Anwendungsbeispiel zu Weltsehen Weltsehen (Adolar, 2009) In diesem Song klingen Adolar, die sonst eher im Bereich Post-Hardcore eingeordnet werden, sehr leise. Weltsehen bildet daher einen Ruhepunkt auf Ihrem Debut-Album Schwörende Seen, ihr Schicksalsjahre!. These 1: Inhaltlich behandelt der Song die Angst vor einem Leben, in dem man sich zwischen Arbeit, Familie, Konsum und Hausbau bewegt und in dem für Abenteuer und Neues kein Platz mehr ist. Beleg: Der Song spannt einen großen zeitlichen Bogen in der Beziehung eines jungen Paares, das wahrscheinlich über keine großen finanziellen Mittel verfügt (sie haben „Platz und Toastbrot im Kühlschrank“). Als junge Leute haben sie trotzdem eine schöne Zeit zusammen und erleben viel („Konzerte am Nachmittag). Wenn sie räumlich getrennt sind, telefonieren sie, die Beziehung scheint etwas Ernstes zu sein („übers Telefon ein Kuss auf den Bauch“ / „und manchmal einfach Hochzeit“). Nur eine Zeile später sind sie erwachsen, wohnen zusammen und haben Kinder, die Mutter serviert das Essen („das Essen ist fertig, kommt ihr dann?“). Sie sind auch finanziell abgesichert, haben ein Haus gebaut und „abbezahlt“. Ein normales Leben in der deutschen Mittelschicht. Der ich-Erzähler hat im Refrain aber Zweifel, ob diese Art des Lebens richtig ist. Er vermisst die Freiheit, vielleicht bemerkt er jetzt, dass man als erwachsener Mensch die Träume aus der Jugend nicht so einfach umsetzen kann: „ich habe dir geglaubt, als du gesagt hast, wir bauen uns ein Floß“. Die Zeile „ich habe dir geglaubt“ deutet an, dass das Paar die gemeinsamen Pläne („wir bauen uns...“) nicht umgesetzt hat. Die Träume konnten nicht verwirklicht werden. These 2: Obwohl der Song eher melancholisch ist, geht es nicht um eine gescheiterte Beziehung. Er ist eine Aufforderung, die eigenen Träume zu verwirklichen. Beleg: „Ich will die Welt sehen“ weist aber weiter in die Zukunft, für den Erzähler ist es noch nicht zu spät. Lediglich deutet er mit „bevor“ an, dass es irgendwann zu spät sein könnte. An einem unbestimmten Punkt in der Zukunft komme nämlich „das große Kotzen“. In diesem Kraftausdruck findet sich eine jugendliche Sicht auf die Welt, in der mit dem erwachsen Werden das Leben sozusagen zu Ende ist. Die Familie, in der der Erzähler nun lebt, ist intakt, man isst gemeinsam und ist materiell abgesichert. Implizit stellt der Song daher die Frage, warum diese Familie, obwohl sie die Möglichkeit hat, ihre Träume in der Gegenwart nicht verwirklicht. Eine Antwort könnte das Wort „Käfig“ geben – die Zwänge des Alltagslebens, die tagtäglich ein Grund dafür sind, kein Floß zu bauen und die Welt zu sehen. Möglichkeit zur Kritik am Song Positives: Der Text schafft es, mit wenigen Worten ein schlüssiges Bild zu zeichnen. In der ersten Strophe erfahren wir viel über ein zuerst junges Paar, das ein studentisches Leben lebt, Konzerte besucht, später heiratet, Kinder bekommt und ein Haus kauft. Diese „Erfolgsgeschichte“ entlarvt der Text als „Käfig“, der die Verwirklichung früherer Pläne und Träume verhindert. Negatives: die zweite Strophe ist sehr allgemein und vage („Menschen ziehen sich aus“). Das eigentlich schön gewählte Bild des Floßes birgt die Gefahr, als zu kitschig wahrgenommen zu werden.