Den Beinamen Stilling erhält er erst nach Erscheinen des ersten Teils seiner Autobiographie 1777. 1817 Mit »Henrich Stillings Alter« beendet Jung-Stilling seine Autobiographie. [Jung-Stilling: Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 54713 - 54720] 1809 Arbeit an der Autobiographie »Mein Leben« (erscheint postum 1813). [Seume: Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 87163] 1819 Johann Paul Friedrich (gen. Jean Paul): Selberlebensbeschreibung Entstanden 1818/1819. Erstdruck in: Wahrheit aus Jean Pauls Leben, zusammengest. von Christian Otto und Ernst Foerster, Heftlein 1, Breslau (Max) 1826. Im Jahre 1761 den 13ten Oktober ging die Liebende als Braut mit ihren Schätzen in sein enges Schulhäuschen, das er zum Glück ohnehin durch kein Hausgeräte noch enger gemacht. Sein heiteres Leben, seine Gleichgültigkeit gegen Geld verbunden mit seinem Vertrauen auf seine Haushälterin ließen in der Tertiat-Konchylie überflüssig-leeren Raum für alles offen, was aus Hof von fahrender Habe Platz nehmen wollte; – aber meine Mutter – so waren die damaligen Eheleute und einige jetzige – stieß sich in der ganzen Ehe so wenig an diese Leerheit als mein Vater selber. Der kräftige Mann muß den Mut haben, ebensogut eine Landreiche zu ehelichen als eine Hausarme. In meinen historischen Vorlesungen wird zwar das Hungern immer stärker vorkommen – bei dem Helden steigts sehr – und wohl so oft als das Schmausen in Thümmels Reisen und das Teetrinken in Richardsons Clarisse; aber ich kann doch nicht umhin, zur Armut zu sagen: sei willkommen, sobald du nur nicht in gar zu späten Jahren kommst. Reichtum lastet mehr das Talent als Armut und unter Goldbergen und Thronen liegt vielleicht mancher geistige Riese erdrückt begraben. Wenn in die Flammen der Jugend und vollends der heißen Kräfte zugleich noch das Öl des Reichtums gegossen wird: so wird wenig mehr als Asche vom Phönix übrig bleiben; und nur ein Goethe hatte die Kraft, sogar an der Sonne des Glücks seine Phönixflügel nicht kürzer zu versengen. 1840 »Lebensgeschichte des Baron de la Motte Fouqué. Aufgezeichnet durch ihn selbst« (Autobiographie). [Fouqué: Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 18188] Heinrich Heine: Autobiographien • Geständnisse Entstanden 1852/54. Erstdruck unter dem Titel »Aveux d'un poète« (Geständnisse eines Dichters) in: Revue de deux mondes (Paris), September 1854, erste autorisierte deutsche Ausgabe in: Vermischte Schriften, Hamburg (Hoffmann und Campe) 1854. • Memoiren Entstanden 1854/55. Erstdruck: Heinrich Heines Memoiren, hg. v. Eduard Engel, Hamburg (Hoffmann und Campe) 1884. • Testament Übersetzung von Adolf Strodtmann. Erstdruck in: Adolf Strodtmann: Heinrich Heines Leben und Werke, 2. Auflage, Berlin 1874. 1853 Beginn der Arbeit an der Autobiographie (bis 1854). 1856 Grillparzer wird pensioniert und erhält den Titel eines Hofrats. [Grillparzer: Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 32144] 1888 Friedrich Nietzsche: Autobiographie Ecce Homo Das Manuskript zu »Ecce homo« war von Nietzsche in der Zeit vom 15. Oktober bis zum 4. November 1888 geschrieben worden und vor dem 13. November abgeschickt. Von da ab bis zum 2. Januar 1889 ständige Abänderungs- und Ergänzungswünsche Nietzsches; überdies streiten die drei letzten Schriften miteinander um die Priorität der Veröffentlichung (vgl. » Fr. N, Briefe aus dem Jahre 1888« in » Die neue Rundschau, XVIII. Jahrgang der freien Bühne«, 2. Heft [November 1907], 1379ff) Im Jahre 1908 erschien im Insel-Verlag eine Liebhaberausgabe in beschränkter Anzahl; im Jahre 1911 endlich eine allgemein zugängliche Publikation. 2 Ich bin zum Beispiel durchaus kein Popanz, kein Moral-Ungeheuer – ich bin sogar eine Gegensatz- Natur zu der Art Mensch, die man bisher als tugendhaft verehrt hat. Unter uns, es scheint mir, daß gerade das zu meinem Stolz gehört. Ich bin ein Jünger des Philosophen Dionysos, ich zöge vor, eher noch ein Satyr zu sein als ein Heiliger. Aber man lese nur diese Schrift. Vielleicht gelang es mir, vielleicht hatte diese Schrift gar keinen andren Sinn, als diesen Gegensatz zu einer heitren und menschenfreundlichen Weise zum Ausdruck zu bringen. Das letzte, was ich versprechen würde, wäre, die Menschheit zu »verbessern«. Von mir werden keine neuen Götzen aufgerichtet; die alten mögen lernen, was es mit tönernen Beinen auf sich hat. Götzen (mein Wort für »Ideale«) umwerfen – das gehört schon eher zu meinem Handwerk. Man hat die Realität in dem Grade um ihren Wert, ihren Sinn, ihre Wahrhaftigkeit gebracht, als man eine ideale Welt erlog ... Die »wahre Welt« und die »scheinbare Welt« – auf deutsch: die erlogne Welt und die Realität ... 1894 Fontanes berühmtester Roman, »Effi Briest«, wird in der »Deutschen Rundschau« gedruckt (bis 1895). »Meine Kinderjahre« (Autobiographie). [Fontane: Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 12145] Eduard Hanslick: Autobiographie. Aus meinem Leben Erstdruck: Berlin (Allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur) 1894. Leopold Ritter von Sacher-Masoch: Eine Autobiographie. • Meine Lebensbeichte Erstdruck: Berlin und Leipzig (Schuster und Loeffler) 1906. Im Jahre 1848 kam mein Vater nach Prag, der Hauptstadt des Königreiches Böhmen; auch hier war er Chef der Polizei, aber seine Stellung hat nie einen hemmenden Einfluß auf meine geistige Entwicklung genommen, im Gegentheil, ihr verdanke ich meine Sprachkenntnisse und vor Allem meine intime Bekanntschaft mit den Naturwissenschaften. Es gab nichts, was mein Vater nicht gesammelt hätte: Käfer, Schmetterlinge, Pflanzen, Mineralien, Versteinerungen. Wie oft half ich ihm Steine klopfen, wenn er mit seinem alten Freunde, dem trefflichen Barante[1], in den Steinbrüchen bei Prag Trilobiten suchte, ich stieg in jeden Teich, um für ihn Wasserkäfer zu fangen. Auch in Böhmen ging ich mit auf die Jagd, nur traten hier Hasen und Rebhühner an die Stelle der Füchse und Wölfe. Daß ich viel schwamm, ritt, focht und turnte, versteht sich bei einem jungen Gentleman von selbst. Deshalb aber wurden die Studien, wurde die Lektüre in keiner Weise vernachlässigt. Ich las mit Vorliebe wissenschaftliche Werke, besonders historische und naturwissenschaftliche. Mit der schönen Literatur habe ich mich zu keiner Zeit viel beschäftigt und ich muß gestehen, daß ich auch heute noch die meisten Dichter nur dem Namen nach kenne. Den größten Eindruck haben mir von poetischen Werken Goethes Lieder, Faust und Werther, der alte deutsche Roman »Simplicius« aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges, Shakespeares Hamlet, Othello und Fallstaff, Gogol's Taraß Bulba oder die Sagoroger Kosaken, Kukolnik's Eine Mutter, Puschkin's Capitainstöchter, Boccaccio's Dekamerone, Die Bibel und Beranger's Chansons gemacht, dann in viel späterer Zeit: Thackeray Vanity fair, Boz Dickens Harte Zeiten, Turgenjew Tagebuch eines Jägers, Prevost Manon Lescaut, Claude Tillier Mein Onkel Benjamin, Erkmann-Chatrian Histoire d'un conscrit, Madame Therese und Waterloo. Von wissenschaftlichen Schriftstellern haben Thierry und Macaulay, später Buckle und Schopenhauer am meisten auf mich gewirkt. Die griechischen und römischen Klassischer, Schiller, Walter Scott, Heine, Dumas und Sue, sowie der Philosoph Hegel, David Strauß und Moleschott, von denen die Zeitgenossen je nach Geschmack und Richtung gefesselt und angeregt waren, haben keinen Einfluß auf mich geübt und überhaupt zu keiner Zeit einen besonderen Eindruck auf mich gemacht. Unter den Musikern waren Beethoven und unter den Malern Titian stets meine Lieblinge. Bei der Maturitätsprüfung lieferte ich, mit nicht ganz sechszehn Jahren, einen Aufsatz, von dem unser Professor sagte: Das ist kein Schulpensum mehr, das ist die Arbeit eines Schriftstellers. Trotzdem dachte ich an Alles Andere, nur nicht daran, Poct zu werden. Ich spielte viel auf einem Dilettantentheater, nicht etwa Kotzebue, sondern Goethe, Schiller, Shakespeare, Scribe. Ich wollte zuerst Soldat werden, dann Schauspieler, dann Professor. Mit einem Male erfaßte mich eine wahre Leidenschaft für Mathematik (sonst nicht die Stärke der Dichter), und ich war in den letzten Klassen des Gymnasiums der beste Mathematiker, dann warf ich mich auf Chemie und zuletzt auf Geschichte. Nach einigen stürmischen Universitätsjahren, in denen viel Vier getrunken, viel gesungen und viel duellirt wurde, ward ich mit 20 Jahren Doktor, arbeitete im Staatsarchiv zu Wien, schrieb ein Geschichtswerk und wurde Docent der Geschichte an der Universität zu Graz. Wie ich eigentlich dazu kam, meinen ersten Roman zu schreiben? Es war merkwürdig genug. Ich brachte meine Abende damals gerne bei der Baronin Gudenus, einer alten, geistvollen Dame, zu. Einmal begann ich von der Insurrektion von 1846 zu erzählen und erzählte in einer Weise, welche die eine Dame geradezu elektrisierte. »Aber schreiben Sie doch dies Alles nieder,« schrie sie auf, »es wird ein prächtiger Roman daraus werden.« Ich hatte nie daran gedacht, aber sie als echte Deutsche hatte sofort ein Buch im Kopfe. Die Anregung war indeß gegeben und rasch entstand mein erster Roman »Eine galizische Geschichte 1846«. Während ich an diesem Buche schrieb, erreichte eine Krankheit, die mich seit Jahren gequält hatte, ihren Höhepunkt – es war das Heimweh. Ich benutzte das erste Honorar, um in die Heimath zu eilen. Es war im Sommer 1857, ich vergoß Thränen, als ich den ersten galizischen Bauer erblickte, und nun erst, als der Postwagen – damals gab es noch keine Bahn – in Lemberg einfuhr und ich die Straße, die Häuser, die Bäume auf dem »Wail«, die Promenade Lembergs, wieder erkannte, da begann ich zu weinen wie ein Kind. Meine Großmutter lebte noch. Das alte Familienhaus sah genau so aus, als ich es vor zehn Jahren verlassen hatte. Es war wie im Märchen, wo nach tausendjährigem Schlaf Alles genau so erwacht, wie es vordem war. Da war noch die vergilbte Lotterietafel neben dem Thore, die alte Treppe und oben die alten geblümten Möbel, die Kommoden mit dem Messingbeschlag, die große Uhr, welche Diana von ihren Hunden gefolgt zeigte, und die alte Frau, hoch in den Achtzigen, die noch im Bette lag – es war früh am Morgen – und mir die zitternden Hände entgegenstreckte und mich segnete. Alles war, wie ich es verlassen und in der Küche unter dem Heerde lag die große Katze und säugte ihre Jungen, ganz so wie vor zehn Jahren. Von Lemberg aus durchstreifte ich den Osten des Landes. Ich habe meine Heimath später noch häufig besucht, aber nie mehr jenen Eindruck empfangen von damals, wo ich von übermächtiger Sehnsucht getrieben zurückgekehrt war und zwei Monate mit unserem Volke lebte. Bertha von Suttner: • Memoiren Erstdruck: Stuttgart und Leipzig (Deutsche Verlags-Anstalt) 1909. Prag war also die Stadt, in der meine Wiege, an der, wie an allen Wiegen, so manches nicht gesungen wurde, gestanden hat. Meine Mutter, die bei meiner Geburt schon Witwe war, ist aber bald nach Brünn übersiedelt, und was mir aus der Kindheit im Gedächtnis geblieben, das spielte sich in der mährischen Hauptstadt ab. Dort sehe ich mich am Fenster stehen – fünf Jahre alt – und auf den »großen Platz« hinausschauen, wo eine lärmende Menge sich wälzt. Ein neues Wort schlägt an mein Ohr: Revolution. Alle schauen zum Fenster hinaus, alle wiederholen das neue Wort und sind sehr aufgeregt. Was ich empfunden habe, weiß ich nicht mehr, jedenfalls war ich auch erregt, sonst hätten das Bild und das Wort sich dem Geiste nicht eingeprägt. Daneben ist aber nichts. Das Bild weckt kein Verständnis, das Wort hat keinen Sinn. So sieht meine erste Erfahrung eines historischen Ereignisses aus. * * * weiß ich nicht mehr, warum dieser Vorfall sich mir so tief in die Seele prägte; war es die verletzte Eitelkeit wegen des entzückenden Kleides oder das verletzte Ehrgefühl wegen des Disziplinarverfahrens? Wahrscheinlich beides. Noch ein Bild ist mir eingeprägt. O, ich muß ein sehr eitler, vergnügungssüchtiger Fratz gewesen sein! Meine Mutter kommt ins Kinderzimmer; sie trägt ein schönes Kleid, wie ich es noch nie an ihr gesehen habe, und Schmuck auf dem bloßen Hals: Mama geht auf den Ball, und man erklärt mir, daß dies ein Fest ist, wo alle so schön angezogen sind und in ganz hellen Räumen tanzen. Ich will mitgenommen werden, will auch auf den Ball. »Ja, mein Wursterl geht auch auf den Ball.« Ich juble. – »Nämlich auf den Federnball.« Damit küßt mich die schöne Mama und geht. »So,« sagt Babette, »jetzt wollen wir uns zum Federnball bereitmachen.« Und sie beginnt mich zu entkleiden, was ich mit freudiger Erwartung geschehen lasse. Als ich aber, statt weiter geschmückt zu werden, ins Bett gebracht werde und erfahre, daß dies der Federnball sei, da breche ich in wildes Schluchzen aus, getäuscht, gekränkt, gedemütigt. Bei dem Bilde meines Vormundes muß ich noch etwas verweilen. Meine ganze Kindheit und erste Jugend hat es freundlich durchleuchtet. Friedrich Landgraf zu Fürstenberg war meines verstorbenen Vaters Kamerad und Freund gewesen, und seine übernommene Aufgabe als Vormund und Beschützer und sorgender Freund des vaterlosen Kindes hat er bis zu seinem Tode treu erfüllt. Ich betete ihn einfach an, betrachtete ihn als ein höheres Wesen, dem ich unbedingten Gehorsam, Verehrung und Liebe schuldete und auch gerne zollte. Er war ein älterer Herr, über fünfzig, als ich zur Welt kam, und wie Kinder in der Alterschätzung schon sind, mir schien er uralt, aber urlieb. So lächelnd, so heiter, so Grandseigneur, so unbeschreiblich gütig. Diese mitgebrachten Zuckerbäckerwaren, diese reichen Weihnachtsgeschenke, diese Sorge um meine Erziehung, meine Gesundheit, meine Zukunft! Grandseigneur: das war er ja tatsächlich. Mitglied des stolzesten österreichischen Hochadels, Feldzeugmeister, zuletzt Kapitän der Arcièrengarde, eine der ersten Stellungen bei Hofe. Fehlte bei keinem großen Hoffest und brachte mir von jedem Kaiserdiner so schöne Bonbons mit. Seine hohe Stellung flößte mir mehr Stolz als Respekt ein. Für mich war er der »Fritzerl«, dem ich du sagte, dem ich, solange ich klein war, auf die Knie stieg und den Schnurrbart zupfte. Er starb unverheiratet. Sein Leben war so regelmäßig eingeteilt, es verlief so ohne Sorgen, ohne Leidenschaften, zwischen Dienst und Geselligkeit, daß nie der Wunsch aufkam, es zu verändern. In Wien bewohnte er eine schöne Garçonwohnung in der Inneren Stadt; in Mähren besaß er eine Herrschaft, wo er öfters ein paar Sommerwochen zubrachte, um nachzusehen, was seine Beamten treiben; doch zog er es vor, statt bei sich in dem einsamen Schloß zu wohnen, als Gast bei seiner alten Mutter und bei seinen verschiedenen Schwestern die Sommermonate zuzubringen. Reisen unternahm er niemals. Hinter den österreichischen Grenzpfählen hörte die Welt für ihn auf. Frömmigkeit, Kirchenfrömmigkeit sowohl wie Militärfrömmigkeit gehörten zu seinen, ich will nicht sagen Charaktertugenden, sondern Standestugenden. Er fehlte bei keiner Sonntagsmesse, keiner Kirchenfeier und keiner Parade. Für Feldmarschall Radetzky, den er persönlich gut gekannt, schwärmte er. Der Ruhm der österreichischen Armee war in seinen Augen einer der schönsten Bestandteile der allgemeinen Weltordnung. Die Société (mit diesem Worte bezeichnete er den Kreis, in dem er geboren war und in dem er sich bewegte) war ihm die einzige Menschenklasse, deren Leben und Schicksale ihn interessierten. Er wohnte auch stets allen in den Häusern Schwarzenberg, Pallavicini u.s.w. gegebenen großen Festen bei. Im Adelskasino hatte er mit einigen Ranggenossen seine regelmäßigen Whistpartien. * * * Sehr interessierten ihn die verschiedenen Heiraten in der Société; er hatte eine Schar von Neffen und Nichten, die mehr oder minder gute Partien machten. Er selbst hat, obwohl der Mannesstamm mit ihm erlöschen sollte, nicht ans Heiraten gedacht. Die Ursache war, daß er eine Herzensneigung zu einer Frau hegte, die zwar auch die Witwe eines Aristokraten, aber von Geburt aus nicht hoffähig war, also erschien ihm eine Heirat mit ihr einfach ausgeschlossen. Seiner Familie wollte er ein solches Aergernis nicht geben, und schließlich wäre es ja auch ihm ein Aergernis gewesen, denn alles, was außer dem Geleise, außer der Tradition, außer der »Korrektheit« lag, das ging ihm wider den Strich. Als ein Typus von Altösterreichertum steht diese Gestalt vor meinem Gedächtnis. Ein Typus, von dem es wohl noch einige Exemplare gibt, der aber – wie aller Typen Los – im Aussterben begriffen ist. Unser Land ist jetzt aus Slawen, Deutschen, Kroaten, Italienern (Madjaren darf man schon gar nicht nennen, die würden sich das höchlich verbitten) und noch ein paar andern Nationalitäten zusammengesetzt, aber der Sammelname »Oesterreicher« könnte erst dann wieder zu einem stolzpatriotischen Begriff werden, wenn all die verschiedenen Völkerschaften mit eigner Autonomie zusammen einen Föderativstaat bildeten, wie die Deutschen, Franzosen und Italiener in der Schweiz. Da erzählte mir neulich ein Freund – ein dem bürgerlichen Stande angehöriger, aber bei Hofe sehr gern gesehener Mann – von einer Unterhaltung, die er unlängst mit dem Kaiser geführt. Im Laufe eines politischen Gespräches habe der Kaiser ihn befragt, welcher Partei er angehöre: »Zu derjenigen, zu der nur ein einziger Anhänger gehört, der ich bin.« – »Und was ist das für eine Partei?« – »Die österreichische, Majestät.« – »Na, und ich – zählen Sie mich nicht?« gab Franz Joseph lächelnd zurück. Zurück zur Vergangenheit und zu meinem lieben Fritzerl. Es ist gut, daß er die Ereignisse von 1866 nicht erlebte. Die Niederlagen in Böhmen, die Lostrennung Venetiens; das hätte ihn bis ins tiefste Mark gedrückt. Und er hätte es einfach unbegreiflich gefunden, wie eine gegen alle Naturgesetze, namentlich gegen alle göttliche Ordnung verstoßende Kalamität. Zu der Weltauffassung, die den Typus kennzeichnet, den ich meine, gehört der Glaube, daß Oesterreich der Mittelpunkt der Welt sei und jedes ihm widerfahrende Unglück – namentlich Kriegsunglück – eine unnatürliche Pflichtversäumnis seitens der Vorsehung bedeute. Mauthner, Fritz: Erinnerungen. I. Prager Jugendjahre Erstdruck: München (Georg Müller) 1918. Peter Weiß: Abschied von den Eltern. Erzählung (1961). Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1980 Peter Härtling: Zwettl (1970). München: dtv 1998 Christa Wolf: Kindheitsmuster. Roman (1976). Frankfurt a. M.: Luchterhand 2002 Heiner Müller: Krieg ohne Schlacht (1992). Köln: Kiepenheuer & Witsch 1994 Vilém Flusser: Bodenlos. Eine philosophische Autobiographie Mit einem Nachwort von Milton Vargas. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1999. Zuerst Köln: Bollmann Verlag 1992 Motto: Uxori omnia mea . (-Meiner Frau) Inhalt: Monolog (9 – 95) Dialoge (99 – 214) Diskurse (217 – 243) Reflexionen (247 – 275) Ilse Aichinger: Film und Verhängnis. Blitzlichter auf ein Leben (2001). Frankfurt a. M.: Fischer 2001 ________________________________ [1] Joachim Barrande