Kitsch als Schutz vor Selbstverantwortung: Zu einigen narrativen Strategien der Schuldverdrängung Předčítač je už tisíckrát zanalyzovaný ze všech možných stran1 Aleš Urválek Wie gesagt, Schlinks Roman Der Vorleser wird schon tausend Mal aus allen möglichen Seiten analysiert, die Hauptfrage, auf die immer wieder eingegangen wird, bleibt trotz zahlreicher Interpretationsversuche ohne befriedigende Antwort. Durch welche Mittel lässt der Autor die Gestalt von Hanna Schmitz auf den Leser wirken, um bei ihm eine Sympathie zu wecken, wobei sie aus der Position des Täters heraustritt und in die Rolle des Opfers hineinschlüpft? Die ehemalige KZ-Aufseherin verantwortet sich für ihre Verbrechen, die sie während des Krieges an den Häftlingen ausgeübt hat. Ihre Schuld scheint unbezweifelbar zu sein und die Tatsache, dass sie auf sich absichtlich den größten Teil der Anklage genommen hat, berechtigt nicht das Mitleid, das dem Leser unterschoben wird. Um dieses zu erreichen, setzt Schlink unter anderem eine ,,[...]Verbindung von erotischen und historisch-politischen Bezügenf...]".2 In diesem Moment, in dem die geschichtliche Sicht zum Ausdruck gebracht wird, ist es allerdings schon zu spät, sich nach den Regeln Schlinks Spiel mit dem Leser zu erkundigen. Von Anfang an hat man nämlich mit einem nicht all zu originellen Muster zu tun. Eine verbotene Liebe, die nicht mal nach Jahrzehnten verblüht, oder das Motiv des ehrenhaften Schufts, verleiht dem Ganzen etwas, was den Verdacht auf den Kitsch und willkürlichen Umgang mit der Geschichte unausweichlich erregt.3 Der bereits erwähnte Begriff ist in Bezug auf die vorliegende Analyse von großer Bedeutung. Kitsch konnotiert vor allem mit Genres, die den niedrigeren Grad an Kunstwert aufweisen, trotzdem erfreuen sie sich der ständigen 1 URVÁLEK, Aleš (2013): Posudek oponenta bakalářské diplomové práce. https://is.muni.cz/auth/th/383399/ff b/Posudek oponenta Kujinkova Urvalek.pdf [Stand 5. November 2013] 2 LUTZ, Bernd; JEßING, Benedikt: Deutschsprachige Dichter und Schriftsteller vom Mittelalter bis zur Gegenwart., 4., Aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: J.B. Metzler, 1997, S. 3 Vgl. WEIDEMANN, Wolker: Lichtjahre. Eine kurze Geschichte der deutschen Literatur von 1945 bis heute. 4. Aufl. Köln: Kiepenheuer-Witsch, 2006, S. 197 Beliebtheit des Publikums. Der Kitsch an sich gehört in keinem Fall zu den Mitteln, die ausschließlich von den Autoren der „niedrigen" Literatur in Angriff genommen werden. Damit man aber mit den konkreten Ansätzen und Strategien des Kitsches im Text arbeiten kann, ist es unvermeidlich, die genauen Grenzen des Termins festzulegen, die Hauptmerkmale zu benennen und zu beschreiben. Anschließend wird an konkreten Beispielen im Vorleser demonstriert, warum und auf welche Art und Weise hat der Autor die kitschigen Elemente in den Text eingebettet. Es werden sowohl damit verbundene Vorteile, die den Text bereichern und ihm eine größere Attraktivität verleihen, als auch die möglichen Gefahren, die das künstlerische Niveau erniedrigen.