft von Ewigkeit um sich sprühen“. Er liebt Sie, vermisst aber die Herausforderung, die er in seinem Verhältnis mit einer verheirateten Frau aus seiner Schicht spürt, obwohl sein Freund Theodor ihn vor solchen Abenteurn warnt: Sie bringen „Gefahren“, „Tragik“ und „große Szenen“, bei Mädchen wie Mizi oder Christine findet man „Erholung“, „Zärtlichkeit“ und „sanfte Rührung“. Christine Dass stürzt aus dem Fenster, als sie ensieht, für Fritz nur ein Zeitvertreib,eine Liebelei, gewesen zu sein. Schnitzlers leichter Konversationston, unter dem sich tragische Abgründe auftun, gleicht das Pathos von Christine aus, die sich damit nicht abfinden will, dass man sie nicht einmal zum Begräbnis eingeladen hat: Theodor Auch hat das... es hat in aller Stille stattgefunden... Nur die allernächsten Verwandten und Freunde... Christine Nur die nächsten –! Und ich –?... Was bin denn ich?... Mizi Das hätten die dort auch gefragt. Womit gelang Schnitzler ein Durchbruch als Prosaist? 1894 erschien in der Literaturzeitschrift des Samuel Fischer Verlages Neue Deutsche Rundschau in Berlin Schnitzlers Novelle Sterben, die ein Jahr später das erste Buch Schnitzlers im S. Fischer Verlag war, dem er von da an bis auf wenige Ausnahmen mit seinem Gesamtwerk treu blieb. Der Titel ist zweideutig. Mit dem Dahinsiechen des jungen, höchstwahrscheinlich schwindsüchtigen Felix stirbt auch seine Liebe zu Marie. An der Grenze zwischen Hysterie und einem zynischen Egoismus des Todkranken bewegt sich die Handlung: Felix führt noch mit Marie nach Meran und will will er gemeinsam mit Marie sterben. Sie lehnt es ab, ein Mordversuch scheitert. Marie kann fliehen und läuft den ankommenden Freund Alfred in die Arme. Felix verübt Selbstmord. Es gibt keine ewige Liebe. Die tödliche Krankheit vernichtet jede Beziehung. Angesichts des Todes kann man nur noch Komödie spielen oder schweigen. Was war so skandalös an der Novelle Lieutenant Gustl, dass dem Schriftsteller Schnitzler dann von einem militärischen Ehrengericht der Rang eines Oberarztes aberkannt wurde? Die angewandte Gedankenwiedergabe eines jungen Offiziers in Form des inneren Monologs hat sich am besten für die Bloßstellung geeignet. Der ungehemmte Assoziationsfluß enthüllt dabei die Zweifelhaftigkeit des militärischen Ehrenkodex sowie des obeflächlichen, von der Meinung der anderen abhängigen Gustls. Nach einem Oratorium, bei dem er sich langweilte, geriet er an der Garderobe mit einem Bäckermeister, in Streit und wurde von ihm beleidigt, ohne ihn an Ort und Stelle dafür zu bestrafen. Da ein Bäckermeister nach dem Ehrenkodex der Offizierskaste keine »Standesperson« ist und daher nicht ebenbürtig gilt, kann er sich mit ihm nicht duellieren. Der Leutnant, entscheidet sich seine Schande durch Selbstmord zu tilgen. Am folgenden Morgen erfährt er jedoch, daß sein Beleidiger in der Nacht plötzlich gestorben sei. Mit dem Beleidiger ist für ihn auch die Sache selbst aus der Welt geschafft, und Gustl freut sich auf sein Duell mit einem Doktor, einem Reserveoffizer, der daran zwefelte, das vaterländische Gefühle über die Berufswahl der jungen Offiziere ausschlägegebend gewesen wären. Gustl Aggressivität äußert sich im leztten Satz der Novelle: „Dich hau' ich zu Krenfleisch!“ In der Zeitspanne zwischen dem Konzertbesuch und dem vermeintlich letzten Frühstück im Café ist Gustl mit sich selbst beschäftigt: die Bewußtseinssplitter enthalten antisemitische Floskeln und zeugen vom Intellektuellenhaß, mischen stereotype Redewendungen („Ehre verloren, alles verloren.“ [22?], „Habe die Ehre.“ [36?, 40?] , denen im Kontext der Novelle eine zusätzliche Bedeutung zukommt. In Bezug auf eine Prostituierte fallen Gustl Sachen ein, die der Leser wohl auf Gustl selbst zutreffend finden könnte: Obzwar, in der Not frißt der Teufel Fliegen … in Przemysl – mir hat's nachher so gegraust, daß ich gemeint hab', nie wieder rühr' ich ein Frauenzimmer an … Das war eine gräßliche Zeit da oben in Galizien … Indem er an seine famiie denkt, gesteht er: Gern haben sie mich ja – aber was wissen sie denn von mir? – Daß ich meinen Dienst mach’, daß ich Karten spiel’ und daß ich mit Menschern herumlauf … aber sonst? – Daß mich manchmal selber vor mir graust, das hab’ ich ihnen ja doch nicht geschrieben – na, mir scheint, ich hab’s auch selber gar nicht recht gewußt. Welche Stücke Schnitzlers konnten erst nach der Aufhebung der Zensur nach dem Ersten Weltkrieg aufgeführt werden? 1903 erschien in Wien die 1896/97 entstandene Szenenreihe Reigen über Egoismus und Kälte in sexuellen Beziehungen. Bis dahin hatte lediglich ein Privatdruck existiert, das Buch wurde bereits kurz darauf in Deutschland verboten. Lange widersetzte sich Schnitzler allen Anfragen um das Aufführungsrecht des Stückes, die Uraufführung kam erst 1920 in Berlin zustande. Nach Saalschlachten und organisierten Skandalen in Berlin und Wien sowie nach einem Prozeß, in dem sich Schauspieler und Direktion des Kleinen Schauspielhauses Berlin wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verantworten mußten, sperrte der Autor das Stück für jede weitere Aufführung, eine Sperre, die bis zum Jahre 1981 aufrecht blieb und in dieser Zeit nur durch Verfilmungen, eine Schallplattenaufnahme und szenisch Lesungen umgangen wurde. Das Stück erinnert in seiner Struktur an einen Totentanz, bei dem der soziale Status an Bedeutung verliert. Hier bleibt jedoch die Sprache durchaus sozial geprägt und ohne die sozialen Unterschiede gäbe es keine Steigerung von der Dirne bis zum Grafen, der dann wieder bei einer Dirne landet. Die psychische Misshadlung der sozial Schwächeren und die Verlogenheit der Figuren sind viel erschreckender als die Gleichmacherei des Geschlechtstriebes. Der Dichter Ja... vielleicht ist es auch nicht von mir. Das ist ja ganz egal. Was? überhaupt wer's gemacht hat, das ist immer egal. Nur schön muß es sein – nicht wahr? Das süße Mädel Freilich... schön muß es sein – das ist die Hauptsach'! – Der Dichter Weißt du, wie ich das gemeint hab'? Das süße Mädel Was denn? Der Dichter Na, was ich eben gesagt hab'. Das süße Mädel schläfrig Na freilich. Der Dichter steht auf; zu ihr, ihr das Haar streichelnd Kein Wort hast du verstanden. Das süße Mädel Geh, ich bin doch nicht so dumm. Der Dichter Freilich bist du so dumm. Aber gerade darum hab' ich dich lieb. Ah, das ist so schön, wenn ihr dumm seid. Ich mein' in der Art wie du. 1912 fand in Berlin die Uraufführung von Professor Bernhardi statt. Als Anregung zu diesem Stück, das antisemitische Intrigen und parteipolitischen Machenschaften rund um den Leiter einer Krankenanstalt zum Thema hat, hatten Schnitzler Erfahrungen seines Vaters als Gründer und Leiter der Allgemeinen Wiener Poliklinik gedient. In Österreich konnte das von Schnitzler als Komödie bezeichnete Stück erst 1918 aufgeführt werden, da die Zensurbehörden der österrischen Monarchie ihre Bewilligung stets verweigert hatten. Das Stück wurde angeblich wegen seiner antiklerikalen Tendenz verboten. Im Wiener Elisabethinum liegt ein Mädchen im Sterben, sie weiß dies aber nicht und glaubt sich auf dem Weg der Besserung. Schwester Ludmilla läßt ohne Bernhardi’s Wissen einen Pfarrer rufen, um dem Mädchen die letzte Ölung zu geben. Als dieser im Krankenhaus erscheint, verwehrt ihm Bernhardi den Eintritt in das Krankenzimmer, denn das Mädchen befinde sich in einer Euphorie und Bernhardi will sie nicht mit den Tatsachen des Todes konfrontieren. Nach einer längeren Debatte gelangt der Pfarrer schließlich doch in das Zimmer, das Mädchen ist jedoch bereits verstorben. CYPRIAN. Ja, Hochwürden, wenn wir nur zu den Kranken gingen, wo wir noch helfen können. Manchmal können wir auch nichts Besseres tun als trösten. KURT. Und lügen. PFARRER setzt sich. Sie gebrauchen da ein etwas hartes Wort, Herr Doktor. KURT. Verzeihung, Hochwürden, das bezog sich natürlich nur auf uns Ärzte. Übrigens ist gerade das manchmal der schwerste und edelste Teil unseres Berufes. ... BERNHARDI. Das würde ja die Sache nicht bessern. Wie ich schon bemerkte, Hochwürden, die Kranke ist völlig ahnungslos. Und sie erwartet alles andere eher als diesen Besuch. Sie ist vielmehr in dem glücklichen Wahn befangen, daß in der nächsten Stunde jemand, der ihr nahe steht, erscheinen wird, um sie abzuholen, und sie wieder mit sich zu nehmen, – ins Leben und ins Glück. Ich glaube, Hochwürden, es wäre kein gutes, fast möchte ich zu behaupten wagen, kein gottgefälliges Werk, wenn wir sie aus diesem letzten Traum erwecken wollten. PFARRER nach kleinem Zögern bestimmter. Ist eine Möglichkeit vorhanden, Herr Professor, daß mein Erscheinen den Verlauf der Krankheit in ungünstiger Weise – BERNHARDI rasch einfallend. Es wäre nicht unmöglich, daß das Ende beschleunigt wird, vielleicht nur um Minuten, aber immerhin – PFARRER lebhafter. Nochmals: Ist Ihre Kranke noch zu retten? Bedeutet mein Erscheinen in diesem Sinne eine Gefahr? Dann wäre ich natürlich sofort bereit, mich zurückzuziehen. ADLER nickt beifällig. BERNHARDI. Sie ist rettungslos verloren, darüber kann kein Zweifel sein. PFARRER. Dann, Herr Professor, sehe ich durchaus keinen Grund – BERNHARDI. Entschuldigen Sie, Hochwürden, ich bin vorläufig hier noch in ärztlicher Funktion anwesend. Und zu meinen Pflichten gehört es, wenn nichts anderes mehr in meinen [357] Kräften steht, meinen Kranken, wenigstens soweit als möglich, ein glückliches Sterben zu verschaffen. CYPRIAN zeigt leichte Ungeduld und Mißbilligung. PFARRER. Ein glückliches Sterben. – Es ist wahrscheinlich, Herr Professor, daß wir darunter verschiedene Dinge verstehen. Und nach dem, was mir die Schwester mitteilte, bedarf Ihre Kranke der Absolution dringender als manche andere. BERNHARDI mit seinem ironischen Lächeln. Sind wir nicht allzumal Sünder, Hochwürden? PFARRER. Das gehört wohl nicht hierher, Herr Professor. Sie können nicht wissen, ob nicht irgendwo in der Tiefe ihrer Seele, die Gott allein sieht, gerade in diesen letzten Augenblicken, die ihr noch vergönnt sind, die Sehnsucht wach ist, durch eine letzte Beichte aller Sünden sich zu entlasten. BERNHARDI. Muß ich es nochmals wiederholen, Hochwürden? Die Kranke weiß nicht, daß sie verloren ist. Sie ist heiter, glücklich und – reuelos. PFARRER. Eine um so schwerere Schuld nähme ich auf mich, wenn ich von dieser Schwelle wiche, ohne der Sterbenden die Tröstungen unserer heiligen Religion verabreicht zu haben. Mit welchen Stücken erreichte Schnitzler den größten Erfolg vor dem Ersten Weltkrieg? Mit dem 1904 in Berlin erschienenen Schauspiel Der einsame Weg und der am 14. 10. 1911 zugleich an acht namhaften Bühnen des deutschen Sprachraums uraufgeführten Tragikomödie Das weite Land (Bln. 1911) stand Schnitzler auf dem Zenit seines öffentlichen Ansehens. In beiden Stücken wird die Komplexität von Gefühlen und Beziehungen in den Mittelpunkt gerückt; der Dialog zeichnet sich durch einen Reichtum an Zwischentönen aus, der bisweilen mit Tschechow verglichen wurde (bemerkenswert, daß 1903, neun Jahre vor Erscheinen einer dt. Gesamtausgabe von Schnitzlers Werken, bereits eine russ. Werkausgabe begann). Der einsame Weg zeigt eine Familietragödie, die mit den Künstlerschicksalen des Malers Julian und des Dichters Stephan von Sala verknüpft ist. Der natürliche Vater, der einst die kurz vor ihrer Heirat stehende Gabiele verführt hatte, wird von seinem Sohn als Egoist verworfen: JULIAN. Es gibt auf dieser Welt keine Sünde, kein Verbrechen, keinen Betrug, der nicht gutzumachen ist. Und gerade für das, was hier geschehen ist, sollte es keine Sühne und kein Vergessen geben? FELIX. Es ist zu spät. Ein Geständnis hebt eine Schuld nur auf, solange der Schuldige dafür bezahlen kann. Diese Frist, Sie fühlen es wohl selbst, ist längst abgelaufen. muss zusehen, wie seine todkranke Frau ihn Die Schwester von Felix ist in den älteren todkranken Saal verliebt und wenn sie auf keine Erfüllung ihrer liebe hoffen mehr kann, verübt sie Selbstmord. Vielleicht bringt sie sich nur deshalb um, dass sie in einer kurzen Spanne Zeit alles genossen hat, wozu andere Jahre brauchen, dass sie ausgekostet hat, wonach sich ihre Sehnsucht richtete, und dass für sie somit nichts mehr zu erwarten ist? Auc das würde in diese herbstiche Welt der Egoisten passen. Sala, der nicht wusste, wie krank er sei, als er Julia heiraten wollte, macht seinem Dasein durch eigene Hand ein Ende. Die reichen Zwischentöne der einzelnen Szenen fangen die Atmosphäre der Stagnation ein, in der, wie Dr. Reumann sagt, eine Lüge, die sich so stark erwiesen hat, dass sie den Frieden eines Hauses tragen kann, mindestens, so verehrungswürdig [ist ] als eine Wahrheit, die nichts anderes vermöchte, als das Bild der Vergangenheit zu zerstören, das Gefühl der Gegenwart zu trüben und die Betrachtung der Zukunft zu verwirren." Nachdem die Nächsten tod oder – wie Felix – Wien verlassen hatten, bleiben die einstigen Rivalen um Gabriele allein zurück: den Weg hinab gehen wir alle allein, sagte schon im vierten Akt Sala zu Julian: Es graut Ihnen vor der Einsamkeit? ... Und wenn Sie eine Frau an Ihrer Seite hätten, wären Sie heute nicht allein? ... Und wenn Kinder und Enkel um Sie lebten, wären Sie es nicht? ... Und wenn Sie sich Ihren Reichtum, Ihren Ruhm, Ihr Genie bewahrt hätten – wären Sie es nicht? ... Und wenn uns ein Zug von Bacchanten begleitet – den Weg hinab gehen wir alle allein ... wir, die selbst niemandem gehört haben. Das Altern ist nun einmal eine einsame Beschäftigung für unsereinen, und ein Narr, wer sich nicht beizeiten darauf einrichtet, auf keinen Menschen angewiesen zu sein. Das Gefühl der Resignation verbindet dieses Drama auch mit der Tragikomödie Ein weites Land, das man in Tschechien unter dem Titel Duše - krajina širá in der Übersetzung Josef Balvíns spielte. Der alternde Fabrikant Friedrich Hofreiter, der jahrelang seine Frau Ginia mit der Bankiersgattin Adele betrogen hat und auch einen kurzen Flirt mir der zwanzigjährigen Erna Wahl nicht verschmäht hat, bringt in einem Duell den jungen Fähnrich Otto Aigner um, der sich vor seiner Abfahrt als Marineoffizier um Genia bemühte. Diese Handlung spielt sich gewissermaßen zwischen den Akten ab und der Zuschauer muss sie den Dialogen entnehmen, in denen die Figuren mit Maske ihre Rollen spielen. Vor allem Hofreiter ist eine Spielernatur, der gewissenlos, ehrgeizig, ein Machtmensch mit einem Schuss Melancholie, die ihn nicht unbedingt vordergründig als einen Schuft erscheien lässt. Die Sprache dient in der Konversation als Tarnung, verrät aber letztendlich doch den Sprechenden, wenigstens dem Publikum, dass mehr weiß als die mitspielenden Figuren. Es zeigt sich aber auch ihre Untauglichkeit zu wahrhhaftiger Mitteilung, weil sie so leicht missverstanden wird. Meine Diplomandin Veronika Švestková hat Hofreiters Einstellung zu Genia folgendermaßen charakterisiert: Nachdem er seiner Frau einen Seitensprung nicht hat beweisen können, wirft er ihr vor, dass sie wegen der Ablehnung ihres Verehrers seinen Tod verursacht hat. Vor allem deshalb, weil die Ablehnung von einer falschen Tugend ausgegangen und dass diese Tugend „einen Menschen in den Tod getrieben hat, das ist...“ ihm „…einfach unheimlich.“(S. 347) Hofreiter ist nicht zufrieden, bis er seine Frau wirklich in die befürchtete Situation hineintreibt. Schnitzler ist ein Meister der Aposiopese, der angefangene Satz und abrupt abgebrochene Satz ist ein Signal der Erregung, oder der vergeblichen Mühe etwas zu verschweigen. Nicht zu Ende gesprochenen Gedanken prägen auch die Szene, in der sich Hofreiters Freund, Dr. Mauer, endgültig von ihm trennt und sich von Genia verabschiedet. Mauer kann Hofreiter nicht vergeben, dass der Fabrikant sich auf ein Abenteuer mit Erna eingelassen hat, obwohl er wusste, dass Mauer sie liebt. Mauer wollte vor allem Erna vor einer ihr mit dem Weiberheld Hofreiter drohenden Enttäuschung schützen. GENIA: Die dummen schweren Worte, die Ihnen durch den Sinn gehn, die blasen Sie nur gefälligst in die Luft. Und Sie werden sehn, wie leicht sie eigentlich sind. Sie fliegen ... alle ... sie verwehn, diese schweren dummen Worte ... MAUER. Es gibt vielleicht wirklich nur ein schweres auf der Welt – und das heißt Lüge. GENIA. Lüge? Gibt's denn das in einem Spiel? List oder Spaß heißt es da. MAUER. Spiel –?! Ja, wenn es so wäre! ... Ich versichere Sie, Genia, nicht das geringste hätt' ich einzuwenden gegen eine Welt, in der die Liebe wirklich nichts andres wäre als ein köstliches Spiel ... Aber dann ... dann ehrlich, bitte! Ehrlich bis zur Orgie .... Das ließ' ich gelten. Aber dies Ineinander von Zurückhaltung und Frechheit, von feiger Eifersucht und erlogenem Gleichmut – von rasender Leidenschaft und leerer Lust, wie ich es hier sehe – das find' ich trübselig und grauenhaft – ... Der Freiheit, die sich hier brüstet, der fehlt es am Glauben an sich selbst. Darum gelingt ihr die heitre Miene nicht, die sie so gerne annehmen möchte ... darum grinst sie ... wo sie lachen will. Hofreiter ist sicher, dass ihm ihm von der Totung von Otto beim Gericht freispricht: Ich hab' ja nur meine Ehre gerettet. Vielleicht daß sie mich gegen Kaution ... allerdings Fluchtverdacht ist vorhanden. Erhat vor, seine Frau, seinen Sohn Percy, aber auch Erna, die mit ihm weggehen möchte, zu verlassen. Zurückbleibt eine Verwüstung und gebrochene Herzen. Wie war Schnitzlers Einstellung zum Zionismus? Wie hat sich seine nüchterne Haltung zur österreichischen Gesellschaft auf seine Rezeption im und dnach dem Ersten Weltkrieg ausgewirkt? In den 90er Jahren hatte Schnitzler Kontakt zu Theodor Herzl, stand aber dem Zionismus ablehnend gegenüber. In seinem Künstler- und Gesellschaftsroman Der Weg ins Freie (Bln. 1908) gestaltete er auch das Dilemma des assimilierten österreichischen Juden, dem von seiner nichtjüdischen Umwelt das volle Heimatrecht verweigert wird. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs zählte S. zu den wenigen Schriftstellern, die sich nicht von der Welle der Kriegsbegeisterung mitreißen ließen. Er sah vielmehr in der Phantasielosigkeit der Verantwortlichen, die sich das Ausmaß der Leiden nicht vorzustellen vermochten, eine der Hauptursachen des Kriegs. Nur als Handschrift überliefert ist Schnitzlers Friedensschrift vom Januar 1915, in der es heißt: "Viele Feuilletonisten finden, daß die Menschheit nach diesem Kriege irgendwie gereinigt und geläutert sein werde. Die Gründe für diese Annahme sind unklar: keiner der Kriege, die bisher in der Welt geführt worden sind, hat diese Folge gezeitigt... wer werden die Geläuterten sein? Die ein Bein verloren haben oder ein Auge? Oder die Eltern, die ein Kind, die Frauen, die ihren Mann verloren haben? Oder die Leute, die zu Grunde gingen? Oder die Leute, die durch Armeelieferungen Millionen verdient haben?" Schnitzler geht auch auf den im Krieg wieder populär gewordenen Clausewitz[1] (1780-1831) ein: "Der Satz von Clausewitz, daß Krieg nichts anderes sei als die Politik mit andern Mitteln ist geistreich, also halbwahr, also gefährlich, also Unsinn." In einem Brief an seine Frau vom 22.5.1916 kommt er auf das geflügelte Wort des preußischen Generals zurück und fragt: "Kennst Du den Clausewitzschen Satz: 'Krieg ist Politik - nur mit andern Mitteln.' - Wer ihn noch einmal citirt, müßte sofort in den Schützengraben." Schnitzlers Widersacher Karl Kraus konnte Schnitzlers Schweigen im Krieg anerkennen. In den Dezember 1917 ist das Spruchgedicht zu datieren, das mit dem Namen Schnitzlers überschrieben ist und Hochschätzung in diesem Punkt bezeugt: Sein Wort vom Sterben wog nicht schwer, Doch wo viel Feinde, ist viel Ehr: er hat in Schlachten und Siegen geschwiegen. Schnitzlers scharfe Verurteilungen von Politikern und Diplomaten sind in jenen Aphorismen formuliert, die postum und dem Titel Über Krieg und Frieden (Stockholm 1939) erschienen. In den 20er Jahren galt Schnitzler vielfach als Dichter einer versunkenen Welt, wurde eher als historische Figur denn als Zeitgenosse angesehen, wenngleich es an äußeren Ehrungen nicht mangelte. Seine Dramen wurden weniger aufgeführt, und der einzige größere Bucherfolg war die ähnlich wie Lieutenant Gustl als innerer Monolog gestaltete Erzählung Fräulein Else (Bln./Wien/Lpz. 1924). In der Inflationszeit nach 1921 war das Interesse internationaler Filmfirmen an seinen Stoffen für Schnitzler wichtig (schon 1914 war in Dänemark Liebelei verfilmt worden, nun kamen sechs weitere Verfilmungen seiner Werke zustande). Schnitzlers Interesse an dem neuen Medium war so stark, daß er selbst Drehbuchentwürfe verfaßte und dabei weitestgehenden Verzicht auf die bei Stummfilmen üblichen Zwischentitel anstrebte. Inwieweit nimmt Schnitzlers Spätwerk die Themen seines Frühwerk wieder auf? Der Roman Therese. Chronik eines Frauenlebens (Bln. 1928) nimmt einen Stoff wieder auf, der 1899 in der Novelle Der Sohn verarbeitet worden war. In trocken berichtendem Tonfall wird der Leidensweg einer vom Leben benachteiligten Frau geschildert, und Schnitzlers Augenmerk richtet sich dabei auf die sozialen Bedingungen dieser Biographie. 1931 erschien die bereits 14 Jahre zuvor abgeschlossene Erzählung Flucht in die Finsternis (Bln.). Diese letzte zu Lebzeiten publizierte Arbeit hat ebenso wie Schnitzlers erstes Novellenbuch (Sterben. Bln. 1895) eine Krankengeschichte zum Inhalt; hier wird der allmähl. Verlauf einer Umklammerung durch paranoide Vorstellungen beschrieben. Die 1917 entstandene Erzählung Ich (erstmals in: Entworfenes und Verworfenes. Aus dem Nachlaß hg. von Reinhard Urbach. Ffm. 1977) handelt ebenfalls von einer psych. Einengung: Einem ordentl. Handelsangestellten kommt das Zutrauen in die Verläßlichkeit aller Bezeichnungen immer mehr abhanden. Was hat zu einer neuen systematischen Beschäftigung mit Schnitzler seit den 80er Jahren beigetragen? In den Jahren 1981-2000 erschien eine zehnbändige Edition von Schnitzlers Tagebüchern. Von seinem 17. Lebensjahr bis zu seinem Tod führte er ein ausführliches Tagebuch, dessen Geschlossenheit und Kontinuität über mehr als 50 Jahre einzigartig sind. Das etwa 8000 Seiten umfassende Manuskript in Schnitzlers schwer zu entziffernder Handschrift, das im Testament mit detaillierten Verfügungen bedacht worden war, wird seit 1981 ediert. Es zeigt Schnitzler als unbestechlichen Beobachter historischer und kultureller Entwicklungen, ist Werkstattbericht und Chronik zahlloser Begegnungen, Reisebuch und Dokumentation der Träume. Schnitzlers lebenslange starke Beziehung zur Musik ist festgehalten, die Fatalität einer Ohrenerkrankung, die mit dem 34. Lebensjahr einsetzte und zu zunehmender Schwerhörigkeit führte, seine Lektüre und die Vielzahl von Theater- und Kinobesuchen. Es ist der mit aller Energie betriebene Versuch, das eigene Leben zu protokollieren und für eine Nachwelt aufzubewahren (»als könnt es mich von der quälenden innern Einsamkeit befreien, wenn ich – jenseits meines Grabs Freunde wüßte«, Tagebuch, 22. 8. 1918). Wie wurdeSchnitzler von der Literaturwissenschaft aufgenommen, ähnliche wie von Karl Kraus, also als einen seichter Autor der Unterhaltungsliteratur? Der Prager Germanist Josef Körner (Arthur Schnitzlers Gestalten und Probleme. Wien: Amalthea, 1921) , selbst jüdischer Abstammung, beanstandete an dem Roman Der Weg ins Freie Schnitzlers breitspurige Erörterungen der Judenfrage, eine einseitig tendenziöse Färbung, die es nichtjüdischen Lesern verdächtig – und peinlich macht. Mit dem idealistisch-expressionistischen Geist der jungen Gegenwart können einer, der aus positivistisch-impresssionistischen Zeit herkomme, natürlich nicht Schritt halten.[2] Körner fasste seine Kritik in einen Satz zusammen, den Friedrich Schlegel über Goethe sagte: diese Dichtung ist ohne Wort Gottes, ohne allerdings die Herkunft seines Satzes zu nennen. Antisemitische Stereotypen findet man sowohl bei Josef Nadler (Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaftem, 1928) als auch auch bei Friedrich Kainz, der über Schnitzler für den 4. Bd. der Deutsch-Österreichischei[n] Literaturgeschichte (1937) schrieb. Nadler schreibt: Jüdisch vielleicht ist das Zergliedern, Aufbohren, die logische Berechnung der Spiellösungen, die sanfte Magiedes Wortes, die schwermütig versagende Stimmung.Wiener Zug ist wohl die ewige Dreiheit Liebe, tod, Theater. Kainz warf ihm so kennzeichnende Überschätzung sexueller Treibhaftigkeit, die destruktive Tendez des bekundeten sittliche Relativismus sowie den Umstand, dass die Schärfe seines Intellekts im Zergliedern und Kritisieren unglliech leistungsfähiger war als im schöpferischen Aufbau. Das Interesse für Schnitzler war erst in den 60er Jahren erwacht. Nach seinem Tod (1931) geriet er zunächst immer mehr in Vergessenheit (was mit dem Verbot seiner Werke durch die Nationalsozialisten noch beschleunigt wurde), erst zögerns wurde er nach dem Zweiten Weltkrieg neu entdeckt zuerst in den USA. Jean Améry hat in seinem postum erschienenen Band 1981[3] auf Schnitzler als großen Moralisten hingewiesen, dessen Werk als Komplement zu Robert Musil und Karl Kraus gelesen werden sollte, und Schnitzlers Maxime »Tiefsinn hat nie ein Ding erhellt, Klarsinn schaut tiefer in die Welt« (Motto des Buchs der Sprüche und Bedenken. Wien 1927) hervorgehoben. ________________________________ [1] 1915 ist eine Auswahl aus den Schriften des Generals für die Leser der Gegenwart zubereitet wird. Sie erscheint als Nummer 169 der Insel-Bücherei in einer Auflage von 1000 Exemplaren; und auch 1938 ist derselbe Verlag mit diesem Insel-Buch zur Stelle. Es erscheint nunmehr im 40., 1941 im 50. und 1943 im 70. Tausend. Dieselbe Insel-Bücherei, die mit Clausewitz und seinen "Grundgedanken über Krieg und Kriegführung" aufwartet, war bis Ausbruch des Krieges eine einzigartige Schatzkammer der europäischen Moderne mit Autoren wie Rilke, Verhaeren, Hofmannsthal, Jacobsen, Whitman, Verlaine, Oscar Wilde oder Baudelaire. Aber mit Beginn des Krieges schaltet der Verlag um: nun wird auch die Insel-Bücherei militant mit Ausgaben wie "Deutsche Kriegslieder", Kleists "Hermannsschlacht", Ernst Moritz Arndts "Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann", mit "Liedern der Landsknechte" und anderer Literatur, von der der verantwortliche Verleger gemeint zu haben scheint, daß sie zur Wehrertüchtigung beitrage. [2] zitiert nach Konstanze Fliedl: Arthur Schnitzler. Poetik der Erinnerung. Wien: Böhlau, 1997. S. 475- [3] Bücher aus der Jugend unseres Jahrhunderts. Stuttgart: Klert Cotta, 1981.