Sprachdenken und Sprachkritik (nach Helmut Arntzen) Allan Janik – Stephen Toulmin: Wittgensteins Wien, München/Wien 1984 Peter Kampits, Zwischen Schein und Wirklichkeit, Eine kleine Geschichte der österreichischen Philosophie, Wien 1984 Walter Eschenbach, Fritz Mauthner und die deutsche Literatur um 1900, eine Untersuchung zur Sprachkrise der Jahrhundertwende, Ffm/Bern 1977 MARTIN STERN (Hrsg): Der Briefwechsel Hofmannsthal - Fritz Mauthner Begriff – Phänomen – Sprache Im Mittelalter wurde nur das Verhältnis Begriff – Phänomen untersucht. Sie erinnern sich an den Streit zwischen Nominalismus und Realismus.[1] Noch bei Kant verhält es sich so, als sei Sprache gesichert in ihrer Relation zu einem semantischen Substrat, obwohl er gerade dieses Substrat problematisiert[2] und an die Bedingungen menschlichen Erkennens gebunden glaubt. Das die Anschauungsformen und Kategorien mit der Sprache zusammenhängen könnten, läßt Kant völlig außer Acht. Im 19. Jahrhundert wird das Problem der Sprache, daß alles Wahrnehmen, Erkennen, Begreifen durchaus sprachlich seien, bewußt verdrängt. Eine Ausnahme scheint hier Schopenhauer zu sein, dessen Philosophie anglophil war – gemesssen an dem damaligen deutschen Durchschnitt. Aber auch ihn kritisiert Mauthner: Nach Mauthner war Schopenhauer in Wirklichkeit bloß metaphorisch, wo er metaphysisch zu sein glaubte. Tatsächlich ist Schopenhauers metaphysischer Wille nur ein metaphorischer Ausdruck der 'Erscheinung' des menschlichen Selbstbewußtseins. Auch Schopenhauer war in die sprachliche Falle der Reifikation gegangen: bei seinem Versuch, jenseits des Wortes "wollen" einen realen Gegenstand aufzuspüren, hatte er "den Willen" sogar zum einzig wirklich Realen gemacht. Nun war dieser Gedanke Mauthners – Kants Erkenntniskritik muss als Sprachkritik fortgeführt werden – keineswegs neu: Die Kant-'Kritik' reichte von HERDER, HAMANN, JACOBI[Zdenek Ma1] über GRUPPE bis zu MAUTHNER. Sie alle hatten Konzeptionen entwickelt, die den übereinstimmenden Gedanken enthielten, daß Erkenntnistheorie in eine Sprachkritik fortgeführt, bzw. umgewandelt werden müsse. So wählte er ein Jacobi-Zitat aus "Allwills Briefsammlung" als Motto für seine Beiträge zur Kritik der Sprache: "Und es fehlte nur noch an einer Kritik der 'Sprache', die eine 'Metakritik' der Vernunft sein würde, um uns alle über Metaphysik eines Sinnes werden zu lassen." (vgl. auch Beiträge I, Seite 303) In der klassischen dt. Philosophie des 19. Jhs geht es um die Furcht, die positiven Daten bzw. die aus der philosophischen Tradition entwickelten Kategorien als letzte Gewißheiten zu verlieren. Dieser Unwille, systemwidrige Denkanstöße zu verarbeiten, äußert sich darin, wie schnell die Betrachtungen des konservativen Journalisten und preußischen Ministerialbeamten Otto Friedrich Gruppe (1804-1876) in Vergessenheit geraten sind. Man fand damals kein Interesse daran, obwohl sie heute von den Hegelgegnern sehr hoch eingeschätzt werden und eigentlich Thesen vorwegnehmen, die dem Sprachskeptizismus Fritz Mauthners Halt verleihen. 1872 entsteht die kleine Abhandlung Nietzsches Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn. Sie weist N. als einen Denker aus, der lange vor dem »linguistic turn« weiß, daß Erkenntnistheorie nur als Sprachanalyse möglich ist. Die Grundthese dieser Abhandlung ist so einfach wie konsequenzenreich: Sprache –das zeigt schon die Vielfalt der Sprachen – kann nie u. nimmer in einem verläßl. Verhältnis zum Sein stehen. Und weil sie unmöglich »der adäquate Ausdruck aller Realitäten« sein kann, ist »Wahrheit« nur zu bestimmen als ein »bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen. [...] DieWahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind«. Verbindliche Intersubjektivität ist nur möglich, weil Menschen der Verpflichtung nachkommen, »nach einer festen Konvention zu lügen, herdenweise in einem für alle verbindlichen Stile zu lügen«. 1878/79 enthält auch Menschliches, Allzumenschliches. Ein Buch für freie Geister. – in einem der ersten Aphorismen – allerdings nur in der ersten Auflage – einen wichtigen Gedanken zur Sprachkritik: /Der Mensch hat geglaubt/, in der Sprache die Erkenntnis der Welt zu haben. Sehr nachträglich, jetzt erst - dämmert es den Menschen auf, daß sie einen ungeheuren Irrtum in ihrem Glauben an die Sprache propagiert haben. Aber /ist / zu spät, gluуcklicherweise, die Entwicklung der Vernunft , die auf jenem Glauben beruht, wieder rückgängig zu machen. Nietzsche verwirft alle Wahrheiten als Illusion und besteht darauf, daß es nur Wahrheit als Desillusionierung gibt. In Nietzsches Desillusionsdenken ist die Sprache nur ein Scheinwert neben anderen. Die Umwertung der Sprache als eines illusionären Erkenntniswerts vollzieht sich im Lob der Rhetorik und des Stils, die nicht auf Wahrheit, sondern auf Wirkung ausgerichtet seien. Schon im Aufsatz Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne (1873) zeigt sich dieses Paradox im Zusammenhang mit dem Sprachproblem. In aller Radikalität entdeckt er das Illusionäre aller Erkenntnis, alles Strebens nach Wahrheit, insofern sie aus sprachlichen Setzungen bestehe. Er bietet das Leben an als Ausweg aus dieser Aporie, daß wir nicht wissen können. Nietzsches Andeutungen zur Sprachkritik wurden von Fritz Mauthner aufgegriffen. Janik – Toulmin: an seine Cousine, die Schriftstellerin AUGUSTE HAUSCHNER, schreibt er dazu am 23. September 1905: "28 Jahre hatte ich an diese Flucharbeit (sc.: den Journalismus) ausgegeben und habe das Recht, müde zu sein." Vor allem seine täglichen Erfahrungen mit dem journalistischen und politischen Lügenspiel der Sprache brachten ihn zur philosophischen Position eines radikalen skeptischen Nominalismus, den er zu einer vollständigen und konsistenten Erkenntnistheorie auszubauen versuchte. Nach dem Erscheinen seines philosophischen Hauptwerks, der dreibändigen "Beiträge zu einer Kritik der Sprache (1901-1902) ", an denen er mehr als 25 Jahre neben seinem journalistischen und schriftstellerischen "Brotberuf" gearbeitet hatte, gab er 1904 in einem Artikel für MAXIMILIAN HARDENs "Zukunft" genaueren Aufschluß über "Die Herkunft des sprachkritischen Gedankens"[3]. Welterkenntnis ist durch die Sprache unmöglich, Sprache ist ein untaugliches Werkzeug für die Erkenntnis der Welt. Durch unsere „Zufallssinne“ wird uns nur ein zufälliger Ausschnitt der ganzen Realität vermittelt. Die Sprache leistet aber nichts anderes, als an diese Wahrnehmungen zu erinnern und diese Erinnerung metaphorisch oder abstrakt auf alle Vorstellung zu übertragen. Zur näheren Erläuterung des Gedächtnisses als eines Festhaltens der Sinneseindrücke bedient sich MAUTHNER des Begriffes der "Zufallssinne", für den er sich auf die Empfindungslehre des Physiker-Philosophen ERNST MACH beruft. Die Sprache besitzt nur eine poetische, keineswegs Erkenntnisqualität. Er räumt der Sprache nur einen Nutzen für die oberflächliche Verständigung zwischen Menschen über alltägliche Dinge und Möglichkeit ein, zur Kenntnis der Vergangenheit beizutragen, weil sie Summe menschlicher Erfahrung sei. Es gebe keine gemeinsame Sprache, sondern nur Individualsprachen. Die Sprache sei ein Spiel nach Regeln mit vielen Mitspielern, wobei die Spielmarken (Jetons), die Wörter, in ihrer Bedeutung für die verschiedenen Benutzer niemals gliech seien. Janik-Toulmin: MAUTHNERs Nominalismus zwang ihn, das Wort "Sprache" selbst als reifizierende[4] Abstraktion zu begreifen. Für MAUTHNER ist Sprache daher "Sprechen", also eine 'Aktivität', nicht eine besondere Art von Gegenstand. Der entscheidende Punkt dabei ist, daß Sprache eine menschliche Aktivität und als solche zweckhaft ist. Sie ordnet das menschliche Leben wie eine Regel ein Spiel ordnet. "Die Sprache ist nur ein Scheinwert wie eine Spielregel, die auch umso zwingender wird, je mehr Mitspieler sich ihr unterwerfen, die aber die Wirklichkeitswelt weder ändern noch begreifen will." Seine Überzeugung davon, die Sprache sei für die Erkenntnis völlig untauglich, höchstens als Instrument unser mangelhaften Kommunikation, formuliert er folgendermaßen: "Für das irdische Wirtshaus natürlich, für das Mitteilungsbedürfnis ist sie brauchbar, für das Schwatzvergnügen der Wirtshausgäste und für die Zurufe an den Speisenträger. Da kommt man mit der Sprache recht weit." Sprache – Hauptmittel des Nichtverstehens. Dichtung muß daher auch jeden Anspruch auf Verkündung der Wahrheit aufgeben, sie ist aber als Erzeugung von Stimmungen, als "Sinnenreiz durch Worte", etwas, das vornehmlich in der Lyrik eine besondere Beziehung zur Wirklichkeit aufreißt. Er gesteht ihr zu, immer noch auf die "geheimnisvolle Beziehung von Namen und Dingen" zu hören, die der Gegenwart im allgemein völlig abhanden gekommen ist: "Die Kultursprachen sind heruntergekommen wie Knochen von Märtyrern, aus denen man Würfel gefertigt hat zum Spielen. Kinder und Dichter, Salondamen und Philosophieprofessoren spielen mit den Sprachen, die wie alte Dirnen unfähig geworden sind zur Lust wie zum Widerstand." Dichtung gerade auf Grund der Sprache eine Existenzform neben, über oder anstatt des wirklichen Lebens. Wer dagegen aus dem Bereich der Sprache ausbrechen will, sieht sich zum Schweigen gezwungen. Also bedingt tauglich ist die Sprache nur als Mittel der Poesie, der politischen Überredung und Machtausübung. Die Sprache entwirft ein Ordnungsschema für das Weltverständnis. Weil er Sprache und Denken gleichsetzt, gelangt er zu einem Agnostizismus, in dem sich am Ende auch die Wirklichkeit und das Ich auflösen.. Sprachskepsis bei Hofmannsthal, Schnitzler, Muil, Mann. Auch von Joyce und Becket rezipiert. Inkonsequent ist Mauthner darin, daß er an die Ursachen unseres Weltbildes irgendwo draußen glaubt, an die Existenz der Sinneseindrücke, die vor bzw. außer der Sprache liegen sollen.. Er will seine Welt von der Tyrannei der Sprache erlösen, weiß aber gleichzeitig, daß der Gegenstand seiner Untersuchung mit dem Mittel identisch sind. Er versucht sie Ausweglosigkeit auf eine naive Weise lösen zu können – durch größere Exaktheit oder durchaus paradox bzw. literarisch, indem er sie durch eine Metapher vorstellt: Es ist die Metapher von der Leiter der Sprache, deren Sprossen vernichtet werden müssen, indem man sie betrete. "Will ich emporklimmen in der Sprachkritik, die das wichtigste Geschäft der denkenden Menschheit ist, so muß ich die Sprache hinter mir und vor mir und in mir vernichten, von Schritt zu Schritt, so muß ich jede Sprosse der Leiter zertrümmern, indem ich sie betrete. Wer folgen will, der zimmere die Sprossen wieder, um sie abermals zu zertrümmern. In dieser Einsicht liegt der Verzicht auf die Selbsttäuschung, ein Buch zu schreiben gegen die Sprache in einer starren Sprache." Kampits: Auch WITTGENSTEIN verwendet dieses Leiterbeispiel, wenn er gegen Ende seines "Tractatus logico-philosophicus" darauf verweist, daß derjenige, der ihn verstehe, seine Sätze überwinden, auf ihnen über sie hinaus steigen müsse, um dann die Leiter wegzuwerfen. Aber für Wittgenstein gibt es eine Entsprechung zwischen der Struktur der Sprache und derjenigen der Wirklichkeit, ja sogar eine abbildende Beziehung. Der sinnvolle Satz bildet die Wirklichkeit gleichsam ab, und nur dort, wo wir Unsinniges sagen, das heißt zugleich die Grenzen des Sagbaren überschreiten, geht die Sprache ins Leere. NIETZSCHE paraphrasierend, lehrt MAUTHNER darum "das große heilige Lachen" ebenso wie das Schweigen als Wege zur Überwindung der Sprache. Mauthner zitiert gegen Ende seines Buches Meister Eckhart und sein Lob des Schweigens als der mystischen Antisprache. Immer stärker fühlt sich später MAUTHNER von der Mystik angezogen, die nun als Ausweg des Dilemmas zwischen Schweigen und Sagen erscheint. Freilich fehlt ihm zum Mystiker das Entscheidende, das durch keine Aktivität und durch keinen Willensentschluß herbeiführbare mystische Erleben. Er nennt seine Mystik darum auch "nominalistische Mystik" oder "skeptische", bis er sie schließlich als "gottlose Mystik" bezeichnet. Seine Sprachskepsis machte ihn allerdings nicht gegen politische Fehlurteile immun. Trotz seiner Abneigung gegen den deutschen Kaiser WILHELM II. kommt es bei dem greisen Mauthner zu einem vehementen deutsch-nationalen, ja chauvinistischen Engagement anläßlich des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges. MAUTHNER wird - sehr zum Erstaunen der Freunde GUSTAV LANDAUER und MARTIN BUBER - zu einem Prediger des nationalen Hasses. Die Niederlage trifft MAUTHNER schwer. Das nachfolgende Engagement GUSTAV LANDAUERs für die kurzlebige bayerische Räterepublik entzweit die Freunde vollends, auch wenn ihn der grausame Tod LANDAUERs - der 1919 von der Polizei erschlagen wird - zutiefst trifft. MAUTHNERs Mystik bleibt eine solche der Theorie; sie stilisiert sich zeitweise in Tao- und Buddhismus um, bleibt aber wesentlich an der Sprachkritik gebunden. Sein abschließendes Alterswerk heißt "Der Atheismus und seine Geschichte im Abendlande". Darin wird in erster Linie die Sprachkritik auf religiöse Begriffe ausgedehnt. MAUTHNER will in diesem Werk zeigen, daß alle Sätze über Gott - ob sie nun seine Existenz behaupten oder leugnen - im Grunde sinnlos sind. Wiederum aber vermengt MAUTHNER lange historische Erörterungen mit rationaler Begriffskritik. Vornehmlich an Hand unbekannter, von der Kirche verfolgter Autoren, wird die Sprach- und Wortherrschaft der Kirche vernichtend kritisiert und eine gottlose Mystik gefordert. Seine Sprachkritik, die ebensosehr auch eine Sprachverzweiflung ist, müßte in jenes "heilige Schweigen" münden, das wirklich ein Schweigen wäre. Gustav Landauer, der während einer Netzhautblutung MAUTHNERs, als der Sprachphilosoph unfähig war zu lesen und zu schreiben, ihm als Mitarbeiter zur Verfügung stand, propagierte später Mauthners Werk u. a. mit seiner Schrift Skepsis und Mystik (1903), wo er ihn als Wegbereiter für neue Mystik und für neue starke Aktion bezeichnet und somit für Zwecke seines Anarchosozialismus anzuwenden versucht. Populär wurde die Mystik des Schweigens in Hofmannsthals Brief des Lord Chandos (englische Aussprache richtig: später /z. B. Richard Plantagenet (1797-1861)/ haben die Herzöge von Buckingham und auch den Titel von Chandos geführt. Die Wirkung des fiktiven Briefes liegt darin, daß er ein Identifiezierungmuster anbietet, das dem Bedürfnis der skeptizistischen Intelligenz um 1900 entgegenkam. Am 18./19. Oktober 1902 erschien HOFMANNSTHALs Chandos-Brief als erstes Stück einer geplanten Reihe von "Erfundenen Gesprächen und Briefen" im Berliner "Tag", ein Text, der sogleich MAUTHNERs stärkste Anteilnahme weckte, da HOFMANNSTHAL darin dichterisch ähnliche Probleme verarbeitete, wie sie MAUTHNER in seinem gleichzeitigen philosophischen Werk "Beiträge zu einer Kritik der Sprache" darzulegen suchte(4). Mathias Mayer: HOFMANNSTHALs Chandos-Brief Es ist nicht Ausdruck einer Schaffenskrise oder gar der dichterisch verklärte Abschied vom vermeintlich lyrischem Jugendwerk. Es fügt sich die Thematik vom Versagen der geläufigen Sprache und der Versuch, außergewöhnliche Erfahrungen in einer neuen Weise mitteilbar zu machen, in das Gesamtwerk ein. Hinzu kommt das Spiel mit der Maske und mit Anspielungen und Zitaten, die den Briefschreiber aus Zügen Spensers[5], Bacons, Goethes, Novalis´ und des Autors selbst. Die Bewegung einer Spirale beschreibend, auf höherer Ebene zum Anfang zurückkehrend, lassen sich zwei Grunderfahrungen Chandos´unterscheiden, die durch ein zweijähriges Stillschweigen getrennt sind: In der Phase dichterischer Produktivität schien ihm in einer Art von andauernder Trunkenheit das ganze Dasein als eine große Einheit. Da006Dals erlebte er auch seine eigene Identität als Teil dieser Totalität. Er fühlte alle Natur als das schlechthin Gegebene, unproblematisch Selbstverständliche und erkannte darin auch sich selbst. Ein Zustand der Kleinmut und Kraftlosigkeit, für den er vor allem einen abgründigen Zweifel an der Sprache verantwortlich macht, weil sich ihm durch diesen Zweifel religiöse und irdische Begriffe entziehen. Das Zerbröckeln der Zusammenhänge bewirkt, das abstrakte Worte und Urteile nicht mehr ein Ganzes zu umspannen vermögen, sondern wie modrige Pilze zerfallen. Indem das Ganzheitsgefühl einer ungebrochenen Präsenz und die Anerkennung durch die Gesellschaft der äußeren Vereinzelung und der Erfahrung der Differenz weichen, zweigt sich aber die Brüchigkeit jener unreflektierten, natürlichen Totalitätserfahrung. Jetzt erst wird deutlich, daß die Voraussetzung dieser Erfahrung in einer schlafwandlerischen Sicherheit und im vereinfachenden Blick der Gewohnheit lag. Chandos´ Vertreibung aus dem Paradies hat einen Zustand geistloser Leere und Starrnis zur Folge, der sich äußerlich von dem der Gutsnachbarn nicht unterscheidet, bei ihm aber gerade Ergebnis einer Reflexion, bei ihnen Zustand der gewohnten Fraglosigkeit ist Es gibt freudige, belebende Augenblicke, die weder willentlich herbeizuführen noch sprachlich geäußert werden können. Eine unbegreifliche Außerwählung, d. h. der Vereinzelung im Unterschied zur früheren Totalität läßt dann einen einzelnen Gegenstand der alltäglichen Umgebung mit einer Flut göttlichen Gefühls erfüllen. Die Bezauberung läßt sich nicht schildern, aber sie ist an nichtige, stumme, manchmal unbelebte Gegenstände der altäglichen Umgebung geknüpft: eine Gießkanne, eine auf dem Felde verlassene Egge, ein Hund in der Sonne. In diesem Augenblick fühlt Chandos, als bestünde [s]ein Körper aus lauter Chiffren, die [ihm]alles aufschließen. Auf höherer Ebene kehrt er damit zu seiner früheren Erlebniswelt zurück. Beide Erfahrungen sind aber deutlich geschieden, wie Schlüssel und Chiffre: eine Phase dichterischer Sprachmächtigkeit ist einem Zustand sprachlosen Staunens gewichen, dem nichts mehr selbstverständlich scheint. Zum Ausdrück wäre eine Sprache nötig, die mit dem Herzen zu denken versuchte und die stummen Dinge zu Wort kommen ließe. Vielleicht eine Sprache, in der sich erst im Grabe vor einem unbekannten Richter er verantworten wird. Von der Grenze und vom Ende, dem Tod, her legitimiert sich die Sprache. Friedrich Walter Müller (1823-1900) Andere Konsequenzen zog aus der Problematisierung des Verhältnisses zwischen Denken und Sprache der in Oxford lehrende Deutsche Friedrich Max Müller. Er identifieziert sie, wie es schon Hamann getan hatt. Er behauptet die Sprache sei die wahrhafte Geschichte des menschlichen Geistes, indem neue Gedanken und neue Sprachen beständig gegen alte Gedanken und alte Sprachen protestieren. Er zitiert die berühmte Kleistsche Brillenmetapher: die Sprache bildet in Wahrheit unsere wirklichen Augen und will sie überwinden im Sinne Hegels, der Mystik und Spekulation im wesentlichen gleichsetzt. Quellne des Sprachskeptizismus Der Sprachskeptizismus um 1900 ist eine Reaktion auf den Positivismus und dessen Dichotomie von Faktum und dessen Beschreibung. Gerade diese postivistische Grundvoraussetzung, daß es möglich ist, das Faktum sprachlich zu wiedergeben, ermöglichte die schnelle Entfaltung der Tagespresse in dieser Zeit. Gleichzeitig verstand sich die Zeitung als Meinungsmedium, daß eine persönliche Meinung „unmittelbar“ wiedergeben kann. Das die Presse von Idealen der objektiven Nachricht und der subjektiven Meinung ausgeht, macht sie von vornherein blind gegenüber dem Sprachproblem. Widerspruch bei Hofmannsthal: Der Dichter und seine Zeit (1906): Auch auf den elendsten Zeilenschreiber falle etwas vom Glanz der Dichterschaft /.../ einfach dadurch, daß er sich /.../ des wundervollsten Instrumentes bedient: einer lebendigen Sprache. Man redet skeptisch von der Sprache und verdrängt, daß es sich um in Wahrheit um die Thematisierung des Problems des um sich greifenden Journalismus, man weigert sich anzuerkennen, daß anstelle des Mythos, einer theologisch fundierten Religion ein bloßes Medium getreten ist. Karl Kraus (1874 Jičín- 1936 Wien) Die „Universalität“ des Journalismus, heute vielleicht der Medien überhaupt, wurde Karl Kraus bewußt, wenn er sagt, die Presse sei nicht der Bote, sondern das Ereignis, und zwar 50 Jahre vor McLuhan. Die Presse stellt demütig ihre Tätigkeit als bloßes Mitteilen der Tatsachen und die Sprache nur als Mittel dar. Tatsächlich produziert sie Faktum und Meinung. Karl Kraus enthüllt diese Scheinheiligkeit und bezeichnet die Weltgeschichte als Sprachgeschichte und seit dem Ende des 19. Jh. als Geschichte journalistischen Sprachgebrauchs. Ab 1. 4. 1899 erscheint seine eigene Zeitschrift »Die Fackel« (Jg. 1-37, 922 Nr.n in 415 H.en, Wien 1899-1936. Er polemisiert hier gegen die herrschende Kultur, Ideologie und immer mehr ausschließlicher gegen den falschen Sprachgebrauch. Alles, was in seinen Augen nicht echt, dicht, sondern feuilletonistisch verbrämt, nicht materialgerecht, sondern nur Ornament und Phrase, ist wird zitiert und als Lüge bezeichnet. Der Erste Weltkrieg ist für Kraus der Höhepunkt der Macht der Schwarzen Magie, wie er die Presse bezeichnet. Wilhelm von Humboldt: Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschlengeschlechts · Über die KAWI-Sprache auf der Insel Java (1836-39) Die Sprache selbst ist kein Werk, sondern eine Tätigkeit, keine bloße Verkleidung des Gedankens, vielmehr das „bildende Organ des Gedankens“ Sie ist nicht ein bloßes Mittel, die schon erkannte Wahrheit darzustellen, sondern weit mehr, die vorher unerkannte zu entdecken. In jeder Sprache liegt eine eigentümliche Weltansicht. Der Mensch lebt mit den Dingen, so wie das Netz der Sprache sie ihm zuführt. Otto Friedrich Gruppe (1804 -1806) in Clouren, H. J. & S. J. Schmidt: Philosophie als Sprachkritik im 19. Jh., Friedrich Nietzsche: Menschliches, allzu Menschliches (1878/79) /Der Mensch hat geglaubt/ in der Sprache die Erkenntnis der Welt zu haben. Sehr nachträglich, erst jetzt dämmert es den Menschen auf, daß sie einen ungeheuren Irrtum in ihrem Glauben an die Sprache propagiert haben. Fritz Mauthner: Beiträge zu einer Kritik der Sprache (1901/1902) ...., daß Welterkenntnis durch die Sprache unmöglich sei, daß eine Wissenschaft von der Welt nicht sei, daß Sprache ein untaugliches Werkzeug sei für die Erkenntnis Alle unsere Vorstellungen, sensualistisch erzeugt, beziehen sich nur auf die Vergangenheit und könne doch als Ziele der Zukunft dienen. Dieses Rätsel wird nicht gelöst, aber vereinfacht durch das Rätsel des Gedächtnisses, das als Gedächtnis des Volkes die Gemeinsprache ist, das jedoch auch im Individuum, sogar im tierischen und im pflanzlichen Individuum sprachähnlich wirkt, indem es die Weltvibrationen ordnet und gewissermaßen in die Sprache der einzelnen Sinnesorgane übersetzt: Schwingungen z. B. als Töne und Farben wahrnimmt und erinnert; nicht viel anders muß die Pflanze die Wärme wahrnehmen und erinnern. Die normalen Täuschungen der Sprache, die wir im naiven Realismus für ein richtiges Bild der Welt halten, verdanken wird dem Gedächtnisse. Widersprüche gibt es nur in der Sprache. Die Natur, wie sie nur einmal da ist, ist auch einheitlich. Diese Einheit können wir nicht entdecken, wenn wir denken oder sprechen, diese Einheit können wir fühlen, wenn wir leben, ungetrennt von der Natur. ________________________________ [1] MAUTHNER ging davon aus, daß es keinen echten Unterschied zwischen Begriff und Wort gebe, lediglich einen psychologischen "in der Richtung der Aufmerksamkeit", und daß konsequenterweise Sprechen und Denken identisch seien: "Es ist einer der Ausgangspunkte dieser Schrift, daß es kein Denken gebe außer dem Sprechen, daß das Denken ein totes Symbol sei für eine angeblich, falsch gesehene Eigenschaft der Sprache..." [2] Janik – Toulmin: Kants Betonung der Funktion der subjektiven "Formen des Urteils" bei der Strukturierung von Erkenntnis implizierte bereits die (von Kant selbst nicht aufgenommene) Herausforderung, Sprache und Grammatik aus ihrer bisher untergeordneten Rolle herauszulösen. [3] "Hier möchte ich nur darüber berichten, wie vor etwa dreißig Jahren die Arbeit in der Gedankenwerkstatt begann, wie bei der Entbindung der sprachkritischen Idee zwei merkwürdige Bücher und eine große Persönlichkeit mithalfen. OTTO LUDWIG und FRIEDRICH NIETZSCHE hatten die beiden Bücher geschrieben. Der FÜRST BISMARCK war die große Persönlichkeit." [4] verdinglichend: The consideration of an abstract thing as if it were concrete, or of an inanimate object as if it were living. [5] Edmund, (b. 1552/53, London, Eng.--d. Jan. 13, 1599, London), English poet whose long allegorical poem, The Faerie Queene, is one of the greatest in the English language. It was a paradigm of human experience: the moral life as quest, pilgrimage, aspiration; as eternal war with an enemy, still to be known; as encounter, crisis, the moment of illumination--in short, as ethics, with the added dimensions of mystery, terror, love, and victory and with all the generous virtues exalted. ________________________________ [Zdenek Ma1]Friedrich Heinrich, ( 1743-1819 ): daß wir unmöglich begreifen können, was wir [begrifflich] zu constatieren nicht im Stande sind« (Jacobi an Fichte. Hbg. 1799)