Kafka, Franz, · 3. 7. 1883 Prag. † 3. 6. 1924 Kierling bei Wien; Grabstätte: Prag-Strašnice, Neuer Jüdischer Friedhof. – Aus welcher Familie stammte Kafka? K. wurde als ältestes von sechs Kindern - zwei Brüder starben früh, nur die Schwestern Elli, Valli u. Ottla blieben am Leben - der Familie des jüd. Galanteriewarenhändlers Hermann Kafka u. seiner Frau Julie geboren. Die Mutter, dem Vater ergeben, entstammte einer angesehenen Kaufmannsfamilie. Ihren Bruder Alfred, Eisenbahndirektor in Madrid, betrachtete K. als »nächsten Verwandten«; ihr Stiefbruder Siegfried Löwy, Landarzt in Triesch, (Třešť) wurde zu seinem Lieblingsonkel. Der Brief an den Vater (1919), im Rückblick des 36jährigen verfaßt, dem Vater freilich nicht zugeleitet, erzählt die nie bewältigte Geschichte von K.s Leiden in der Familie, die Rettungsversuche durch das Schreiben: »du stark, groß, breit [...] ich an deiner Hand, ein kleines Gerippe [...]« (H 168). Ottla, die ihm 1916 einen Ausweg aus den Zwängen des Familienraums eröffnete, als sie ihm für einen Winter ein Schreibdomizil im Alchimistengäßchen auf dem Hradschin verschaffte. Wie war Kafka in das Prager literarische Leben integriert? Am 23. 10. 1902 sprach Brod in der »Lese- und Redehalle« über Schopenhauers Philosophie. Hier lernte K. ihn kennen, u. es entstand eine lebenslange Freundschaft. Brod ermutigte K. zum Schreiben, drängte ihn gegen seine Selbstzweifel zur Veröffentlichung u. vernichtete schließlich K.s Nachlaß nicht, wie der testamentar. Wille lautete, sondern rettete ihn vor den Nationalsozialisten nach Jerusalem. Kafka wurde mit der Prager Literaturszene - Hugo Salus, Friedrich Adler, Brod, Meyrink - bekannt; K. besuchte philosophische Zirkel u. literar. Salons. Brods Roman Zauberreich der Liebe , Kafka als Garta. Brod macht ihn mit Felix Weltsch und Oskar Baum Weltsch, 1884 – 1964, arbeitete 1910-1939 in der Prager Universitätsbibliothek. W. setzte sich schon früh mit dem Zionismus auseinander, studierte den Talmud u. gab 1919-1938 die in Prag erscheinende zionistische Wochenschrift »Die Selbstwehr« heraus. Über eine gemeinsam mit Max Brod unternommene Reise nach Palästina berichtet er in Land der Gegensätze. Eindrücke einer Palästinareise (Prag 1929). Zionismus als Weltanschauung (zus. mit Max Brod). Mährisch-Ostrau 1925. - Antisemitismus als Völkerhysterie. Prag 1931. Salon der Apothekersgattin Berta Fanta – der Philosoph Ehrenfels, Albert Einstein. Die einzelnen Mitglieder dieser Familie waren Mohamendaner, Atheisten, Buddhisten und Theosophen. Gimpl, Georg: Weil der Boden selbst hier brennt . . .. Aus dem Prager Salon der Berta Fanta (1865-1918). 2001. 432 S. m. zeitgenöss. Abb. 23 cm. Gebunden. 828gr. ISBN: 3-934774-97-0, KNO-NR: 09 98 76 67 -VITALIS- Tagebuch, 388 – 21.9. 1917 Traum vom Vater. Es ist eine kleine Zuhörerschaft *Frau Fanta zur Charakteristik darunter), vor welcher der Vater eine soziale Reformidee zum ersten der Öffentlichkeit mitteilt. Das Café Arco als Treffpunkt, ,Herder-Blätter 1911/19112: hier erschein auch KFKAS Skizze Großer Lärm[1] Rudolf Fuchs, Willy Haas, Franz Janowitz, Paul Kornfeld, Otto Pick, Wefel (1911 Weltfreund) Autorenabend am 4. 12. 1912, bei dem Kafka Das Urtei las: Baum, Brod, Kafka, Haas (Werfel und Otto Pick vorgelesen), 12 Seiten der Weihnachtbeilage der Bohemia: noch Friedrich Adler, Paul Leppin. Hugo Salus, Hedda Sauer, Oskar Wiener Mit Ernst Pollack und Ernst Feigl vom Militärdienst zurückgestellt – die zweite Generation der Arco-Runde: Karl Brandt, Hans Demetz, Hans Gerke, Johannes Urzidil, Otto Rosenfeld: Prag, eine literarische Stadt, Bohemia 90, , Nr. 320, 21. 11. 1917, S. 3: Literatur ist Trumpf und der Grundton des gesellschaftlichen Dialogs. Tennis, Skifahren und interner Walzerbaend sind verachteter Gesprächsstoffe eines übverwundenen Dezennimums. Jedes junge Mädchen von Haltung zeigt ein Register, das von Sophokles bis Hasenclever alle Feinheiten einer fachlichen Bildung aufweist. Ein literarischer Salon gehört heute, wie zur Zeit des Hotels de Rambouillet[2] zu den notwendigsten Bestandteilen einer konventionellen Hausführung. Mit einem vielsagenden, beziehungsvollen Lächeln kredenzt die waltende Hausfrau die exklusivsten literarischen Delikatessen. Werke, Memoiren, Betrachtungen der verzwicktesten Autoren… Es gehörte zu den Äußerungen der deutschsprachigen Minderheit, die darin ihre Selbstbehauptung fand. Er lernte aber auch tschechische Anarchisten kennen: Šrámek, Neumann, Michal Kácha, Arthur Longen. Wie war Fafkas Bildungsgang? Wo hat er gearbeitet? 18. 6. 1906 wurde K. zum Dr. jur. promoviert. Zunächst trat er als Versicherungsjurist in die Assicurazioni Generali, dann in die Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt (1908) ein. Er bewährte sich als Beamter u. stieg zum Obersekretär auf, bis er, mit Fortschreiten der Tuberkulose, 1922 pensioniert wurde. (Aushilsbeamber, Concipist, Vizesekretär, Anstaltssekretär, Obersekretär 1922). Die meisten Angestellten waren Tschechen. Bearbeitungen der Rekurse, d. h. Proteste der Unternehmer gegen die Einteilung ihres Betriebes in eine bestimmte Gefahrenklasse., Maßnahmen zu Unfallverhütung, Erledigung der Unfallsentschädigung Wie war Kafkas Beziehung zu Frauen außerhalb seiner Familie? Felice Bauer, Prokuristin in der Medienfirma – Parlographenfirma - Lindström AG – Tagebucheintragung vom 13. 8. 1912: Als ich zu Brod kam, saß sie bei Tisch und kam mir doch wie ein Dienstmädchen vor… Knochiges leeeres Gesicht, das seine Leere offen trug. Freier Hals. Überworfene Bluse. Sah ganz häuslich angezogen aus, trotzdem sie es, wie sich später zeigte, gar nicht war. zwei, drei, vier Briefe am Tag : gerade in dem Augenblick, als ihm (nach seinem eigenen Wort) mit dem Urteil (1912. In: Arkadia, 1913. Lpz. 1916) der »Durchbruch« zur Literatur gelang, jene Frau kennenlernte, um die er einen fünf Jahre währenden Kampf - Verlobung, Entlobung u. erneute Verlobung, Bruch - führen sollte: in dem verzweifelten Bewußtsein, ohne sie nicht leben u. in ihrer Nähe nicht schreiben zu können. Hunderte von Briefen, die er zwischen 1912 u. 1917 an sie richtete, sind Versuche, aus der schreibenden Distanz zu ihr jene Literatur zu erzeugen. die im Urteil beschriebene Konstellation (der Sohn in Dreiecksbeziehung zu Vater, Geliebter u. zum Freund) Frieda Brandenfeld, Georg Bendemann, von Vater zum Tod des Ertrinkens verurteilt. In der Nacht zum 13.8. 1917 erlitt K. einen Blutsturz, der die zum Tod führende Krankheit einleitete. K. konstatierte dieses Ereignis mit Besorgnis u. Erleichterung zugleich: als Möglichkeit, dem verhaßten Beruf zu entgehen u. Zeit fürs Schreiben zu gewinnen.Bei einem Erholungsurlaub in Schelesen (nördlich von Prag) lernte K. Julie Wohryzek kennen, die Tochter eines Schusters u. Gemeindedieners an einer Prager Synagoge. im Frühjahr 1920 begegnete er der christl. Tschechin Milena Jesenská, Frau des Literaten Ernst Polak. Die Briefe an sie, die Übersetzerin seiner Texte ins Tschechische, sind Zeugnis einer leidenschaftl., Konflikte erzeugenden Liebe. Ihr als einziger gab K. seine Tagebücher u. den Brief an den Vater, sein Lebensresümee, zu lesen. Und im Zusammenhang einer krisenhaften Entfremdung von Milena Jesenská schrieb er nicht nur zahlreiche Erzählungen (Das Stadtwappen – Hermsdorf, 346, Poseidon, Gemeinschaft), sondern, nach einem letzten Aufleben dieser Beziehung, Ein Hungerkünstler (in: Die Neue Rundschau, Okt. 1922) u. den Anfang des Schloß-Romans (1922. Mchn. 1926). die aus Polen stammende Ostjüdin Dora Diamant, der er im Ostseebad Müritz begegnete. Mit ihr lebte er wenige glückl. Monate (Sept. 1923 bis März 1924) - vielleicht die glücklichsten seines Lebens - in Berlin, zum ersten Mal sich entschlossen von Prag lösend u. ein Konvolut von Texten, die er für überholt hielt, vernichtend. Um die Jahreswende verschlechterte sich K.s Zustand; er wurde in das Sanatorium Wiener Wald in Niederösterreich, dann, nach der Diagnostizierung der Kehlkopftuberkulose, in das Sanatorium Dr. Hoffmann in Kierling bei Klosterneuburg gebracht, wo er starb. Welche literarischen Vorbilder nennt er in seiner Korrepondenz und den Tagebüchern? Goethe, Hebel u. Stifter sind ihm wichtige Autoren; er liest Strindberg u. Kierkegaard; Kleist, Grillparzer, Flaubert u. Dostojewskij nennt er seine »Blutsverwandten«(an Felice Bauer, 2. 9. 1913); Im Gegensatz dazu: K.s Neigung zum Varieté, zur Menagerie, dem Zirkus Wie war seine Beziehung zum Judentum? 1911 erfolgt die Begegnung u. Freundschaft mit dem vom Vater vehement abgelehnten ostjüd. Schauspieler Jizchak Löwy. Welche Rolle spielt in seinem Werk Justiz, Verhör, Verurteilung u. Hinrichtung? Beschreibung eines Kampfes (1904-06) über die Entlarvung eines Bauernfängers (1911/12), Das Urteil, In der Strafkolonie (Lpz. 1919): mit dem Ziel, die Schrift des Gesetzes dem Delinquenten in den Körper zu schreiben, eine Schrift, die nur diesem allein lesbar wird u. seine Individualität mit der Allgemeinheit des Gesetzes vermitteln soll: als Auslöschung u. Versöhnung zugleich. Nach einem ersten Plan sollten Urteil, Heizer (Lpz. 1913) u. Verwandlung in einem Buch mit dem Titel Söhne vereinigt werden (an Wolff, 11. 4. 1913), nach einem späteren Urteil, Verwandlung u. In der Strafkolonie u. d. T. Strafen (an Wolff, 19. 8. 1916). Vor dem Gesetz (in: Selbstwehr 9, 1915), Der Prozeß, Der neue Advokat (1917) u. Ein Brudermord (1917. Beide zuerst in: Ein Landarzt) bis hin zur Zur Frage der Gesetze (1920). Hermsdorf, 355 Familie, Rechtsordnung, Fremdheitserfahrung u. Gewalt sind die Motive, die zur beherrschenden Argumentationsfigur von K.s Texten zusammenwachsen. Canetti, der dies scharfsinnig erkannte, nennt K. »den größten Experten der Macht«. Wie wandelt Kafka das Künstler-Bürger-Thema der Jahrhundertwedne ab? Anders als bei Thomas Mann oder Musil, deren Werke von einer kontinuierl. Auseinandersetzung mit Fragen der Kunst u. der Poetologie durchzogen sind, handeln K.s Texte von dubiosen Künstlerfiguren, deren Tätigkeit den Wert der europ. Kulturtradition nur zu unterlaufen scheint: vom Maler Titorelli aus dem Prozeß, der in einer Atmosphäre der Bestechlichkeit einer beliebigen Reproduzierbarkeit der Kunstwerke sich verschreibt, von dem Trapezkünstler aus der Erzählung Erstes Leid (in: Ein Hungerkünstler. 1924), der in Bewegungslosigkeit verharrt, von dem Hungerkünstler, der an der Kunst des Selbstverzehrs zugrunde geht, von der Maus Josefine, deren Kunstübungen sich aller gängigen Wahrnehmung entziehen. K. hat Texte geschrieben, die diesen Vorgang der Verweigerung von Kommunikation bis in die letzten Konsequenzen ausdenken: Der Bau, Die Strafkolonie, Die Sorge des Hausvaters (in: Ein Landarzt). Die Chiffre »K.«, mit der K. die Protagonisten seiner Romane ausstattet, deutet genau auf dieses Niemandsland zwischen bedeutungslosem Namen u. stummem Körper. ________________________________ [1] erst 1914 (31jährig) bezog er ein Zimmer außerhalb der elterl. Wohnung. [2] Rambouillet, Catherine de Vivonne,marquise de (b. 1588--d. Dec. 27, 1665), aristocratic hostess who exerted a powerful influence on the development of French literature in the first half of the 17th century. Revolted by the coarseness of the French court under Henry IV and distressed by the amount of political intrigue, she set out to establish at her townhouse, the Hôtel de Rambouillet, a salon devoted to literature and cultured conversation where nobles and men of letters could mingle on an equal footing. The remarkable homogeneity of French classical literature may be ascribed to the influence of her salon and of those of her imitators. With its emphasis on refinement and delicacy in thought and expression, the salon eventually bred the extravagances that Moličre pilloried unmercifully in Les Précieuses ridicules. Nevertheless, her salon did set a standard for correct and elegant French, and its habitués learned the art of exploring human psychology that was to be the basis of French classical literature.