%üm^ 1^^°^ (2ÖAS) q[m (qlmMjia " mcrnde Musik hielt die Bilder zusammen, brach dann abrupt ab, machte einem elektronischen Wimmern Platz. Er geriet in einen Zustand zwischen Schlaf und Wachen, dachte für Momente, er sei außerhalb seines Kopfes: er sieht den Raum außerhalb seines Kopfes, knapp vor seiner Stirn und durch eine Schleuse mir seiner Stirn verbunden, in dem er sich befindet (vielleicht muss er ihn nie mehr verlassen). Die Frauen, die keine wirklichen Frauen sind, ziehen währenddessen im dunklen Zimmer ihre Schleifen über den Laufsteg, so wie die Musik ihre Schleifen durchs dunkle Zimmer zieht. Sie erinnert sich in den Jahren danach an den Trost der hupenden Autos am Kai, an die aus den Fenstern winkenden Menschen (Jahre danach erscheinr es ihr noch als Trost, nicht mehr, aber auch nicht weniger als Trost). Man kann einem anderen ins Gesicht schauen, sich spiegeln in einem offenen Bück, kann in der Menge tanzen, heulen, lachen, eine Welle in einem Meer, Widerstand, Widerstand, hört sie sich rufen, in die schrille andauernde Geräuschkulisse, das monotone Trommeln, das Tröten und Pfeifen hinein, überall an den Wänden siebt sie große Ws aufgemalt, von anderen aufgemalt, die so sind wie sie, es gibt andere, die so sind wie sie. Man muss nichts zurückbehalten. Zukunft gibt es allerdings keine, du hältst es in dieser Phase des ersten Nachmittages für undenkbar, dass ihr Erfolg haben könntet, nicht in diesem Land, nicht in einem Land mit diesen Zeitungen. Dann sind einige Stunden weitgehend aus deiner (oder aus unserer) Erinnerung gelöscht, immer wieder müssr ihr jedenfalls zur Ringsrraßc zurückgekehrt sein; aber was heißt ihr, es gibt keinen festen Demonstrationszug, keine bestimmte Gruppe, det sie sich angeschlossen hätte oder jemals anschließen würde, einmal taucht sie in dem einen, einmal dem andeten Grüpp-chen unter, auf der ganzen Ringstraße sind kleine Demonstrationszellen verteilt, die sie bereitwillig aufnehmen, ohne von ihr eine bestimmre Zugehörigkeit zu verlangen, Sie sieht ihre Freunde wieder und schaut an ihnen vorbei, sie kann Fremde anschauen so wie ihresgleichen, das ist ihr mehr werr, Sie gehört nicht zu ihren Freunden, sie gehört zu den Fremden. Ich will nichts mehr für mich, heißt es in dem Gedicht, das sie Mona vor drei oder vier Jahren vorgelesen hat: bin ich's, so ist's ein jeder, der ist so viel wie ich, Monas Blick; Mona, die einzelne Wörter wiederholt. Du kannst das Gedicht in einzelne Wörter zerhacken und jedes Wort einem Schritt zuordnen. Dann und wann sind auch Polizisten zu sehen, zu zweit oder in Gruppen, manche martialisch aufgemacht, wie die Polizisten mittags bei der großen Demo, manche in normaler Uniform, aber die Pisrolen in den Gürteln fallen ihr heute besonders auf, so als wären sie zum ersten Mal wirkliche Waffen; Waffen, die auf sie gerichret werden, sie treffen könnten. Zum ersten Mal lebst du in der wirklichen Welr und nimmst wirkliche Waffen wahr. Für Momente, irgendwo in einem kleinen Gässchen der Innenstadt oder auf der Kärntnerstraße, auf die sie sich verirrt hätte, muss sie auch ganz allein geblieben sein, plötzlich waren die Leute rundum bloß Passanten, Konsumenten, Touristen; sie mussten ihr kurios erscheinen, wie aus einer anderen Zeit, wie sie sich selbst plötzlich kurios, aus der Zeit gefallen, erscheinen musste. Sie kommt nicht auf die Idee, sich etwas zu essen oder zu trinken zu besorgen; ihre Füße in den Turnschuhen stinken, ihr Rücken und ihre Beine tun weh: ein paar Stunden füllen allein die sinnlose Bewegung, der sinnlose Schmerz, Schleifen, die sie durch die Innenstadt, durch ihren eigenen dunklen Kopfi durch den Schmerz zieht; daraus taucht sie auf wie aus einem Nichts, aus einem Zustand zwischen Schlaf und Wachen, in einem Moment, an dem später die Erinnerung wieder 36 37 einsetzt und ganz klar wird; so als könnte sie hoffen, dieser Moment würde sich unablässig wiederholen. Es gibt solche Tage: in Räume zetschnitten, von denen manche wie mit einer Kamera festgehalten scheinen (und auf welcher Seite der Kamera bist du? Kannst du wirklich immer wieder hin ein schlüpfen in den Raum, in den Tag?}> manche im Vergessen verschwinden (und es ist nicht sicher, was dir entgeht; was von deiner Vergangenheit dir immer fehlen wird). Woher auch immer sie eben kommt und was auch immer fünf Minuten zuvor gewesen sein mag, sie befindet sich nun am Schottenring, in einer schon von Beginn an größeren Gruppe von Demonstranrcn, die sie auf beinah tausend Menschen schätzen würde; es ist schon dunkel; sie kommt auf die Idee stehen zu bleiben, als die Spitze des Zugs in den neunten Bezirk umbiegt. Dann kippt die Szenerie. Der Demonstrationszug scheint kein Ende zu nehmen, sie schaut ungläubig auf die aus allen Richtungen herströmenden Menschen. Es scheint, dass ihre Demonstration mit einer kleineren, die vom Kai her kommt, zusammenfließt, zugleich schließen sich spontan immer mehr Leute dem Zug an, der Strom scheint noch die zufälligen Passanten aufzunehmen, jeder, der sie die Ringstraße entlangzieb.cn sieht, macht einfach das Selbstverständliche und geht mir. Minutenlang steht sie da und sieht die Menschenmenge immer weiter anwachsen; dann, mit einem ganz neuen Glücksgefühl im Bauch, läuft sie weiter, spürt ihren Rücken, ihre Beine nicht mehr, ihre Füße sind nicht mehr angeschwollen und hören auf zu schwitzen. Die Luft ist klar geworden. Die aus den Fenstern winkenden Leute werden immer mehr, in der Liechtensteinstraße (oder ist es die Porzellangasse} ziehen sie an einem jugoslawischen Lokal vorbei, die Gäste und die Kellner kommen an die Tür und klatschen ihnen zu. Sie hat keine Ahnung, wohin sie gehen, und es ist auch vollkommen egal; der Zug hat keinen Anfang und kein Ende. Einen Moment lang glaubt sie an die Möglichkeit des Umsturzes und der vollkommenen Freiheit: Was für eine Schande, denkt sie, in einer Wohnung zu wohnen, ein paar Zimmern, zwei oder fünf, egal: immer die gleichen Wege zu gehen. Was für eine Schande, durch Fenster auf die Straße, in die Welt zu schauen, statt die ganze Welt in Besitz zu nehmen. Statt sich die Welt zu nehmen. Was für eine Schande, wie sie immer gelebt hat, in Häusern, mit Üirem eigenen Zeug um sich herum; alles kann ihr, kann jedem gehören, sie ist eine wie alle, allen kann alles gehören. Sie schaut auf die Polizisten, die neben dem Demonstrationszug herlaufen, und fragt sich, auf welcher Seite sie wohl stehen; ob sie eine Meinung haben. Ihre leeren Berufs gesichrer, die Pistolen an ihren Hüften. Nach einer oder zwei Stunden ist der Demonstrationszug in die Innenstadt zurückgekehrt, die Ringstraßengebäude, Rathaus und Parlament, sandfarben leuchtend, stehen falsch und verloren wie immer unterm Abendhimmel herum, nein, noch verlorener, noch verlogener, langsam hat sich die Menschenmenge zerstreut und du fragst dich, wo sie denn alle geblieben sind, diese Ftemden, zu denen du gehörst; ob jetzt noch wahr ist, was du vor fünf oder zehn Minuten erlebt hast, ob es diese Wirklichkeit noch gibt, die du und ein paar tausend andere bezeugen können, oder müssen alle zugleich vergessen, was nirgendwo, von keiner Kamera festgehalten ist? Die Fahrbahn ist voll mir Papierfetzchen, Plastikflaschcn, Zigarettenkippen, Flugblättern voller Schuhspuren. Du bist wieder am Heldenplatz, allein, trotz der paar anderen, die immer noch um dich sind, einem Polizeikordon gegenüber, ganz wie am Mittag, nur dass die Demonstranten viel weniger sind, ein paar hundert Menschen, denen anzumerken ist, dass sie, so wie auch du selbst, gern durchbrechen würden, das Kanzleramt stürmen, gerade noch war es möglich erschienen, fasr schon geschehen; fast schon alles umgestürzt. Flaschen fliegen, die Polizisten drängen Leute ab, sie möchte sie anschreien: Seht iht denn nicht, was hier vorgeht? Seht ihr denn nicht, wen ihr verteidigt? Habt ihr denn keine Solidarität im Leib, seid ihr denn gar nicht beeindruckt von dieser Kraft und Euphorie? Die leeren Gesichter sind jetzt von Vollvisierhelmen vetdeckt, Schlagstöcke stehen von den Körpern ab. Sie denkt, blind und stumpf würden diese Typen, die sich nicht mehr von ihren Uniformen, ihren Waffen, ihren Helmen unterschieden, für jegliche Staatsmacht ihren Dienst leisten, sie wären zu allem bereit, es kann wieder geschehen, was in diesem Land schon einmaJ geschehen ist, die Waffen, die Uniformen, die Handlanger, die Helme stehen bereit, sie sieht es. Du hörst dich schreien; du hast noch nie in deinem I,eben geschrien. Du musst nur noch einen winzigen Schritt weitergehen und kannst dich selbst völlig vergessen, in ein anderes Leben stürzen. Du kannst in der Kraft und der Euphorie aufgehen, in einer blinden Gewalt, die nur sich selbst, nur diesen Moment kennt. Du möchtest mit deinem nackten Gesicht, deinen Fäusten, mit deinem bloßen Körper auf diese Mauer einstürmen, auf die Welt einschlagen, die für deine Euphorie gleichgültig ist, deine Freiheit nicht anerkennt. Du stellst dir einen Knüppelhieb auf deinen Kopf vor, einen Hieb, der dich fortschleudeit aus dem Wirklichen, eine Pistole an deiner Stirn, einen Lärm, der alles ausfüllt: niemand dir gegenüber, dem du in die Augen schauen kannst, der dir in die Augen schaut, bevor er dich tötet, die Polizisten haben keine Gesichtet mehr. Du hörst dich schreien, dann hörst du eine Stille in deinem Kopf. Warum beginnsr du wieder zu denken, in deinem alten trau-rigen Rhythmus, und gehst irgendwann doch einfach nach Hause, statt der Stille immerfort das Träten und Trommeln der Demo im Ohr, mit einem Gefühl von Überwachheit, als hättest du eine Nacht durchgemacht, zwanzig Zigaretten ge- I raucht, fremde Männer umarmt, geküsst, ihren Geschmack eingesogen wie den Rauch und gleich wieder vergessen und anderswo neu suchen müssen, als hättest du tausend Gesichter, tausend Gespräche ganz klar im Kopf? Spätet glaubst du (nein, du glaubst es nicht, aber es scheint dir in irgendeiner Form geschehen), du hättest, indem du heimgingst, eine Art von Magie gebrochen und nur heraufbeschworen, was dann gekommen ist. Du bist unverletzt, trägst noch eine Art von Hoffnung in dir, die gleich, beim Blick auf die Spätnachrichten und die Internetausgaben der Zeitungen, verschwunden sein wird, die Spätnachrichten und die Intel netausgaben der Zeitungen werden dir die Wirklichkeit rauben, die du eben erlebt hast, zeigen, dass dein Zeugnis und das von ein paar tausend anderen nichts zählt. Du ziehst deine Schuhe aus. Du schaust auf den leeren Korridor deiner Wohnung, die Zimniertüren stehen offen. Viel später, nach den Phasen von Wut und Enttäuschung, wird sie denken, dieser eine Moment am Schottenring, in dem sie sich umgeblickt hat und ganz selbstverständlich und in unglaublicher Weise jeder Passant zum Demonstranten und die ganze Stadt zum Schauplatz geworden ist und sie sich im Glück einer Verwandlung aufgab, war der Umsturz und die vollkommene Freiheit. Mehr gibt es nicht. Du weißt, dass du alleine in der Wohnung bist, es ist so still hier drin, sogar wenn du das Radio, den Fernseher aufdrehen würdest, bliebe es still, jetzt stehst du auf, verlässt dein Zimmer, auf bloßen Füßen, der Parkettboden kalt an deinen Sohlen: ein leerer Korridor, offenstehende Zimmertiiren. In der Küche immet noch die Kaffeetasse, das leere Glas, die halbleere Müslischale, du hast immer noch keine Zigarette gc- 40 41