Sprachdenken und Sprachkritik Alles Wahrnehmen, Erkennen, Begreifen sind durchaus sprachlich. 1. Im 19. Jahrhundert wird das Problem der Sprache in Anlehnung an Kant bewußt verdrängt. 2. Friedrich Nietzsche: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn (1872). 3. Fritz Mauthner 4.Hugo von Hofmannsthal: Brief des Lord Chandos 5. Karl Kraus Sprachdenken und Sprachkritik ➲Fritz Mauthner: Beiträge zu einer Kritik der Sprache (3 Bde., Stgt. 1901/1902) Allan Janik – Stephen Toulmin: Wittgensteins Wien, München/Wien 1984 Peter Kampits, Zwischen Schein und Wirklichkeit, Eine kleine Geschichte der österreichischen Philosophie, Wien 1984 MARTIN STERN (Hrsg): Der Briefwechsel Hofmannsthal - Fritz Mauthner Kant Noch bei Kant verhält es sich so, als sei Sprache gesichert in ihrer Relation zu einem semantischen Substrat, obwohl er gerade dieses Substrat problematisiert und an die Bedingungen menschlichen Erkennens gebunden glaubt. Die Kant-'Kritik' reichte von HERDER, HAMANN, JACOBI über GRUPPE bis zu MAUTHNER. Hamann, Aesthetica in nuce, 1760 Die Bücher der Natur und der Geschichte sind nichts als Chiffren, verborgene Zeichen, die den Schlüssel nötig haben. Ihre Deutungen sind, gleich wie die der heiligen Schriften, nur menschliche Lesarten eines göttlichen Textes und als solche nie endgültig. „Rede, daß ich Dich sehe! – Dieser Wunsch wurde durch die Schöpfung erfüllt, die eine Rede an die Kreatur durch die Kreatur ist; denn ein Tag sagts dem andern, und eine Nacht thuts kund der andern. Ihre Losung läuft über jedes Klima bis an der Welt Ende und in jeder Mundart hört man ihre Stimme“ Hamann Reden ist übersetzen – aus einer Engelsprache in eine Menschensprache, das heisst, Gedanken in Worte, - Sachen in Namen, - Bilder in Zeichen; Aristoteles: zóon logon echon: ein Tier, das die Sprache besitzt. Otto Friedrich Gruppe (1804-1876) Philosophische Werke. Herausgegeben von Fritz Mauthner. München, Georg Müller, 1914 "Antaeus, ein Briefwechsel über spekulative Philosophie in ihrem Konflikt mit Wissenschaft und Sprache" (1831). Mauthner über Gruppe in: Die Zukunft, hrsg. von Maximilian Harden, Jhg. XXII, Berlin 1913, Seiten 314-325 Wendepunkt der Philosophie im neunzehnten Jahrhundert. "Deutsche Übersetzerkunst" von O. F. Gruppe Gruppe … den Irrtum der Begriffserkenntnis, den er schon bemerkte, bloß aus einer Übertretung seiner hypothetischen Grenzabsteckung erklären zu wollen: wie unkritische diese Kritik! statt von etwas Unerklärlichem, Dunklen und Widersprechendem auszugehen, hätte er sich sich ... fragen müssen, was solche Unterschiede überhaupt sagen wollen: und dies würde ihn im Verfolg auf eine Untersuchung der Sprache und der Begriffe, sowie deren Stellung zum Denken geführt. Nietzsche: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn. 1873. Nur durch die Vergesslichkeit kann der Mensch je dazu kommen zu wähnen, er besitze eine »Wahrheit« [...]. Wenn er sich nicht mit der Wahrheit in der Form der Tautologie, das heißt mit leeren Hülsen begnügen will, so wird er ewig Illusionen für Wahrheiten einhandeln. Was ist ein Wort? Die Abbildung eines Nervenreizes in Lauten. [...] Wie dürften wir, wenn die Wahrheit bei der Genesis der Sprache, der Gesichtspunkt der Gewissheit bei den Bezeichnungen allein entscheidend gewesen wäre, wie dürften wir doch sagen: der Stein ist hart: als ob uns »hart« noch sonst bekannt wäre, und nicht nur als eine ganz subjektive Reizung! Wir teilen die Dinge nach Geschlechtern ein, wir bezeichnen den Baum als männlich, die Pflanze als weiblich: welche willkürlichen Übertragungen! Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn. Ein Nervenreiz, zuerst übertragen in ein Bild! Erste Metapher. Das Bild wird nachgeformt in einem Laut! Zweite Metapher. Und jedesmal vollständiges Überspringen der Sphäre, mitten hinein in eine ganz andre und neue. Man kann sich einen Menschen denken, der ganz taub ist und nie eine Empfindung des Tones und der Musik gehabt hat: wie dieser etwa die chladnischen Klangfiguren im Sande anstaunt, ihre Ursachen im Erzittern des Saite findet und nun darauf schwören wird, jetzt müsse es wissen, was die Menschen den »Ton« nennen, so geht es uns allen mit der Sprache.