August Stramm Patrouille Die Steine feinden Fenster grinst Verrat Äste würgen Berge Sträucher blättern raschlig Gellen Tod Vorfrühling Pralle Wolken jagen sich in Pfützen Aus frischen Leibesbrüchen schreien Halme Ströme Die Schatten stehn erschöpft. Auf kreischt die Luft Im Kreisen, weht und heult und wälzt sich Und Risse schlitzen jählings sich Und narben Am grauen Leib. Das Schweigen tappet schwer herab Und lastet! Da rollt das Licht sich auf Jäh gelb und springt Und Flecken spritzen – Verbleicht Und Pralle Wolken tummeln[1] sich in Pfützen Alfred Lichtenstein Die Stadt 1 Ein weißer Vogel ist der große Himmel. 2 Hart unter ihn geduckt stiert eine Stadt. 3 Die Häuser sind halbtote alte Leute. 4 Griesgrämig glotzt ein dünner Droschkenschimmel. 5 Und Winde, magre Hunde, rennen matt. 6 An scharfen Ecken quietschen ihre Häute. 7 In einer Straße stöhnt ein Irrer: Du, ach, du – 8 Wenn ich dich endlich, o Geliebte, fände… 9 Ein Haufen um ihn staunt und grinst voll Spott. 10 Drei kleine Menschen spielen Blindekuh – 11 Auf alles legt die grauen Puderhände 12 Der Nachmittag, ein sanft verweinter Gott. Die Dämmerung Ein dicker Junge spielt mit einem Teich. Der Wind hat sich in einem Baum gefangen. Der Himmel sieht verbummelt aus und bleich, 5 Als wäre ihm die Schminke ausgegangen. Auf lange Krücken schief herabgebückt Und schwatzend kriechen auf dem Feld zwei Lahme. Ein blonder Dichter wird vielleicht verrückt. Ein Pferdchen stolpert über eine Dame. 10 An einem Fenster klebt ein fetter Mann. Ein Jüngling will ein weiches Weib besuchen. Ein grauer Clown zieht sich die Stiefel an. Ein Kinderwagen schreit und Hunde fluchen. aus: Alfred Lichtenstein, Die Dämmerung (Gedichte) , 1913 Geor Heym Berlin Beteerte Fässer rollten von den Schwellen der dunklen Speicher auf die hohen Kähne. Die Schlepper zogen an. Des Rauches Mähne Hing rußig nieder auf die öligen Wellen. Zwei Dampfer kamen mit Musikkapellen. Den Schornstein kappten sie am Brückenbogen. Rauch, Ruß, Gestank lag auf den schmutzigen Wogen Der Gerbereien mit den braunen Fellen. In allen Brücken, drunten und die Zille[2] Hindurchgebracht, ertönten die Signale Gleichwie in Trommeln wachsend in der Stille. Wir ließen los und trieben im Kanale An Gärten langsam hin. In dem Idylle Sahn wir der Riesenschlote Nachtfanale. Jakob van Hoddis : Weltende Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, in allen Lüften hallt es wie Geschrei. Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei und an den Küsten - liest man - steigt die Flut. Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen an Land, um dicke Dämme zu zerdrücken. Die meisten Menschen haben einen Schnupfen. Die Eisenbahnen fallen von den Brücken. Albert Ehrenstein Leid Wie bin ich vorgespannt Den Kohlenwagen meiner Trauer! Widrig wie eine Spinne Bekriecht mich die Zeit. Fällt mein Haar, Ergraut mein Haupt zum Feld, Darüber der letzte Schnitter sichelt. Schlaf umdunkelt mein Gebein. Im Traum schon starb ich, Gras schoß aus meinem Schädel, Aus schwarzer Erde war mein Kopf Ernst Stadler Fahrt über die Kölner Rheinbrücke bei Nacht Der Schnellzug tastet sich und stößt die Dunkelheit entlang. Kein Stern will vor. Die Welt ist nur ein enger, nachtumschienter Minengang, Darein zuweilen Förderstellen blauen Lichtes jähe Horizonte reißen: Feuerkreis Von Kugellampen, Dächern, Schloten, dampfend, strömend ... nur sekundenweis ... Und wieder alles schwarz. Als führen wir ins Eingeweid der Nacht zur Schicht. Nun taumeln Lichter her ... verirrt, trostlos vereinsamt ... mehr ... und sammeln sich ... und werden dicht. Gerippe grauer Häuserfronten liegen bloß, im Zwielicht bleichend, tot – etwas muss kommen ... o, ich fühl es schwer Im Hirn. Eine Beklemmung singt im Blut. Dann dröhnt der Boden plötzlich wie ein Meer: Wir fliegen, aufgehoben, königlich durch nachtentrissne Luft, hoch übern Strom. O Biegung der Millionen Lichter, stumme Wacht, Vor deren blitzender Parade schwer die Wasser abwärts rollen. Endloses Spalier, zum Gruß gestellt bei Nacht! Wie Fackeln stürmend! Freudiges! Salut von Schiffen über blauer See! Bestirntes Fest! Wimmelnd, mit hellen Augen hingedrängt! Bis wo die Stadt mit letzten Häusern ihren Gast entlässt. Und dann die langen Einsamkeiten. Nackte Ufer. Stille. Nacht. Besinnung. Einkehr. Kommunion. Und Glut und Drang Zum Letzten, Segnenden. Zum Zeugungsfest. Zur Wollust. Zum Gebet. Zum Meer. Zum Untergang. ________________________________ [1] sich beeilen: jetzt müssen wir uns aber tummeln! [2] eine flacher (Last-)kahn (für die Flußschiffahrt)