134 Die Nachricht Zeilen herausholen. Dann vergleichen Sie die Meldungen und diskutieren die Unterschiede. Jeder Autor wird für die Auswahl seiner Zehn-Zeilen-Wirklichkeit gute Gründe anführen können, Wäiterfühtiancle Literatur: Klaus Merten/Siegfried J. Schmidt/Siegfried Weischenberg (Hrsg.), Die Wirklichkeit der Mecfien. Eine Einführung In die Kommunikations wissen schaff (Westdeutscher Vertag. Opladen 1994, Nachdruck 200.2) Herbert Rlehl-Heyse. Bestellte Wahrheiten. Anmerkungen zur Freiheiteines Journalts-tenmenschen (Kindler, Berlin 1939) Klaus Rost, Die Welt in Zeilen pressen. Wahrnehmen, gewichten und berichten im Journalismus (2. Auflage, f. A.Z.-Institut, Frankfurt am Main 1995) Wolf Schneider (Hrsg.), Unsere tägliche Desinformation, Wie die Massenmedien uns in die Irre führen (5. Auflage. Stern-Buch im Verlag Gruner + Jahr, Hamburg 1992) Lothar Rolke/Volker Wolff (Hrsg,), Wte die Medien die Wirklichkeit steuern und selbst gesteuert weiden [Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2000) Wolfgang Wunden (Hrsg.), Wahrheit als Medienqualität, Beitrage zur Medienethik 3 (Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik, Stuttgart 1996) Weitere informierende DarsteLlungsformen foiÄMj Bericht Wer bei einer Lokalzeitung anfängt, hat vor allem über die Veranstaltungen der Vereine Berichte zu schreiben: Sportverein, Alpenverein, Veteranenverein, Reservistenkameradschaft, Spar-und Begräbnis verein, Trachtenverein, Gesangverein, Rentneroder Altenclub, Schützenverein, Freiwillige Feuerwehr, Fremdenverkehrsverein, Ehemaligen-Verein, Heimatverein, Kulturverein, Schachclub, Rotes Kreuz, Jugendorganisationen, Ortsgruppen beruflicher, konfessioneller und politischer Verbände sowie der Parteien. Überall finden Neuwahlen statt, begrüßen Vorsitzende Ehrengäste und Referenten, werden Ehrennadeln verteilt und verstorbene Mitglieder geehrt. Wer da als Berichterstatter nicht nach dem Besonderen sucht, das die Mittwoch-Veranstaltung vom Dienstag- und Donnerstagabend, unterscheidet, liefert in der Redaktion nur ein blasses Protokoll ab, das allenfalls die Mitglieder des jeweiligen Vereins interessiert. Unterschied Nachricht - Bericht: Der Bericht Ist ein Bruder der Nachricht, aber größer und auch schon ein wenig reifer. Zusammenhänge, Vorgeschichte und andere wichtige Aspekte des Themas kann der Bericht berücksichtigen. Das Aufbauprinzip der Nachricht (Gliederung nach abnehmender Wichtigkeit) gilt statt für Sätze beim Bericht für Absäfze. Innerhalb des einzelnen Absatzes braucht man sich nicht so streng an das Nachrichtenaufbauschema zu halten, kann afso einen Vorgang oder einen Diskussionsbeitrag in chronologischer Abfolge bringen. Der erste Absatz sollte die wichtigsten Fakten des ganzen Berichts als Lead voranstellen. Wo der Berichterstatter bei der Nachricht Ausführungen eines Redners bis aufs Skelett reduziert forderte die Gemeinde auf, den Schulbusbetrieb sofort wieder aufzunehmen 136 WBÍtere informierende Darstellungsfořmen oder nur ein Stückchen Zitat unterbringt forderte die Gemeinde auf, sofort »die paar Mark locker zu machen«, die für die Wiederaufnahme des Schulbusbetriebs nötig seien hat er es beim Bericht mit vielen, gelegentlich langen Zitaten zu tun. Zitate machen eine Mitteilung authentischer, beleben und lockern auf. Ein paar Regeln und Vorschläge für richtiges Zitieren: Lassen Sie keine Unklarheit darüber aufkommen, von wem das Zitat stammt. Vor allem, wenn Sie mehrere Redner oder sonstige Quellen zitieren, sollten Sie jedes Zitat eindeutig identifizieren. Und: Geben Sie nie der Versuchung nach, Zitate zu erfinden oder zu frisieren. In Anführungszeichen gesetzte (wörtliche) Zitate bringt man in direkter Rede. Also nicht Einer sagt; »Man müsse den Zulieferern wohl glauben!« Wie es richtig heißen muss, ist klar. Entweder direkte Rede Einer sagt: »Man muss den Zulieferern wohl glauben.« oder indirekte Rede (ohne Anführungszeichen) Einer sagt, man müsse den Zulieferern wohl glauben. In einem guten Bericht wechselt direkte Rede mit indirekter Rede ab. Die Kunst der indirekten Rede ist die Kunst des richtig gebildeten Konjunktivs. Also nicht: Allgemein denken die Tankstellenbesitzer, es hat sich alles schon wieder ein bisschen beruhigt:, es wird sich weiter beruhigen. Entweder, Sie referieren in direkter Rede (allerdings wegen der Zusammenfassung mehrerer unterschiedlich formulierter Antworten ausnahmsweise ohne Anführungszeichen) Allgemein denken die Tankstellenbesitzer: Es hat sich alles schon wieder ein bisschen beruhigt, es wird sich weiter beruhigen. Oder Sie wählen die indirekte Rede Bericht 137 Allgemein denken die Tankstellenbesitzer, es habe sich alles schon wieder ein bisschen beruhigt, es werde sich weiter beruhigen. Den Konjunktiv der indirekten Rede bildet man aus derselben Zeit, in der das Verbum in der direkten Rede stand. Das Zitat in direkter Rede Er sagte: »Ich bin am Ende« heißt in indirekter Rede also nicht Er sagte, er wäre am Ende sondern Er sagte, er sei am Ende. Ausnahme von der Regel: Wenn im konkreten Fall der Konjunktiv mit dem Indikativ zusammenfiele. Hier weicht man in den sogenannten zweiten Konjunktiv aus. Falsch Präsens Ich sagte, arbeite Perfekt Ich sagte, gearbeitet Futur Ich sagte, arbeiten Richtig ich Ich sagte, ich arbeitete ich habe Ich'sagte, ich hatte gearbeitet ich werde Ich sagte, ich würde arbeiten Achten Sie darauf, dass Sie das Zitat nicht an der falschen Stelle unterbrechen »Die größten«, führte der Referent au3, »Erfolge haben wir mit einheimischem Mastfutter erzielt.« Richtig: »Die größten Erfolge«, führte der Referent aus, »haben wir...« Neuntes W: Für wen? Für welchen Adressaten, für welches Ressort mache ich meinen Bericht? Auch dieses W muss der Journalist ständig mitbedenken. 138 Weitere informierende Darstellungsformen Ein Architekt, der in der Volkshochschule von A-Stadt über modernen Krankenhausbau spricht, wird sich mit seinem Vortrag im Lokalbericht anders akzentuiert dargestellt finden als im Bericht für die Seite »Aus Wissenschaft und Technik« oder für die Wochenendbeilage. Der Bericht soll in den Lokalteil. Gut, dann werde ich nicht nur das Wichtigste aus dem Vortrag wiedergeben, sondern zusätzlich in den Bericht einbauen: aj ein Gespräch mit dem Referenten Was hält der Architekt von dem A-Städter Krankenhaus-Projekt? Hat er sich schon damit befasst? Will er sich damit befassen? War der Architekt schon öfter in A-Stadt? Aus welchen Anlässen? b} lokal-interessierende Fakten aus der Veranstaltung Wie viele Zuhörer, darunter wie viele Architekten? Einiges aus der Begrüßungsrede, Thema des nächsten Volkshochschul-Vortrages dieser Reihe. Angenommen, das Thema heißt »Moderner Krankenhausbau -ein internationaler Vergleich«. Widmet der Referent schon von sich aus dem S-Städter Krankenhausprojekt (interessante) drei von 40 Vortragsminuten, dann tut der Berichterstatter nicht unrecht, wenn er diese drei Minuten in den Mittelpunkt seines Berichts für den Lokaiteii rückt und das eigentliche Vortragsthema (die restiichen 37 Minuten) nur als Hintergrund erwähnt, vordem sich der Architekt so lokalbezogen äußerte. Für die Technik-Seite wird der Berichterstatter die Tendenzen im modernen Krankenhausbau herausarbeiten, für die Wochenendbeilage stärker aus der Sicht des Patienten als der des Architekten berichten. Der Bericht kann Reportage-Elemente aufnehmen, wenn der Berichterstatter nicht nur ausführlich das Ereignis meldet, OB eröffnet ersten Senioren-Club sondern sich am Ort des Ereignisses umsieht und seine Wahrnehmungen schiidert. Im Beispteifail wird der Berichterstatter-Reporter also mit den ersten Gästen reden, sie beobachten (und Bericht 139 Ihnen zuhören), wenn sie die Clubräume in Besitz nehmen, die Musikanlage ausprobieren, ihren ersten Skat spielen und den ersten Schoppen von der Theke holen. Solche Berichte folgen einer eigenen Dramaturgie, die auch z. B. erzählender Natur sein kann. Reportage Eine schwere Gasexplosion, die am Montägmorgen ein fünfstöckiges Wohnhaus im Münchner Stadtteil Schwabing vollkommen, zerstörte, forderte bisher zwei Menschenleben und verletzte 18 Personen zum Teil schwer. Nach Angaben der Polizei wurde am Nachmittag immer noch ein Hausbewohner vermisst. Sie schließt nicht aus, dass er sich noch unter den Trümmern des teilweise eingestürzten Hauses befindet. Eine Nachricht der dpa, Landesdienst Bayern. Am selben Tag verbreitete dpa eine Reportage vom Unglücksort; sie fing so an: 7 Uhr 18 zeigte die weißlackierte Küchenuhr, die unter den Gesteinstrümmern auf der Straße lag. Zu dem Zeitpunkt war sie unter der Wucht einer der größten Gasexplosionen, die München nach dem Krieg erschütterten, durchs Fenster geflogen. Rundherum lagen verstreut noch andere Küchengegenstände, zertrümmerte Fernsehapparate, Möbel und ein blutiges Leintuch. Im zweiten Stockwerk wehten zerfetzte Vorhänge vor den herausgerissenen Fensterstöcken im Wind, darunter baumelten ein paar Heizungskörper an ihren Leitungen. Die Reportage ist kein Ersatz für Nachricht oder Bericht, sondern deren Ergänzung. Der Reporter schildert, was er sieht und erfährt, notiert sich bezeichnende Einzelheiten (z.B. dass die weißlackierte Küchenuhr bei 7 Uhr 18 stehen geblieben ist) und schreibt in der Redaktion nieder, was er (das meint das französische Wort reporter) zurückgebracht hat. 140 Weitere informierende Darstellungsformen Reportage 141 Warum der Reporter für seine Skizze das Imperfekt lagen wehten baumelten bevorzugt, ist mir nicht klar. Denn im Präsens würde seine Schilderung eindringlicher und unmittelbaren 7 Uhr 18 zeigt die weißlackierte Küchenuhr, die unter den Gesteinstrümmern auf der Straße liegt... Rundherum liegen verstreut noch andere Küchengegenstände... Im zweiten Stock wehen zerfetzte Vorhänge vor den herausgerissenen Fensterstöcken im Wind, darunter baumeln ein paar Heizungskörper an ihren Leitungen. So konkret und anschaulich wie möglich. Die Reportage vom eingestürzten Haus befolgt diese Regel, aber nicht konsequent. Sie fängt so bildhaft mit der Küchenuhr an, wird aber unmittelbar danach auffällig blass durch den Satz Rundherum lagen verstreut noch andere Küchengegenstände... Das Wort K.ü cheng eg e n s t ände schafft in meiner Vorstellung kein Bild, und wenn, vielleicht ein falsches. Sind es - - Kochlöffel und Schneebesen oder Küchenwaage, Gewürzgläser, Kochbuch oder Töpfe und Deckel aus Email, Aluminium oder Eisen? Vielleicht sagen Sie: Der hat Probleme! Bei einer Gasexplosion mit zwei Toten, 18 Verletzten und einem Vermissten will der womöglich auch noch wissen, welche Farbe der Emailtopf gehabt hat. Möchte ich wirklich. Daneben liegen Gewürzgläser, Kochlöffel und ein großer blauer Deckel aus Email. Gewiss, der Reporter soll nicht wahllos Details um ihrer selbst willen aufgreifen, sondern wegen ihrer Charakteristik für die zu beschreibende Sache oder Person. Aber Bequemlichkeit und Blindheit sorgen ieider dafür, dass sehr viele Reportagen nicht unter einem Zuviel, sondern einem erheblichen Zuwenig an Genauigkeit leiden. Deshalb habe ich mir die Übertreibung mit Gewürzglas und Kochlöffel gestattet. Zwar nicht unbedingt notwendig, aber besser als Küchengegenstände sind sie allemal. Während ein fehlendes Detail die Reportage verpatzen und ihren Informationswert verkürzen kann, schadet ein überflüssiges Detail fast nie3e. Zustände und Abläufe: Die Reportage liefert Anschauung von Zuständen (Wie sieht es nach der Gasexplosion am Unfaliort aus?) und von Abläufen. Beispiel: Um 11.15 Uhr an diesem Donnerstag kann der Mann in der zweiten Reihe der Abgeordnetenbänke die Nervosität einen Augenblick lang nicht mehr verbergen. Er faltet die Hände, löst sie wieder, greift in die linke Brusttasche, nimmt einen Kugelschreiber, schlägt den vor ihm liegenden gelben Aktendeckel auf,- als. wolle er schnell die Zahlen notieren, die in diesem Moment durch die Präsidentin des Deutschen Bundestages, Annemarie Renger, bekanntgegeben werden. Er notiert sie nicht, steckt das Schreibgerät zurück in die Tasche, kann gerade nach rechtzeitig wieder die Hände falten, den Kopf senken - da hebt der Beifall an. Die Mehrheit des Hauses applaudiert dem neuen Bundeskanzler. Die Kunst, mit der Marlin E. Süskind37 die Wahl von Helmut Schmidt schildert, lässt sich, wenn überhaupt, nur in langer Zeit und bei viel Übung erlernen. Eine Reportage wie die über das eingestürzte Haus aber müsste jeder Journalist am Ende seiner Ausbildung schreiben können. Abgesehen von der Brillanz, mit der Süskind seine Beobachtungen aneinanderreiht, bedient auch er sich jener erlernbaren Regeln, von denen einige wichtige bereits im Kapitei »Verständlichkeit« vorgestellt wurden; bei Süskind sind dies die Regeln 1, 2, 3, 8, 9, 10, 11,12,14,15,17. 142 Weitere Informierende Darstellungsformen Verkürzen Sie Eindrücke nicht auf Schlussfolgerungen: Das Haus in Schwabing bietet ein erschütterndes Bild, sondern liefern Sie die Fakten, aufgrund derer der Leser, Hörer oder Zuschauer zu einer eigenen {wahrscheinlich mit der des Reporters übereinstimmenden) Schlussfolgerung kommen kann: 7 Uhr 18 zeigt die weißlackierte Küchenuhr, die unter den Gesteinstrümmern auf der Straße liegt... Also nicht; Der Conferencier zündete ein Feuerwerk der guten Laune. Beschreiben Sie lieber, was der Conferencier auf der Bühne macht, wie und worauf sein Publikum reagiert; vielleicht zitieren Sie sogar einen besonders erfolgreichen Kalauer. Lassen Sie die Menschen zu Wort kommen. Aus einer Repor-tage3B vom Gottesdienst anlässlich des Festes des heiligen Franz von Assisi, zu dem die Kinder des Viertels um St Agnes in Köln ihre Tiere (200 lebende, etwa 100 Stofftiere) in die Kirche mitbringen durften: »Guck mal, wie schnell mein Kaninchen lauft«, sagt Andreas zum Kaplan Ulrich Katzenbach. ».Fühl mal, was mein Hamster für ein weiches Fell hat«, sagt Jörg Szymanski zum Kaplan Gerhard Dane... Bevor der Kaplan die Legende des hl. Franziskus und einen Auszug aus der Vogelpredigt vorliest, berichten die Kinder am Altar über ihre Tiere. Etwa Ursula Vierkötter über ihren »Mischhund Purzel«: »Er frisst in der Woche zwei Pfund Pansen, ein Pfund Haferflocken, ein Pfund Herz, Reis, und das bezahlt alles meine Mutter.« Der Reportage-Anfang: Ein Schuiaufsatz beginnt mit dem Allgemeinen und führt dann zum Besonderen weiter: Reportage 143 In A-Stadt leben 4 000 Türken. Achmed T. ist einer von ihnen. Die Reportage beginnt mit dem Besonderen und leitet dann zum Allgemeinen über: Achmed T. kennt beim Ausländeramt sogar schon den Hausmeister, so oft war er da... Achmed T. ist einer von den 4000 Türken, die in A-Stadt leben. Der Reportage-Aufbau: Anders als Nachricht und Bericht ist die Reportage nicht »hierarchisch«, sondern »dramaturgisch« aufgebaut {Weif Schneider33). Sie wird also nicht nach dem Prinzip abnehmender Wichtigkeit gegliedert, sondern in der Abfolge der Szenen so, dass auch in der Mitte und am Schluss noch Höhepunkte kommen. Der Reportage-Schluss bestimmt mit den Gesamteindruck. Rinnt die Reportage einfach aus oder hat sie einen gestalteten Schluss, vielleicht sogar eine in den Fakten steckende Pointe? Ein Reporter hatte drei Spalten lang beschrieben, wie sich im Stahlwerk Saizgitter ein von Gerhard Förster geleitetes Ergonomie-Zentrum erfolgreich darum bemüht, die Arbeitsplätze von Hitze, Lärm, Staub (oder Gestank), Dunkelheit (oder Blendung} und Erschütterung zu befreien. Seine Reportage schließt: Oft allerdings wollen die Arbeiter von Försters Verbesserungen nichts wissen. Denn für Staub, Hitze und Lärm gibt es tarifliche Zulagen. Werden die Erschwernisse abgeschafft, entfällt die Zulage. Die Reportage ist weder Feuilleton noch Glosse. Aus einer dichtenden statt beschreibenden Prüfungsarbeit zum Thema »Fasching«: Lange noch grölten wir in Legion den tiefsinnigen Text gerade rechtzeitig produzierter Schlager. Der etwaige Witz in einer Reportage muss aus der dargestellten Sache, nicht aus dem darstellerischen Aufputz kommen. 144 Weitere informierende Darstellungsformen Die Reportage ist kein Kommentar und keine Abhandlung. Sie hat mehr mit der Anschauung als mit der Analyse zu tun, mehr mit Dingen als mit Begriffen, Die Reportage ist eine informierende Darstellungsform. Der Re-porterführtden Leser oder Hörer durch die Reportage »vor Ort«; der Leser oder Hörer sieht die Dinge mit den Augen des Reporters. Auf diese Subjektivierung der Sinneseindrücke sollte sich der Einfluß des Subjektiven beschränken. Im Übrigen sollte sich der Reporter bei Recherche und Schilderung um Objektivität bemühen (vgl. Nachrichten-Kapitel »Objektivität«), Der Reporter darf sich selbst in der Reportage erwähnen: Wie ich weitergehe, zupft mich jemand am Ärmel und flüstert... Das ehrliche »ich« für die Person des Reporters ist mir sympathischer als das pseudoobjektivierende, angeblich Bescheidenheit ausdrückende »wir«, H Wetterführendö Ut&ratur: Ulrich Fey/Hans-Joachim Schlüte", Reportagen schreiben. Von der Idee bis zum fertigen Text (2., aktualisierte und erweiterte Auflage, ZV Zeitungs-Veriag Service GmbH, Berlin 2003) Michael Haller, Die Reportage. Ein Handbuch für Journalisten (4, Auflage, Öisohlä-ger/UVK, München/Konstanz 1997) Feature Der Redakteur erhielt einen Hinweis: Fehlaiarme automatischer Notrufmelder, zu Tausenden in Großstädten registriert, schwächen die Einsatzbereitschaft der Polizei. Der Redakteur möchte in einem Beitrag das Thema »Fehlalarme automatischer Notruf-melder und ihre Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft der Polizei« grundsätzlich behandeln und alle Überlegungen, Untersuchungsergebnisse und Statistiken einbeziehen, die es dazu gibt. Er bestellt ein Feature. Als der Spiegel40 das Thema brachte, begann er den Beitrag so: Schrilles Klingeln, am Nummernpult leuchtet'3 auf. In der Einsatzzentrale der Hamburger Polizei ist über direkten Draht ein Notruf von Feature 145 AlarmanschluE 3138 gekommen - eine Modeboutique in der Poststraße. Eine Minute später rasen Streifenwagen zum Tatort. Mit durchgeladenen Waffen in der Hand machen sich die Beamten auf die Jagd nach dem Täter. Die Ermittlungen ergeben: Es war eine Maus, die den Fehlalarm ausgelöst hatte. Bis hierher könnte das auch eine Reportage aus einer Hamburger Lokalzeitung sein. Der Beitrag geht weiter: Allenthalben in westdeutschen Großstädten, die Uber ein Notrufnetz mit direkt geschalteten Alarmanlagen in Banken, Geschäften und Büros verfügen, klingelt oder piepst es täglich, gerät der Polizeiapparat in Bewegung, und am Ende ist außer Spesen nichts gewesen: Fehlalarm - das ist keineswegs Rarität, sondern die Regel. In Hamburg wurde im vergangenen Jahr 2493mal Fehlalarm registriert, nur 162mal war der Alarm regulär. -In München: 2350mal blinder, SGmal echter Alarm; in Mannheim gar wurden neben 399 Falschmeldungen nur fünf echte Notrufe aufgefangen. Reportage oder Feature? Um das überzeugt entscheiden zu können, müssten wir den ganzen Spiegel-Beitrag kennen. Ich habe beim Weiteriesen folgende Stichworte notiert: Kosten pro Fehlfahrt-Werbeslogans der Hersteller-Katalog des Angebots an Alarmanlagen - Übermittlungsweg von der Anlage zur Polizei - Gründe für die Zunahme der Fehlaiarme - Gefahren für die Allgemeinheit, die solche Fehlalarme mit sich bringen. Eine besonders umfassend angelegte Reportage, kann man sagen. Man kann den Beitrag aber auch Feature nennen, weil alles, was darin an Stories und Zitaten zusammengetragen ist, nur zur Illustration einer Analyse dient, die das eigentliche Gerüst des Beitrags bildet. Das Beispiel falscher Alarm ist ein Grenzfall zwischen Reportage und Feature; denn das Thema steckt schon von sich aus so 148 Weitere informierende Darstellungsformen Interview und Umfrage Die meisten Frage-Antwort-Spiele, die zwischen Journalisten und Auskunftspersonen ablaufen, sind Recherchen, nicht Interviews. Von einem Interview sprechen wir nur dann, wenn sich das Gespräch bei der Veröffentlichung noch vom Leser, Hörer, Zuschauer als solches erkennen lässt. Die strenge (gebundene) Form des Interviews gibt ein Gespräch im (vielleicht gekürzten, aber) ununterbrochenen Dialog wieder. Die freie Form des Interviews hebt zwar auch auf Frage-Antwort ab, unterbricht aber die Wiedergabe des Gesprächsverlaufs durch Zusammenfassungen ausgelassener Gesprächsphasen in indirekter Rede sowie durch Beobachtungen, die der Interviewer bei dem Interview an seinem Gesprächspartner gemacht hat (sog. Interview-Story). Am besten eignen sich für Interviews Funk und Fernsehen, weil diese Medien jede Nuance des Sprechers, das Fernsehen auch jede Handbewegung, jedes Zucken im Gesicht aufzeichnen können. Aber auch in Zeitungen und Zeitschriften hat das Interview neues Ansehen gewonnen, und der Spiegel würde für die aggressive Interviewsonderfoim des Spiegel-Gesprächs bestimmt nicht bis zu sechs und acht Seiten zur Verfügung stellen, wenn die Redakteure sich nicht vergewissert hätten, dass es gelesen wird. Offenbar schätzt auch der Leser die vom Interview gebotene Unmittelbarkeit der vertiefenden Information. Man unterscheidet drei Interview-Arten: Das Interview zur Sache fragt um Auskunft: Wird die Gewerkschaft auch mit 3,3 Prozent Lohnerhöhung zufrieden sein? Was hat die deutsche Delegation bei der XY-Konferenz erreicht? Es geht also immer um Information über Fakten. - Das Meinungsinterview hingegen fragt danach, wie der Interviewpartner ein Problem oder einen Sachverhalt beurteilt. Frage an den Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees: Was hält er von dem Vorschlag, Olympische Spiele nur noch in Griechenland zu veranstalten? Wie beurteilt der Ärztekammer-Vorsitzende die ärztliche Sterbehilfe? Interview und Umfrage 149 Das Interview zur Person will vorstellen, einen Menschen durch seine Antworten skizzieren. In der Praxis überschneiden sich alle drei Interview-Arten. Das Interview zur Person z. B. kommt natürlich ohne Sachauskünfte {Wie haben Sie sich auf Ihre neueste Platte vorbereitet?) ebensowenig aus wie ohne Meinungsfragen (Wie aggressiv darf ein Liedermacher texten?). Und ein Politiker, der gerade über die Ziele seiner bevorstehenden Reise gesprochen hat, freut sich vielleicht (mit dem Leser, Hörer, Zuschauer), wenn er auch noch etwas Persönliches gefragt wird: Was er dort am liebsten essen möchte, ob er auch schon mal mit seiner Frau dort war oder was auch immer. »Das Interview ist die schwierigste journalistische Arbeitsform überhaupt«, urteilt Hans-Joachim Netzer42. »Es verlangt genaue thematische Vorbereitung, aber dann größte Zurückhaltung des eigenen Wissens. Es verlangt große Kontaktbegabung, Selbstsicherheit und Takt, Energie und Zielbewußtsein in der Gesprächsführung, Anpassung an den jeweiligen Partner, an die Atmosphäre und die Situation.« Tipps fürs Interview lassen sich deshalb nur sehr allgemein fassen: 1. Bereiten Sie sich so gut wie möglich auf die zu besprechende Sache und die Person des zu Interviewenden vor, damit Sie ihm ein anregender Gesprächspartner sind, zu dem er gerne redet und den er ernst nimmt. 2. Führen Sie ein Gespräch. Das heißt, seien Sie weder Verhör-Veranstalter noch Plaudertasche. 3. Halten Sie Fragen bereit, aber seien Sie nicht Sklave Ihrer Vorarbeit, sondern frei genug, auf Gesprächssituationen zu reagieren. 4. Fragen Sie präzise. 5. Stellen Sie nur solche Fragen, von denen Sie annehmen dürfen, dass Ihr Interviewpartner sie aufgrund seiner Kenntnis und Kompetenz auch beantworten kann. 6. Stellen Sie nicht mehrere Fragen auf einmal. Das verwirrt den ungeübten Partner und er antwortet unvollständig; dem Routinier aber eröffnet das Fragenbündel die Chance, sich auszu- 150 Weitere informierende Darstellungsformen suchen, auf welche Fragen er antworten und welche er vergessen will. 7. Interviews unter vier Augen sind gewöhnlich ergiebigerals solche vor Publikum. Gespräche, die man vor Zuhörern führt, geraten leicht zur Schau; außerdem hat der Interviewpartner vielleicht Bedenken, dies oder jenes vor Publikum mitzuteilen oder zuzugeben, was er im Zwiegespräch gesagt hätte. Das Interview kann zu einem Tauziehen werden, wenn die richtigen Partner aufeinander treffen: Wer gibt nach? Der Interviewer, indem er die unbeantwortete Frage fallen lässt? Oder der Interviewte, indem er doch noch mit einer (wenigstens halben) Antwort herausrückt? Solche Interviews haben neben dem Ertrag an Information wegen des Wettkampfcharakters einen hohen Unterhaltungswert. Beispiel: Vier Wochen nach seinem Amtsantritt im Frühsommer 1974 gab Sundeskanzler Helmut Schmidt dem Deutschlandfunk-Redakteur Karl Donat ein Interview, in dem folgende Stelle vorkommt: Donat: Anfang der Woche wurde aus Posen berichtet, der" polnische Parteichef habe eine Entschädigung für 300 000 überlebende polnische KZ-Opfer verlangt. Wie stehen Sie zu einer solchen Forderung? Schmidt: Ich weiß davon nichts. Donat: Wenn sie erhoben würde, wie wäre die Antwort des Bundeskanzlers? Schmidt: Ich antworte nicht auf hypothetische Fragen, Herr Donat! Donat: Wie steht es mit einer konkreteren Frage - mit dem 1-Milliarden-Kredit für Polen? sind Sie bereit, über eine Erhöhung oder eine Verbesserung der Bedingungen zu sprechen? Schmidt: Ich bin nicht bereit, und das weis die polnische Führung seit langer Zeit, eine Erhöhung des Kredits in Erwägung zu ziehen. Donat: Auch keine Verbesserung der Bedingungen? Schmidt: Sie fragen ein bisschen zu penetrant, Interview und Umfrage 151 Herr DonatI Donat: Darf ich es vielleicht erleichtern, wenn ich also so sage: Vielleicht dann, wenn endlich die von der anderen Seite zugesagte Rücksied-lung wieder läuft? Schmidt: Herr Donat, ich habe nicht die Absicht , die deutsch-polnischen Beziehungen in einem Radio-Interview innerhalb der Bundesrepublik um ein wesentliches Stück zu verändern, zu befördern oder zu verlangsamen. Dieses sind Themata, die im unmittelbaren Gedankenaustausch zwischen der polnischen Regierung und der Regierung der' Bundesrepublik Deutschland gefördert werden müssen, wenn das möglich ist. Donat: Ich muss trotzdem, Herr Bundeskanzler, noch eine Frage stellen, die heikel ist: Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Genf scheint... Ein Interviewer ist mehr als ein Stichwortgeber, der immer nur in den Grenzen des dem Partner Willkommenen bleibt und dankbar dessen Antworten notiert. Nachhaken, auf Lücken, Unklarheiten oder in der Antwort steckende l/Wdersprüc/ie aufmerksam machen - diese Arbeit muss der Interviewer selbst um den Preis leisten, manchmal penetrant zu wirken oder lästig zu werden. Was das Interview allerdings nicht Ist: Diskussion. Die Ansichten des Interviewers interessieren nicht beim Interview, etwa: Da bin ich aber ganz anderer Meinung, Herr Präsident . Beispiele für gute Interviews findet man überall in den Medien in allen Formen, Längen und zu allen Themen. Es lohnt sich, sie kritisch zu verfolgen und herauszuarbeiten, wie sie gemacht und präsentiert sind. Im Feuilleton der Münchner »Abendzeitung« fand ich einmal ein Interview, das Andreas Müller mit der Berliner Diseuse und 152 Weitere informierende Darstellungsformen Schauspielerin Ortrud Beginnen geführt hatte. Es ist ein Beispiel für die freie Form des Interviews, die wörtlich zitiert, Gesprächsteile zusammengefasst referiert und Beobachtungen des Interviewers mitteilt. Diese Stilmittel führen zu einer gut lesbaren, informierenden Interview-Story, von der ich sagen möchte: So zu schreiben ist erlernbar. Hier ein Auszug. Bevor sie sich fotografieren lässt, schlüpft sie auf die Toiletter »-Sonst ist das Gesicht so verkrampft.« Eine große, hagere Erscheinung mit feuerrotem Haargebüsch auf dem Kopf. »Ich bin das einzige uneheliche Kind meiner Mutter. Vater war keiner da, der war tot.« In Schleswig-Holstein, bei Neumünster, wuchs sie auf und wurde sehr rasch sehr groß. »Ich war überall ganz flach, als die anderen Mädchen schon. Busen und einen ersten Freund hatten. Und ich war riesig. Die Leute haben mich Leuchtturm oder Spargel genannt. Da dachte ich, ich bin nicht erfolgreich, weil ich so groß bin, und machte mich kleiner.« Davon bekam sie die gebückte Haltung, die ihr kürzlich ein Arzt als »Scheuermannsche Krankheit« diagnostiziert hat. »Vorher dachte ich, ich hätte bloß ein Höhlkreuz.« Der krumme Rücken verhalf ihr immerhin zum Theater. Sie hatte Buchhändlerin gelernt. Als der Regisseur Paul Vasil in Berlin ein Buch bei ihr kaufte, sagte er; »Sie sind mein Typ.« Das war 1965, Von da an spielte sie »in wechselnder Folge« an Berliner Komödienhäusern »Dienstmägde und Darren des Gewerbes«, die Dienstmägde wegen der krummen Haltung, die Damen wegen der roten Haarpracht. »Da sparte man eine Perücke.« Die Umfrage hat mit dem Interview gemeinsam, dass sie Auskünfte und Meinungen einholt und in direkter Rede wiedergibt. Unterschied: das Interview stellt in der Regel an nur eine Person mehrere Fragen, die Umfrage nur eine Frage an mehrere Personen. Interview und Umfrage 153 Die Umfrage kann Sachauskünfte oder Meinungsäußerungen einsammeln, sich an einen abgegrenzten Kreis von Befragten richten oder »auf der Straße« (d. h. mit einem mehr oder minder vom Zufall bestimmten Personenkreis) gemacht werden. Der Kreis der Befragten kann sich aus ihrer Sachkunde ergeben (Experten umfrage) Wie wird das Wetter in dieser Saison? (Umfrage bei Metereologen) Was sagen Sie zur Literatur-Nobelpreis-Entscheidung? (Umfrage bei deutschen Schriftstellern) oder aus ihrer Betroffenheit Wie geht's weiter? (Umfrage bei Arbeitern eines stillgelegten Betriebes) Wer ist ein idealer Gast? (Umfrage bei Kellnern) Häufiger ist die Umfrage auf der Straße. Was haben Sie im Schlußverkauf gefunden? Wie verkleiden Sie sich in diesem Karneval? Was halten Sie von Umfragen? Wen wird man fragen, welche Antworten auswählen? Natürlich wird man sich um das je nach Frage und Umfragezweck erforderliche und mögliche MaB an Repräsentativität bemühen, doch es wird gering bleiben im Vergleich zur demoskopischen Umfrage. Aber mit der haben wir es hier ja nicht zu tun. WeÄerfüftrencte Literatur: Jürgen Fredriehs/Ulrich Schwlnges, Das journalistische Interview (Westdeutscher Vertag, Wiesbaden 1999) Michael Haller, Das Interview. Ein Handbuch für Journalisten (2. Auflage, UVK, Konstanz 1997) Korrespondentenbericht und analysierender Beitrag Die Meidung: Der CSU-Vorsitzende Strauß hat sich in Interviews der Zeitschiften Stern und Spiegel über die Qualitäten möglicher Kanzlerkandidaten der 156 Weitere informierende Darstellungsformen der CDU dagegen, öffentlich in eine Bewertung von Kanzlerkandidaten einzutreten. Das gelte für jedermann in beiden Schwesterparteien. Zugleich kritisierte er die »verkürzte Form« der Wiedergabe der Äußerungen von Strauß. Dies nehme aber nichts von seiner Feststellung zurück, dass nun nicht der Zeitpunkt für öffentliche Erörterungen gegeben sei. sondern versucht, dahinter zu schauen. Was ein Korrespondent weiß, was er sieht, wohin er schaut, hängt von seinem Fleiß, seiner Kontaktfähigkeit - und seinem politischen Standort ab. Subjektives kommt mit ins Spiel, das lässt sich nicht vermeiden. Nicht zuletzt deshalb sind Korrespondentenberichte mit dem Namen oder Namenskürzel des Autors gekennzeichnet. Was hier über den Bericht des Inlands- bzw, Auslandskorrespondenten gesagt wurde, gilt ähnlich für alle analysierenden Beitrage von Fachjournalisten, die zu einer aktuellen Meldung den Hintergrund liefern sollen. Stadtvater in Not - Die Steuerreform und eigenes Versagen bringen viele Kommunen in finanzielle Bedrängnis Lehrermangel: Heute zu viele, morgen au wenig? - Prognosen und Dementis haben inzwischen zu einem Glaubenskrieg geführt Woran der Strafvollzug krankt - Gesetze und Geld allein tun es nicht Dass sich die persönliche Sicht des Autors in seinem Beitrag bis zur kommentierenden Stellungnahme ausdehnt, ist zwar vom Informationsauftrag her meist nicht geboten, lässt sich aber dann tolerieren, wenn außer dem analysierenden Beitrag, die »objektive« Nachricht gebracht worden Ist. Unterrichtung über ein Thema ausschließlich durch den Korrespondenten oder Fachmitarbeiter bringt im Einzelfall die Gefahr mit sich, dass die Grenze zwischen Information und Stellungnahme verwischt wird. Meinungsäußernde DarsteLlungsformen Informierende Beiträge berichten zu einem beträchtlichen Teil über Meinungsäußerungen (Reden von Politikern, Forderungen von Verbänden usw.); die jetzt zu behandelnden Darstellungsformen sind Meinungsäußerung. Der Autor nimmt Stellung, sagt seine Meinung; das zeigt sich auch in der Form; Im Fernsehen erscheint der Kommentator selbst auf dem Bildschirm, Hörfunk-Kommentare werden vom Autor gesprochen, in der Presse sind die meisten Kommentare mit dem Namen oder Namenskürzel des Autors gezeichnet. Ich beschränke mich darauf, die drei wichtigsten meinungsäußernden Darstellungsformen zu behandeln: Kommentar Glosse Rezension Zeitungen und Zeitschriften kennen daneben den Leitartikel und die Kolumne. * ' Kommentar Bei Kommentaren denkt man zunächst an hohe Politik zwischen Berlin, Paris, Washington und Brüssel. Das Verhalten des Polizeipräsidenten bei der Taxifahrer-Demonstration kann aber genauso Thema eines Kommentars sein wie die Preispolitik der Bauträgergesellschaften oder das Dilemma, einen Intendanten für die Städtische Oper zu finden. Alles, was eine Nachricht (allerdings hard newsj wert jst,_ kann_cjTjn^ätz1icjT_au^ Stoff für einen Kommentar sein. Ob der Stoff tatsächlich kommentiert wird, hangt davon ab, ob er folgende Fragen mit ja beantworten lässt: Fordert er eine Stellungnahme heraus? Ist die Öffentlichkeit an einer publizistischen Stellungnahme interessiert oder sollte sie wenigstens daran interessiert sein? 158 Melnungsäußernde Darstellungsformen Kommentar 159 Gehört der Stoff zu den wenigen wichtigsten Themen, für deren Kommentierung Platz vorhanden ist? Ich unterscheide drei Arten von Kommentaren: 1. Der ^gum^ations-KonirTientar: Kommentieren heißt gewöhnlich argumentiererTWer eine Meinung vertritt, möchte im Kommentar andere überzeugen, Unentschiedene zu sich herüberziehen. Also wird der Kommentator seine Gründe anführen und sich zumindest indirekt auch mit anderen Standpunkten auseinandersetzen, wenn sie wichtig genug sind oder von einem genügend großen Teil der Öffentlichkeit vertreten werden. 2. JQer-Gexadeaus-Kommentar: Je nach Anlass, Thema {und Temperament des Autors) wird ein Kommentar auch einmal aufs Argumentieren verzichten und einfach »geradeaus« begeistert loben oder verärgert schimpfen. 3. I^r^inei^it3«afi^re1rserts-Kommentar: Auch eine Gedankenführung, die sich darauf beschränkt, zwischen mehreren Alternativen im Sinne von »einerseits-andererseits« abzuwägen und sich nur zögernd oder gar nicht für eine Alternative entscheidet, ist Kommentar, wenn der Kommentatar damit die Schwierigkeit oder Vielschichtigkeit des anstehenden Problems und seine eigene Ratlosigkeit demgegenüber ausdrücken will. Die Stellungnahme des Kommentators.lautet in einem solchen Fall: Leute, da gibt es so viel zu bedenken, die Gewichte sind gleich verteilt, ich kann mich nicht (oder noch nicht) entscheiden. Kein Kommentar ist das bloße Aufzeigen von Hintergründen und Zusammenhängen. Kein Kommentar ist das bloße interpretieren. Der Kommentar setzt Information voraus. Die Tatsachen, die kommentiert werden, soll der Autor nicht mehr darstellend ausbreiten, sondern nur noch bezugnehmend erwähnen. Manchmal gibt es allerdings Ereignisse zu kommentieren, bei denen sich der Kommentator nicht sicher sein kann, ob sein Publikum auch weiß, wovon er redet. Dann gilt es, die Informationen so geschickt einfließen zu lassen, dass der Beitrag trotzdem seinen Charakter als Kommentar behält. In seinem Interview mit der Associated Press sagte SED-Chef Honecker: »Wissen Sie, wir waren selbst überrascht über den Rücktritt des Bundeskanzlers Brandt...« Was ist von diesem Satz zu halten? Das ist kein Anfang für einen Kommentar. Und Hans Reiser44 hat seinen Kommentar über das Honecker-Zitat auch ganz anders begonnen: Sarkasmus ist am Platze, wenn SED-Chef Honecker in seinem Interview mit der Associated Press scheinbar treuherzig verkündet: »Wissen Sie, wir waren selbst überrascht über den Rücktritt des Bundeskanzlers Brandt...« Reiser präsentiert und präzisiert zwar dem Leser den Stoff, den er kommentieren will, aber er signalisiert durch wertende Formulierungen (Sarkasmus ist am Platze, scheinbar treuherzig), dass jetzt nicht berichtet, sondern kommentiert wird. Die größte Gefahr für jeden Kommentator besteht darin, dass er an seinem Publikum vorbeikommenttert. Wenn der Leser (Hörer, Zuschauer) von seinen Kenntnissen und seinem Bewusstseinsstand her den Weg der Gedankenführung mit dem Kommentator nicht mitgehen kann, weil er irgendwo unterwegs auf der Strecke bleibt, ist die Chance des Kommentars vertan. Zwischen Allgemeinheit und Differenziertheit. Der Kommentator steht angesichts der Komplexität der meisten Themen {und der Kürze eines Kommentars) meist vor der Frage: Soll ich mich an ein allgemeines, möglichst breites Publikum wenden? Dann bin ich dazu gezwungen, Aussage und Darlegung entsprechend allgemein zu halten, um verständlich zu bleiben (und die vorgeschriebene Länge nicht zu überziehen). Oder will ich der Differenziertheit der Problematik durch entsprechende Differenzierung im Kommentar gerecht werden? Dann werde ich nicht mehr die Allgemeinheitals Publikum ansprechen können, sondern nur noch eine entsprechend differenzierte Zielgruppe. 160 Me i n u ngsäu ßem de Da rstel I u ngs formen Glosse 161 In der Praxis findet man alle Abstufungen zwischen Allgemeinheit und Differenziertheit. Wie weit darf ich eine Argumentation vereinfachen, ohne bereits unangemessen zu simplifizieren und zu vergröbern? Da muss jeder Kommentator bei jedem Kommentar erneut einen gangbaren Weg suchen. Und schließlich: Um Volksnähe sich bemühen heißt nicht um jeden Preis populär sein wollen. Man soll dem Voik aufs Maul schauen, aber nicht nach dem Munde reden. Weiterführende Literatur: Peter Linden, Glossen und Kommentare In den Printmedien (ZV Zeitungs-Verlag Service GmbH, Berlin 2000) Wernet Nawag/Edmund Schalkowski, Kommentar und Glosse (UVK, Konstanz 1998) Glosse Sie ist die schwerste Darstell ungsforrn, gerade weil sie so leicht daherKommt. Wer riiit einer Glosse wirklich treffen will, muss sich genausogut vorbereiten und ausiterinerfWirder Kommentator, zusätzlich aber braucht er noch die Kunst »einer verhältnismäßig ausgeprägten feuiiletonistischen Sprache mit epigrammatischer Eleganz der Formulierung«45. »Ein verhängnisvoller Irrtum« wäre es nach Meinung von W. E. Süskind46, »zu glauben, die Glosse sei von Haus aus weniger seriös, sie sei spielerisch und unverbindlicher als der Kommentar, und man müsse von vornherein bestimmte Gegenstände »leichterer« Art der Glosse vorbehalten und andere Gegenstände (etwa grundsätzlich diejenigen der Politik) dem Kommentar«. Der Unterschied zum Kommentar besteht also nicht im Thema, sondeTjflirr^ffir. Das TSestätiqt eine in Stichworten gehaltene Charakteristik der Glosse, die mir der Journalist Reinhardt Stumm skizzierte: »Polemisch, ohne Zugeständnisse, ohne Einräumungen. DJeJ3chwäche des Gegenstandes genau erfassend. Nicht argumentierend, sonderh"btÖB_StelleT1d;;nicht abwägen^ sondern hart, ironisch, witzig, listenrein ... Die Pointe muss überrascTneTJdTub^rzeLTgend",' schlagend sein.« Durch Ironie zu wirken statt durch direkte Bezeichnung der Umstände ist das am häufigsten verwendete Stilmittei der Glosse. Wer ironisch schreibt, bestätigt scheinbar die Annahmen und Vorurteile seiner Leser oder Hörer und weckt gleichzeitig den Zweifel, ob diese Annahmen und Vorurteile wirklich so richtig sind. . Meistens sind wir auf die Doppelbödigkeit der Ironie nicht vorbereitet; wohl jeder Glossenschreiber kann berichten, dass er schon begeisterte Zustimmung von Lesern oder Hörern erhalten hat, die den Text nur in seiner Vordergründigkeit verstanden, die Glosse also missverstanden haben. Die Versuchung, einen Sachverhalt zu glossieren, ist groß -gute Glossenschreiber gibt es wenige. Glossenschreiben lässt sich deshalb so schwer erlernen, weil zur Beherrschung der Form jene Portion Mutterwitz und Boshaftigkeit hinzukommen muss, die unter den Journalisten nicht gleich verteilt ist. Dass der Themenkreis aktueller Glossen unbegrenzt, der Kreis geeigneter Mitarbeiter aber begrenzt ist, bezeugt die Süddeutsche Zeitung mit ihrem täglichen ^SffejTjjchT«rT3eT*Glanz des »Streiflichts« hängt davon ab, ob wenigstens einem aus dem halben Dutzend ständiger Autoren für morgen etwas einfällt. Die sogenannte »Lokalspitze«, die sich in vielen Zeitungen (oft kursiv) am immer gleichen Platz findet, ist zwar meist schmunzelnde Alltagsbetrachtung, kann aber auch zupackende Glosse sein. S Weiterführende Literatur: Anja Maria Hoppe, GlossenscTireiben (Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2000) Rezension heißt die meinungsäußernde Darstellungsform der Literatur- und Kunstkritik, auch wenn der Begriff selbst relativ selten im Re-daktionsailtag gebraucht wird. Rezensionen sind Buchbesprechung und Fiimkritik ebenso wie der wertende Bericht über eine Gemälde-Ausstellung oder die sachverständige journalistische