Henry, Hamsterschatz, verzeih! Verzeiht mir, Henry, Samniy. und alle. Lauft weiter und verzeiht mir. Sammy! Ich finde nun doch, es macht nichts. He, Sammy, ich finde nun doch, das schadet nichts. Auch zum Beispiel, daß man zu freundlich ist, zum Beispiel. Zu dir, Sammy. Es macht nichts. Wirklich. Ich meine, es ist nett. Findest du nicht? Habgiej f Gestern ist es passiert. Wir können es noch nicht glauben, Vater und ich. Vater: das ist mein Mann. Wir nennen einander Vater und Mutter, weil wir finden, es schließt uns noch enger zur Familie zusammen und zahlt sich aus. Vaterautorität und Mutterschaft sie sollten nicht durch irgendwelche privaten Vornamen behelligt werden. Wenn man einem Kind rechtzeitig zu verstehen gibt: dies ist eine Mutter und nur eine Mutter und keine Susi Margot Elsbeth, was weiß ich - so muß das einfach auf den Instinkt und so weiter einwirken, denken wir uns wenigstens. Wir sind ja nicht Leute, die in den Tag hinein leben. O wie viele, viele Familien gibt es ringsum, wo alte Eltern auf die gerechtfertigte Dankbarkeit ihrer Kinder verzichten müssen, anders ausgedrückt: auf fremde Hilfe in Heimen und sonstwo angewiesen sind. Vater und ich, wir finden allerdings, diese dann zwar Bedauernswerten sind im Grunde selbst schuld an ihrem Los. Zur Dankbarkeit muß man sein Kind vom ersten Tag an, ich möchte fast sagen: vom . Mutterleib an, erziehen. Immerhin: man schenkt ihnen ja das Leben, eine Gabe gewissermaßen aufs Geratewohl. Die Liebe zu Vater und Mutter kommt nun mal der Rückerstattung einer Schuld gleich, aber einer schönen Schuld, in der Tat. Der schönsten, würde ich sagen. Ojeojeoje. Gestern ist es passiert. Ich faß es nicht. Vater, zu dem ich übrigens aufblicke, kommt offenbar eher drüber weg - doch dies mutmaße ich lediglich, denn daß er jetzt schon wieder sich mit Großmutters Testamentsentwürfen befaßt, tief drüber gebeugt und kritzelnd und auf Änderungen aus, daß 217 er dies tut und somit unser Familienleben weitertreibt in Richtung Erbe, das hat wohl nichts mit seinem .Schmerz als Vater Kurts zu tun, Schmerz nicht nur, wir sind auch sein aufgebracht, sehr. Schrecklich. Alles ging so glatt, seither. Vor allem nach Töcli-terchen Gittis Geburt, dieser Belohnung für vier Söhne. Gittilein, wirklich noch süßer, als wir's zu träumen wagten. Und ideale Paten. Natürlich spielt es eine Rolle, daß Gitti su reizend aussieht: die ohnehin großzügige Tante Beitel kann sich gar nicht oft genug mit immer geschmackvollen, immer brauchbaren und immer außerdem noch kostspieligen Geschenken zeigen. Gitti: das war und ist wirklich ein Treffer. Auch im Hinblick auf Irenes Patenschaft: sie kriegt keine Kinder, diese Arme, und sieht dies nun auch ein, hat sich damit abgefunden und ganz und gar auf Gittilein eingestellt; reich' ist sie nicht, gewiß, aber Liebe vermag viel, gerade so eine Abart, gemischt mit Verzicht, na und alldem, Traurigkeit, was weiß ich. Übrigens: Paten! Ein Kapitel für sich, weiß Gott. Bei Manfred, unserm Zweiten, hatten wir Pech. Onkel Max brachte sich ja sogar um! Heut lacht man drüber, aber damaK war's ein rechter Schock für Vater und mich, immerhin wai Manfred erst, drei, und mehr als zehn Jahre Patenschaft fielen buchstäblich und um so mehr ins Wasser, als es das Wasser war, die graue belgische See, wo Onkel Leichtfuß seinen Tod suchte und fand. So blieben bei Manfred damals nur Onkel Herbst, dessen Geschäft von Jahr zu Jahr schlechter ging, und mein Bruder Theo, ein regelrechter Reinl'all und alles andere als kinderlieb. Man weiß eben nie, ich meine, man ist kein Prophet, obschon - in den andern Fällen waren wir's eigentlich, Propheten, mein' ich. Eberhard, unser Ältester, na, der hat doch großes Glück gehabt, und weit über die Konfirmation hinaus verlor Onkel Willmann nicht das Interesse an ihm; es hat sich auch außerordentlich bewährt, daß wir Eberhard von vorneherein auf Musikliebhaber abgerichtet haben, erstens: weil schließlich doch eine wahre Liebhaberei daraus wurd'-. und wie herrlich ist's, Musik zu lieben, nichts gegen ideelle Werte; zweitens: weil durch diese Orientierung in seine C.-c- 218 schenke ein gewisses System kam, er hat ja schon eine richtige kleine, wie sagt man, Diskothek, sagt er. Klavier war bis zum heutigen Tag doch immer noch zu teuer, dafür bläst er Flöte und besitzt, ohne sie zu blasen, eine Klarinette, außerdem CÜtarre und fürs Schulorchester einen Triangel. O ja, es ist schon nett, dieser ordentlichen, vernünftig kontrollierten Entwicklung zuzusehen. Vater und ich, wir fanden auch von jeher, ■ laß es gut ist, einen kleinen Künstler in der Familie zu haben, der ist dann zuständig für kleine Darbietungen im größeren Kreis, an Weihnachten etwa, Eberhard hat in jedem Jahr unterm Baum was Hübsches vorzuspielen, es macht sich gut, ja, abgesehen vom Gewinn, besonders Onkel Rehbein gibt immer reichlich. Lind Eberhard hat auch gestern gespielt. Gestern war Konfirmation unseres Dritten. Kurt. Ich red jetzt gar nicht von all dem Kummer, den er, gerade er seinen Eltern bereitet hat. Jetzt erst wieder, zum Muttertag kürzlich, stand doch er als einziger mit leeren Händen vorm Gabentisch. Allerdings, woher dies Versäumnis stammt, das wissen wir: aus der Quelle Theo und Frau; mein Bruder Theo hat für vierzehn dringende Ruhetage, die Vater mir verordnete, Kurt aufgenommen -F.berhard war bei Rehbeins, Manfred bei den Großeltern, wo er übrigens sehr hübsch und gegen fast großzügige Bezahlung den Garten betreut hat - Kurt wie gesagt bei Theo und Schwägerin Karla, Mopi bei - na ja, es ist nicht so wichtig und hat wenig mit gestern zu tun, nur noch dies: Gittilein blieb hei uns und schadete meiner Erholung keineswegs. Süß ist die, oje! Bei Bruder Theo und Frau hat Kurt zersetzende Äußerungen vor allem auch über den Muttertag zu hören bekommen, das ist uns völlig klar, und deshalb stand er neulich an jenem sonnigen Morgen fast patzig und ohne Geschenk mir gegenüber, immerhin mit Schwierigkeiten beim Aufblicken. Nun ist zwar Kurt unbemittelter als seine Brüder, da er ja leider, leider für gute Noten nichts einheimsen kann: seine Schuld. Und spart für ein Rad. Schön. Das hat aber nichts damit zu tun, daß er seiner Mutter an diesem Tag - nun, es stammt von diesen beiden, die ihm was erzählt haben von 219 Politik, ich frag mich, was sollen Kinder mit solchen Ei örterungen und Aufschlüssen, was sollen sie damit, was geht i es sie an, inwiefern rüttelt an ihrer eigenen Mutterverehrunjä der Vorwurf gegen eine politische Vergangenheit, von deren i Schlechtigkeit ich allerdings, was soll ich's verschweigen, den ganzen Komplex rings um die Frau, um das Bild der Mutier durchaus ausklammern möchte - eine Mutter muß vereint werden, basta. Die Würde der Mutter, ja. Des Mütterlichen. Wert und Notwendigkeit, die Mutter zu feiern - dies tilgt kein politisches Schönheitsfehlerchen, bestimmt nicht. Auf Grund J einer reizenden Idee unseres Vaters servierte die ganze Familie mir diesmal meine Geschenke auf einem entzückenden neuen Teewagen, direkt ans Bett, ich hab aber doch erst später am Frühstückstisch ausgepackt. Blumen, Blumen, selbstverständlich. Von Vater ein Schmuckstück, das ich hier nicht weiter erwähne und auch nur Eberhard als dem Ältesten gezeigt habe, von Eberhard selber süße Servietten mit Etui, von Manfred eine kleine niedliche Maus aus Holz, sehr nied- : lieh, wenn ich auch mit dem Gedanken spiele, sie entweder schon in diesem Jahr oder im nächsten am 4. 8. an Erika | weiterzuverschenken, ihr Geburtstag ist immer so prekär, J mitten in der Ferienzeit, man hat einfach so wenig übrig dann. Mopi war weniger großzügig und hat sich mit einer Pralincn-marke begnügt, deren Preis ich kenne - aber immerhin, ich will nichts sagen und habe nichts gesagt, er ist unser kleiner Geizkragen, und offen gestanden, Vater und ich lassen ihn dabei, warum nicht, vielleicht ist's sogar mal er, der Groß- j vaters Geschäft übernimmt, und wir haben nichts gegen Sparsamkeit, gewiß nicht. Und Gittilein, der weißblonde Schatz. \ hielt zwischen den zuckrigen Speckfingerehen eine Orchidei - natürlich von Vater gekauft, aber war das ein Bild, zum > Malen! Ja. Soviel über den Muttertag. Zusammenfassend: eine Mutter, ich sage das in aller Bescheidenheit, ist doch nun ni.il ganz was anderes als ein Vater, ich meine: mehr. Sie ist mehr, doch. Bei allem Respektfür Väter, bestimmt. Mutter sein heißt - na ja. Es ist schon wahr. Sie vermehrt ja auch die Familie. Sie schafft ihr den Besitz an Kindern. 220 I ((esteru, gestern, gestern. Ich bin sonst gar nicht so. Ich bin sonst beherrscht, wirklich. Kurts Konfirmation. Kurt, der Sorgensohn. Sorgen, in der Schule und wo nicht. Bockig und Halsstarrig, wie er sich aufführt, trotz Jugendgruppe, sie formt ihn längst nicht so wie die Brüder, Manfred zum Beispiel hat so unglaublich profitiert in seiner Gruppe, Sektion „Schwert und Siegel". Dennoch haben Vater und ich beschlossen: seine Konfirmationsfeier soll er haben, natürlich etwas knapper als hei Eberhard und Manfred, aber immerhin, Sekt mindestens, schon im Hinblick auf die Verwandten und so, Kurts Paten haben schließlich ein Anrecht auf etwas Stimmung. Ich mag Konfirmationen. Ich mag sie lieber als Geburtstage, von Weihnachten ganz zu schweigen, das rentiert sich ja kaum noch, wenn die Verwandtschaft groß ist wie bei uns, ich meine, die noch so generöse und auch wohlhabende Tante Bertel zum Heispiel kann ganz einfach nicht pro Kind mehr als einen Zwanziger veranschlagen, allerdings macht neuerdings unser Gittilein eine Ausnahme, sie ist halt so süß, bei ihr hört man auf zu rechnen, vollends Irene, die ihr kürzlich ohne jeden festlichen Kalenderanlaß ein goldenes Medaillon schenkte mit eingravierten Initialen und Adresse, damit sie niemals verlorengehen kann, entzückend und sicher hübsch teuer. Es gibt ľaten, die sich kaum rühren anläßlich eines Geburtstags, gibt's! Aber an einer Konfirmation kommt keiner vorbei. Man kann zur Kirche stehen, wie man will, und wir, Vater und ich, wir stehen ihr gar nicht mal so nah, ich meine: nicht übertrieben - aber ich finde, für Feierlichkeiten sorgt sie, das ja. Und so ein Konfirmationswunschzettel sieht dann auch viel stattlicher aus als irgendein anderer. Nun sagte ich also, genau wie /u den andern Söhnen seinerzeit, vor einigen Wochen zum diesjährigen Konfirmanden Kurt: Denk dir Wünsche aus, sie dürfen kostspielig sein, wertbeständig, Dinge fürs Leben, wie Werkausgaben, Uhr und Ring, Barometer; und dann haben wir filtern die Preise gestaffelt, Paten und übriger Verwandtschaft zugedacht, was sie übernehmen sollten. Wir geben uns Mühe mit unsern Kindern, wahrhaftig. Es kostet uns nebenbei bemerkt auch ein ganz nettes Sümmchen allein fürs Telefonie- 221 ren. Bis man alles richtig organisiert hat, herrje! Da will Onkci Becker den Globus nicht übernehmen, weil er sich golden? Manschettenknöpfe in den Kopf gesetzt hat, und die hat längst Tante Schneider in petto. Es sind also gar nicht mal immer diu Preise, die uns bei der ganzen Koordinierung zu schaffen machen. Einfach so. Und dann haben wir Leute in der Verwandtschaft, ich nenne keine Namen, ein Ehepaar insbesondere, kinderlos selbstverständlich, Leute, blutsverwandt leider, die sich um unsere Wunschzettel nicht kümmern. Ich ruf sie also an, sagen wir, vor Eberhards Geburtstag: Eberhard braucht dringend neue Socken, sag ich, er wünscht sich allerdings einen Dynamo. Von jemand Nettem bekäme er daraufhin beides. Von jemand Geizigem bloß die Socken. Die Leun.: aber, auf die ich anspiele, schenken ein Buch statt dessen. Nur als Beispiel. Gestern, o gestern. Sein Tisch war gut bestückt, Kurts Tisch. Undank ist der Welt Lohn, schön, aber ich dachte immer, das gilt nicht für unsere Familie. In unserer Familie wird das Wort Dankbarkeit groß geschrieben. Es rentiert sich. Doch gibt es ja Außenseiter, es gibt ja Kuckuckseier, die in ordentliche, nette, vernünftig gepflegte Nester gelegt werden, von wem und wozu? Womit haben wir das verdient, Vater und ich? Oder beispielsweise auch jemand so Unschuldiges wie Gittilein? So einen Bruder, womit? Der gute Vater, da sitzt er und überlebt, wie er die Großmutter zu unseren Gunsten, das heißt: zu der Kinder und also auch zu Kurts Gunsten, wie er sie - reinlegt n ist nicht das richtige Wort, und es will mir nicht auf die Zunge, Wie er ihr Testament etwas korrigieren kann, ich meine, sie muß ja bedenken, daß Theo sowohl als auch Irene ohne Nachkommen sind, daß man dies einrechnen muß, und wir haben schließlich fünf Kinder, fünf, und nicht ohne Grund, Familien rentieren sich erst von einer gewissen Größe an, wenn man sie organisiert und alles schön plant wie wir, nur dann freilich. Von den Opfern einer Mutter red ich jetzt gar nicht. Ich red nicht von all dem Verzicht und so. Na, also Kurt, der gute Paten hat dank der Umsicht seiner Eltern, Kurt, für den wir gesorgt haben wie für die andern 222 auch, in jeder Hinsicht, Kurt, den wir haben erziehen wollen /u einem, der es so weit wie möglich bringen soll - denn das wünschen wir uns für unsere Kinder: Erfolg im Leben, ich irieine, mit allem Drum und Dran, Besitz, Wohlstand und so, gar nicht, daß wir dächten: Geld allein mache glücklich, das nicht, aber - Aber zum Beispiel freut nichts uns mehr, als zu .intdecken, wie eins der Kinder an sich selber denkt und emsig ŕpart für irgendeine Anschaffung, und wen n's hierbei auch reichlich oft zu Streit kommt, meinetwegen aus Mißgunst: schadet nichts, das Leben später ist auch nicht anders. Jeder muß sehen, wie er das Beste für sich herausholt. Kurt, oje. Kurt, den wir wohl Unzufriedenheit, nicht aber die gewisse Kühle unserer elterlichen Empfindungen fühlen lassen, Kurt, der uns fremder ist als die andern, nicht geheuer, aber lieb und wert, wie es sich gehört - Überschwang mögen wir sowieso nicht Kurt hat gestern seine Eltern und Geschwister, ja >.eine gesamte Verwandtschaft beleidigt und enttauscht. Sein Gabentisch, dies erwähnte ich bereits, war standesgemäß bestückt. Globus, Barometer, Lexikon, Manschettenknöpfe -übrigens: der Pfarrer hat auch schuld, viel sogar. Ich werde mit Vater drüber reden. Jesaja, wie kann man nur, da gibt es Joch auch andere Stellen, und dann: Apostelspriiche sind doch viel passender für einen Jungen von knapp fünfzehn. Auch üeldgeschenke, Scheine! Leider Scheine, muß ich jetzt sagen. Und zunächst haben gerade sie mit ihrem höheren Wert uns so viel Freude gemacht! Zugegeben: manches Unnütze, das bleibt nie aus und macht nichts; für alles gibt es Verwendung, \o oder so. Er hätte den zweiten Brieföffner schließlich gut zu Onkel Rudolfs Geburtstag - anstatt - liebergottnein. Wirklich: so was von einem Pfarrer. Was soll denn das, frag ich mich, die Auswahl eines solchen Konfirmationsspruchs, ohne jede Feierlichkeit. Ich selber hatte seinerzeit - im Moment entfallen, komisch. Gestern, gestern! Wir sind mit unsern Sektgläsern - Kelchen! - , mit den Kelchen raus in den Garten gezogen, und Onkel Rehbein übernahm's, die Gruppenaufnahmen zu machen, wie bei Eberhards Konfirmation, selbstlos, wie Onkel Rehbein 223 ist, und durch seine Hasenscharte wohl auch etwas fotoscheu. Erst beim dritten Bild, Gott, waren wir lustig, fiel einem von uns auf, daß die sogenannte Hauptperson fehlte, also Kurt Kurt war nicht zu sehen. Aber zu hören! Lärm, häßlicher als sonstwann - und ich als Mutter von f ünf en hab weiß Gott viel Lärm gehört in meinem Leben - scheußlicher Krach trieb uns zum Wohnzimmerfenster. Auf Marweller Edelfliesen zerschellte, als ich hinzukam, das Barometer. Globus, goldene Uhr unterm zerrupften Nachschlagewerk begraben, und Taschentücher mit Monogramm - K. L., das Monogramm von Großvater Lehmann, bloß für unsern Kurt passend - und die Geldscheine, die schönen Scheine, zerrissen, in Fetzen - Ich rede jetzt lediglich von den Haupteindrücken. Und Kurt am Fenster, Kurt, der fortfuhr, seine Geschenke zu zerschmettern, alles bis zur letzten freundlichen Kleinigkeit. Oh, frag ich mich, womit haben Vater und ich, womit hat unsere rechtschaffene Familie das verdient? Solch ein Mißverständnis, denn das war's, ein Mißverständnis. Was soll aus Kurt werden, was? Entsetzt rannten wir alle ins Zimmer, wo doch nichts mehr zu verhindern war. Verloren alles, zuschanden, nichts zu retten außer dem versilberten Korkenzieher von unserem Eberhard: er hat ihn heut morgen von Vater zurückbekommen, feierlich überreicht, anläßlich eines kurzen, aber ernsten und auch stimmungsvollen Strafappells für Kurt. Und Sekt wurde vergeudet! Bei diesem Hin und Her auf der Terrasse kein Wunder, und ein Sektkelch, meines Bruders Theo Sektkelch übrigens, zerschellte, schlimmes Geräusch, diese Kelche sind mir teuer, stammen sie doch von — ich glaube, von Großtante Betti, aber von wem auch immer, sie sind wertvoll, ich sah neulich ganz ähnliche bei Scheltz im Schaufenster, für ungelogen fünfzehn neunzig das Stück. Ein Mißverständnis, ja. Kurts Konfirmationsspruch, genagelt gegen eine Querleiste der Tür - nebenbei bemerkt, frisch gestrichen, unser Manfred hat erst vor drei Wochen sämtliche Rahmen und Leisten frisch gestrichen, eins fünfzig pro Rahmen, fünfundsiebzig pro Leiste, und wenn ich jetzt sage: zu Ehren Kurts, klingt das wie Hohn - dieser Spruch von Jesaja sollte uns allen das Zer- störungswerk, die Schandtat erklären. Jemand las ihn laut vor, jemand hat leise gelacht, vielleicht vor Schreck, mich hat's trotzdem gekränkt, denn ich habe, in den Trümmern von (üobus, Barometer, Uhr und was weiß ich, geweint. Wer Unrecht haßt samt der Habgier und seine Hände abzieht, daß (f nicht Geschenke nehme, der wird in der Höhe wohnen, und [■eisen werden seine Feste und Schutz sein. Den Pfarrer müßte 0Q(\ verklagen, bestimmt. Das Ärgste ist ja gar nicht der Verlust der schönen, nützlichen und auch unnützen, bloß netten Dinge. Das Ärgste ist, daß wir Kurt in eine Anstalt teben müssen. Fragt eine Mutter, wie schwer so was fällt. Vorübergehend, aber immerhin. Man muß das ja behandeln, finden wir. Kleine Kleinigkeit für Privatkassenleute wie Vater und mich. 224